Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit eines formularmäßigen Aufrechnungsausschlusses gegen den Honoraranspruch im Architektenvertrag
Leitsatz (amtlich)
Die von einem Architekten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Architektenvertrages verwandte Klausel "Eine Aufrechnung gegen den Honoraranspruch ist nur mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung zulässig" ist gem. § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.
Normenkette
AGBG § 9 Abs. 1 Bf
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 09.11.2007; Aktenzeichen 9 U 102/06) |
LG Magdeburg (Entscheidung vom 28.06.2006; Aktenzeichen 4 O 3223/98) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Naumburg vom 9.11.2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung restlichen Architektenhonorars aus eigenem und abgetretenem Recht seines Vaters in Anspruch. Im April 1996 schlossen er und sein Vater einerseits und die Beklagten andererseits einen "Einheits-Architektenvertrag für Gebäude" betreffend den Neubau eines Einfamilienhauses. Gegenstand des Vertrages sind die Leistungsphasen 2 bis 9 gem. § 15 Abs. 2 HOAI a.F. Die dem Architektenvertrag beigefügten "Allgemeine(n) Vertragsbestimmungen zum Einheits-Architektenvertrag (AVA)" lauten in § 4 Nr. 4.5:
"Eine Aufrechnung gegen den Honoraranspruch ist nur mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung zulässig."
Rz. 2
Nachdem die Beklagten auf die dritte Abschlagsrechnung keine Zahlungen erbracht hatten, kündigten der Kläger und sein Vater mit Schreiben vom 23.12.1998 den Architektenvertrag.
Rz. 3
Die Beklagten rechnen gegenüber der Honorarforderung mit Schadensersatzansprüchen wegen mangelhafter Planung und Bauüberwachung auf. Diese Mängel der Architektenleistung hätten zu Schallschutzmängeln, Rissbildungen und Feuchtigkeit im Kellerbereich geführt.
Rz. 4
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 65.824,33 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat einen Honoraranspruch i.H.v. 59.286,85 EUR für begründet erachtet, gegen den die Beklagten allerdings mit diesen Betrag übersteigenden Schadenersatzansprüchen wirksam aufgerechnet hätten. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 59.286,85 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision möchten die Beklagten die Zurückweisung der Berufung erreichen.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 6
Auf das Rechtsverhältnis der Parteien sind die bis 31.12.2001 geltenden Rechtsvorschriften anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat die Aufrechnung der Beklagten mit Schadensersatzansprüchen gegen die rechnerisch unstreitige Resthonorarforderung des Klägers i.H.v. 59.286,85 EUR für unzulässig erachtet. Ihr stehe das Aufrechnungsverbot in § 4 Nr. 4.5 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu dem vorgenannten Architektenvertrag entgegen. Diese Klausel sei wirksam. Sie sei weder intransparent noch benachteilige sie die Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie verstoße auch nicht gegen § 11 Nr. 3 AGBG oder § 11 Nr. 2b AGBG. Soweit nach der Entscheidung des BGH vom 23.6.2005 (VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274) Aufrechnungsverbote dann nicht zur Geltung kommen könnten, wenn sie den Auftraggeber zwängen, eine mangelhafte oder unfertige Leistung in vollem Umfang zu vergüten, obwohl ihm Gegenansprüche in Höhe der Mängelbeseitigungs- oder Fertigstellungskosten zustünden, läge diese Situation nicht vor. Es stehe gerade nicht fest, dass den Beklagten die zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzansprüche zustünden, weil diese Ansprüche weder unstreitig seien noch Entscheidungsreife bestehe.
Rz. 8
Der Rechtsstreit sei im Übrigen, was die Honorarforderung des Klägers angehe, entscheidungsreif. Frühere Einwendungen hätten die Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LG am 5.2.2004 fallen gelassen und damit, wie das LG zutreffend ausgeführt habe, den geltend gemachten Honoraranspruch unstreitig gestellt.
II.
Rz. 9
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 10
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, dass das Berufungsgericht den Rechtsstreit für entscheidungsreif gehalten hat, soweit es um die Honorarforderung des Klägers ging. Denn die Begründetheit der Klageforderung (vorbehaltlich der Frage ihres Erlöschens durch Aufrechnung) stand durch die Entscheidung des LG bereits rechtskräftig fest.
Rz. 11
Ein Urteil, das das ursprüngliche Bestehen der Klageforderung und der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung bejaht, enthält insoweit zwei prozessual selbständige Elemente des Streitstoffs. Dementsprechend kann die Überwälzung des Streitstoffs in die Rechtsmittelinstanz (Devolution) auf jedes der beiden Elemente beschränkt werden. Die Devolution eines solchen abtrennbaren Teils des Streitstoffs setzt die Einlegung eines Rechtsmittels (oder eines Anschlussrechtsmittels) durch die beschwerte Partei voraus. Anderenfalls verbleibt dieser Teil des Streitstoffs in der Vorinstanz, wird rechtskräftig und gelangt nicht in die nächste Instanz (BGH, Urt. v. 3.11.1989 - V ZR 143/87, BGHZ 109, 179, 189).
Rz. 12
Die Beklagten haben ausweislich des Berufungsurteils gegen die landgerichtliche Entscheidung keine Anschlussberufung eingelegt; dies wird auch von der Revision nicht geltend gemacht. Eine Aberkennung der Klageforderung unabhängig von den zur Aufrechnung gestellten Forderungen kommt daher nicht in Betracht.
Rz. 13
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, eine Aufrechnung gegen den Honoraranspruch des Klägers sei durch § 4 Nr. 4.5 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Einheits-Architektenvertrag ausgeschlossen.
Rz. 14
a) Zu Recht ist das Berufungsgericht noch davon ausgegangen, dass etwaige Schadensersatzansprüche der Beklagten nur im Wege der Aufrechnung geltend gemacht werden können; eine Verrechnung mit der Werklohnforderung des Klägers findet nicht statt. Die Verrechnung ist kein gesetzlich vorgesehenes Rechtsinstitut in den Fällen, in denen sich nach der Gesetzeslage Werklohn und Anspruch wegen Nichterfüllung oder andere Ansprüche wegen Schlechterfüllung des Vertrages aufrechenbar gegenüber stehen. In diesen Fällen sind die vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen zur Aufrechnung anwendbar (BGH, Urt. v. 23.6.2005 - VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274, 278). Diese vom BGH bereits für einen Werkvertrag unter Vereinbarung der VOB/B entschiedenen Grundsätze finden ebenso auf einen Architektenvertrag Anwendung, der als Werkvertrag zu qualifizieren ist.
Rz. 15
b) Rechtsfehlerhaft bejaht das Berufungsgericht dagegen die Wirksamkeit von § 4 Nr. 4.5 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen. Diese Bestimmung ist entgegen einer vielfach in der Rechtsprechung der OLG vertretenen Auffassung (OLG Hamm, BauR 2004, 1643, 1645 m.w.N.) gem. § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam. Denn sie benachteiligt den Vertragspartner des verwendenden Architekten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Rz. 16
aa) Eine solche Benachteiligung liegt vor, wenn der Besteller durch das Verbot der Aufrechnung in einem Abrechnungsverhältnis eines Werkvertrages gezwungen würde, eine mangelhafte oder unfertige Leistung in vollem Umfang zu vergüten, obwohl ihm Gegenansprüche in Höhe der Mängelbeseitigungs- oder Fertigstellungskosten zustehen (vgl. BGH, Urt. v. 23.6.2005 - VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274, 279; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2008, 665; H.-D. Hensen in Ulmer/Brander/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 309 Nr. 3 BGB Rz. 7 m.w.N.; Kessen, BauR 2005, 1691, 1693 ff.). Denn hierdurch würde in das durch den Vertrag geschaffene Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung in für den Besteller unzumutbarer Weise eingegriffen.
Rz. 17
Die synallagmatische Verknüpfung der Werklohnforderung mit der Forderung auf mangelfreie Erfüllung des Vertrages findet zunächst ihren Ausdruck in einem Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers im Falle einer mangelhaften oder nicht fertig gestellten Leistung, § 320 Abs. 1 BGB. Der Besteller kann sich im Prozess mit dem Leistungsverweigerungsrecht verteidigen mit der Folge, dass die Werklohnforderung ganz oder teilweise nicht durchsetzbar ist. Dies kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ausgeschlossen werden (§ 11 Nr. 2a AGBG, § 309 Nr. 2a BGB). Es wäre ein nicht hinnehmbares Ergebnis, wenn eine aus dem Leistungsverweigerungsrecht erwachsene auf Zahlung gerichtete Gegenforderung dazu führen würde, dass der Werklohn nunmehr durchsetzbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.11.2005 - VII ZR 304/04, BGHZ 165, 134, 137).
Rz. 18
Aus diesen Gründen hat der BGH bereits entschieden, dass ein Vorbehaltsurteil grundsätzlich nicht erlassen werden darf, wenn damit eine Werklohnforderung zugesprochen wird und zur Aufrechnung gestellte Ansprüche auf Zahlung der Mängelbeseitigungskosten oder der Fertigstellungsmehrkosten dem Nachverfahren vorbehalten werden. Dies würde nämlich zu einer vorübergehenden Aussetzung der Wirkung einer materiell-rechtlich begründeten Aufrechnung führen und hätte zur Folge, dass der Kläger einen Titel über eine Forderung erhält, die tatsächlich infolge der Aufrechnung nicht besteht. Diese Wirkung ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt, wenn der Besteller gegenüber einer Werklohnforderung mit Ansprüchen aufrechnet, die dazu dienen, das durch den Vertrag geschaffene Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung herzustellen (BGH, Urt. v. 24.11.2005 - VII ZR 304/04, BGHZ 165, 134; BGH, Urt. v. 27.9.2007 - VII ZR 80/05, BauR 2007, 2052 = NZBau 2008, 55 = ZfBR 2008, 39).
Rz. 19
Ein Aufrechnungsverbot führt in noch stärkerer Weise als ein Vorbehaltsurteil zu einer Auflösung der synallagmatischen Verbundenheit der genannten gegenseitigen Forderungen. Diese Wirkung wäre anders als bei einem Vorbehaltsurteil nicht nur vorübergehend, sondern sogar endgültig. Deshalb gilt hier erst recht, dass dies in den genannten Fällen nicht gerechtfertigt ist und den Besteller deshalb unangemessen benachteiligt.
Rz. 20
bb) Auch in einem Architektenvertrag können dem Besteller wegen Mängeln der Leistung des Architekten Ansprüche auf Schadensersatz zustehen, die darin bestehen, die Kosten zur Beseitigung der Mängel des Architektenwerkes (etwa die Überarbeitung einer fehlerhaften Planung) oder die Fertigstellungsmehrkosten (etwa die notwendige Beauftragung eines weiteren Architekten mit denselben Leistungen) erstattet zu bekommen. Durch § 4 Nr. 4.5 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen wird die Aufrechnung mit jeder Forderung für unzulässig erklärt, es sei denn, sie ist unbestritten oder rechtskräftig festgestellt. Damit umfasst das Aufrechnungsverbot auch derartige in einem engen synallagmatischen Verhältnis zur Werklohnforderung stehende Ersatzansprüche wegen Mängelbeseitigungskosten und Fertigstellungsmehrkosten. Die Klausel führt daher aus den dargelegten Gründen zu einer unangemessenen Benachteiligung des Bestellers.
Rz. 21
Es kann dahinstehen, ob der Ausschluss der Möglichkeit der Aufrechnung mit Ansprüchen, die nicht auf die Fertigstellungsmehrkosten oder die Mängelbeseitigungskosten des Architektenwerkes gerichtet sind, zulässig wäre. Denn jedenfalls umfasst die Klausel alle Gegenansprüche unterschiedslos. Sie kann nicht hinsichtlich des Ausschlusses der Aufrechnung von unbedenklichen Gegenforderungen aufrechterhalten werden (vgl. Kessen, BauR 2005, 1691, 1695 f.). Dies ist wegen des für Allgemeine Geschäftsbedingungen allgemein zu beachtenden Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion (st.Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 8.12.2010 - VIII ZR 86/10, NJW 2011, 597 Rz. 16) unmöglich. Somit fehlt es in jedem Fall an einem wirksam vereinbarten Ausschluss der Aufrechnung auch insoweit, als es um solche Schadensersatzansprüche geht, wie sie hier von den Beklagten geltend gemacht werden.
Rz. 22
cc) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, eine unangemessene Benachteiligung könne allenfalls angenommen werden, wenn die Gegenansprüche entscheidungsreif feststünden. Das trifft nicht zu. Vielmehr ist es dem Besteller in jedem Fall, in dem ihm die Gegenansprüche tatsächlich zustehen, unzumutbar, zunächst die volle Werklohnforderung zahlen zu müssen und auf die gesonderte Geltendmachung seiner Ansprüche verwiesen zu werden.
III.
Rz. 23
Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden. Das Berufungsgericht hat die zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche nicht abschließend geprüft. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2679550 |
NJW 2011, 1729 |
NJW 2011, 8 |
BauR 2011, 1185 |
EBE/BGH 2011 |
IBR 2011, 340 |
ZAP 2011, 610 |
ZMR 2011, 541 |
ZMR 2011, 620 |
MDR 2011, 652 |
VersR 2011, 1396 |
ZfBR 2011, 472 |
BauSV 2011, 85 |
GWR 2011, 446 |
GuT 2013, 133 |
NJW-Spezial 2011, 301 |
NZBau 2011, 428 |
NZBau 2011, 6 |
RdW 2011, 371 |
ZGS 2011, 265 |
BBB 2011, 61 |
HRN 2011, 176 |