Leitsatz (amtlich)

1. Die unterlassene histologische Abklärung eines innerhalb kurzer Zeit auffallend wachsenden Tumors stellt einen groben Behandlungsfehler in der Form der Unterlassung einer notwendigen Befunderhebung dar.

2. Für diesen (Behandlungs)Fehler haben der (weiter) behandelnde Frauenarzt als auch der konsiliarisch hinzugezogene Onkologe gleichermaßen einzustehen, wenn keine vollständige Behandlungsübernahme durch den hinzugezogenen Konsiliarius erfolgt und dieser ausreichend über die erhobenen Vorbefunde unterrichtet worden ist.

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Urteil vom 26.04.2005; Aktenzeichen 1 O 874/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des LG Mühlhausen vom 26.4.2005 - 1 O 874/03, unter Aufrechterhaltung der festgestellten Erledigung wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 96.861,16 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.5.2005 zu zahlen.

Im Übrigen werden die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der jeweils Andere Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 196.861,16 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt als Sohn und Alleinerbe seiner am 12.12.2004 an den Folgen eines Mammakarzinoms verstorbenen Mutter R.B. die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.

Frau B. befand sich seit 1995 bei dem Beklagten zu 1) in ständiger frauenärztlicher Behandlung. Im September 1998 konsultierte die damals 25jährige den Beklagten zu 1) wegen eines Knotens in der linken Brust, der vom Beklagten zu 1) aufgrund des von ihm erhobenen Tastbefundes als gutartig eingestuft wurde. Im Rahmen einer nachfolgenden Kontrolluntersuchung veranlasste der Beklagte zu 1) die Durchführung einer Mammasonographie und einer Mammographie, die am 21.10.1998 in der Praxis des Dr. H. erfolgte. Es wurden zwei Verhärtungen festgestellt, wobei der eine Herd einen Durchmesser von 7 mm aufwies. Dr. H. kam zu dem Ergebnis, dass sonographisch und mammographisch kein Anhaltspunkt für einen malignen Prozess bestehe.

Im Rahmen der von dem Beklagten zu 1) in der Folgezeit durchgeführten weiteren Kontrolluntersuchungen vermerkte er am 26.2.1999 in den Behandlungsunterlagen, dass von den zwei tastbaren Knoten einer größer geworden war. Daraufhin veranlasste der Beklagte zu 1) wiederum eine Mammographie und eine Mammasonographie, die am 1.3.1999 in der radiologischen Praxis Dr. F. und F. durchgeführt wurde. In deren Befundbericht heißt es:

"Die linke Brust zeigt eine unauffällige Struktur. Lediglich im oberen inneren Quadranten findet sich eine erneut echoarme, auch hier unscharf begrenzte Struktur von 13 mm Größe, die der Brustwand anliegt, gegen diese aber ebenso wie der obere Herd verschiebbar ist. Typische Zystenkriterien lassen sich nicht erkennen. Die Mammastruktur ist sonst bds. unauffällig. Die Lebersonographie ergibt keinen Anhalt für Herde im Bereich der Leber.

Die ergänzende, zunächst nur halbschräge Aufnahme der Mamma zeigt den Prozess unscharf begrenzt und vom übrigen Drüsenkörper kaum abgrenzbar im oberen äußeren Quadranten ... muss daher an große Mastopathieherde gedacht werden; eine weitere Abklärung wäre durch eine Stanzbiopsie unter Sicht oder aber durch Entnahme der beiden Knoten möglich."

Daraufhin veranlasste der Beklagte zu 1) die Vorstellung von Frau B. beim Beklagten zu 2), mit dem er eine intensive und langjährige Zusammenarbeit unterhielt, zwecks Durchführung einer erneuten Mammasonographie, die am 16.3.1999 stattfand. Der Beklagte zu 2) stellte ebenfalls zwei Herde fest, die er als echoarm, homogen und scharf begrenzt beschrieb und als "offensichtlich Fibroadenome" diagnostizierte.

Bei drei nachfolgend durchgeführten Kontrolluntersuchungen am 26.4., 16.6. und 30.7.1999 befundete der Beklagte zu 1) die Knoten jeweils mit idem, d.h. unverändert.

Im Ergebnis der dann am 23.9.1999 vom Beklagten zu 2) - wiederum auf Veranlassung des Beklagten zu 1) - durchgeführten erneuten Mammasonographie erhob der Beklagte zu 2) einen "offensichtlich benignen Befund, unverändert". Die von ihm ausgemessenen Herde gab er mit 15 mm und 9,2 mm Größe an.

Zwei weitere Mammasonographien, die der Beklagte zu 1) veranlasste, wurden vom Beklagten zu 2) am 25.5.2000 und am 16.11.2000 durchgeführt.

In Ergebnis der Untersuchung vom 25.5.2000 diagnostizierte der Beklagte zu 2), dass "zwei Fibroadenome mit Wachtumstendenz" vorhanden seien, ...

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