Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelhafte Zustellung Versäumnisurteil. Nichtanerkennung Urteil nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ auch ohne Rechtsbehelfseinlegung
Leitsatz (amtlich)
Die Einschränkung, wonach der Beklagte, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, sich auf einen Zustellungsmangel nicht berufen kann, wenn er gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte (Art. 34 Nr. 2 EuGVVO), findet keine Anwendung auf Verfahren, die die Vollstreckbarkeit von Klagen und öffentlichen Urkunden betreffen, welche vor dem 1.3.2002 erhoben oder errichtet worden sind.
Normenkette
EuGVÜ Art. 27 Nr. 2; EuGVVO Art. 34 Nr. 2, Art. 66 Abs. 1, Art. 76 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats des OLG Köln v. 3.1.2003 wird auf Kosten der Antragstellerin als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Die in Portugal ansässige Antragstellerin als Gläubigerin erwirkte gegen die in Deutschland residierende Antragsgegnerin als Schuldnerin beim AG Lissabon am 10.7.2000 ein Versäumnisurteil, das die Schuldnerin zur Zahlung von 5.254.473 Escudos zzgl. Zinsen an die Gläubigerin verurteilte. Gegen dieses Urteil legte die Schuldnerin Berufung ein, die vom Berufungsgericht am 12.7.2001 zurückgewiesen wurde, weil das erstinstanzliche Urteil verfahrensrechtlich ordnungsgemäß ergangen sei.
Die Gläubigerin begehrt die Zulassung dieses Urteils zur Vollstreckung in Deutschland. Die Schuldnerin wendet ein, die Klage sei ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden; denn sie habe sie mit einfacher Post als Einschreiben mit Rückschein erhalten, ohne Übersetzung in die deutsche Sprache. Der Vorsitzende einer Zivilkammer des LG hat dem Antrag der Gläubigerin stattgegeben. Das Beschwerdegericht hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.
II.
Das gem. §§ 15 Abs. 1 AVAG, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Auf das Verfahren findet noch das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968 (EuGVÜ) Anwendung, weil die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) erst am 1.3.2002 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 66 Abs. 1, Art. 76 EuGVVO).
2. Wie das OLG im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, war die Zustellung unmittelbar per Post nach dem hier zu beachtenden Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen v. 14.11.1965 (HZÜ) nicht ordnungsgemäß, weil die Bundesrepublik Deutschland der Anwendung von Art. 10 HZÜ widersprochen hat. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist gem. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ein in einem Vertragsstaat ergangenes Versäumnisurteil nicht anzuerkennen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Der Zustellungsmangel wird nicht dadurch geheilt, dass der Beklagte in der Lage gewesen wäre, einen zulässigen Rechtsbehelf einzulegen, dies jedoch unterlassen hat (EuGH v. 3.7.1990 - Rs. C-305/88, EuZW 1990, 352 [354]; v. 12.11.1992 - Rs. C-123/91, EuZW 1993, 39 [40]; BGH, Beschl. v. 18.2.1993 - IX ZB 87/90, MDR 1993, 1014 = NJW 1993, 2688).
3. Dies alles erkennt auch die Rechtsbeschwerde. Sie beruft sich jedoch darauf, dass nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO das Anerkennungshindernis entfällt, wenn der Beklagte gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er dazu die Möglichkeit hatte. Die Rechtsbeschwerde ist der Ansicht, dass diese Änderung sich unmittelbar auf das Verständnis von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ auswirke und die Vorschrift nunmehr in entsprechendem Sinne einschränkend auszulegen sei (im Ergebnis ebenso OLG Köln IPRax 2004, 115 [116]; Zöller/Geimer, ZPO, 24. Aufl., Art. 34 EuGVVO Rz. 26). Damit vermag die Rechtsbeschwerde jedoch die Notwendigkeit einer erneuten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht darzutun, so dass zugleich eine grundsätzliche Bedeutung der Sache zu verneinen ist. Im Streitfall ist eine Sachentscheidung auch nicht zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten.
a) Der EuGH geht vom Gebot der einheitlichen Auslegung von EuGVÜ und EuGVVO nur dort aus, wo die Neufassung lediglich als Präzisierung der bisher geltenden Vorschrift zu verstehen ist, wie dies etwa für Art. 5 Nr. 3 EuGVVO im Vergleich zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ zutrifft (EuGH v. 1.10.2002 - Rs. C-167/00, NJW 2002, 3617 [3619] Rz. 49). Demgegenüber enthält Art. 34 Nr. 2 letzter Halbs. EuGVVO eine wesentliche Änderung der bisher geltenden Regelung. Die Vorschrift bringt den Willen des Verordnungsgebers zum Ausdruck, die Versagungsgründe im Vollstreckbarkeitsverfahren einzuschränken und dadurch zu einer effizienteren Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen im Ausland zu gelangen. Die Neufassung wird daher im Schrifttum durchweg als "Korrektur" der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ verstanden (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 34 Rz. 42; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 34 bis 36 EuGVVO Rz. 8; Stadler in Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 49 f.). Demzufolge ist bei Prüfung der Vollstreckbarkeit solcher Klagen und öffentlichen Urkunden, die vor In-Kraft-Treten der EuGVVO erhoben bzw. aufgenommen - d.h. errichtet - worden sind (Art. 66 Abs. 1 EuGVVO), Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ i.S.d. bisherigen Rechtsprechung des EuGH anzuwenden. Eine Vorwirkung von Art. 34 EuGVVO, wie sie die Antragstellerin vertritt, kommt zweifelsfrei nicht in Betracht. Daher besteht keine Veranlassung, den EuGH mit der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage zu befassen. Dessen bisherige Rechtsprechung zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ist nach Auffassung des Senats zweifelsfrei mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar.
b) Davon abgesehen könnte im Streitfall selbst die Einbeziehung von Art. 34 Nr. 2 EuGVVO in die Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO erfasst nur den Fall, dass der Schuldner gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Dies hat das OLG zutreffend gesehen. Da der Schuldner die Entscheidung des AG Lissabon mit einem Rechtsmittel bekämpft, also den Versuch unternommen hat, das verfahrensrechtlich fehlerhaft zu Stande gekommene Urteil im Erststaat zu beseitigen, wäre er mit dem Einwand mangelhafter Zustellung selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn Art. 34 Nr. 2 EuGVVO Anwendung fände.
Fundstellen
NJW 2004, 3189 |
BGHR 2005, 58 |
EBE/BGH 2004, 2 |
InVo 2004, 466 |
MDR 2005, 177 |
RIW 2004, 941 |
ELF 2004, 288 |