Entscheidungsstichwort (Thema)
Irreführende Werbung bei Vorratsmängeln. Missbräuchliche bzw. zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung
Leitsatz (redaktionell)
In Fällen, die sich durch einen zweigliedrigen Sachverhalt auszeichen, kann grundsätzlich nicht von einem missbräuchlichen Vorgehen ausgegangen werden, wenn verschiedene Unternehmen eines Konzerns das (unzulässig) werbende Unternehmen an verschiedenen Standorten in Anspruch nehmen, ohne ihr prozessuales Vorgehen im Sinn einer Verfahrenskonzentration zu bündeln.
Normenkette
UWG § 13 Abs. 5
Verfahrensgang
OLG Bremen (Urteil vom 08.02.2001) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen OLG in Bremen v. 8.2.2001, soweit es zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2 ergangen ist, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin hinsichtlich der vom LG abgewiesenen Unterlassungsklage gegen den Beklagten zu 2 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin gehört der 140 bis 150 Unternehmen umfassenden M. /S. -Gruppe an. Sie betreibt in B. einen Selbstbedienungsmarkt für Unterhaltungselektronik, Computer und Computerzubehör.
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer bis zum Jahr 2000 der Beklagte zu 2 war, betreibt den Handel mit Computern und Computerzubehör. Sie unterhält bundesweit 120 Filialen, darunter auch eine in B. .
Die Beklagte zu 1 (im Weiteren: Beklagte) bot am 13.3.1998 in einer Werbung in der in B. erscheinenden "N. -Zeitung" unter der Überschrift "PREISBRECHER!" einen Computer mit Intel Pentium Prozessor 200 MHz zum Preis von 1.499 DM und einen Computer mit Intel Pentium II Prozessor 233 MHz zum Preis von 1.999 DM - wie nachstehend verkleinert wiedergegeben - zum Kauf an:
Nach der Behauptung der Klägerin waren die Geräte am 13.3.1998 in der Verkaufsfiliale der Beklagten in B. nicht vorrätig. Die Klägerin hat die Werbung als irreführend beanstandet und die Beklagten - ebenso wie Schwesterunternehmen der Beklagten zu 1 - wegen geltend gemachter Vorratsmängel nach derselben Werbung am 6.3.1998 in Filialen der Beklagten in Rostock, Lüneburg, Erlangen, Hamburg-Billstedt, Hamburg-Nedderfeld und Hamburg-Wandsbek und am 20.3.1998 in der Filiale der Beklagten in Saarbrücken - auf Unterlassung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Computergeräte blickfangmäßig hervorgehoben zu bewerben, soweit diese am Tag des Erscheinens der Werbung nicht zur sofortigen Mitnahme vorrätig sind;
2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen durch die unter 1. geschilderte Wettbewerbshandlung entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.
Das LG hat die Unterlassungsklage als unbegründet und die Feststellungsklage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, es fehle an dem insoweit erforderlichen Feststellungsinteresse. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg (OLG Bremen v. 8.2.2001 - 2 U 68/2000, OLGReport Bremen 2001, 225).
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Über das Vermögen der Beklagten zu 1 ist am 1.5.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Entscheidungsgründe
I. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten zu 1 ist das zwischen dieser und der Klägerin anhängige Verfahren unterbrochen worden (§ 240 S. 1 ZPO). Da die beiden Beklagten keine notwendigen Streitgenossen i. S. des § 62 ZPO sind, ist über die Revision der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 durch Teilurteil zu entscheiden (§ 301 ZPO; vgl. BGH v. 3.7.2001 - VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214 [216] = MDR 2001, 1238 = BGHReport 2001, 678; Urt. v. 19.12.2002 - VII ZR 176/02, MDR 2003, 467 = BGHReport 2003, 831 = NJW-RR 2003, 1002 [1003], jew. m. w. N.).
II. Das Berufungsgericht hat die Klage als gem. § 13 Abs. 5 UWG rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig erachtet. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche, die die Klägerin und ihre Schwestergesellschaften wegen der in gleicher Form und mit gleichem Inhalt bereits eine Woche zuvor bundesweit in verschiedenen Regionalzeitungen und auch danach noch veröffentlichten Werbeanzeige der Beklagten jew. gesondert gerichtlich geltend gemacht hätten, hätten unschwer gemeinsam in einem einzigen Rechtsstreit geltend gemacht werden können. Wenn, wie im Streitfall, an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit oder im kurzen zeitlichen Abstand Werbeanzeigen mit demselben konkreten Inhalt veröffentlicht würden, handele es sich, sofern diese unlauter oder irreführend i. S. d. §§ 1, 3 UWG seien, um ein und denselben Wettbewerbsverstoß. Bei Einreichung der vorliegenden Klage seien alle von den Schwesterunternehmen der Klägerin verfolgten angeblichen Wettbewerbsverstöße bereits erfolgt und der Holding, der die Klägerin angehöre, auch bekannt gewesen. Die Rechtsmissbräuchlichkeit der erhobenen Klage erstrecke sich auch auf den Feststellungsantrag, da die Klägerin keine gesonderte Klage wegen ihres möglicherweise durch die beanstandete Werbemaßnahme erlittenen Schadens habe erheben müssen, sondern diesen in dem gerichtlichen Verfahren hätte geltend machen können, an dem sie sich als Streitgenossin hätte beteiligen können oder welches ihre Holding für alle von demselben angeblichen Wettbewerbsverstoß betroffenen Tochtergesellschaften im Wege der Prozess-Standschaft hätte durchführen können.
III. Diese Beurteilung hält, was den Unterlassungsanspruch anbelangt, der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dessen Geltendmachung stellt sich nicht als rechtsmissbräuchlich i. S. d. § 13 Abs. 5 UWG dar.
1. Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt allerdings zutreffend angenommen, ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen könne darin liegen, dass mehrere Konzernunternehmen, die ihr prozessuales Vorgehen gegen Mitbewerber untereinander abstimmten und über denselben Rechtsanwalt koordinierten, jeweils getrennt voneinander parallele Unterlassungsklagen wegen ein und desselben Wettbewerbsverstoßes anhängig machten (vgl. BGH v. 6.4.2000 - I ZR 76/98, BGHZ 144, 165 [171] = MDR 2001, 227 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; Urt. v. 20.12.2001 - I ZR 15/98, BGHReport 2002, 843 = GRUR 2002, 713 [714] = WRP 2002, 980 - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung, m. w. N.). Wie der BGH entschieden hat, werden durch eine Abstimmung des prozessualen Vorgehens von Konzernunternehmen und durch eine zentrale Koordinierung der Rechtsverfolgung gesteigerte Rücksichtnahmepflichten ausgelöst. Bedienen sich Konzernunternehmen - wie dies nach den unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall geschieht - eines Rechtsanwalts, der die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auf der Grundlage der bei ihm zusammenfließenden Informationen koordiniert, so obliegt es den Konzernunternehmen grundsätzlich, die daraus erwachsenden Möglichkeiten zu einer den Gegner weniger belastenden Verfahrenskonzentration zu nutzen und ihr Vorgehen für den Beklagten schonender zu gestalten. Auch Konzernunternehmen, die in verschiedenen Städten ansässig sind, sind danach i. d. R. gehalten, unnötige Parallelprozesse zu verhindern, indem sie sich beispielsweise darauf verständigen, nur durch ein Konzernunternehmen vorzugehen, die Muttergesellschaft zur Klage als Prozess-Standschafterin zu ermächtigen oder - wenn jedes Konzernunternehmen einen eigenen Titel erwirken möchte - gemeinsam am Sitz des Beklagten zu klagen (BGH, Urt. v. 20.12.2001 - I ZR 15/98, BGHReport 2002, 843 = GRUR 2002, 713 [714] - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung).
2. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Streitfall Besonderheiten aufweist, die ein getrenntes Vorgehen mehrerer Konzernunternehmen an verschiedenen Orten als gerechtfertigt erscheinen lassen. Denn immer dann, wenn die Klagepartei und ihre Konzernschwestern eine Werbung wegen mangelnder Verfügbarkeit der beworbenen Waren als irreführend beanstanden und einen unzureichenden Warenvorrat in verschiedenen Filialen der Beklagten behaupten, geht es - anders als bei den Sachverhalten, die den Entscheidungen "Missbräuchliche Mehrfachverfolgung" und "Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung" sowie den weiteren insoweit zu § 13 Abs. 5 UWG ergangenen Senatsentscheidungen zu Grunde lagen (vgl. BGH, Urt. v. 6.4.2000 - I ZR 67/98, MDR 2001, 163 = GRUR 2001, 82 = WRP 2000, 1263 - Neu in Bielefeld I; Urt. v. 6.4.2000 - I ZR 114/98, MDR 2001, 164 = CR 2001, 10 = GRUR 2001, 84 = WRP 2000, 1266 - Neu in Bielefeld II; Urt. v. 24.5.2000 - I ZR 222/97, MDR 2001, 163 = GRUR 2001, 78 = WRP 2000, 1402 - Falsche Herstellerpreisempfehlung; Urt. v. 20.12.2001 - I ZR 215/98, BGHReport 2002, 792 = CR 2002, 715 = GRUR 2002, 715 = WRP 2002, 977 - Scanner-Werbung) - nicht um die Verfolgung desselben (identischen) Wettbewerbsverstoßes, sondern lediglich um gleichartige, ähnliche Verstöße. Jedenfalls bei Fällen wie dem hier in Rede stehenden, die sich durch einen zweigliedrigen Sachverhalt (Anzeigenwerbung, tatsächliche Vorratsmenge in der jeweiligen Filiale) auszeichnen, kann grundsätzlich nicht von einem missbräuchlichen Vorgehen ausgegangen werden, wenn verschiedene Konzernunternehmen das werbende Unternehmen an verschiedenen Standorten in Anspruch nehmen, ohne ihr prozessuales Vorgehen zu bündeln. Denn bei dieser Fallkonstellation hat grundsätzlich jedes Konzernunternehmen ein berechtigtes Interesse daran, den Wettbewerber jeweils an dem Ort, an dem dieser eine Filiale mit unzureichendem Warenvorrat betreibt, in Anspruch zu nehmen. Dies liegt darin begründet, dass sich derartige Wettbewerbsverstöße, auch wenn ihnen eine überregional verbreitete Werbung zu Grunde liegt, nicht einheitlich feststellen lassen. Denn die Annahme einer Irreführung über den Warenvorrat setzt eine doppelte Prüfung voraus: Zum einen sind die durch die Werbung ausgelösten Verkehrserwartungen, zum anderen die tatsächlichen Verhältnisse in einer bestimmten Filiale festzustellen. Dieselbe überregional verbreitete Werbeaussage kann daher hinsichtlich bestimmter Filialen zutreffen und hinsichtlich anderer irreführend sein. Deshalb sind derartige Fälle für ein gebündeltes Vorgehen - etwa am Gerichtsstand der beklagten Partei - in aller Regel nicht geeignet, weil für alle Klagen bedeutsame Tatsachenfeststellungen nur hinsichtlich der einheitlich zu Grunde zu legenden Werbung, nicht aber hinsichtlich der Verhältnisse in den einzelnen Filialen getroffen werden können. In Fällen dieser Art würde, wenn der Prozess nicht am Ort der jeweiligen Filiale geführt würde, die Aufklärung des Sachverhalts unter Umständen dadurch erschwert, dass Zeugen oder Wissensvertreter (§ 141 Abs. 3 S. 2 ZPO) anreisen müssten. Damit ist hier ein vernünftiger Grund für ein getrenntes Vorgehen gegeben, der den Vorwurf des missbräuchlichen Verhaltens im Allgemeinen ausschließt (BGH, Urt. v. 20.12.2001 - I ZR 15/98, BGHReport 2002, 843 = GRUR 2002, 713 [714] - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung). Dies gilt umso mehr deshalb, weil die von den Schwestergesellschaften der Klägerin beanstandeten Werbemaßnahmen der Beklagten in einem Fall eine Woche nach der klagegegenständlichen Werbung und in den anderen Fällen eine Woche davor durchgeführt worden waren und auch schon deshalb nicht denselben Sachverhalt betrafen.
IV. Die Abweisung der Feststellungsklage als unzulässig erweist sich als zutreffend, weil das für diese gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.1986 - I ZR 67/85, GRUR 1987, 524 [525] - Chanel No. 5 II; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 52 Rz. 18, jew. m. w. N.) fehlte. Die Revisionserwiderung weist zutreffend darauf hin, dass die Klägerin den Schaden, der ihr durch die infolge der beanstandeten Werbung etwa entstanden sei, nach dem in beiden Tatsacheninstanzen unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten im Hinblick auf die ihr mit Schreiben der Rechtsanwälte L. v. 8.4.1998 erteilten Auskünfte bereits im Zeitpunkt der Klageeinreichung am 5.5.1998 abschließend hätte berechnen und beziffern können (vgl. OLG Schleswig NJWE-WettbR 1998, 91 [93]; GroßKomm.UWG/Jacobs, Vor § 13 Rz. D 394; Loewenheim in Pastor/Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 4. Aufl., Kap. 69 Rz. 5).
V. Das Berufungsgericht hat zu der behaupteten Irreführung keinerlei Feststellungen getroffen. Der Rechtsstreit ist deshalb hinsichtlich des gegen den Beklagten zu 2 weiterverfolgten Unterlassungsantrags zurückzuverweisen. Dessen Haftung kommt als handelndes Organ der werbenden Beklagten zu 1 in Betracht.
Das Berufungsgericht wird zu beachten haben, dass das begehrte Verbot ohne eine Beschränkung auf die beanstandete Werbeanzeige nicht ausgesprochen werden darf. Mit dem Unterlassungsantrag werden auch Werbehandlungen erfasst, die wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden sind (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.1998 - I ZR 141/96, MDR 1999, 881 = GRUR 1999, 509 [511] = WRP 1999, 421 - Vorratslücken).
Fundstellen
Haufe-Index 1050052 |
NJW-RR 2004, 335 |
GRUR 2004, 70 |