Entscheidungsstichwort (Thema)
Verteilung der Kosten eines Rechtsstreits gemäß Parteivereinbarung selbst bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Kostenverteilung nach außergerichtlichem Vergleich ohne Regelung hinsichtlich der Gerichtskosten, sonstiger außergerichtlicher Kosten und anschließender Rücknahme des Rechtsmittels. Vermutung der Kostenaufhebung
Leitsatz (amtlich)
Zur Verteilung der Kosten des Rechtsstreits, wenn sich die Parteien in einem außergerichtlichen Vergleich zur Hauptsache und wegen eines Teils der prozessbezogenen Kosten (hier: Anwaltsgebühren) verständigen und der Rechtsmittelführer danach eine von ihm eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurücknimmt.
Normenkette
ZPO § 98
Verfahrensgang
Tenor
Der Beklagte wird, nachdem er die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das am 19.10.2005 verkündete Urteil des 3. Zivilsenats des OLG München zurückgenommen hat, dieses Rechtsbehelfs für verlustig erklärt (§§ 565, 516 Abs. 3 ZPO entsprechend).
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Streitwert: 87.651 EUR.
Gründe
I.
Die Parteien sind geschiedene Eheleute, die um die Verteilung des Erlöses aus dem Verkauf des ehemaligen Familienheimes streiten. Die Klägerin hatte von dem Beklagten in erster Instanz die Zahlung von 102.182 EUR verlangt, wovon ihr 87.650,82 EUR zugesprochen wurden. Gegen die Entscheidung des LG legte der Beklagte Berufung ein, die vom OLG zurückgewiesen wurde. Hiergegen richtete sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, die vor Ablauf der Begründungsfrist zurückgenommen worden ist. Der Rücknahme dieses Rechtsmittels lag ein außergerichtlicher Vergleich der Parteien zugrunde, nach dem sich der Beklagte verpflichtete, auf der Grundlage des erstinstanzlichen Urteils als Vollstreckungstitel an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 40.000 EUR zu zahlen; darüber hinaus waren die Parteien sich einig, dass jede Seite ihre eigenen Rechtsanwaltskosten zu tragen habe. Weitere Regelungen zur Verteilung der Kosten des Rechtsstreits enthält der Vergleich nicht.
II.
1. Die Parteien haben eine ausdrückliche Regelung dahingehend getroffen, dass jede Partei die bei ihr angefallenen Anwaltskosten selbst zu tragen hat. Die Verteilung der Kosten eines Rechtsstreits steht zur Disposition der Prozessparteien, so dass eine ausdrückliche Parteivereinbarung sowohl § 98 ZPO als auch den sonstigen gesetzlichen Kostentragungsvorschriften gegenüber vorrangig ist. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn den Parteien - wie im vorliegenden Fall der Klägerin - Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, denn auch der Vergütungsanspruch des beigeordneten Anwalts gehört zu den außergerichtlichen Parteikosten, die Gegenstand einer außergerichtlichen Vereinbarung der Parteien über die Kostentragung sein können (OLG Oldenburg Nds.Rpfleger 1994, 366; LG Köln v. 17.4.1990 - 6 T 42/90, MDR 1990, 929, m. Anm. Mümmler, JurBüro 1990, 1284).
2. Hinsichtlich der Gerichtskosten und etwaiger sonstiger außergerichtlicher Kosten fehlt es im Vergleich an einer ausdrücklichen Regelung der Parteien. Insoweit gilt die gesetzliche Vermutung der Kostenaufhebung gem. § 98 Satz 2 ZPO, deren Anwendung auch bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch einen außergerichtlichen Vergleich in Betracht kommt (BGHZ 39, 60 [69]; BGH, Beschl. v. 6.10.1964 - Ia ZR 74/63, NJW 1965, 103; Beschl. v. 14.7.1969 - X ZR 40/65, MDR 1970, 46; Urt. v. 25.5.1988 - VIII ZR 148/87, MDR 1988, 1053 = WM 1988, 1460 [1462]). Zwar kann § 98 Satz 2 ZPO von den Parteien nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend in der Weise abgedungen werden, dass über die Kosten des Rechtsstreits nach den allgemeinen Kostenvorschriften (insb. §§ 91a, 269 Abs. 3, 516 Abs. 3 ZPO) zu entscheiden sei. Bei der Auslegung des vorliegenden Vergleiches ergeben sich jedoch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass dies dem mutmaßlichen Willen der Parteien entsprechen würde.
a) Die Anwendung des § 91a ZPO setzt im Ausgangspunkt voraus, dass eine gerichtliche Entscheidung zur Beendigung eines Kostenstreits der Parteien notwendig wird, was auch bei einem außergerichtlichen Vergleich dann nicht der Fall ist, wenn sich die Verteilung der Kosten des Rechtsstreits - entweder kraft einer ausdrücklichen Bestimmung oder auf Grund der gesetzlichen Vermutung des § 98 Satz 2 ZPO - aus dem Inhalt des Vergleichs selbst ergibt (BGH, Beschl. v. 14.7.1969 - X ZR 40/65, MDR 1970, 46; OLG Saarbrücken v. 29.9.1995 - 4 U 179/95, NJW-RR 1996, 320; OLG München VersR 1976, 395; Belz in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 98 Rz. 3). Allerdings steht es den Parteien frei, die Kostenregelung einer Entscheidung des Gerichts unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu unterstellen. Hierzu muss dem Vergleich zumindest eine positive Andeutung dahin zu entnehmen sein, dass wegen der Kosten des Rechtsstreits eine sachbezogene Klärung durch das Gericht erwünscht ist. Ob es hierfür bereits ausreicht, dass die Parteien im Vergleich die Feststellung treffen, sich wegen der Kosten nicht geeinigt zu haben (Mümmler, JurBüro 1993, 558; dagegen Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 98 Rz. 3; Belz in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 98 Rz. 4), kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Eine Entscheidung nach § 91a ZPO ist auf keinen Fall veranlasst, wenn die Parteivereinbarung zur Kostentragung nichts aussagt, denn dies ist der typische Anwendungsbereich des § 98 ZPO. Haben sich die Parteien - wie hier - nur über außergerichtliche Kosten oder nur über Gerichtskosten ausdrücklich verständigt, gilt § 98 Satz 2 ZPO nur für den jeweils nicht geregelten Teil (Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 98 Rz. 3; Wieczorek/Schütze/Steiner, ZPO, 3. Aufl., § 98 Rz. 9).
b) Auch die Anwendung der allgemeinen Kostentragungsvorschriften für die Rücknahme einer Nichtzulassungsbeschwerde (§§ 565, 516 Abs. 3 ZPO entsprechend) kommt unter den hier obwaltenden Umständen nicht in Betracht. Durch die Rücknahme des Rechtsmittels erfüllte der Beklagte eine in dem außergerichtlichen Vergleich - zumindest mittelbar - übernommene Verpflichtung. Steht es bei der Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde im Vordergrund, die von den Parteien gewünschte Beendigung des Rechtsstreits prozessual umzusetzen, geht die von den Parteien gewollte Kostenverteilung, die ggf. mit Hilfe der gesetzlichen Vermutung des § 98 Satz 2 ZPO ermittelt werden muss, der Anwendung von §§ 565, 516 Abs. 3 ZPO grundsätzlich vor. Der Rückgriff auf die allgemeinen Kostenvorschriften über die Rücknahme von Rechtsmitteln wird nur dann dem mutmaßlichen Willen der Parteien entsprechen, wenn der Vergleich in materieller Hinsicht im Wesentlichen eine Anerkennung der angefochtenen Entscheidung zum Inhalt hat und daher anzunehmen ist, dass die Parteien die Anwendung des § 98 Satz 2 ZPO ausschließen wollten (Urt. v. 25.5.1988 - VIII ZR 148/87, MDR 1988, 1053 = WM 1988, 1460 [1462]; LAG München v. 7.12.1987 - 5 Sa 868/87, VersR 1988, 280; OLG Köln v. 4.2.1986 - 4 WF 337/85, MDR 1986, 503; OLG Hamm JurBüro 1992, 424; OLG Stuttgart v. 14.11.2003 - 13 W 55/03, OLGReport Stuttgart 2004, 90 = MDR 2004, 717, jeweils zu § 269 Abs. 3 ZPO). Dies steht hier angesichts des Verhältnisses der Vergleichssumme (40.000 EUR) zu dem in zweiter Instanz zuerkannten Betrag (87.650,82 EUR) erkennbar nicht in Rede. Eine weitergehende Prüfung der Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde ist dem Senat allein schon deshalb verwehrt, weil die Parteien in den Fällen, in denen eine gerichtliche Kostenentscheidung nach § 91a ZPO unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes nicht gewollt ist, die Frage der Kostentragung gerade nicht von einer solchen Prüfung abhängig machen wollen. Ob ein stillschweigender Ausschluss des § 98 Satz 2 ZPO dann in Betracht kommt, wenn das Rechtsmittel offensichtlich unzulässig ist, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden.
Aus den gleichen Gründen kann der Vergleich auch nicht dahin ausgelegt werden, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen im Kostenpunkt weiter gelten sollen, soweit hier nicht wegen der Rechtsanwaltskosten etwas anderes ausdrücklich vereinbart worden ist. Zwar geht bei der Rücknahme eines Rechtsmittels auf der Grundlage eines außergerichtlichen Vergleichs ein auf Fortgeltung der vorinstanzlichen Kostenentscheidung gerichteter Wille der Parteien der gesetzlichen Vermutung des § 98 Satz 2 ZPO vor (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 516 Rz. 18). Auch ein solcher Wille kann aber nur angenommen werden, wenn der Vergleich die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen bestätigt, was hier nicht der Fall ist.
3. Da die Kostenverteilung einer Vereinbarung der Parteien folgt, ist grundsätzlich für eine gerichtliche Kostenentscheidung kein Raum mehr, und zwar auch soweit zur Auslegung der Vereinbarung auf die gesetzliche Vermutung des § 98 Satz 2 ZPO zurückgegriffen worden ist. Allerdings kann in den Fällen einer rein außergerichtlichen Verständigung über die Kostenlast zur Klarstellung ein deklaratorischer Beschluss angezeigt sein (Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 98 Rz. 8; Bergerfurth, NJW 1972, 1840 [1843]). Von dieser Möglichkeit hat der Senat Gebrauch gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 1500967 |
BGHR 2006, 927 |
FamRZ 2006, 853 |
NJW-RR 2006, 1000 |
MDR 2006, 1125 |