Verfahrensgang

LG Kiel (Aktenzeichen 17 O 124/20)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 19.12.2022; Aktenzeichen VIa ZR 227/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28. Oktober 2020 verkündete Urteils des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des Landgerichts Kiel - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.710,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Mai 2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan Track & Style 4MOTION 2.0 TDI mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W...

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten im ersten Rechtszug hat der Kläger zu 62 % und die Beklagte zu 38 % zu tragen. Die Kosten der Berufung werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist für beide Seiten vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung des jeweils anderen Teils gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines von ihm erworbenen Fahrzeugs auf Schadensersatz wegen des sog. "Abgasskandals" in Anspruch.

Mit Vertrag vom 5. Juli 2011 (vgl. Anlage K1, Bl. 15 d. A.) kaufte der Kläger bei dem VW-Vertragshändler K1 Autohaus GmbH & Co KG als Neufahrzeug mit Tageszulassung (Km-Stand 0) den Tiguan Track & Style 4MOTION 2.0 L TDI 126 KW zum Preis von 33.200 EUR. Hiervon entfielen 590 EUR auf die Überführungspauschale und 149 EUR auf die Zulassungskosten. Die Erstzulassung erfolgte am 10.2.2012 (Anlage K2, Bl. 16 d.A.)

In dem Fahrzeug ist der Motor mit Typenbezeichnung EA 189 verbaut. Dieser Motor war seitens der Beklagten zum Zeitpunkt des Kaufvertrages mit einer Software ausgestattet, welche einen Stickoxid-optimierten Betriebsmodus aufwies, der nur beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklusses (NEFZ) aktiviert wurde. Bei normaler Fahrt im Straßenverkehr wurde hingegen ein anderer Betriebsmodus aktiviert, welcher eine geringere Abgasrückführungsrate und einen höheren Ausstoß an Stickoxid aufwies als der Modus für Prüfsituationen. Auf dem Rollenprüfstand schaltete die Motorsteuerung nämlich einen NOX-optimierten Modus 1 ein, bei dem es eine erhöhte Abgasrückführungsrate gibt. Im normalen Fahrbetrieb wurde der Motor hingegen im Modus 0 betrieben, in welchem die Euro-5-Grenzwerte überschritten wurden.

Am 22. September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Mitteilung, derzufolge nach bisherigen internen Prüfungen weltweit und 11 Mio. Fahrzeugen mit den Motoren des Typs EA 189 Auffälligkeiten in Bezug auf ihren Stickoxid-Ausstoß aufwiesen. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrtbundesamt den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge mit dem Motor des Typs EA 189 an und verpflichtete die Beklagte die aus Sicht des Bundesamtes unzulässigen Abschaltvorrichtungen zu entfernen und nachzuweisen, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Die Beklagte entwickelte ein Update für die Motorensteuerungsgerätesoftware, wonach das Fahrzeug nur noch über einen einheitlichen Betriebsmodus verfügt. Das Softwareupdate wurde im Laufe des Jahres 2016 durchgeführt.

Der Kläger nutzte das Fahrzeug nach dem Kauf bis zur Stilllegung zu einem unbekannten Zeitpunkt nach der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug am 8. Oktober 2020. Am Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht lag die km-Leistung bei 104.678, zum Zeitpunkt der Stilllegung bei 106.647 km.

Der Kläger hat behauptet, Inhalt und Umfang der Manipulation in Form der Motorensteuerungssoftware sei dem damaligen Vorstand der Beklagten bekannt gewesen. Er meint, die Beklagte habe ihn vorsätzlich und in sittenwidriger Art und Weise geschädigt, weswegen sie ihm gegenüber nach § 826 BGB schadensersatzpflichtig sei. Im Falle der Verjährung sein ein Herausgabeanspruch nach § 852 BGB begründet.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 33.200 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Juli 2011 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan Track & Style 4MOTION 2.0 TDI mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W..., sowie

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung in Abrede gestellt und hatte sich zunächst auf die Einrede der Verjährung berufen. Im Verhandlungstermin am 2. Juli 2020 vor dem Landgericht wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass nach der Auffassung des Gerichts dem Kläger jedenfalls ein Anspruch auf Restschadensersatz (Kaufpreis./. Händlermarge) gemäß § 852 BGB zustehe. Diesbezüglich obliege der Beklagten die sekundäre Darlegungslast zur ...

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