Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit eines Teilurteils bei objektiver Klagehäufung von Leistungsbegehren und Feststellungsansprüchen.
Zur Zulässigkeit eines Zwischenurteils über den Grund.
Normenkette
ZPO § 301 Abs. 1, § 304 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. |
OLG Karlsruhe |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 19. Zivilsenat in Freiburg – vom 18. März 1999 und das Grundurteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Freiburg vom 30. Dezember 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten als Schadensersatz wegen der Lieferung teilweise fehlerhafter Transistoren zwischen November 1991 und April 1992 Erstattung ihres eigenen Aufwands (Antrag zu 1) und Freistellung von Ansprüchen der Streithelferinnen (Anträge zu 3 und 4); ferner begehrt sie die Feststellung, daß die Beklagte zum Ersatz eines weitergehenden Schadens sowie zur Freistellung von weiteren Ansprüchen der Streithelferinnen verpflichtet ist (Anträge zu 2 und 5).
Die Klägerin fertigte für die Streithelferinnen, die Firmen B. GmbH und N. GmbH, Elektroschaltuhren für Elektroherde. In die Schaltuhren baute sie von der Beklagten hergestellte Transistoren des Types B. ein. Ein Teil der Transistoren war schadhaft, dies führte nach kurzer Betriebsdauer zu vermehrten Ausfällen der Uhren. Beispielsweise schalteten die Uhren von sich aus die Heizleistung der Herde ein.
In dem von der Beklagten verwendeten Datenbuch war angegeben, daß die vom Hersteller durchgeführten Prüfungen eine Eingangskontrolle beim Anwender unnötig machen sollen. Die Ausgangskontrolltests waren unauffällig. Bei einem von sechs neben den Ausgangskontrollen durchgeführten Langzeitversuchen, bei dem das Verhalten der Transistoren bei 85 °C Temperatur und 85 % Luftfeuchtigkeit mit Spannung (85/85-Test) geprüft wird, um eine beschleunigte Alterung der Transistoren zu simulieren, war es hingegen vermehrt zu Ausfällen gekommen. Die Ursache hierfür konnte die Beklagte nicht feststellen. Sie produzierte die Transistoren auf die gleiche Weise weiter; die Klägerin wurde über die Ergebnisse des Langzeittests nicht informiert.
Aufgrund der Reklamationen ihrer Kunden überprüfte die Klägerin die von der Beklagten gelieferten, von ihr in die Elektroschaltuhren eingebauten Transistoren und tauschte diese bei zahlreichen Schaltuhren aus. Die Streithelferinnen haben gegen die Klägerin wegen der ihnen entstandenen und noch entstehenden Umbaukosten an den Uhren und wegen der gegenüber ihren Kunden erbrachten und noch zu erbringenden Garantieleistungen Ersatzansprüche geltend gemacht bzw. deren Geltendmachung angekündigt.
Das Landgericht hat durch ein als „Grundurteil” bezeichnetes Urteil die auf bezifferten Schadensersatz in Höhe von 361.344,51 DM nebst 11 % Zinsen (Antrag zu 1) und auf Freistellung von Ansprüchen der Streithelferinnen in Höhe von 1.595.584,80 DM (Antrag zu 3) und 57.528,00 DM nebst etwaiger Zinsen (Antrag zu 4) gerichteten Begehren dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin und die Streithelferinnen beantragen, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte hafte nach den Grundsätzen einer positiven Vertragsverletzung bzw. eines Verschuldens bei Vertragsschluß wegen vorsätzlicher Verletzung einer Hinweis- oder Aufklärungspflicht, weil sie die Risikogeneigtheit der Transistoren arglistig verschwiegen habe. Die Beklagte treffe eine aus den Lieferverträgen folgende Verpflichtung, die Klägerin auf die schlechten Testergebnisse der Transistoren bei den 85/85-Tests hinzuweisen, weil der Käufer, der nach der vertraglichen Vereinbarung auf Eingangskontrollen habe verzichten dürfen, auch davon habe ausgehen können, daß er von den Umständen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Transistoren weckten, unterrichtet werden würde. Die Beklagte habe sich nicht damit beruhigen dürfen, daß andere Langzeittests problemlos verlaufen seien, vielmehr hätten die Ergebnisse des 85/85-Tests Anlaß zu der Befürchtung geben müssen, daß es auch zu erhöhten Ausfällen der Transistoren im täglichen Gebrauch kommen könne. Die Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Beklagte sei für die Schäden der Klägerin ursächlich gewesen, weil die Klägerin, wäre sie informiert worden, den Bezug der Transistoren eingestellt oder von der Beklagten eine Garantie gefordert hätte. Der Schaden rühre nach seiner Art und Entstehungsweise auch aus dem Bereich der Gefahren her, zu deren Abwendung die verletzte Pflicht bestimmt gewesen sei. Die Übernahme der bei den Streithelferinnen angefallenen Nachbesserungskosten durch die Klägerin stelle angesichts der Gefahr des Verlustes der Geschäftsbeziehungen eine wirtschaftlich angemessene und vernünftige Reaktion dar.
II.
Die angefochtene Entscheidung kann wegen der von der Revision erhobenen Verfahrensrügen keinen Bestand haben.
1. Das Berufungsurteil unterliegt der Aufhebung und Zurückverweisung, weil die Rüge der Revision durchgreift, das vom Landgericht erlassene und vom Berufungsgericht bestätigte Grundurteil sei prozessual unzulässig gewesen.
a) Das Landgericht hat nicht ein Grundurteil hinsichtlich aller Anträge erlassen, sondern nur über den Zahlungsanspruch (Antrag zu 1) und die Leistungsbegehren auf Freistellung (Anträge zu 3 und 4) dem Grunde nach befunden. Eine Entscheidung über die Feststellungsanträge (Anträge zu 2 und 5) wurde nicht getroffen. Das ergibt sich eindeutig aus dem Tenor, der insoweit ausdrücklich nur auf die im Tatbestand aufgeführten, jedenfalls zum Teil bezifferten, Leistungsbegehren verweist, und aus den Entscheidungsgründen, in denen auf die Feststellungsanträge nicht eingegangen, vielmehr die Frage der Erforderlichkeit der Nachbesserung dem Verfahren zur Höhe vorbehalten wird. Hiervon abgesehen hätte über die unbezifferten Feststellungsanträge durch Grundurteil nicht entschieden werden können (BGH, Urteile vom 27. Januar 2000 – IX ZR 45/98, WM 2000, 966 unter I 1 b; vom 14. Oktober 1993 – III ZR 157/92, NJW-RR 1994, 313 unter III; vom 22. Januar 1993 – V ZR 165/91, WM 1993, 801 = NJW 1993, 1641 unter 3). Es handelt sich bei dem landgerichtlichen Urteil mithin nicht um ein reines Grundurteil, sondern um ein Grund- und Teilurteil.
b) Ein solches Teilurteil ist zwar grundsätzlich möglich. Es ist jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unzulässig, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht (BGHZ 107, 236, 242 m.w.Nachw.). So aber ist es hier.
Über die bei dem Zahlungsanspruch und den Freistellungsansprüchen (zum Freistellungsanspruch als Schadensersatzanspruch im Wege der Naturalrestitution vgl. z.B. BGHZ 57, 78, 81; BGH, Urteile vom 11. Juni 1986 – VIII ZR 153/85, WM 1986, 1115 unter II 2; vom 29. April 1992 – VIII ZR 77/91, WM 1992, 1074 = NJW 1992, 2221 unter 3; vom 10. Dezember 1992 – IX ZR 54/92, WM 1993, 703 = VersR 1993, 446 unter III 4) geprüften Fragen ist bei den Feststellungsanträgen hinsichtlich der Erstattungspflicht allen weiteren Schadens noch einmal zu befinden. Es besteht daher die Gefahr, daß das Gericht, möglicherweise auch das Rechtsmittelgericht, bei der späteren Entscheidung über diese Feststellungsanträge zu einer anderen Erkenntnis gelangt. Aus diesem Grunde darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Falle der objektiven Klagehäufung von Leistungsbegehren und Feststellungsansprüchen, die aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet werden, nicht durch Teilurteil gesondert über einen oder nur einen Teil der Ansprüche entschieden werden (BGH, Urteile vom 27. Mai 1992 – IV ZR 42/91, VersR 1992, 1087 = MDR 1992, 1038 unter I 2; vom 4. Februar 1997 – VI ZR 69/96, NJW 1997, 1709 unter II; vom 13. Mai 1997 – VI ZR 181/96, WM 1997, 1710 = NJW 1997, 3447 unter II 1; zu einem Teilurteil bei Klage und Widerklage vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2000 – XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512 unter I; vgl. die Neufassung des § 301 Abs. 1 ZPO durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30. März 2000, BGBl I, 330).
Aus dem von der Revisionserwiderung herangezogenen Urteil des Senats vom 31. Januar 1990 – VIII ZR 314/88 (WM 1990, 684 unter II, insoweit nur unvollständig in BGHZ 110, 196, 199 abgedruckt) ergibt sich schon deswegen nichts anderes, weil die Zulässigkeit des dort vom Berufungsgericht erlassenen Teilurteils in der Revisionsinstanz anders als im gegebenen Fall nicht gerügt worden war (vgl. dazu BGHZ 16, 71, 74; 18, 107, 108; BGH, Beschluß vom 22. März 1991 – V ZR 16/90, BGHR ZPO § 301 Abs. 1 Zurückverweisung 1).
c) Daß die Unzulässigkeit des landgerichtlichen Teilurteils in der Berufungsinstanz nicht geltend gemacht worden ist, steht der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht entgegen. Das Berufungsgericht hatte das Teilurteil des Landgerichts auf prozessuale und sachlich-rechtliche Fehler nachzuprüfen und den vorliegenden wesentlichen Verfahrensmangel von Amts wegen zu berücksichtigen (§§ 539, 540 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1995 – VIII ZR 269/94, WM 1996, 511 = NJW 1996, 395 unter II 1 c).
2. Soweit das Oberlandesgericht, dem Landgericht folgend, das Leistungsbegehren der Klägerin auf Freistellung „von einem Schadensersatzanspruch in Höhe von 57.582,00 DM nebst etwaiger Zinsen, den die Firma N. (die Streithelferin zu 2) hat”, dem Grunde nach bejaht hat, leidet die Entscheidung der Vorinstanzen bezüglich des Zinsanspruchs an weiteren, auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu berücksichtigenden (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1993 – III ZR 157/92, NJW-RR 1994, 319 unter III; Musielak/Ball, ZPO, 2. Aufl., § 559 Rdnr. 11), prozessualen Mängeln.
a) Das Zwischenurteil über den Grund, betreffend die Freistellung von der Verbindlichkeit „über etwaige Zinsen”, ist unzulässig.
Nach § 304 Abs. 1 ZPO kann nur bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch vorab über den Grund entschieden werden. Der Erlaß eines Grundurteils über einen unbezifferten Antrag ist daher unzulässig. Das gilt auch für einen Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit, die ihrerseits nicht Gegenstand eines Grundurteils sein kann (BGHZ 132, 320, 327; BGH, Urteil vom 30. Januar 1987 – V ZR 7/86, NJW-RR 1987, 756; BGH, Urteil vom 12. Juni 1975 – III ZR 34/73, NJW 1975, 1968 = MDR 1975, 1007 unter I 2 a). So aber ist es hier. Die Klägerin begehrt mit diesem Antrag hinsichtlich der Zinsen die Freistellung von einer der Höhe nach unbestimmten Verpflichtung.
b) Darüber hinaus hätte ein Sachurteil über die Freistellung von der „etwaigen” Zinsverbindlichkeit nicht ergehen dürfen, weil die Klage insoweit unzulässig ist. Freistellung bedeutet eine Handlung, durch die der in Anspruch Genommene (die Beklagte) eine Schuld des Antragstellers (der Klägerin) zum Erlöschen bringt. Dementsprechend muß der Antrag auf Verurteilung zur Freistellung die Forderung so genau bezeichnen, daß der Beklagte notfalls im Wege der Zwangsvollstreckung (§ 887 ZPO; BGHZ 25, 1, 7) zur Befriedigung des Drittgläubigers angehalten werden kann (BGHZ 79, 76, 77 f). Vorliegend fehlt es hinsichtlich der Zinsverbindlichkeit an einem bestimmten Klageantrag, weil kein Anhalt für den Umfang dieser Verbindlichkeit besteht, von der die Beklagte die Klägerin durch Erfüllung freistellen soll (§§ 253 Abs. 2 Nr. 2, 308 Abs. 1 Satz 2 ZPO); es mangelt mithin an der vollstreckungsfähigen Kennzeichnung dieses Teils des Anspruchs. Weiter steht nicht fest, daß der Anspruchsteller insoweit tatsächlich mit der Verbindlichkeit beschwert ist, was ein auf Freistellung gerichteter Schadensersatzanspruch wegen der Belastung mit einer Verbindlichkeit gleichfalls voraussetzt (BGH, Urteil vom 30. November 1989 – IX ZR 249/88, WM 1990, 262 unter II 1 b cc). Denn es bleibt offen, ob überhaupt und gegebenenfalls inwieweit der Zinsanspruch der Streithelferin zu 2 begründet ist (BGH, Urteil vom 20. November 1990 – VI ZR 6/90, NJW 1991, 634 = JZ 1991, 719 unter A m.w.Nachw.). Ausweislich ihres Klageantrags will die Klägerin lediglich erreichen, daß die Beklagte auch für gegen sie gerichtete Zinsansprüche einzustehen hat, falls und soweit sich ein solcher der Streithelferin zu 2 als berechtigt erweisen sollte. Dies hätte sie zulässigerweise nur im Wege eines Feststellungsantrags erreichen können (BGH aaO).
3. Unberechtigt sind hingegen die weiteren Rügen der Revision zur Zulässigkeit des vom Berufungsgerichts erlassenen Grundurteils.
Ein Zwischenurteil über den Grund (§ 304 ZPO) eines Anspruchs auf Freistellung von einer den Anspruchsteller belastenden bestimmten Verbindlichkeit ist auch dann zulässig, wenn dieser an seinen Gläubiger zum Teil gezahlt hat. Zwar wird der Beklagten, soweit die Klägerin an die Streithelferinnen Leistungen erbracht hat, die Erfüllung ihrer Freistellungsverbindlichkeit unmöglich (§ 275 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1993 – IVa ZR 116/81, NJW 1983, 1729 unter 2 a; BGH, Urteil vom 26. Februar 1991 – XI ZR 331/89, WM 1991, 1001 = NJW 1991, 2014 unter II 1). Im Prozeß aber kann über ein zulässigerweise geltend gemachtes Freistellungsbegehren durch Grundurteil entschieden werden, wenn zumindest wahrscheinlich ist, daß der Klageanspruch auf Freistellung noch in irgendeiner Höhe besteht (BGH, Urteil vom 16. Januar 1991 – VIII ZR 14/90, WM 1991, 695 = NJW-RR 1991, 599 unter II 1; vgl. auch BGHZ 18, 107, 109; 53, 17, 23; 97, 97, 109). So verhält es sich hier. Die Klägerin hat lediglich Abschlagszahlungen auf die angeblichen Forderungen der Streithelferinnen geleistet, etwas anderes, nämlich vollständige Zahlung, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2000 – II ZR 155/98, WM 2000, 670 unter II 2) nicht vorgetragen. Es ist daher zumindest wahrscheinlich, daß sich im Verfahren über die Höhe der Ansprüche trotz der erfolgten Leistungen der Klägerin jeweils ein Betrag zu ihren Gunsten ergibt.
III.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben, weil es wegen der aufgezeigten prozessualen Mängel keinen Bestand haben kann (§ 564 Abs. 1 ZPO). Der Senat macht von der auch dem Revisionsgericht offenstehenden Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit wegen der Mängel des landgerichtlichen Verfahrens (§ 539 ZPO) unter Aufhebung des Teilurteils an das Landgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 1992 – V ZR 253/90, WM 1992, 970 unter IV). Für die weitere Verhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß gegen das Berufungsurteil, das die Verurteilung der Beklagten auf die Grundsätze einer positiven Vertragsverletzung bzw. eines Verschuldens bei Vertragsschluß wegen vorsätzlicher Verletzung einer Hinweis- oder Aufklärungspflicht mit der Begründung stützt, die Beklagte habe die Risikogeneigtheit der Transistoren arglistig verschwiegen, aufgrund der bisherigen Feststellungen rechtliche Bedenken nicht bestehen dürften.
1. Eine Haftung der Beklagten aus dem Gesichtspunkt eines Verschuldens bei Vertragsschluß wegen vorsätzlicher Verletzung ihrer Hinweispflichten ist, auch wenn sich diese – was das Berufungsgericht verneint hat – auf die Beschaffenheit der Kaufgegenstände beziehen sollten, durch die Vorschriften der §§ 459 ff BGB nicht ausgeschlossen (BGH Urteil vom 10. Juli 1987, V ZR 236/85, NJW-RR 1988, 10 unter II 2; BGH, Urteil vom 23. März 1990 – V ZR 16/89, WM 1990, 1210 unter II 2 a).
2. Rechtsfehlerfrei dürfte ferner die Annahme des Berufungsgerichts sein, die Beklagte als Verkäuferin treffe eine aus den Lieferverträgen mit der Klägerin folgende Verpflichtung, diese auf die schlechten Testergebnisse der Transistoren bei 85 °C Temperatur und 85 % Luftfeuchtigkeit (85/85-Tests) hinzuweisen, weil der Käufer, der nach der vertraglichen Vereinbarung auf Eingangskontrollen habe verzichten dürfen, auch davon habe ausgehen können, daß er von den Umständen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Transistoren weckten, unterrichtet werden würde. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Danach besteht zwar grundsätzlich keine Pflicht des Verkäufers, den Käufer über alle für ihn erheblichen Umstände aufzuklären; entscheidend ist vielmehr, ob eine solche Aufklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung im Einzelfall erwartet werden darf. Dies gilt auch für die Umstände, die die beabsichtigte Verwendung der Kaufsache betreffen, und zwar insbesondere dann, wenn ein bestimmtes Vertrauen des Käufers geweckt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 – VIII ZR 192/94, NJW-RR 1996, 429 unter II 2 m.w.Nachw.; vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Oktober 1987 – V ZR 170/86, NJW-RR 1988, 394 unter 2).
a) Daß die Zuverlässigkeit der Transistoren im täglichen Gebrauch für die Klägerin ein erheblicher Umstand war, da hierdurch die Verwendung des Kaufgegenstandes zum Einbau in Schaltuhren für Elektroherde und deren anschließende Weiterveräußerung betroffen ist, nimmt die Revision hin. Ihre Rügen gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 286 ZPO), daß bei einem Funktionsausfall der Transistoren durch Kurzschlüsse erhebliche Gefahren drohten, daß der 85/85-Test, bei welchem das bei normaler Lebensdauer eines Transistors zu erwartende Verhalten simuliert wird, dazu dienen sollte, Gefahrenmomente aufzuspüren – mithin die Zuverlässigkeit der Transistoren sicherzustellen, um Ausfälle im täglichen Gebrauch (im Feld) zu vermeiden –, und daß bei diesen Tests über einen längeren Zeitraum hinweg schlechte Resultate bis hin zu „hagelschlagartigen” Ausfällen aufgetreten seien, dürften nicht durchgreifen. Dasselbe gilt für die Einwände der Revision gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Beklagte habe sich nicht damit beruhigen dürfen, daß andere Langzeittests, insbesondere der als „härter” geltende sogenannte Pressure-Cooker-Test problemlos verlaufen seien, vielmehr hätten die Ergebnisse des 85/85-Tests Anlaß zu der Befürchtung geben müssen, daß es auch zu erhöhten Ausfällen „im Feld” kommen könne.
Ferner ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts nicht von der Hand zu weisen, dem Umstand, daß der 85/85-Test, der nach dem eigenen Vortrag der Beklagten von ihr als Langzeittest bereits vor dem Jahre 1989 durchgeführt worden sei, nicht „obligatorisch” sei bzw. gewesen sei, könne eine entscheidende Bedeutung für das Bestehen einer Hinweis- oder Aufklärungspflicht nicht beigemessen werden. Die Beklagte führte im Rahmen ihrer Qualitätssicherung im Fabrikationsbereich diesen Versuch durch, um das während der normalen Lebensdauer eines Transistors zu erwartende Verhalten zu simulieren und mittels des Tests Gefahrenquellen aufzuspüren. Wenn Testergebnisse ein erhebliches objektives Zuverlässigkeitsrisiko offenbaren, das im Fall seiner Verwirklichung mit einem erheblichen Schadensrisiko einhergehen kann, ist der Einwand ausgeschlossen, daß eine Verpflichtung zur Verschaffung dieser, nunmehr tatsächlich vorhandenen Kenntnis nicht bestanden hatte (vgl. zur Produktbeobachtungspflicht Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, 4. Aufl., S. 56).
b) Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe gegenüber der Klägerin ein besonderes Vertrauen erweckt, weil sie aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung über die Endkontrolle durch die Beklagte auch davon habe ausgehen dürfen, daß bei unerklärlichen Umständen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Transistoren wecken könnten, eine entsprechende Unterrichtung durch die Beklagte erfolgen würde, dürfte ebensowenig zu beanstanden sein wie die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen.
3. Die Rüge, die die Revision gegen die vom Berufungsgericht angenommene Arglist mit der Begründung erhebt, für die maßgeblichen Mitarbeiter der Beklagten hätten die Auffälligkeiten in diesem Test nicht bedeutet, daß die Transistoren für den „Feldeinsatz” ungeeignet gewesen seien, ist gleichfalls nicht erfolgversprechend. Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, daß bei einer Täuschung durch Verschweigen eines hinweispflichtigen Umstandes derjenige arglistig handelt, der dessen Vorhandensein mindestens für möglich hält und weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, daß der Vertragsgegner diesen Umstand nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (st.Rspr., vgl. BGHZ 117, 363, 368; BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – VIII ZR 89/95, NJW 1996, 1465 unter III 1, jew. m.w.Nachw.). Damit werden auch solche Verhaltensweisen erfaßt, bei denen es an einer betrügerischen Absicht fehlt, die vielmehr auf bedingten Vorsatz – im Sinne eines (bloßen) „Fürmöglichhaltens” und „Inkaufnehmens” – reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muß (BGHZ 117, 363, 368; 109, 327, 333). Von diesem rechtlichen Ansatz her ist die Wertung des Berufungsgerichts naheliegend, die Beklagte habe sich mit ihrem Verhalten der Erkenntnis verschlossen, daß die Unzuverlässigkeit der Transistoren im Test zu Risiken im praktischen Einsatz führen könne, und sie habe deshalb den aufklärungspflichtigen Umstand arglistig verschwiegen.
4. Die Revision greift auch die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts an, die Klägerin habe Schäden erlitten, für die die Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Beklagte ursächlich gewesen sei, weil sie, die Klägerin, wäre sie informiert worden, den Bezug der Transistoren eingestellt oder von der Beklagten eine Garantie gefordert hätte. Die Revision ist der Auffassung, das Berufungsurteil lasse Feststellungen dazu vermissen, daß und wie die Klägerin ihren Bedarf an Transistoren anderweitig hätte decken können. Das Berufungsgericht dürfte indessen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezüglich der Ursächlichkeit von Verstößen gegen Beratungs- oder Aufklärungspflichten für den geltend gemachten Schaden (BGHZ 124, 151 sowie BGHZ 123, 311, jew. m.w.Nachw.) rechtsfehlerfrei angewandt haben. Auch der der Klägerin nach ihrer Behauptung entstandene Schaden rührt nach seiner Art und Entstehungsweise aus dem Bereich der Gefahren her, zu deren Abwendung die verletzte Pflicht bestimmt war. Da die Nichtoffenbarung aufklärungspflichtiger Umstände den Käufer daran hindert, eine von Fehlvorstellungen unbeeinflußte Entscheidung zu treffen, besteht ein innerer Zusammenhang des eingetretenen Schadens mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage, nicht nur eine bloß zufällige äußere Verbindung (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1994 – II ZR 126/93, NJW 1995, 126 unter II 4).
Ob sämtliche von der Klägerin geltend gemachten Einzelpositionen ersatzfähig sind, hat das Berufungsgericht im gegebenen Verfahrensstadium zu Recht offengelassen. Soweit das Berufungsgericht eine Verletzung der Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) seitens der Klägerin verneint hat, hat es die ihm obliegenden tatrichterlichen Aufgaben wahrgenommen, so daß nur Rechtsfehler bei der Abwägung beanstandet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1993 – VI ZR 75/92, NJW-RR 1993, 480 unter II 3 m.w.Nachw.).
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 04.10.2000 durch Mayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556346 |
NJW 2001, 155 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 106 |
MDR 2001, 105 |