Entscheidungsstichwort (Thema)

"Dieselabgasskandal" - Restschadensersatzanspruch (§ 852 BGB)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB kommt bei Erwerb eines vom "Dieselabgasskandal" betroffenen Neuwagens bei Verjährung eines Anspruchs gemäß § 826 BGB unabhängig davon in Betracht, ob der Geschädigte sich der vor dem OLG Braunschweig geführten Musterfeststellungsklage angeschlossen hatte oder nicht. Einer "teleologischen Reduktion" steht der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegen.

2. Vom "erlangten Kaufpreis" sind die gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Ein weiterer Abzug für dem Hersteller entstandene Kosten (etwa Produktionskosten) unterbleibt jedenfalls dann, wenn dem Hersteller das Fahrzeug wieder zur Verfügung gestellt wird und gezogene Nutzungen in Abzug gebracht worden sind.

 

Normenkette

BGB §§ 826, 852

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird unter ihrer Zurückweisung im Übrigen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 11. Juni 2021 - 2 O 156/20 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.342,98 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. März 2021 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.167,87 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2021 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jedoch kann die Beklagte die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin seines Fahrzeugs Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal.

Der Kläger erwarb den streitgegenständlichen Pkw, einen Volkswagen Sharan 2.0 TDI Life Blue Motion mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... am 29. Juli 2013 als Neufahrzeug zu einem Kaufpreis in Höhe von 40.889,23 EUR (Anlage K 1). Im verbauten Motor Typ EA 189 - Schadstoffklasse Euro 5 - war eine unzulässige Motorsteuerungsgerätesoftware installiert, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt und sodann einen besonderen Modus aktiviert (sogenannte Umschaltlogik). In diesem Modus werden die Stickoxydgrenzwerte eingehalten, während im normalen Fahrbetrieb dies nicht der Fall war. Ab September 2015 wurde die Verwendung dieser Software bekannt und in der Presse umfangreich über die Unzulässigkeit dieser Maßnahme berichtet. Ausgangspunkt war eine Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015, in der sie von "Unregelmäßigkeiten" und "Auffälligkeiten" berichtete. Anfang Oktober 2015 wurde ein Internetportal für betroffene Fahrzeuge eingerichtet.

Aufgrund einer vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten Rückrufaktion kam es zur Entwicklung eines Software-Updates durch die Beklagte, welche dazu führen sollte, dass auch im normalen Fahrbetrieb die öffentlich-rechtlichen Grenzwerte der Schadstoffklassen eingehalten würden. Der Kläger ließ das seitens der Beklagten angebotene Update am 22. Mai 2017 auf dem Fahrzeug aufspielen. Die erteilte EG-Typengenehmigung wurde seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes nicht widerrufen. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug kommt seit Installation des Software-Updates - was unstreitig ist - u. a. eine temperaturabhängige Regulierung der Abgasrückführung über ein sogenanntes "Thermofenster" zum Einsatz. Streitig ist, ob es darüber hinaus auch wiederum eine Zykluserkennung gibt.

Der Kläger meldete sich nicht zur Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig an. Mit Kaufvertrag vom 16. Juli 2019 veräußerte er sein Fahrzeug mit damaligem Km-Stand von 63.422 zu einem Verkaufspreis in Höhe von 12.902,00 EUR. Vergeblich forderte der Kläger die Beklagte anwaltlich unter Fristsetzung bis zum 10. August 2020 zur Anerkennung von Schadensersatzansprüchen auf (K 19).

Der Kläger behauptet, der hätte das Fahrzeug bei Kenntnis der Sachlage nicht gekauft. Er sei vor Aufspielen des Software-Updates auch keinesfalls grob fahrlässig unwissend i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gewesen. Jedenfalls stehe ihm gegenüber der von der Beklagten - unstreitig - erhobenen Verjährungseinrede ein Anspruch aus § 852 BGB zu.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25 % des Kaufpreises des Fahrzeugs EUR 40.889,23 EUR mindestens somit EUR 10.222,31 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Hilfsweise:

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 27.987,23 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beurteilung erfolgt unter Anrechnung ...

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