Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzverfahren. Anfechtbare Herstellung einer Aufrechnungslage. Inkongruenz. Benachteiligung der Insolvenzgläubiger
Leitsatz (amtlich)
Verkauft der spätere Insolvenzschuldner kurz vor dem Eröffnungsantrag an einen Gläubiger Gegenstände, so werden die Insolvenzgläubiger durch die zu Gunsten des Käufers hergestellte Aufrechnungslage auch dann benachteiligt, wenn der Käufer von dem Schuldner umfangreiche Pflichten gegenüber Dritten übernimmt (Ergänzung zu BGH v. 22.7.2004 - IX ZR 270/03, BGHReport 2005, 52 = MDR 2005, 171 = ZIP 2004, 1912).
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 29.10.2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1.11.1999 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. Nutzfahrzeughandelsgesellschaft mbH (fortan: Schuldnerin), die mit Lastkraftwagen handelte und eine Reparaturwerkstatt betrieb. Die Lastkraftwagen bezog sie überwiegend von der Beklagten. Um die Jahreswende 1998/1999 schuldete sie dieser einen Betrag von über 240.000 DM, über den sie ein notarielles Schuldanerkenntnis nebst Unterwerfungserklärung abgab. Zur Erfüllung war sie nicht in der Lage.
Am 28.6.1999 verkaufte die Schuldnerin der Beklagten die zu ihrem Unternehmen gehörenden näher bezeichneten Vermögensgegenstände des Anlage- und des Umlaufvermögens zu einem Kaufpreis von 243.500 DM zzgl. Umsatzsteuer. § 3d des Vertrages enthält folgende Regelung:
"Die Kaufpreise sind fällig am 30.6.1999 und werden verrechnet mit den offenen Forderungen der Käuferin gegen die Verkäuferin."
Am selben Tag mietete die Beklagte zum 1.7.1999 für zehn Jahre das Gewerbegrundstück nebst aufstehenden Gebäuden und Zubehör, um dort die geschäftlichen Aktivitäten der Schuldnerin weiterzuführen. Der Mietzins betrug jährlich 91.000 DM zzgl. Umsatzsteuer und war in gleichen monatlichen Raten von 7.583,33 DM zzgl. Umsatzsteuer jeweils im Voraus bis zum dritten Werktag des betreffenden Monats zu entrichten. Die Beklagte leistete hierauf keine Zahlungen.
Am 20.7.1999 stellte die Schuldnerin Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Schreiben v. 23.7.1999 erklärte die Beklagte die Aufrechnung in Höhe des Mietzinses zzgl. Nebenkostenforderungen "bis zur Tilgung der Gesamtforderung". Den Rückstand bezifferte sie per 23.7.1999 auf über 65.000 DM.
Der Kläger hält die Aufrechnungen gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO für unzulässig und verlangt Zahlung des Kaufpreises sowie der Mieten für die Zeit von Juli 1999 bis einschließlich Mai 2000i.H.v. insgesamt umgerechnet 173.384,06 EUR zzgl. Zinsen. LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger habe Anspruch auf die Mietzinszahlungen ab November 1999, weil diese erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden seien und die Beklagte deshalb gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht wirksam aufrechnen könne. Aus § 94 InsO folge die Zulässigkeit der Aufrechnung nicht. Aber auch die Mieten für den vorausgehenden Zeitraum von Juli bis Oktober 1999 sowie der Kaufpreis für die veräußerten Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens ständen der Insolvenzmasse zu. Die Aufrechnung verstoße insoweit gegen § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil die Aufrechnungslage durch nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlungen erlangt worden sei. Die Herstellung der Aufrechnungslage sei als eigenständige Rechtshandlung anfechtbar. Der Insolvenzverwalter könne im Übrigen an den Verträgen festhalten. Die Herstellung der Aufrechnungslage sei inkongruent, weil die Beklagte auf den Abschluss der die Aufrechnung ermöglichenden Verträge keinen Anspruch gehabt habe. Der Masse sei auch ein Nachteil entstanden. Denn die Beklagte habe anstelle einer Quote volle Befriedigung ihrer Forderungen erlangt.
II.
Dies hält rechtlicher Prüfung stand. Das Berufungsgericht hat die erklärten Aufrechnungen gegen die Mietzinsansprüche und die Verrechnung der Kaufpreisforderung mit den Rückständen aus der laufenden Geschäftsverbindung zutreffend als unwirksam angesehen.
1. Hinsichtlich der Mietzinsforderung ist zwischen dem in § 110 Abs. 1 S. 1 InsO genannten Zeitraum und dem nachfolgenden Zeitraum zu unterscheiden. Die Aufrechnung der Beklagten gegen Mietzinsansprüche der Masse für die Zeit ab dem der Eröffnung des Verfahrens folgenden Kalendermonat (Dezember 1999) ist schon nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO i.V.m. § 110 Abs. 3 S. 1, Abs. 1 S. 1 InsO unwirksam.
a) Forderungen auf Zahlung eines Mietzinses für die periodische Gebrauchsüberlassung sind nicht betagte, sondern befristete Forderungen, entstehen also abschnittsweise neu (BGH v. 9.2.1983 - VIII ZR 305/81, BGHZ 86, 382 [385 f.] = MDR 1983, 485; Urt. v. 30.1.1997 - IX ZR 89/96, MDR 1997, 562 = ZIP 1997, 513 [514]). Für sie gilt - ungeachtet ihrer rechtlichen Einordnung nach dem bürgerlichen Recht - jedenfalls der insolvenzrechtliche Grundsatz, dass Forderungen der Insolvenzmasse, die Gegenleistungen für Leistungen der Masse darstellen, nur in der Weise getilgt werden dürfen, dass die Masse nicht verkürzt wird. Aus § 95 InsO kann die Berechtigung zur Aufrechnung insoweit nicht hergeleitet werden (vgl. Brandes in MünchKomm/InsO, § 96 Rz. 14).
b) Im Streitfall handelt es sich um die Vermietung oder Verpachtung von Immobilien und Räumen. Für diese Fälle wird das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch die Sondervorschrift des § 110 Abs. 3 S. 1 InsO dahin gelockert, dass die Aufrechnung für den Zins, der für die in § 110 Abs. 1 InsO genannten Monate geschuldet wird, nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgeschlossen ist (vgl. Brandes in MünchKomm/InsO, § 96 Rz. 14; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 96 Rz. 29). Unter Berücksichtigung dieses erweiterten Rechts zur Aufrechnung war der Beklagten die Aufrechnung gegen Mietzinsansprüche, die sich auf einen Zeitraum ab dem Folgemonat nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (1.11.1999) bezogen, von vornherein verwehrt.
2. Die Beklagte ist auch zur Erfüllung der bis einschließlich November 1999 fällig gewordenen Mietzinsansprüche sowie zur Zahlung des Kaufpreises für die am 28.6.1999 veräußerten Vermögensgegenstände verpflichtet. Aufrechnung und Verrechnung sind gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam, weil die Beklagte die Aufrechnungs- bzw. Verrechnungsmöglichkeit durch nach § 131 Abs. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlungen erlangt hat.
a) Die Auffassung der Revision, eine Anfechtung scheitere an der nach § 129 Abs. 1 InsO erforderlichen (objektiven) Gläubigerbenachteiligung, trifft nicht zu. Ohne die Möglichkeit der Aufrechnung bzw. Verrechnung hätte die Beklagte auf ihre ungesicherten Forderungen gegen die Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens allenfalls eine Quote des Nennwerts erhalten. Den Mietzins sowie den Kaufpreis für die an sie veräußerten Vermögensgegenstände schuldete sie dagegen in voller Höhe. Wird eine vollwertige Kaufpreisschuld durch Aufrechnung oder - wie hier - Verrechnung mit einem entsprechenden Teil der (minderwertigen) Forderungen eines Insolvenzgläubigers erfüllt, so entgeht der Insolvenzmasse der Unterschied zwischen dem Nennwert ihres Kaufpreisanspruchs und der bloßen Quote auf dessen Gegenforderungen. Entsprechendes gilt für den Mietzinsanspruch. Da auf die übrigen Insolvenzgläubiger dann rechnerisch eine entsprechend verringerte Insolvenzquote entfällt, sind sie insgesamt geschädigt (vgl. BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [238] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486; Urt. v. 9.10.2003 - IX ZR 28/03, BGHReport 2004, 343 = MDR 2004, 353 = ZIP 2003, 2370 [2371 f.]).
b) Demgegenüber meint die Revision, im Streitfall sei von einer umfassenden einheitlichen Rechtshandlung auszugehen, so dass bei der Feststellung der Gläubigerbenachteiligung die Übernahme der weit reichenden zusätzlichen Verpflichtungen durch die Beklagte berücksichtigt werden müsste.
Dieser Ansatz widerspricht dem Wortlaut des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO sowie dem Sinn und Zweck der dort normierten isolierten Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage.
aa) Nach der neueren Rechtsprechung des BGH zur Konkursordnung und zur Gesamtvollstreckungsordnung kann der Verwalter die Wirkungen der Anfechtung auf die Herstellung der Aufrechnungslage beschränken (vgl. BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [236] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486; Urt. v. 22.4.2004 - IX ZR 370/00, MDR 2004, 1079 = BGHReport 2004, 1198 = ZIP 2004, 1160). Die Rückgewähr der Aufrechnungslage besteht, wenn diese - wie auch im Streitfall - durch einen Kaufvertrag geschaffen worden ist, gerade nicht in der Rückabwicklung des Kaufvertrages selbst, sondern im Gegenteil in der Durchsetzung der Kaufpreisforderung unabhängig von einer etwaigen Gegenforderung (vgl. BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [236] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486).
Diese Rechtsfolge gilt erst recht im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung, weil § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Aufrechnung umfassend für unzulässig erklärt, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Den Materialien zur Insolvenzordnung kann entnommen werden, dass die Regelung der Konkursordnung als unvollständig und als zu eng empfunden worden ist und es das erklärte Ziel der Neuregelung war, alle Fälle zu erfassen, in denen die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise herbeigeführt worden ist (vgl. BT-Drucks. 12/2443, 141). Ein Rückschritt hinter den Rechtsprechungsstand zur Konkursordnung kommt angesichts dieser Ausweitung nicht in Betracht. Auch dies hat der Senat bereits entschieden (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.2003 - IX ZR 28/03, BGHReport 2004, 343 = MDR 2004, 353 = ZIP 2003, 2370 [2371]; v. 22.7.2004 - IX ZR 270/03, BGHReport 2005, 52 = MDR 2005, 171 = ZIP 2004, 1912 [1913]).
bb) Die von der Revision geforderte einheitliche Betrachtung sämtlicher Vor- und Nachteile, die dem Insolvenzschuldner im Zusammenhang mit der anfechtbaren Rechtshandlung entstanden sind, ist gerade bei in der Krise getroffenen komplexen Vertragsgeflechten abzulehnen.
(1) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des BGH, dass mehrere Rechtshandlungen selbst dann anfechtungsrechtlich selbständig zu behandeln sind, wenn sie gleichzeitig vorgenommen wurden oder sich wirtschaftlich ergänzen (vgl. BGH, Urt. v. 7.2.2002 - IX ZR 115/99, BGHReport 2002, 524 = MDR 2002, 844 = ZIP 2002, 489 [490]; v. 9.10.2003 - IX ZR 28/03, BGHReport 2004, 343 = MDR 2004, 353 = ZIP 2003, 2370 [2371]). Der Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung ist deshalb isoliert mit Bezug auf die konkret angefochtene Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen. Dabei sind lediglich solche Folgen zu berücksichtigen, die an die anzufechtende Rechtshandlung selbst anknüpfen. Eine Vorteilsausgleichung findet grundsätzlich nicht statt (vgl. Kirchhof in MünchKomm/InsO, § 129 Rz. 175). Dies gilt auch im Anwendungsbereich des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, der ebenfalls auf die Anfechtbarkeit der einzelnen Rechtshandlung abstellt. Hierunter ist zum Schutz der Insolvenzmasse die Herstellung der Aufrechnungslage und nicht der Abschluss des Gesamtgeschäfts zu verstehen. Ist die anfechtbare Rechtshandlung ausschließlich die Herstellung der Aufrechnungslage, nicht jedoch der Vertragsschluss selbst, können auch nur diejenigen Vorteile Berücksichtigung finden, die unmittelbar durch die Herstellung der Aufrechnungslage entstanden sind.
(2) Die von der Revision geforderte Saldierung mit den von der Beklagten ggü. der Schuldnerin eingegangenen "weit reichenden Verpflichtungen" widerspricht der zum Schutz der Insolvenzmasse gebotenen strengen Einzelsicht. Die Revision will offenbar die aus § 613a BGB bei Betriebsübergang folgenden Lasten (Kaufvertrag) und die im öffentlichen Recht wurzelnden Verpflichtungen des Mieters bei Umweltschäden, insb. bei Bodenkontaminierungen (vgl. § 6a des Mietvertrages) in die Beurteilung mit einbeziehen. Dies kommt nicht in Betracht. Der Fall übernommener Nebenpflichten ist von der anfechtungsrechtlichen Wertung her nicht anders zu beurteilen als die bewusste Vereinbarung eines überhöhten Kaufpreises. Hierzu hat der Senat bereits entschieden, dass der Einwand des überhöhten Kaufpreises die objektive Gläubigerbenachteiligung nicht in Frage stellt und der Insolvenzgläubiger sich unter den Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch an einem überhöhten Kaufpreis festhalten lassen muss (vgl. BGH v. 22.7.2004 - IX ZR 270/03, BGHReport 2005, 52 = MDR 2005, 171 = ZIP 2004, 1912 [1914]). Wird die Ausgewogenheit der Vertragspflichten durch die zusätzliche Übernahme von Nebenpflichten durch den Käufer in Frage gestellt, gilt nichts Anderes.
cc) Die Beklagte kann sich schließlich nicht darauf berufen, ohne die Aufrechnungsmöglichkeit hätte sie die streitigen Verträge nicht abgeschlossen, weil das Geschäft für sie nur bei einer insolvenzbeständigen Verrechnungs- bzw. Aufrechnungsmöglichkeit vorteilhaft gewesen sei. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Rechtshandlung i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO und der Gläubigerbenachteiligung ist auf Grund des realen Geschehens zu beurteilen. Bei dem Einwand, ohne die Aufrechnungsmöglichkeit hätte die Beklagte die streitgegenständlichen Verträge nicht abgeschlossen, handelt es sich dagegen um eine hypothetische und deshalb unzulässige Betrachtung (vgl. HK-InsO/Kreft, 3. Aufl., § 129 Rz. 63).
Fundstellen
Haufe-Index 1408559 |
DStR 2005, 1701 |
DStZ 2005, 688 |
BGHR 2005, 1488 |
NJW-RR 2005, 1641 |
EWiR 2006, 21 |
WM 2005, 1712 |
WuB 2005, 883 |
ZIP 2005, 1521 |
DZWir 2006, 31 |
InVo 2005, 486 |
MDR 2006, 53 |
NZI 2005, 553 |
ZInsO 2005, 884 |
ZVI 2005, 431 |
ZVI 2006, 56 |