Leitsatz (amtlich)
Die Enteignungsbehörde ist an die Höhe einer im Verfahren nach § 112 Abs. 2 BauGB angeordneten Vorauszahlung im späteren Entschädigungsfeststellungsverfahren nicht gebunden.
Normenkette
BauGB § 112 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 20.11.2003; Aktenzeichen 16 U (Baul) 7/03) |
LG Arnsberg |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 16. Zivilsenats (Senat für Baulandsachen) des OLG Hamm v. 20.11.2003 - 16 U (Baul.) 7/03 - wird zurückgewiesen.
Streitwert: 45.507,02 EUR
Gründe
1. Die Beteiligten streiten über die Höhe einer Enteignungsentschädigung, die der Beteiligte zu 1) auf Grund der im Zuge des Ausbaus der B 481 erfolgten Enteignung seines Grundbesitzes M. Straße 3 in R. zu erhalten hat. In einer auf der Grundlage des § 112 Abs. 2 BauGB erlassenen Vorabentscheidung v. 23.5.1996 hatte der Beteiligte zu 3) die an den Beteiligen zu 1) zu leistende Vorauszahlung auf 520.000 DM festgesetzt. In der Folgezeit konnten sich die Beteiligten nicht auf die Höhe der zu leistenden Entschädigung einigen. Der Beteiligte zu 3) erließ am 25.2.2002 einen Entschädigungsfeststellungsbeschluss, wonach die an den Beteiligten zu 1) zu leistende Entschädigung einschließlich Zinsen 410.856 DM beträgt (darin enthalten: 350.000 DM Verkehrswert des Grundstücks); zugleich wurde der Beteiligte zu 1) verpflichtet, die auf der Grundlage der Vorabentscheidung erfolgte Überzahlung zurückzuzahlen. Im baulandgerichtlichen Verfahren hat das LG (Kammer für Baulandsachen) den Entschädigungsbetrag um 20.000 DM auf 428.000 DM (= 218.832,93 EUR) angehoben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beteiligten zu 1), der weiterhin eine Entschädigung von 265.871,78 EUR (= 520.000 DM) anstrebt, hat das OLG (Senat für Baulandsachen) zurückgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.
2. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen die Nichtzulassung der Revision war zurückzuweisen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO i.V.m. § 221 Abs. 1 BauGB).
Die von der Nichtzulassungsbeschwerde als grundsätzlich, ungeklärt und entscheidungserheblich dargestellte Frage, "wie Überzahlungen, die auf Grund einer Vorabentscheidung als Entschädigung für eine Enteignung geleistet worden sind, zu Lasten des Zahlungsempfängers behandelt werden können und müssen - anders ausgedrückt: in welchem Verhältnis § 112 Abs. 2 BauGB zu § 48 VwVfG steht -", stellt sich so nicht.
a) Wie der BGH bereits ausgesprochen hat (BGH, Beschl. v. 27.11.1986 - III ZR 243/85, BRS 53, Nr. 189, S. 535, 536), ist die Enteignungsbehörde an die Höhe der im Verfahren nach § 112 Abs. 2 BauGB angeordneten Vorauszahlung im späteren Enteignungsfeststellungsverfahren nicht gebunden (ebenso Dyong in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 112 BauGB Rz. 5 f.; Reisnecker in Brügelmann, BauGB, § 112 BauGB Rz. 22). Da wegen des vorläufigen Charakters der Vorauszahlung in der Intention der gesetzlichen Regelung gewissermaßen ein "Widerrufsvorbehalt" liegt (Reisnecker in Brügelmann, § 112 BauGB Rz. 22), enthält eine spätere niedrigere Festsetzung im Enteignungsentschädigungsbeschluss keine (Teil-)Rücknahme der Vorabentscheidung, die an § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG zu messen wäre (so allerdings Lässig, DVBl 1981, 483 [486 ff.]).
b) Es kann daher vorliegend im Blick auf die Notwendigkeit einer Revisionszulassung nicht darum gehen, "in welchem Verhältnis § 112 Abs. 2 BauGB zu § 48 VwVfG steht" (so die Nichtzulassungsbeschwerde), sondern allenfalls darum, ob im Einzelfall besondere Umstände ausnahmsweise einen Vertrauensschutz des Empfängers der Vorauszahlung begründet haben, der einer Pflicht zur (vollständigen) Zurückzahlung entgegenstehen könnte. Die grundsätzliche Pflicht des Enteignungsbetroffenen, der eine höhere als die ihm gesetzlich zustehende Entschädigung erhalten hat, den Mehrbetrag zurückzuzahlen (Rechtsprechungsnachweise bei Reisnecker in Brügelmann, § 93 BauGB Rz. 7; a.E.), wird hierdurch nicht berührt.
aa) Im Streitfall hat das Berufungsgericht im Einzelnen ausgeführt, wie die Vorauszahlungsanordnung in der Vorabentscheidung des Beteiligten zu 3) v. 23.5.1996 aus der Sicht des Beteiligten zu 1) zu verstehen war. Das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beteiligte zu 1) den Vorauszahlungsbescheid als vorläufige und damit zeitlich bis zum Erlass des Entschädigungsfeststellungsbeschlusses befristete Regelung verstehen musste, ohne darauf vertrauen zu können, dass die abschließende rechtliche Beurteilung der angemeldeten Forderung und die angekündigten Ermittlungen der Enteignungsbehörde, insb. die noch ausstehenden Sachverständigengutachten, nicht zu einer niedrigeren als der von der Beteiligten zu 3) prognostizierten Entschädigung führen würden.
bb) Diese Würdigung wäre zwar - da es um die Auslegung eines Verwaltungsakts geht - im Revisionsverfahren grundsätzlich überprüfbar. Zu einem anderen Verständnis als demjenigen, das das Berufungsgericht geäußert hat, bestünde jedoch kein Anlass. Der Versuch der Nichtzulassungsbeschwerde, ihre eigene Auslegung an die Stelle derjenigen der Vorinstanz zu setzen, könnte keinen Erfolg haben. Revisionszulassungsgründe sind im Zusammenhang mit dieser Würdigung eines Einzelfalles durch das Gericht jedenfalls nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1248750 |
BGHR 2005, 142 |
BauR 2005, 367 |
DWW 2004, 339 |
EBE/BGH 2004, 2 |
NVwZ 2005, 240 |
ZAP 2005, 116 |
ZfIR 2005, 73 |
DÖV 2005, 298 |
ZfBR 2005, 66 |
DVBl. 2005, 196 |