Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch gegen Kassenzahnärztliche Vereinigung nach Amtshaftungsgrundsätzen wegen Versagung der Zulassung als Vertragsarzt. Haftungsrechtliche Zuordnung des Verhaltens von Ausschussmitgliedern
Leitsatz (amtlich)
Zur haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen für die von ihnen bestellten Mitglieder der Zulassungs- und Berufungsausschüsse.
Normenkette
BGB § 839; SGB V §§ 96-97
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 27.01.2005; Aktenzeichen 1 U 3681/01) |
LG München I (Entscheidung vom 09.05.2001; Aktenzeichen 9 O 13384/00) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 1. Zivilsenats des OLG München vom 27.1.2005 - 1 U 3681/01, wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus einem Wert von 194.290,91 EUR zu tragen.
Gründe
I.
Der Kläger, approbierter Arzt und Zahnarzt und seit 1977 Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, war nach verschiedenen Tätigkeiten, auch im Hochschulbereich, seit dem 1.10.1990 in dem zuletzt genannten Fachgebiet in Gemeinschaftspraxis mit einem anderen Arzt vertragsärztlich zugelassen. Er nimmt die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung nach Amtshaftungsgrundsätzen auf Schadensersatz in Anspruch, weil der Zulassungsausschuss und der Berufungsausschuss seinen Antrag vom 15.1.1996, ihn auch als Vertragszahnarzt zuzulassen, zurückgewiesen haben. Nachdem das BSG zu verschiedenen Fallgestaltungen einer Doppelzulassung als Vertragsarzt und Vertragszahnarzt durch Urteile vom 17.11.1999 entschieden hatte (vgl. etwa das in BSGE 85, 145 abgedruckte Urteil), wurde das vom Kläger eingeleitete sozialgerichtliche Verfahren durch eine Vereinbarung beendet, in der der Berufungsausschuss anerkannte, dass der Kläger zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit hätte zugelassen werden müssen und dass die ablehnenden Bescheide der Ausschüsse rechtswidrig gewesen seien.
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil es ein Verschulden der Mitglieder des Berufungsausschusses verneint hat. Das Berufungsgericht hat demgegenüber die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Beklagte die Zulassung der Revision.
II.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Mit der Beschwerde werden keine Fragen aufgeworfen, die in einem Revisionsverfahren geklärt werden müssten.
1. Das Berufungsgericht hält die Beklagte für die erhobenen Amtshaftungsansprüche für passivlegitimiert, wenn - wie hier - von keiner Seite die Einstimmigkeit der Entscheidung der Ausschüsse in Frage gestellt werde. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen, deren Vorliegen die Beschwerde nicht in Zweifel zieht, kann sich das Berufungsgericht auf eine seit langem geübte Rechtspraxis beziehen, die keiner weiteren Bestätigung durch ein Revisionsverfahren bedarf.
a) Nach §§ 96 Abs. 1, 97 Abs. 1 SGB V (hier i.d.F. v. 21.12.1992, BGBl. I, 2266) errichten die Kassenärztlichen bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen zur Beschlussfassung und Entscheidung in Zulassungssachen einen Zulassungsausschuss und einen Berufungsausschuss. Die Zulassungsausschüsse bestehen aus Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl. Die Vertreter der Ärzte werden von den Kassenärztlichen Vereinigungen, die der Krankenkassen von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen bestellt. Die Mitglieder führen ihr Amt als Ehrenamt und sind an Weisungen nicht gebunden. Die Ausschüsse beschließen mit einfacher Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt (§ 96 Abs. 2 SGB V). Bei den Berufungsausschüssen, für die grundsätzlich dasselbe gilt, kommt ein Vorsitzender mit der Befähigung zum Richteramt hinzu, über den sich die Beisitzer einigen oder der von der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwaltungsbehörde im Benehmen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Verbänden der Ersatzkassen berufen wird (§ 97 Abs. 2 SGB V). Beide Ausschüsse sind damit Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Vertragsärzten bzw. Vertragszahnärzten und Krankenkassen (BSG SozR 3-2005 § 96 Nr. 1 Rz. 17), die - hoheitlich handelnd - ihre Selbstverwaltungsaufgaben mit unmittelbarer Wirkung für die entsendenden Körperschaften wahrnehmen.
b) Für den Bereich der Amtshaftung entscheidet der Senat die Frage nach der haftpflichtigen Körperschaft in ständiger Rechtsprechung danach, welche Körperschaft dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausführung er fehlsam gehandelt hat, anvertraut hat, wer - mit anderen Worten - dem Amtsträger die Aufgabe, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung vorgekommen ist, übertragen hat (BGH v. 15.1.1987 - III ZR 17/85, BGHZ 99, 326 [330] = MDR 1987, 823; v. 14.3.2002 - III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 [179] = BGHReport 2002, 454 m. Anm. Kling = GesR 2002, 62). Versagt die Anknüpfung an die Anstellung, weil - wie im Streitfall - ein Dienstherr nicht vorhanden ist, ist darauf abzustellen, wer dem Amtsträger die konkrete Aufgabe, bei deren Erfüllung er gefehlt hat, anvertraut hat (BGH v. 15.1.1987 - III ZR 17/85, BGHZ 99, 326 [330] = MDR 1987, 823).
Der oben geschilderten Aufgabenwahrnehmung von gemeinsamen Einrichtungen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen entspricht es, dass der Senat und andere Gerichte schon früher eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der beteiligten Körperschaften angenommen haben (BGH, Urt. v. 28.2.1963 - III ZR 157/61, VersR 1963, 748 [749, 752]; LG Frankfurt/M. ÄM 1961, 757 f.; OLG Frankfurt ÄM 1962, 902; LG Münster ÄM 1961, 2164 f.; OLG Düsseldorf v. 22.3.1990 - 18 U 221/89, NJW-RR 1991, 475 f., zur früheren Regelung in § 368b RVO). Das ist auch der weitgehend vertretene Standpunkt im Schrifttum (Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, Bd. I, 4. Aufl., Stand Februar 1968, § 368b RVO, S. I 15b und I 15c; Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, 1955, § 368b Anm. I 2; Jantz/Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Stand IX.1955, C II § 368b Anm. I; aus neuerer Zeit zu §§ 96, 97 SGB V Peters/Hencke, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Sozialgesetzbuch V, 19. Aufl., Stand August 2004, § 96 SGB V Rz. 11; Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, Bd. I, 5. Aufl., Stand Mai 1992, § 96 SGB V Anm. 13; Plagemann/Plagemann, Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 2. Aufl. 2005, § 18 Rz. 39; Schallen, Zulassungsordnung für Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, Medizinische Versorgungszentren, Psychotherapeuten, 4. Aufl. 2004 Rz. 903; Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, 1994, Rz. 926; Wiegand in GKV-Komm/SGB V, Stand Oktober 1994, § 96 Rz. 6; Zimmerling in juris PK-BGB, 2. Aufl. 2004, § 839 Rz. 329; wohl auch Heinze in Bley/Gitter/Gurgel u.a., SGB Sozialversicherung Gesamtkommentar, Stand Juni 1994, § 96 SGB V Anm. 4). Dass insoweit eine andere Haftungsüberleitung angebracht wäre, wobei aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung der §§ 96 ff. SGB V eigentlich nur an die Bundesrepublik Deutschland zu denken wäre, wird - soweit ersichtlich - nicht in Betracht gezogen und entspräche auch nicht dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Gedanken der Selbstverwaltung von Vertragsärzten und Krankenkassen. Der Senat hat ferner angenommen, dass die Haftung für ein amtspflichtwidriges Verhalten von Mitgliedern des Bewertungsausschusses (§ 87 SGB V) auf die entsendenden Körperschaften überzuleiten ist (BGH v. 14.3.2002 - III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 [180] = BGHReport 2002, 454 m. Anm. Kling = GesR 2002, 62).
c) Soweit die Beschwerde darauf aufmerksam macht, die Mitglieder der Zulassungsausschüsse seien - anders als diejenigen des Bewertungsausschusses - nach § 96 Abs. 2 Satz 5 SGB V nicht an Weisungen gebunden, berührt dieser Gesichtspunkt die haftungsrechtliche Zuordnung nicht. Zwar mag die haftungsrechtliche Zuordnung des Verhaltens von Ausschussmitgliedern, die - wie beim Bewertungsausschuss - Weisungen unterliegen, zur entsendenden Körperschaft augenfälliger sein. Demgegenüber wird dem einzelnen Ausschussmitglied, das von Weisungen unabhängig ist, eine größere sachliche Unabhängigkeit und - damit einhergehend - eine stärkere Verantwortlichkeit zugemessen. Das ändert aber - ebenso wenig wie bei der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Staates für seine Gerichte - nichts an der haftungsrechtlichen Zuordnung: hier ist die Tätigkeit in die Selbstverwaltung der im Gesundheitswesen errichteten Körperschaften eingebettet, die den Mitgliedern der Ausschüsse diese Aufgabe anvertraut haben (BGH v. 31.1.1991 - III ZR 184/89, MDR 1991, 1145 = NVwZ 1992, 298 f.) und darum der Haftung näher stehen als der Staat, der lediglich durch seine Gesetzgebung den äußeren Rahmen geschaffen hat.
2. Auch im Übrigen lässt die angefochtene Entscheidung keine zulassungsbegründenden Rechtsfehler erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 1508435 |
BGHR 2006, 897 |
NJW-RR 2006, 966 |
ArztR 2007, 155 |
MedR 2006, 535 |
NZS 2007, 47 |
DVBl. 2006, 1185 |
GesR 2006, 325 |
ZMGR 2006, 108 |