Leitsatz (amtlich)

Befindet sich ein minderjähriges Kind in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung bedarf eine Fixierung in der Nachtzeit durch Bauch- oder Fußgurt (unterbringungsähnliche Maßnahme) keiner familiengerichtlichen Genehmigung. § 1906 Abs. 4 BGB ist nicht analog anzuwenden.

 

Verfahrensgang

AG Varel (Beschluss vom 18.04.2011; Aktenzeichen 2 F 338/10 UB)

 

Tenor

Die Beschwerde der Verfahrensbeiständin gegen den am 21.4.2011 erlassenen Beschluss des AG - Familiengericht - Varel vom 18.4.2011 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Antragsteller sind als Eltern Inhaber des gemeinsamen Sorgerechts für das am 1.4.1999 geborene Kind E., den Beteiligten zu 1). Das Kind leidet unter einem frühkindlichen Autismus mit geistiger Behinderung sowie einem Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom. Im Jahre 2008 wechselte es von dem elterlichen Haushalt in eine heilpädagogische Heimeinrichtung. Seitdem befindet es sich morgens in einer Tagungsbildungsstätte und erhält aufgrund seiner Umtriebigkeit auch in der der übrigen Zeit eine Einzelbetreuung. Alle vierzehn Tage besucht das Kind die Eltern über das Wochenende.

Nach der Aufnahme des Kindes in die Einrichtung beantragten die Eltern bei dem Vormundschaftsgericht die Genehmigung der nächtlichen Fixierung mit Hilfe eines Bettgurtes, welche das AG nach Anhörung des Kindes mit Beschluss vom 29.1.2009 in entsprechender Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB für die Dauer von längstens zwei Jahren erteilte. Ausweislich einer von dem Gericht eingeholten fachärztlichen kinder und jugendpsychiatrischen Stellungnahme vom 5.3.2009 war es zum Schutz des Kindes und der Mitbewohner indiziert, ein nächtliches Herumstreunen des Kindes durch eine Fixierung mittels eines Bauch oder Fußgurtes zu verhindern. Aus therapeutischer Sicht wurde die Fixierung auch in Zeiten der Einschlafphase empfohlen, weil das Kind auf diese Weise besser zur Ruhe komme.

Auf Nachfrage des Familiengerichts haben die Eltern am 19.1.2011 die vormundschaftsgerichtliche Verlängerung der Genehmigung der nächtlichen Fixierung des Kindes beantragt. Nach Einrichtung einer Verfahrensbeistandschaft, der Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme und des zuständigen Jugendamtes sowie der Anhörung des Kindes hat das AG den Antrag mit dem am 21.4.2011 erlassenen Beschluss zurückgewiesen, da die beantragte Maßnahme weder nach § 1631b BGB noch in entsprechender Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB genehmigungsbedürftig sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Verfahrensbeiständin mit der form und fristgerecht eingelegten Beschwerde. Sie macht geltend, im Interesse des Kindes sei die regelmäßige gerichtliche Überprüfung der Genehmigung der Zustimmung der Eltern zu der Maßnahme erforderlich, auch wenn in der Sache der Erteilung einer erneuten Genehmigung angesichts der nach wie vor ärztlich bescheinigten medizinischen Indikation der Fixierungsmaßnahmen keine inhaltlichen Bedenken entgegenstünden.

II. Die zulässige Beschwerde der Verfahrensbeiständin hat in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 68 Abs. 3 Satz FamFG konnte von der Durchführung eines Erörterungstermins abgesehen werden, da lediglich Rechtsfragen zu beantworten waren.

1. Die gem. § 58 FamFG statthafte und form und fristgerecht eingelegt Beschwerde ist zulässig. Die Verfahrensbeiständin ist gem. § 59 FamFG beschwerdebefugt, da sie die Beschwerde gem. § 158 Abs. 4 Satz 5 FamFG im Interesse des Kindes eingelegt hat. Zwar erhebt sie in der Sache keine Einwände gegen die von den Eltern befürwortete nächtliche Fixierung des Kindes. Gleichwohl berührt die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit der Zustimmung der Eltern unmittelbar dessen Interesse an einem wirkungsvollen Schutz seines Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere seiner Willensfreiheit und körperlichen Bewegungsfreiheit.

2. In der Sache erweist sich die Beschwerde jedoch als nicht begründet. Wie das AG zu Recht entschieden hat, unterliegt die Zustimmung der Eltern zur nächtlichen Fixierung ihres Kindes in der offenen heilpädagogischen Einrichtung keinem familiengerichtlichen förmlichen Genehmigungsverfahren, wie es § 1631b BGB für die freiheitsentziehende Unterbringung eines Minderjährigen vorsieht. Denn die Zulässigkeit und Erforderlichkeit eines derartigen Verfahrens lässt sich weder unmittelbar aus § 1631b BGB herleiten, noch ergibt sie sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB.

Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

a) Gemäß § 1631b BGB bedarf eine Unterbringung, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist nur zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst oder Fremdgefährdung erforderlich ist und der Gefahr nicht auf anderer Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen begegnet werden kann. Ohne die Geneh...

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