BGH Beschluss vom 24.04.2007 - AnwZ (B) 93/06 | VerwalterPraxis | Immobilien

Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzzustellung. Beginn des Fristenlaufs bei Zustellung außerhalb von Geschäftsöffnungszeiten

Leitsatz (amtlich)

Eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO kann auch erfolgen, wenn die Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO daran scheitert, dass das Geschäft nicht mehr geöffnet hat.

Normenkette

ZPO § 180

Verfahrensgang

AGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.08.2006; Aktenzeichen AGH 6/06 (II))

Tenor

Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des II. Senats des AGH Baden-Württemberg vom 28.8.2006 wird verworfen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die dadurch entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 EUR≫ festgesetzt.

Gründe

[1] Der 1955 geborene Antragsteller wurde im August 1986 als Rechtsanwalt zugelassen und übt seither den Anwaltsberuf in S. aus. Im Jahre 2001 veruntreute er Mandantengelder und wurde deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt. Seit 2003 geriet er verstärkt in finanzielle Bedrängnis, die zu anhaltend hohen Schulden und laufend zu Vollstreckungsaufträgen auch wegen geringfügiger Einzelforderungen führte.

[2] Mit Rücksicht hierauf hat die Antragsgegnerin am 20.1.2006 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft widerrufen. Seinen hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der AGH mit Beschluss vom 28.8.2006 zurückgewiesen. Dieser ist dem Antragsteller am 7.9.2006 zugestellt worden. Mit am 22.9.2006 bei dem AGH eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt und mit einem am 14.12.2006 eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt.

II.

[3] Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, weil der Antragsteller die Beschwerdefrist versäumt hat und ihm Wiedereinsetzung nicht zu gewähren ist.

[4] 1. Die sofortige Beschwerde ist verspätet.

[5] a) Sie war nach § 42 Abs. 4 Satz 1 BRAO innerhalb von zwei Wochen bei dem AGH einzulegen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung des Beschlusses (BGH BGHZ 38, 6, 8 f.). Diese erfolgte hier am 7.9.2006 durch Einlegung in den Briefkasten des Antragstellers. Auf dem Umschlag der Sendung hat der Zusteller zwar als Datum vermerkt "9.7.2006". Er hat dabei aber lediglich zuerst den Monat und dann den Tag angegeben. Dies ergibt sich aus der Postzustellungsurkunde, in der die Reihenfolge der Datumsangaben mit Tag, Monat und Jahr vorgegeben und von dem Zusteller als "7.9.2006" angeben ist. Etwas anderes kann auch deshalb nicht sein, weil der Beschluss vom 28.8.2006 datiert und dies auch so auf dem Umschlag der Zustellung vermerkt ist.

[6] b) Unschädlich ist auch, dass die Zustellung um 19.35 Uhr und damit außerhalb der gewöhnlichen Geschäftszeiten erfolgt ist. Das steht einer Ersatzzustellung nach § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO, § 16 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 FGG, § 180 ZPO und dem Eintritt der Zustellungsfiktion nach § 180 Satz 2 ZPO nicht entgegen (MünchKomm/ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Erg. Bd., § 180 Rz. 1). In den Gesetzesmaterialien zur Neufassung des Zustellungsrechts zum 1.7.2002 wird zwar nur der Fall angesprochen, dass die Zustellung vor den üblichen Öffnungszeiten erfolgt (Begründung des Entwurfs eines Zustellreformgesetzes in BT-Drucks. 14/4554, 21; ähnlich Musielak/Wolst, ZPO, 5. Aufl., § 180 Rz. 1). Für den hier vorliegenden Fall, dass die Zustellung nach Geschäftsschluss erfolgt, gilt nichts anderes. Ziel der Änderung war es, den hohen Anteil an Niederlegungen zu reduzieren und dazu den Zustelldiensten eine einfachere Möglichkeit der Ersatzzustellung für den Fall zu eröffnen, dass eine Zustellung in den Geschäftsräumen daran scheitert, dass sie nicht geöffnet haben (Entwurfsbegründung, a.a.O.). Dafür spielt es auch unter Berücksichtigung der liberalisierten Öffnungs- und Arbeitszeiten sowohl der Zustelldienste als auch der Zustellungsempfänger keine Rolle, ob das Geschäft noch oder schon geschlossen ist.

[7] c) Die sofortige Beschwerde hätte deshalb nach § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO, § 17 Abs. 1 FGG, §§ 187 Abs. 1, 188 BGB spätestens am 21.9.2006 bei dem AGH eingehen müssen. Der Antragsteller hat sie aber erst am 22.9.2006 verfasst und eingereicht. Das war zu spät.

[8] 2. Dem Antragsteller ist Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist nicht zu gewähren.

[9] a) Zweifelhaft ist schon, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung rechtzeitig gestellt worden ist. Er ist zwar nach § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO i.V.m. § 22 Abs. 2 Satz 1 FGG zulässig. Er hätte danach aber innerhalb von zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses gestellt werden müssen. Das Hindernis bestand hier darin, dass der Antragsteller nicht wusste, dass er die Beschwerdefrist versäumt hatte. Dieses Hindernis war mit dem Hinweis des Senats im Schreiben vom 10.10.2006 beseitigt. Dazu kommt es auch nicht darauf an, ob der Antragsteller dies erkannt hat. Maßgeblich ist allein, ob er dies hätte erkennen können (BGH, Beschl. v. 13.5.1992 - VIII ZB 3/92, NJW 1992, 2098, 2099; Beschl. v. 12.11.1997 - XII ZB 66/97, NJW-RR 1998, 1218, 1219; Senat, Beschl. v. 15.8.2000 - AnwZ (B) 40/00, BRAK 2000, 305, 306; Senat, Beschl. v. 25.9.2006 - AnwZ (B) 73/05, unveröff.). Es spricht viel dafür, dass dies bei Zugang des Hinweises des Senats vom 10.10.2006 auf die Verspätung der Fall war und der Antrag deshalb schon in dem Schreiben des Antragstellers vom 23.11.2006 hätte gestellt werden müssen. Dies kann aber offen bleiben.

[10] b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedenfalls nicht begründet, weil die Versäumung der Beschwerdefrist nicht unverschuldet war.

[11] aa) Unverschuldet ist eine Fristversäumung nur, wenn der Beschwerdeführer sie bei Anwendung der Sorgfalt, die unter Berücksichtigung der konkreten Sachlage im Verkehr erforderlich war und ihm, hier als Rechtsanwalt (dazu: BGH, Urt. v. 10.1.2002 - III ZR 62/01, BGHReport 2002, 320 = NJW 2002, 1115, 1116), vernünftigerweise zugemutet werden konnte, nicht zu vermeiden war (BGH, Beschl. v. 7.12.1954, V BLw 69/54, JR 1955, 101; Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 22 Rz. 54; Briesemeister in von Schuckmann/Sonnenfeld, FGG, 3. Aufl., § 22 Rz. 32). An dieser Sorgfalt hat es der Antragsteller fehlen lassen. Um die Frist ordnungsgemäß im Fristenkalender einzutragen und zu überwachen, war zunächst festzustellen, wann sie zu laufen begonnen hatte. Wenn sich hierbei Unsicherheiten ergeben können, genügt die Eintragung einer vorläufigen Frist nicht. Vielmehr muss der genaue Fristbeginn, notfalls durch Rückfragen bei dem Gericht, sicher festgestellt werden (BGH, Beschl. v. 6.10.1993 - XII ZB 122/93, FamRZ 1994, 437; Beschl. v. 15.10.1996 - XII ZB 126/96, FamRZ 1997, 415).

[12] bb) Eine solche klärungsbedürftige Unsicherheit lag hier vor. Der Antragsteller will die Sendung erst am Montag, dem 11.9.2006, in seinem Briefkasten vorgefunden haben. Auf dem Umschlag der Sendung war indes ein anderes Datum eingetragen. In dieser Angabe will der Antragsteller zwar das Datum "9.9.2006" erkannt haben. Das entlastet ihn aber nicht, weil sich Zweifel an der Richtigkeit einer Interpretation der Datumsangabe in diesem Sinne und die Notwendigkeit einer Nachfrage bei dem AGH geradezu aufdrängten. Der Zusteller hätte dann bei einer kurzen Datumsangabe für die Zahl 9 zwei unterschiedliche Schreibweisen verwandt. Zudem hätte er die Sendung an einem Samstagabend um 19.35 Uhr in den Briefkasten gelegt. Beides ist ungewöhnlich. Deshalb konnte sich der Antragsteller nicht darauf verlassen, dass er die Datumsangabe richtig gelesen hatte. Die Ungewöhnlichkeit der Zustellung ist ihm und seiner Mitarbeiterin nach eigenem Bekunden auch sofort aufgefallen. Sie gebot eine Nachfrage beim AGH, die der Antragsteller schuldhaft unterlassen hat.

[13] 3. Hierüber kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (BGHZ 44, 25).