Entscheidungsstichwort (Thema)
Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax. Erforderliche Ausgangskontrolle: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Anwaltliche Sorgfaltspflicht. Organisatorische Vorkehrungen. Erforderliche Ausgangskontrolle. Konkrete Einzelanweisung. Vollständigkeit der Übermittlung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax ist grundsätzlich durch einen Abgleich des Sendeberichts mit einem aktuellen Verzeichnis oder einer anderen geeigneten Quelle sicherzustellen, dass die angewählte Telefax-Nummer derjenigen des angeschriebenen Gerichts entspricht.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 22. Zivilsenats des KG vom 11.7.2011 wird auf Kosten des Klägers verworfen.
Beschwerdewert: 12.500 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Auskunft und Schadensersatz wegen möglicher Nebenwirkungen eines Arzneimittels in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen. Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 17.1.2011 zugestellte Urteil hat dieser die am 14.2.2011 beim KG eingegangene Berufung eingelegt. Auf Antrag des Klägers ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 18.4.2011 verlängert worden. Die an das KG adressierte Berufungsbegründungsschrift ist am 18.4.2011 per Telefax beim LG Berlin und am 20.4.2011 per Post beim KG eingegangen. Mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 20.4.2011 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die Berufungsbegründungsschrift nicht innerhalb der Frist zur Begründung der Berufung beim KG eingegangen ist.
Rz. 2
Daraufhin hat der Kläger mit einem am 27.4.2011 beim KG eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Er hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe seine Rechtsanwaltsfachangestellte, als diese ihm die Berufungsbegründungsschrift zur Unterschrift vorgelegt habe, am späten Nachmittag des 18.4.2011 angewiesen, noch die Telefax-Nummer des KG in den Briefkopf auf der ersten Seite des Schriftsatzes einzutragen, diese Seite auszutauschen und die Berufungsbegründungsschrift sodann per Telefax an das KG zu übermitteln. Die Bürokraft habe jedoch die Eintragung der korrekten Telefax-Nummer auf dem Briefkopf der Berufungsbegründungsschrift unterlassen und kurz vor Feierabend die Berufungsbegründungsschrift versehentlich an das LG Berlin und nicht an das KG gefaxt. Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Zusätzlich hat er vorgetragen, die Rechtsanwaltsfachangestellte sei auch durch allgemeine Anweisungen darauf hingewiesen worden, auf die richtige Empfänger-Nummer zu achten und nach der Übermittlung eines Schriftsatzes auf der Grundlage des Sendeberichtes die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen. Diesen Anweisungen sei die geschulte und zuverlässige Bürokraft stets nachgekommen.
Rz. 3
Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Der verspätete Eingang der Berufungsbegründungsschrift beim KG sei auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen, das gem. § 85 Abs. 2 ZPO einem Verschulden des Klägers gleichstehe.
II.
Rz. 4
Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.
Rz. 5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch dessen rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BGH v. 5.11.2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; v. 12.4.2011 - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 6
2. Die angefochtene Entscheidung entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Übersendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax nicht überspannt.
Rz. 7
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH muss der Rechtsanwalt bei Versendung von Schriftsätzen per Telefax durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefax-Nummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird. Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfänger-Nummer überprüft wird, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bereits bei der Ermittlung der Fax-Nummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können. Dabei genügt der Vergleich der auf dem Sendebericht ausgedruckten Fax-Nummer mit der in den Schriftsatz eingesetzten nicht. Dieser Abgleich ist nur geeignet, einen Fehler bei der Eingabe der Nummer in das Faxgerät aufzudecken, nicht aber sicherzustellen, dass die im Schriftsatz angegebene Fax-Nummer zutreffend ermittelt wurde. Die Überprüfung der Richtigkeit der im Sendebericht ausgewiesenen Empfänger-Nummer ist deshalb anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorzunehmen, aus dem bzw. der die Fax-Nummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 4.2.2010 - I ZB 3/09, VersR 2011, 1543 Rz. 14; v. 12.5.2010 - IV ZB 18/08, NJW 2010, 2811 Rz. 11; v. 24.6.2010 - III ZB 63/09, juris Rz. 11; v. 14.10.2010 - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312 Rz. 10, jeweils m.w.N.). Nur so kann die bekannte - und sich hier verwirklichte - Gefahr beherrscht werden, dass fristgebundene Rechtsmittelschriften und Rechtsmittelbegründungen per Fax trotz richtiger Gerichtsadressierung versehentlich an das Gericht der Vorinstanz geleitet werden (BGH, Beschl. v. 14.10.2010 - IX ZB 34/10, a.a.O.). Es reicht allerdings die generelle Anweisung aus, die im Sendebericht ausgedruckte Fax-Nummer mit der schriftlich niedergelegten Fax-Nummer zu vergleichen, die ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist; in solchen Fällen ist nicht erforderlich, diese Nummer nach Absenden des Schriftsatzes noch ein weiteres Mal anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 4.2.2010 - I ZB 3/09, a.a.O., Rz. 18; v. 12.5.2010 - IV ZB 18/08, a.a.O., Rz. 14).
Rz. 8
b) Die nach dieser Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erfüllt.
Rz. 9
aa) Es trifft zwar zu, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des BGH für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. BGH v. 15.4.2008 - VI ZB 29/07, juris Rz. 7; v. 13.4.2010 - VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rz. 5; v. 20.9.2011 - VI ZB 23/11, VersR 2011, 1544 Rz. 8). Im Streitfall erfüllt die vom Kläger vorgetragene und durch die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemachte Einzelanweisung die Anforderungen der Rechtsprechung aber nicht. Es ist nicht einmal vorgetragen, dass die Kanzleiangestellte angewiesen worden sei, nach Übersendung der Berufungsbegründungsschrift den Sendebericht auszudrucken und diesen auf die Richtigkeit der verwendeten Empfänger-Nummer anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle zu überprüfen.
Rz. 10
bb) Auch die vom Kläger vorgetragene - nicht glaubhaft gemachte - allgemeine Büroanweisung seines Prozessbevollmächtigten, auf die richtige Empfänger-Nummer zu achten und nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax auf der Grundlage des Sendeberichts die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen, wird den Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht. Sie enthält nicht die organisatorisch gebotene allgemeine Weisung an das Kanzleipersonal, im Falle der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax jeweils bei der Ausgangskontrolle anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle auch einen Abgleich des Sendeberichts dahin vorzunehmen, dass die angewählte Telefax-Nummer der des angeschriebenen Gerichts entspricht. Es wird auch nicht vorgetragen, dass eine allgemeine Anweisung bestanden habe, eine solche Quelle bei der Ermittlung der Fax-Nummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz zu verwenden, um Fehler bei der Ermittlung der Fax-Nummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufzudecken.
Rz. 11
c) Ein Hinweis des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO, dass es den Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers als unzureichend ansehe, war entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht erforderlich. Dem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich auch nicht ansatzweise entnehmen, dass die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllt worden sind, so dass ein Hinweis zur Präzisierung oder Klarstellung einer zuvor bereits vorgetragenen Tatsache nicht veranlasst war.
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2971291 |
DB 2012, 1383 |
NJW 2012, 8 |
EBE/BGH 2012, 162 |
FamRZ 2012, 1052 |
NJW-RR 2012, 744 |
CR 2012, 519 |
JurBüro 2012, 558 |
ZAP 2012, 636 |
MDR 2012, 729 |
NJ 2012, 4 |
VersR 2013, 208 |
RENOpraxis 2012, 205 |
Mitt. 2012, 427 |
PAK 2012, 123 |