Leitsatz (amtlich)
Ist das später angerufene Gericht nach Art. 22 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1 - EuGVVO) ausschließlich zuständig, darf es das Verfahren nicht nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO aussetzen (Umsetzung von EuGH, Urt. v. 3.4.2014 - Rs. C-438/12 - Weber, Rz. 54 ff.).
Normenkette
Brüssel I-VO Art. 22 Nr. 1; Brüssel I-VO § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Hanseatischen OLG - 13. Zivilsenat - vom 8.8.2012 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beklagte ist Eigentümerin eines in H. (Deutschland) belegenen Grundstücks, das mit einer Grundschuld belastet ist, aus der die Klägerin vollstrecken will. Mit ihrer seit dem 4.5.2011 bei dem LG Hamburg rechtshängigen Klage möchte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten erreichen, die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung über 155.000 EUR nebst Zinsen zu dulden.
Rz. 2
Bereits am 2.12.2010 hatte die Beklagte bei dem LG Mailand (Italien) eine Klage sowohl gegen die Klägerin als auch gegen die in Italien ansässige P. SRL (im Folgenden: SRL) erhoben mit dem Ziel festzustellen, dass die Grundschuld nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden, die zwischen den Parteien geschlossene Sicherungszweckerklärung unwirksam und die Beklagte daher nicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet sei. Mit Blick auf die mitverklagte SRL macht sie geltend, sie wolle sich an diesem Unternehmen beteiligen und die Investition mithilfe italienischer Banken finanzieren; die dafür erforderlichen Sicherheiten könne sie nicht aufbringen, wenn die Stellung der Sicherheit zugunsten der Klägerin wirksam sei. Mit Urteil vom 8.5.2012 verneinte das LG Mailand die Zuständigkeit der italienischen Gerichte. Die gegen die SRL erhobene Klage diene offensichtlich nur dazu, in missbräuchlicher Weise die italienische Gerichtsbarkeit zu beanspruchen. Eine Entscheidung über die gegen das Urteil eingelegte Berufung steht noch aus.
Rz. 3
In dem vorliegenden Rechtstreit möchte die Beklagte zunächst eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1; im Folgenden: EuGVVO) wegen anderweitiger Rechtshängigkeit erreichen. Ihr dahingehender Antrag ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie den Aussetzungsantrag weiter.
Rz. 4
Mit Beschluss vom 18.9.2013 (veröffentlicht u.a. in WM 2013, 2160 ff.) hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) nach Art. 267 AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1) dahin auszulegen ist, dass das später angerufene Gericht, das nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich zuständig ist, gleichwohl das Verfahren aussetzen muss, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts, zu dessen Gunsten keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 EuGVVO besteht, abschließend geklärt ist. Nachdem der Gerichtshof diese Frage in einem anderen Verfahren verneint hat (BGH vom 3.4.2014 - C-438/12 - Weber, veröffentlicht u.a. in NJW 2014, 1871 ff.), hat der Senat sein Vorabentscheidungsersuchen nicht aufrechterhalten.
II.
Rz. 5
Das Beschwerdegericht verneint die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits mit der Begründung, der Beklagten gehe es mit der in Italien erhobenen Klage ausschließlich darum, rechtsmissbräuchlich einen Gerichtsstand zu erschleichen, um auf diese Weise die Aussetzung des in Deutschland geführten Rechtsstreits nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sei bei wertender Betrachtung davon auszugehen, dass sich der vorliegende Rechtstreit weder auf denselben Anspruch noch auf dieselben Parteien wie das in Italien angestrengte Verfahren beziehe.
III.
Rz. 6
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Rz. 7
1. Mit der gegebenen Begründung kann die Beschwerdeentscheidung allerdings nicht aufrechterhalten werden.
Rz. 8
a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts betreffen die vorliegende Klage und das in Italien geführte Verfahren denselben Anspruch i.S.v. Art. 27 Abs. 1 EuGVVO. Der Begriff "desselben Anspruchs" ist im Rahmen der EuGVVO autonom und weit auszulegen, um einander widersprechende Urteile i.S.v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob der Kernpunkt beider Streitigkeiten derselbe ist (vgl. nur EuGH, 144/86 - Gubisch, Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Rz. 11, 16, 18 f.; BGH, Beschl. v. 18.9.2013 - V ZB 163/12, WM 2013, 2160 Rz. 7 m.w.N.). So liegt es auch hier. Die Klage in Italien richtet sich u.a. auf die Feststellung, dass keine Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld bestehe. Mit der vorliegenden Klage soll eben diese Duldung erreicht werden. Dass es im italienischen Verfahren noch um weitere Feststellungen geht, ist für die Identität des Streitgegenstands unerheblich. Kernpunkt ist jeweils die Frage, ob die Klägerin aus der Grundschuld vorgehen darf; jedenfalls ist der Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits vollständig vom italienischen Verfahren abgedeckt. Im Übrigen beschränkt sich der Gegenstand der Klage in Italien nicht auf die Einbeziehung der SRL.
Rz. 9
b) Unzutreffend ist auch die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, die beiden Verfahren seien nicht zwischen identischen Parteien anhängig. Die Identität ist unabhängig von der jeweiligen Parteistellung. Zudem ist es unschädlich, wenn in einem Verfahren zusätzlich Dritte beteiligt sind. Das hat lediglich zur Folge, dass sich die Rechtsfolgen des Art. 27 EuGVVO auf diejenigen Parteien beschränken, zwischen denen mehrere Verfahren anhängig sind (vgl. EuGH - Rs. C-406/92 - Tatry, Slg. 1994, I-5439 = ZIP 1995, 943 Rz. 31, 33; BGH, Beschl. v. 18.9.2013 - V ZB 163/12, a.a.O., Rz. 9).
Rz. 10
c) Schließlich verkennt das Beschwerdegericht, dass von einer Aussetzung nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgesehen werden kann (BGH, Beschl. v. 18.9.2013 - V ZB 163/12, a.a.O., Rz. 11 m.w.N.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 3.4.2014 - Rs. C-438/12 - Weber, Rz. 59 f.).
Rz. 11
2. Der Rechtsbeschwerde bleibt im Ergebnis jedoch deshalb der Erfolg versagt, weil dies dann nicht gilt, wenn das später angerufene Gericht nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich zuständig ist (EuGH, Urt. v. 3.4.2014 - Rs. C-438/12 - Weber, Rz. 54 ff.). Dass es sich hier so verhält, hat der Senat bereits in dem Beschluss vom 18.9.2013 im Einzelnen ausgeführt (V ZB 163/12, WM 2013, Rz. 12 ff.). Entgegen der Auffassung der Beklagten unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel, dass auch (Sicherungs-)Grundschulden unter Art. 22 Nr. 1 EuGVVO fallen; § 1192 Abs. 1a BGB ändert daran nichts.
IV.
Rz. 12
Eine Kostenentscheidung scheidet aus. Sie hat zu unterbleiben, wenn die Ausgangsentscheidung - wie hier - keine Kostenentscheidung enthalten darf. Die Kosten des (Rechts-)Beschwerdeverfahren bilden in solchen Fällen einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens von der in der Hauptsache unterliegenden Partei nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen sind (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2005 - II ZB 30/04, NJW-RR 2006, 1289 Rz. 12 m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 7249066 |
DB 2014, 6 |
EBE/BGH 2014 |
WM 2014, 1813 |
ZIP 2014, 1951 |
IPRax 2015, 347 |
JZ 2014, 630 |
MDR 2014, 1287 |
RIW 2014, 690 |
Mitt. 2015, 91 |
PAK 2015, 2 |