Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde ohne Zulassung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Bloße Belehrung über das Rechtsmittel. Gesetzliche Voraussetzungen der Zulassung einer Rechtsbeschwerde. Unzutreffend erteilte Rechtsbeschwerde. Rechtsmittelbelehrung als Bestandteil des Beschlusses durch die Unterschriften der erkennenden Richter
Leitsatz (amtlich)
Eine Rechtmittelbelehrung, die fälschlicherweise darauf hinweist, dass gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde stattfinde, stellt keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar.
Normenkette
FamFG § 70 Abs. 1, § 271
Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 12.08.2010; Aktenzeichen 2 T 61/10 und 2 T 62/10) |
AG Hannover (Beschluss vom 30.03.2010; Aktenzeichen 671 XVII P 2261) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Hannover vom 12.8.2010 wird verworfen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).
Beschwerdewert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene und der Beteiligte zu 1) wenden sich gegen die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers sowie gegen die Anordnung, dass die Prüfung der von dem Beteiligten zu 1) erfolgten Rechnungslegung einem Sachverständigen übertragen worden ist.
Rz. 2
Durch Beschluss vom 1.8.2008 wurde für die Betroffene eine Betreuung angeordnet und der Beteiligte zu 1) zum Betreuer bestellt. Als Aufgabenkreis wurden Gesundheits- und Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten bestimmt. Über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung sollte bis zum 1.8.2010 entschieden werden.
Rz. 3
Durch Beschluss vom 2.10.2009 wurde der Beteiligte zu 2), Rechtsanwalt L., zum Gegenbetreuer für den Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt. Mit Beschluss vom 30.3.2010, ergänzt durch Beschluss vom 15.4.2010, wurde er außerdem zum Ergänzungsbetreuer bestellt. Sein Aufgabenkreis umfasst insoweit die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte der Betroffenen in Bezug auf die F.W. Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung sei erforderlich, weil der Beteiligte zu 1) aufgrund der Bestellung seiner Ehefrau als Geschäftsführerin an der Vertretung der Betroffenen gehindert sei. Durch Beschluss vom 12.7.2010 wurde die Prüfung der von dem Beteiligten zu 1) eingereichten Rechnungslegung für den Zeitraum vom 17.7.2008 bis zum 16.7.2009 einem Sachverständigen übertragen.
Rz. 4
Gegen die Entscheidungen vom 30.3.2010 und vom 12.7.2010 haben die Betroffene und der Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt. Das AG hat den Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache dem LG zur Entscheidung vorgelegt. Das LG hat die Beschwerden aus den Gründen der Nichtabhilfeentscheidungen zurückgewiesen. Der Beschluss enthält am Ende eine - kleiner gedruckte und als solche bezeichnete - Rechtsmittelbelehrung, nach deren erstem Satz gegen die Entscheidung das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum BGH stattfindet. Die Betroffene und der Beteiligte zu 1) haben Rechtsbeschwerde eingelegt; sie erstreben die Aufhebung der ergangenen Entscheidungen.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerden sind unzulässig, da sie gem. § 70 FamFG i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG unstatthaft sind.
Rz. 6
Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten statthaft, wenn sie das Rechtsbeschwerdegericht oder das OLG im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts auch ohne Zulassung u.a. in Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers sowie zur Aufhebung einer Betreuung statthaft.
Rz. 7
1. Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht vor.
Rz. 8
a) Die Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG, die eine Rechtsbeschwerde auch ohne Zulassung erlaubt, knüpft an die gleichlautende Definition des Begriffs der Betreuungssachen in § 271 Nr. 1 und 2 FamFG an. Die dort genannten Verfahrensgegenstände sind von besonderer Bedeutung, weil durch sie regelmäßig in gravierendem Maße in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingegriffen wird. Dies wollte der Gesetzgeber mit der Differenzierung in § 271 FamFG deutlich machen. Da er mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG gerade für Betreuungssachen mit besonders hoher Eingriffsintensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten einen zulassungsfreien Zugang zum BGH schaffen wollte, folgt aus der Verknüpfung der beiden Vorschriften, dass eine Rechtsbeschwerde ohne Zulassung durch das Rechtsbeschwerdegericht in allen Verfahren statthaft ist, die von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfasst werden (BGH v. 9.2.2011 - XII ZB 364/10, FamRZ 2011, 632 Rz. 7; v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 8).
Rz. 9
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers i.S.d. §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG sind Verfahren nach § 1896 BGB. Dabei kann es sich sowohl um ein Erstverfahren als auch um ein Verlängerungsverfahren handeln, für das § 295 Abs. 1 FamFG eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme bestimmt. Die besonders hohe Eingriffsintensität ergibt sich bei diesen Verfahren daraus, dass mit der Bestellung des Betreuers zugleich die Anordnung der Betreuung selbst einhergeht. Denn § 1896 BGB unterscheidet nicht zwischen Anordnung der Betreuung einerseits und Bestellung eines Betreuers andererseits; vielmehr ist eine Einheitsentscheidung zu treffen (BGH v. 9.2.2011 - XII ZB 364/10, FamRZ 2011, 632 Rz. 8; v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 10).
Rz. 10
Demgegenüber liegt nach der Rechtsprechung des Senats kein Anwendungsfall der §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG vor, wenn - wie hier mit Beschluss vom 30.3.2010 geschehen - isoliert die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers gem. §§ 1899 Abs. 4, 1908i, 1795 Abs. 1, 1796 BGB angeordnet worden ist (BGH v. 25.5.2011 - XII ZB 283/10 - zur Veröffentlichung bestimmt). Deshalb findet die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in solchen Verfahren nicht statt.
Rz. 11
b) Auch bei der mit Beschluss vom 12.7.2010 angeordneten Prüfung der Rechnungslegung durch einen Sachverständigen handelt es sich nicht um ein Verfahren nach § 1896 BGB und damit nicht um eine Betreuungssache zur Bestellung eines Betreuers. Davon geht auch die Rechtsbeschwerde aus.
Rz. 12
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das LG die Rechtsbeschwerde auch nicht zugelassen.
Rz. 13
a) Die Rechtsbeschwerde macht geltend: Die Richter, die die Beschwerdeentscheidung erlassen hätten, hätten die Rechtsmittelbelehrung unterschrieben, die zum Inhalt habe, dass gegen den vom Beschwerdegericht erlassenen Beschluss das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum BGH stattfindet. Die Belehrung sei nicht auf die Entscheidung über die Bestellung eines Ergänzungspflegers beschränkt worden. Da bezüglich des Beschlusses über die Prüfung der Rechnungslegung eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht eröffnet sei, liege in der Rechtsmittelbelehrung insofern die konkludente Zulassung der Rechtsbeschwerde.
Rz. 14
b) Damit vermag die Rechtsbeschwerde nicht durchzudringen.
Rz. 15
aa) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde hat nach § 70 Abs. 1 FamFG in dem Beschluss zu erfolgen, mit dem das Beschwerdegericht über die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung oder das OLG in erster Instanz entschieden hat. Dabei kann die Zulassung in der Entscheidungsformel oder in den Gründen ausgesprochen werden (Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl., § 70 Rz. 36; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 543 Rz. 29 f.). Vorauszugehen hat die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung (hier: des § 70 Abs. 2 FamFG) erfüllt sind, sowie eine Entschließung über die Zulassung.
Rz. 16
bb) Eine unzutreffend erteilte Rechtsmittelbelehrung kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht ersetzen. Sie dient nicht der Ergänzung oder Interpretation der Entscheidung, sondern allein der Information der Beteiligten über bestehende Rechtsmittel (vgl. § 39 FamFG). Durch eine insofern unrichtige Angabe wird deshalb ein unstatthaftes Rechtsmittel nicht statthaft (BGH Beschl. v. 21.2.2007 - AnwZ(B) 86/06, NJW-RR 2007, 1071 Rz. 9; BAGE 102, 213, 218). In der Rechtsprechung der OLG (OLG Stuttgart FGPrax 2009, 114, 115; OLG Koblenz FamRZ 2010, 908 f.; OLG Schleswig FamRZ 2008, 75, 76; OLG Köln FGPrax 2005, 205, 206; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 302; BayObLG BayObLGZ 2000, 318 - juris Rz. 9 ff. und WuM 1995, 70 f.) sowie im Schrifttum (Keidel/Meyer-Holz, a.a.O., § 70 Rz. 39; MünchKomm/ZPO/Ulrici, a.a.O., § 39 FamFG Rz. 10; Horndasch/Viefhues/Reinken FamFG § 39 Rz. 5; Gutjahr in BeckOK FamFG § 39 Rz. 26) wird das, soweit ersichtlich, nicht anders beurteilt. Dabei gilt diese Bewertung auch dann, wenn die Rechtsmittelbelehrung als Bestandteil des Beschlusses durch die Unterschriften der erkennenden Richter gedeckt ist (OLG Stuttgart FGPrax 2009, 114, 115; BayObLG BayObLGZ 2000, 318 - juris Rz. 10). Hierdurch ändert sich der Charakter als bloße Belehrung über das für statthaft gehaltene Rechtsmittel nicht. Eine Willensentschließung im Sinne einer Zulassungsentscheidung kann daraus nicht entnommen werden.
Rz. 17
c) Danach ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das LG die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat. In der Entscheidungsformel ist dies nicht erfolgt; gesonderte Gründe weist der angefochtene Beschluss nicht auf. Die Rechtsmittelbelehrung ist durch eine kleinere Schrift erkennbar von dem übrigen Text abgesetzt. Bei ihr handelt es sich nicht um die gesetzlich vorgesehene Einzelfallentscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde, sondern - entsprechend der Überschrift "Rechtsmittelbelehrung" - um Angaben zu der nach Auffassung des LG bestehenden Rechtsmittelmöglichkeit. Enthalten aber weder Tenor noch Gründe einen Hinweis auf die Zulassung der Rechtsbeschwerde, ist diese nicht zugelassen worden (Wenzel in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 543 Rz. 31 m.w.N.; Musielak/Ball ZPO, 8. Aufl., § 543 Rz. 14).
Fundstellen
Haufe-Index 2749038 |
NJW 2011, 8 |
EBE/BGH 2011 |
FamRZ 2011, 1728 |
FuR 2011, 697 |
NJW-RR 2011, 1569 |
FGPrax 2011, 320 |
AnwBl 2011, 217 |
BtPrax 2011, 274 |
MDR 2011, 1195 |
NJ 2011, 6 |
FamRB 2011, 341 |
FK 2012, 10 |