Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergabe von Abfallentsorgungsleistungen: Schadensersatzanspruch des Entsorgungsunternehmens wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten über die zu entsorgende Abfallmenge; Anspruch des Entsorgungsunternehmens auf Vertragsanpassung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat der öffentliche Auftraggeber die voraussichtlich zu entsorgenden Abfallmengen nicht genau kalkuliert, sondern grob geschätzt, und diese grobe Schätzung in den Ausschreibungsunterlagen nicht deutlich als solche gekennzeichnet, hat das auf Grund der Ausschreibung beauftragte Entsorgungsunternehmen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten (Rz. 131) (Rz. 149).

2. Ist die zu entsorgende Restabfallmenge wesentlich höher als die laut den Ausschreibungsunterlagen zu erwartende Menge (hier: um rund 37 %), stellt dies eine so nachhaltige und wesentliche Änderung der Geschäftsgrundlage dar, so dass das beauftragte Versorgungsunternehmen nach Treu und Glauben eine Anpassung des Entsorgungsvertrags nach Vernunft und Billigkeit beanspruchen kann (Rz. 158).

 

Normenkette

BGB §§ 242, 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 313; VOL/A § 8 Nr. 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BGH (Urteil vom 26.01.2010; Aktenzeichen X ZR 86/08)

LG Osnabrück (Urteil vom 11.05.2007; Aktenzeichen 5 O 1824/06)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 26.01.2010; Aktenzeichen X ZR 86/08)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.5.2007 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Osnabrück geändert.

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Forderungen sowie über die Kosten des Berufungsverfahrens wird der Rechtsstreit an das LG Osnabrück zurückverwiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten im Ausschreibungsverfahren und macht Ansprüche auf Anpassung der Vergütungsleistung wegen Änderung der Geschäftsgrundlage gem. § 242 BGB bzw. auf der Grundlage von vertraglichen Bestimmungen des zwischen den Parteien abgeschlossenen Entsorgungsvertrages geltend.

Der Beklagte schrieb mit Vergabebekanntmachung vom 7.5.2003 Abfallentsorgungsleistungen in seinem Gebiet Europaweit aus, wobei der Auftrag die Sammlung u.a. von Restabfällen und Bioabfällen gesondert erfasste. Während des Vergabeverfahrens wurde den Bietern mit der Bieterinformation 3 bekannt gegeben, dass die Absicht bestehe, die gesonderte Abfuhr von Bioabfällen ab dem 1.1.2004 abzuschaffen. Hierzu teilte der Beklagte mit, dass aufgrund des gemeinsamen Abfahrens von Biomüll und Restmüll etwa 50 % des Biogefäßvolumens über die Restmüllgefäße zusätzlich entsorgt werden müsse, wodurch - auf der Basis der Abfallmengen des Jahres 2002 - mit einer Restabfallmenge von ca. 13.250 Mg pro Jahr im Entsorgungsgebiet gerechnet werde.

Unter Ziff. 7.2.1 der vorgenannten Bieterinformation wurden die Bieter aufgefordert, ihre Preise für das Einsammeln und Befördern von Restabfall pro Gefäß pro Jahr anzugeben. Die erwartete Gefäßanzahl wurde mitgeteilt. Unter Ziff. 7.2.2 und 7.2.3 hatten die Bieter darüber hinaus Gelegenheit, abweichende Preise bei Unterschreitung bzw. Überschreitung der Anzahl der Gefäße um 5 bis 10 % bzw. über 10 % und 5 bis 20 % und über 20 % anzugeben. Hiervon hat die Klägerin keinen Gebrauch gemacht.

Die Klägerin, die bereits seit 1979 die Abfallentsorgung im Gebiet des Beklagten durchführt, erhielt den Zuschlag.

Unter dem 13.10.2003 schlossen die Parteien einen Entsorgungsvertrag, dessen Bestandteile u.a. die von dem Beklagten erstellten Bieterinformationen, die Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm, die VOL/A und VOL/B und das Angebot der Klägerin wurden. Die Vergabeunterlagen (Bieterinformation 3, Ziff. 7.2.7) enthalten u.a. eine Preisanpassungsklausel. Diese bezieht sich wie auch § 7 Abs. 3 des Entsorgungsvertrages auf eine Änderung der Preise ab 2006 für den Fall, dass die Faktoren Personalkosten, Kraftstoffkosten und Technikkosten um mehr als 2 % abweichen.

Entgegen der vorgesehenen Restabfallmenge von ca. 13.250 Mg pro Jahr hatte die Klägerin im Jahr 2004 18.175,53 Mg und im Jahre 2005 18.174,587 Mg Restabfälle einzusammeln. Demgegenüber stieg die Gefäßanzahl nur (unwesentlich) um jedenfalls weniger als 5 %.

Mit Schreiben vom 26.8.2005 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten eine Anpassung des Entgelts auf der Grundlage des § 7 Abs. 3 des Entsorgungsvertrages für die Zeit ab Januar 2006. Der Beklagte erkannte eine Preisanpassung i.H.v. 3,361 % nach Maßgabe seines Schreibens vom 6.2.2006 an.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz und weitere Anpassung.

Sie hat behauptet, die tatsächlich angefallene Abfallmenge bedeute eine wesentliche Kostensteigerung für sie. Es entstünden Mehrkosten i.H.v. 179.669 EUR pro Jahr. Insoweit nimmt sie auf ein Gutachten der X ... GmbH vom 6.7.2006 (Anlage K 4) Bezug.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Ausschreibung durch den Beklagten schuldhaft fehle...

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