Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung des Widerrufsrechts bei beendetem Verbraucherdarlehensvertrag

 

Normenkette

BGB §§ 242, 355 Fassung: 2010-09-19, § 495; BGBEG Art. 245 Fassung: 2010-06-10; BGB-InfoV § 14 Abs. 1 Fassung: 2004-12-07

 

Verfahrensgang

LG Kiel (Urteil vom 15.03.2016)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 15.3.2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des LG Kiel wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Den Klägern bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem jeweiligen Urteil vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Rückzahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung.

Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Widerrufsfrist sei abgelaufen. Die Widerrufsbelehrung entspreche zwar nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Beklagte könne sich jedoch auf die Gesetzlichkeitsfiktion des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F. i.V.m. dem Muster der Anlage 2 hierzu berufen.

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung. Wegen einer inhaltlichen Bearbeitung der Widerrufsbelehrung könne sich die Beklagte nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen.

Die Kläger beantragen,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger EUR 19.009,25 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.5.2014 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, die Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwaltskanzlei XXX in Höhe von 1.878,06 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie vertritt überdies die Auffassung, der Widerruf sei nicht wirksam gewesen, weil der durch die Prozessbevollmächtigten erklärte Widerruf wegen der fehlenden Originalvollmacht gerügt worden sei. Die Ausübung des Widerrufs stelle auch eine unzulässige Rechtsausübung dar.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das LG hat die Klage im Ergebnis mit Recht abgewiesen. Der Widerruf der Kläger war zwar wegen der fehlerhaften Widerrufsbelehrung nicht verfristet (1.). Er war auch wirksam erklärt worden (2.). Das Widerrufsrecht der Kläger ist aber verwirkt (3.). Auf die Frage, ob die Ausübung des Widerrufs im Übrigen rechtsmissbräuchlich war, kommt es deshalb nicht mehr an (4.). Einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hätten die Kläger ohnehin nicht (5.).

1. Den Klägern stand zum Zeitpunkt, als sie ihr Widerrufsrecht ausgeübt haben, noch ein Widerrufsrecht zu. Das Widerrufsrecht folgt aus § 495 Abs. 1 BGB in der vom 1.8.2002 bis 10.6.2010 geltenden Fassung (im Folgenden § 495 BGB a.F.). Die Frist zur Ausübung des Widerrufsrechts war am 28.4.2014 (Widerruf der Kläger) nicht abgelaufen. Die Frist beginnt nach § 355 Abs. 2 S. 1 BGB in der vom 8.12.2004 bis 10.6.2010 geltenden Fassung (im folgenden § 355 BGB a.F.) mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem dem Verbraucher oder der Verbraucherin eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht, die ihnen ihre Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist. Eine derartige Belehrung haben die Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrages nicht erhalten, so dass die Widerrufsfrist im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelaufen war. Die Belehrung entsprach weder den gesetzlichen Vorgaben (a) noch kann sich die Beklagte auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters berufen (b).

a) Die Belehrung entsprach nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 355 Abs. 2 BGB a.F., weil die Belehrung über den Fristlauf mit der Formulierung "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" nicht dem Deutlichkeitsgebot genügte (vgl. BGH, Urteil vom 15.8.2012 - VIII ZR 378/11, Rn. 9 m.w.N.).

b) Aus der BGB-InfoV kann die Beklagte keine ihr günstigen Rechtswirkungen herleiten, weil sie gegenüber dem Muster erhebliche Änderungen vorgenommen hat (BGH, Urteil vom 12.7.2016 - XI ZR 564/15, Rn. 20 ff.; vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 11.11.2015 - 14 U 2439/14, juris Rn. 31).

2. Die Widerrufserklärung der Kläger, die sie durch ihren Bevollmächtigten am 28.4.2014 haben erklären lassen, war auch wirksam. Eine Unwirksamkeit gemäß § 174 Satz 1 BGB kommt nicht in Betracht. Die Beklagte hat den Widerruf nicht "aus diesem Grunde" unverzüglich zurückgewiesen.

a) Nach § 174 Satz 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das Bevollmächtigte gegenüber anderen vornehmen, unwirksam, wenn ...

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