Leitsatz (amtlich)

1. Das Gericht muss im Spruchverfahren eine Änderung der Expertenauffassung zwischen Entscheidungszeitpunkt und Bewertungsstichtag zwar nicht zwingend berücksichtigen; es ist aber nicht daran gehindert, das Ergebnis der Anwendung einer älteren Expertenauffassung im Licht neuerer Erkenntnisse zu überprüfen. Dies gilt auch für die in den Standards des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) zusammengefassten Empfehlungen (IDW S1), die zwar eine Erkenntnisquelle für das methodisch zutreffende Vorgehen bei der fundamentalanalytischen Ermittlung des Unternehmenswerts zur Überprüfung der Angemessenheit der angebotenen Abfindung darstellen, das Gericht aber nicht binden können.

2. Greift das Gericht auf die Erkenntnisquelle des IDW S1 zurück, wird es in der Regel die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidungsfindung aktuelle Fassung berücksichtigen, es sei denn, die Anwendung der aktuellen Fassung führte im konkreten Fall zu unangemessenen Ergebnissen. Letzteres ist insbesondere dann anzunehmen, wenn - und soweit - die Änderung lediglich der Anpassung an eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen diente, die zu dem maßgeblichen Bewertungsstichtag noch nicht eingetreten war.

3. Das Gericht kann deshalb zur fundamentalanalytischen Ermittlung des Unternehmenswerts im Spruchverfahren das in der Fassung des IDW S1 vom 18.10.2005 empfohlene Tax-CAPM auf Bewertungen anwenden, deren Stichtag zwar vor dem 18.10.2005, aber nach der Einführung des steuerrechtlichen Halbeinkünfteverfahrens am 1.1.2001 liegt.

 

Normenkette

AktG § 327 f.; SpruchG

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 27.11.2006; Aktenzeichen 34 AktE 6/03 KfH)

 

Tenor

1. Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller Ziff. 4), 6), 7), 8), 11), 12), 14) und 15) gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 27.11.2006 - 34 AktE 6/03 KfH, werden zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Gegenstand dieses Spruchverfahrens ist die Bestimmung einer angemessenen Abfindung für die übrigen Aktionäre der G. H. AG, zwischenzeitlich G. H. GmbH, mit Sitz in U (im Folgenden G) nach § 327 f. Satz 2 AktG.

I.1. Die G stellt Gartengeräte für Privatgärten her.

a) Gegenstand des Unternehmens der G ist u.a. die Herstellung und der Handel mit Haus- und Gartengeräten in Kunststoff, Holz und Metall sowie Eisenwaren und Elektroartikeln. Ihr Marktanteil betrug in Deutschland im Geschäftsjahr 2000/2001 34,3 % (Übertragungsbericht [ÜB], S. 17). Die Produktion der G unterteilt sich in die drei Produktgruppen Gartenbewässerung, Gartenbearbeitung und Pumpen/Teichtechnik sowie Reinigung. Daneben vertreibt die G im Produktsegment "M." auf dem nordamerikanischen Markt Gartenbewässerungssysteme sowie im Produktsegment "a." Schneeräumgeräte; im "...-Geschäft" produziert und vertreibt sie Kunststoffteile für Dritte (ÜB S. 8 ff.).

b) Die G war Mitte 2002 als Holdinggesellschaft an insgesamt 38 Tochtergesellschaften beteiligt (ÜB, S. 12 f.). Ihr Geschäftsjahr beginnt am 01.10. und endet am 30.09. eines Kalenderjahres. Mit Wirkung zum 31.3.2002 wurden die über eine Tochtergesellschaft gehaltene Beteiligung der G an der t. AG in M. sowie eine weitere Beteiligung veräußert (ÜB, S. 1 und 14).

c) Das Grundkapital der G beträgt 29.184.000 EUR. Es ist eingeteilt in 11.400.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien, von denen 10.000.000 Stammaktien und die übrigen 1.400.000 stimmrechtlose Vorzugsaktien sind (ÜB, S. 20). Die Vorzugsaktien waren an der Börse notiert (ÜB, S. 64). Sie gewährten nach der Satzung der G zwar kein Stimmrecht, aber aus dem jährlichen Bilanzgewinn eine um 0,06 EUR je Vorzugsaktie höhere Dividende als die Stammaktien, mindestens jedoch eine Dividende i.H.v. 0,12 EUR je Vorzugsaktie, die der Verteilung der Dividende auf die Stammaktien vorging (Bl. 173).

d) Im Juli 2002 hielt die Antragsgegnerin sämtliche Stammaktien der G, davon 2.337.647 unmittelbar und 7.662.353 über ihre einhundertprozentige Tochtergesellschaft F. V. GmbH (F) (ÜB, S. 20 und 2). Außerdem hielt die G unmittelbar 1.290.391, also 92,17 % der Vorzugsaktien (ÜB, S. 20). Die verbleibenden 109.609 Vorzugsaktien, also 0,96 % des Grundkapitals, befanden sich in Streubesitz (ÜB, S. 6).

e) Die Antragsgegnerin hat ihre Beteiligung an der G im Jahr 2002 erworben.

aa) Im Jahr 2001 hatten sich die Gründer der G, die Familien Kr. und Ka., entschlossen, dem Unternehmen durch eine Eigentümerwechsel weitere Expansionsmöglichkeiten zu eröffnen (ÜB, S. 6). In einer Pressemitteilung vom 5.9.2001 bestätigte die G, dass die Gründerfamilien nach einem Investor suchten (ÜB, S. 66, AG2).

bb) Daraufhin erwarb die Antragsgegnerin durch Kaufvertrag vom 21.3.2002 mit Wirkung zum 15.5.2002 unmittelbar 23,38 % der Stammaktien sowie indirekt über die F die übrigen 76,62 % der Stammaktien (ÜB, S. 6). Am 15...

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