Leitsatz (amtlich)
a) Die in einen Bauvertrag einbezogenen Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) sind nicht gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam.
b) Die von einem Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) sind nicht gem. § 307 Abs. 1, 2 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers unwirksam.
c) Eine Vereinbarung, nach der die Auftragnehmerin eines Bauvertrags zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft i.H.v. zehn Prozent der Auftragssumme verpflichtet ist, weicht nicht vom gesetzlichen Leitbild des § 632a Abs. 3 Satz 1 BGB ab.
Normenkette
VOB/B (2009) § 8 Abs. 2; InsO §§ 103, 119; BGB § 307 Abs. 1, § 632a Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 16.3.2015 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Wiesbaden vom 7.2.2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft i.H.v. 166.000 EUR.
Rz. 2
Die Klägerin beauftragte die B. GmbH im Jahre 2011 unter Einbeziehung der VOB/B (2009) mit der Errichtung eines Geschäftshauses in L. gegen Zahlung einer Pauschalvergütung i.H.v. 1.660.000 EUR. Die von der Klägerin gestellten Vertragsbedingungen enthalten u.a. die folgenden Bestimmungen:
"III. Sicherheitsleistungen Der Generalunternehmer stellt eine Vertragserfüllungsbürgschaft zu 10 % der Auftragssumme. Die Vertragserfüllungsbürgschaft muss bis zur Auszahlung der 1. Abschlagsrechnung dem AG vorgelegt werden. Die Bürgschaft muss unbedingt, unbefristet und selbstschuldnerisch sein. Eine Rückgabe erfolgt im Austausch mit der Gewährleistungsbürgschaft (s. Ziffer V c)."
Rz. 3
Zur Sicherung der Erfüllungsansprüche der Klägerin gegen die B. GmbH verbürgte sich die Beklagte bis zur Höhe eines Betrages von 166.000 EUR.
Rz. 4
Im April 2012 beantragte die B. GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, woraufhin die Klägerin den Vertrag mit der B. GmbH unter Bezugnahme auf die vertraglichen Vereinbarungen und auf § 8 VOB/B (2009) aus wichtigem Grund kündigte. Die B. GmbH stellte daraufhin die Arbeiten ein. Die Klägerin beauftragte Drittunternehmer mit der Fertigstellung des Gebäudes. Über das Vermögen der B. GmbH wurde am 12.6.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Rz. 5
Wegen der Fertigstellungsmehrkosten, die die Klägerin auf 382.744,02 EUR beziffert, nimmt sie die Beklagte aus der Bürgschaft in Anspruch. Das LG, dessen Urteil in BauR 2014, 1321 veröffentlicht ist, hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in BauR 2015, 1332 = NZBau 2015, 292 abgedruckt ist, ist der Auffassung, der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Anspruch aus der Bürgschaft zu, da es an einer durch die Bürgschaft gesicherten Hauptforderung fehle. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die B. GmbH aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) bestehe nicht, weil diese von der Klägerin gestellte Klausel nach § 119 InsO unwirksam sei.
Rz. 8
Nach der Entscheidung des BGH v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348, seien Lösungsklauseln in Verträgen über fortlaufende Lieferung von Waren und Energie, die an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpften, nach § 119 InsO unwirksam, weil sie im Voraus das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausschlössen. Insolvenzabhängige Lösungsklauseln seien nach dieser Entscheidung nur dann unbedenklich, wenn sie einer gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entsprächen.
Rz. 9
Diese Erwägungen seien auf den Bauvertrag mit der Konsequenz zu übertragen, dass die insolvenzabhängige Lösungsklausel des § 8 Abs. 2 VOB/B (2009) unwirksam sei. Eine vergleichbare Lösungsmöglichkeit kenne das Gesetz nicht. Insbesondere das freie Kündigungsrecht des Bestellers nach § 649 Satz 1 BGB sei mit dem durch § 8 Abs. 2 VOB/B (2009) eingeräumten Sonderkündigungsrecht in Bezug auf die Rechtsfolgen nicht vergleichbar. § 8 Abs. 2 VOB/B (2009) lasse anders als § 649 BGB nicht nur die Werklohnforderung des Unternehmers entfallen, sondern begründe im Gegenteil einen Schadensersatzanspruch, der in den von der Regelung erfassten Fällen von Gesetzes wegen nicht ohne Weiteres bestehe.
Rz. 10
Die Zielsetzungen des § 103 InsO, die Masse zu schützen und im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zu mehren, würden durch die Kündigung eines für die Masse wirtschaftlich vorteilhaften Bauvertrags vereitelt. Denn dem Insolvenzverwalter werde durch das Sonderkündigungsrecht die Möglichkeit genommen, sich für die Ausführung der ausstehenden Bauleistungen zu entscheiden und auf dieser Grundlage den vollen Werklohn zu vereinnahmen.
Rz. 11
Zwar drohten dem Auftraggeber und dritten Beteiligten durch die Insolvenz des Auftragnehmers erhebliche Schäden, insb. durch einen längeren Baustillstand bis zur Klärung der Frage, ob der Insolvenzverwalter Erfüllung wähle. Der Gesetzgeber habe jedoch in §§ 103, 119 InsO eine grundsätzliche Abwägung dahin vorgenommen, dass er dem Auftraggeber und Dritten die mit der Wartezeit verbundenen Nachteile im Interesse der Ermöglichung von Betriebsfortführungen und der besseren Befriedigung der Gläubigergesamtheit zumute. An diese Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers seien die Gerichte gebunden.
II.
Rz. 12
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Unwirksamkeit des § 8 Abs. 2 VOB/B (2009) sind von Rechtsfehlern beeinflusst.
Rz. 13
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) ist nicht gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam.
Rz. 14
1. Gemäß § 103 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter bei gegenseitigen Verträgen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil noch nicht vollständig erfüllt sind, ein Wahlrecht, ob er die Erfüllung der wechselseitigen Vertragspflichten verlangt oder ablehnt. § 119 InsO schützt dieses Wahlrecht, indem danach Vereinbarungen unwirksam sind, durch die die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird. Von dem Verbot des § 119 InsO können auch Klauseln erfasst sein, die dem Gläubiger für den Fall der Zahlungseinstellung, des Insolvenzantrags oder der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners das Recht einräumen, sich vom Vertrag zu lösen (insolvenzabhängige Lösungsklauseln), da derartige Klauseln das Wahlrecht des Insolvenzverwalters zumindest mittelbar beeinträchtigen (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 Rz. 13).
Rz. 15
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) enthält eine insolvenzabhängige Lösungsklausel. Danach kann der Auftraggeber den Bauvertrag kündigen, wenn der Auftragnehmer die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat. An eine solche Kündigung knüpft § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) besondere, in § 649 BGB nicht vorgesehene Rechtsfolgen. Es sind nur die bereits ausgeführten Leistungen zu vergüten. Der Auftragnehmer kann also für die nicht erbrachten Leistungen nicht die vereinbarte Vergütung abzgl. desjenigen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, verlangen. Zudem steht dem Auftraggeber hinsichtlich der nicht erbrachten Leistungen ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu.
Rz. 16
2. Unter Geltung der Konkursordnung, die eine § 119 InsO entsprechende Regelung nicht enthielt, hatte der Senat entschieden, dass das Kündigungsrecht nach § 8 Nr. 2 VOB/B und die damit verbundenen Rechtsfolgen mit dem Konkursrecht vereinbar sind und die Regelung nicht wegen Verstoßes gegen das aus dem Wahlrecht des Konkursverwalters gem. § 17 KO ableitbare gesetzliche Verbot unwirksam ist. Zur Begründung hatte der Senat ausgeführt, der Konkursverwalter müsse den Vertrag in dem rechtlichen Bestand hinnehmen, in dem er sich im Zeitpunkt der Konkurseröffnung befinde. Ferner seien die persönlichen Eigenschaften des Auftragnehmers (Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit) gerade im Bauvertrag für den Auftraggeber von so großer Bedeutung, dass ihm schon deshalb eine Fortsetzung des Vertrags mit dem Konkursverwalter entgegen seinem Willen nicht zugemutet werden könne (BGH, Urt. v. 26.9.1985 - VII ZR 19/85, BGHZ 96, 34, 36 f., juris Rz. 13 f.).
Rz. 17
3. Der Gesetzgeber wollte bei Einführung der Insolvenzordnung die Frage, ob § 8 Abs. 2 VOB/B im Hinblick auf seine Rechtsfolgen gegen §§ 103, 119 InsO verstößt, nicht regeln, sondern diese Entscheidung der Rechtsprechung vorbehalten. In der Begründung zu § 137 des Regierungsentwurfs wird insoweit ausgeführt:
"Wie der BGH klargestellt hat (BGHZ 96, 34 zur insoweit gleichlautenden Fassung von 1973), liegt die Bedeutung dieser Bestimmung nicht in der Festlegung eines Kündigungsrechts des Auftraggebers für den Insolvenzfall; denn schon nach § 649 BGB kann der Besteller den Werkvertrag jederzeit kündigen. § 8 Nr. 2 VOB/B hat vielmehr den Zweck, die Rechtsfolgen einer Kündigung des Auftraggebers im Insolvenzfall abweichend von der Gesetzeslage zu regeln, insb. dem Auftraggeber in diesem Fall einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung einzuräumen. Die Frage, ob diese Regelung der Rechtsfolgen einer Kündigung wirksam ist, wird durch die neue Vorschrift der Insolvenzordnung nicht entschieden; die Beantwortung dieser Frage kann weiter der Rechtsprechung überlassen bleiben." (BT-Drucks. 12/2443, 152 f.).
Rz. 18
4. Auf dieser Grundlage werden in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum zu der Frage, ob § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009), insb. aufgrund der mit der Kündigung verbundenen Rechtsfolgen aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009), wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen der §§ 103, 119 InsO unwirksam ist, unterschiedliche Ansichten vertreten.
Rz. 19
a) Vielfach wird angenommen, § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) schließe das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO aus und sei daher wegen Verstoßes gegen § 119 InsO unwirksam (Ingenstau/Korbion/Schmitz, VOB Teile A und B, 19. Aufl., § 8 Abs. 2 VOB/B Rz. 3 ff.; Kapellmann/Messerschmidt/Lederer, VOB Teile A und B, 5. Aufl., § 8 VOB/B Rz. 74; Kniffka/Schmitz, Bauvertragsrecht, 2. Aufl., § 649 Rz. 177; Leinemann/Franz, VOB/B, 5. Aufl., § 8 Rz. 99 ff.; Kroth in Braun, InsO, 6. Aufl., § 119 Rz. 13; KPB/Tintelnot, InsO, Stand: Juli 2015, § 119 Rz. 15 ff.; Pape/Uhländer/Bezani, NWB-Kommentar zum Insolvenzrecht, 2013, § 119 Rz. 15; Flöther/Wehner in A/G/R, InsO, 2. Aufl., § 119 Rz. 2; Balthasar in Nerlich/Römermann, InsO, 28. EL, § 119 Rz. 16; FK-InsO/Wegener, 8. Aufl., § 119 Rz. 3 ff.; Schmitz, Die Abwicklung des Bauvertrags in der Insolvenz, ibr-online, Stand: 7.6.2015 Rz. 45 ff.; ders., IBR 2013, 278; ders., BauR 2013, 772 ff.; Hain, jurisPR-InsR 10/2015, Anmerkung 2; Lau, EWiR 2015, 287, 288; Böhner, FD-InsR 2013, 342731; von Kiedrowski, BauR 2013, 1325, 1327 f.; Wittler/Kupczyk, NJW 2013, 1854, 1856; Wegener, ZInsO 2013, 1105, 1106 f.; Koenen, BauR 2011, 352 ff.; Baldringer, NZBau 2005, 183, 184 ff.; Bopp, Der Bauvertrag in der Insolvenz, 2009, S. 197 ff.; Prütting in FS für Horn, 2011, S. 509, 519 f.; wohl auch Franke, BauR 2007, 774, 775 ff.; vgl. auch Voit in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 2. Aufl., § 8 VOB/B Rz. 5 f., der die Unwirksamkeit auf den Schadensersatzanspruch beschränkt; Jaeger/Jacoby, Insolvenzordnung, Band 3, 2014, § 119 Rz. 38, der die Unwirksamkeit auf § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B beschränkt; ebenso: Hinger, Die Bauunternehmerinsolvenz, 2010, S. 201 f., 227 ff.; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 516 ff.; zweifelnd auch: Kniffka in Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl., 7. Teil Rz. 33; Dahl in Runkel/Schmidt, Insolvenzrecht, 3. Aufl., § 8 Rz. 323 ff.; Smid, Handbuch Insolvenzrecht, 6. Aufl., § 10 Rz. 14).
Rz. 20
Zur Begründung wird angeführt, der Auftragsbestand des Unternehmens sei Grundlage für eine Sanierung. Das Kündigungsrecht aus § 8 Abs. 2 VOB/B (2009) und die damit verbundenen Rechtsfolgen würden jede Unternehmensfortführung im Kern ersticken und Sanierungschancen für insolvente Bauunternehmen zunichtemachen. Die Insolvenzordnung stelle die Gläubigergesamtheit über die Vertragsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Der Auftraggeber sei hinreichend geschützt: Im Stadium des Insolvenzeröffnungsverfahrens stünden ihm Leistungsstörungsrechte zur Seite. Ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe er es jederzeit in der Hand, den Insolvenzverwalter zur Ausübung seines Wahlrechts aufzufordern und so einen Schwebezustand zu vermeiden. Wähle der Insolvenzverwalter die Erfüllung, so sehe sich der Auftraggeber ab diesem Zeitpunkt dem Insolvenzverwalter als Vertragspartner gegenüber, so dass der Vertrag für und gegen die Masse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt werde. Letztlich sei auch nicht erkennbar, warum es gerade dem Auftraggeber eines Bauvorhabens unzumutbar sein sollte, am Vertrag festgehalten zu werden, wohingegen alle anderen Vertragspartner des Insolvenzschuldners bei Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters gehalten seien, den Vertrag fortzusetzen.
Rz. 21
b) Nach der Gegenansicht in der Literatur und nach der überwiegenden Instanzrechtsprechung verstoßen die Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 und § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) nicht gegen §§ 103, 119 InsO (OLG Koblenz, NZI 2014, 807, 808 f., juris Rz. 23; OLG Celle, NZBau 2014, 696, 699 f., juris Rz. 47 f.; OLG Schleswig, NJW 2012, 1967, 1968, juris Rz. 35 ff.; OLG Bamberg, Urt. v. 12.4.2010 - 4 U 48/09, juris Rz. 12; OLG Brandenburg, Urt. v. 16.12.2009 - 4 U 44/09, juris Rz. 39; OLG Düsseldorf, BauR 2006, 1908, 1912 f., juris Rz. 40 ff.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.7.2002 - 14 U 207/00, juris Rz. 20; LG Lübeck, BeckRS 2012, 09917; LG Hannover, BeckRS 2013, 02183; LG Würzburg, Urt. v. 12.2.2009 - 12 O 558/08, juris Rz. 46 ff.; BeckOK VOB/B/Vogel, Stand: 1.7.2015, § 8 Abs. 2 Rz. 8, 36; Kuffer in Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 13. Aufl., § 8 VOB/B Rz. 47; Herig, VOB Teile A, B, C, 5. Aufl., § 8 VOB/B Rz. 72; Beck'scher VOB/B-Kommentar/Wellensiek, 3. Aufl., § 8 Abs. 2 Rz. 24 ff., der jedoch § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B als Rechtsgrundverweisung auf §§ 280 ff. BGB ansieht; MünchKomm/InsO/Huber, 3. Aufl., § 119 Rz. 39 ff.; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 14. Aufl., § 119 Rz. 15 f.; Andres in Andres/Leithaus, InsO, 3. Aufl., § 119 Rz. 3; Schmidt/Ringstmeier, InsO, 18. Aufl., § 119 Rz. 11 ff.; Jacoby, ZIP 2014, 649, 653 ff.; Karge, BauR 2016, 420 ff.; Matthies, jurisPR-PrivBauR 7/2015, Anmerkung 5; Riewe, NZI 2014, 809, 810 f.; Schmidt, NJW-Spezial 2013, 492, 493; Wilmowsky, JZ 2013, 998, 1001; Fischer, jurisPR-PrivBauR 5/2012, Anmerkung 5; Asam, IBR 2011, 87; Linnenbrink, NJW-Spezial 2008, 181 f.; Fritsche/Kilian, DZWiR 2008, 45 f.; Fritsche, DZWiR 2007, 446, 449 ff.; vgl. auch jeweils nur zu § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B: Vallender/Undritz/Werres, Praxis des Insolvenzrechts, 2012, Kap. 6 Rz. 14; Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 119 Rz. 13b, 13d; ders., NZI 2014, 49, 50 ff.; Scharfenberg, IBR 2014, 661; Peters, BauR 2014, 1218, 1219; Wellensiek/Scharfenberg, DZWiR 2013, 317, 322 f.; Matthies, BauR 2012, 1005, 1008; wohl auch: Schwenker, ibr-online 2014, 1058; Rodemann, IBR 2014, 662; Braegelmann, KSI 2013, 259, 261 f.; Illies, IBR 2013, 396; Zarth, GWR 2013, 72; offen lassend: Löffler, BB 2013, 1283, 1285).
Rz. 22
Diese Auffassung wird u.a. damit begründet, dass das Werkvertragsrecht mit § 649 BGB bereits ein jederzeitiges Kündigungsrecht des Auftraggebers vorsehe und das vertragliche Lösungsrecht des Auftraggebers gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) mit der Rechtsfolgeregelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) der besonderen Interessenlage der am Bau Beteiligten entspreche.
Rz. 23
5. Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
Rz. 24
Sowohl das in § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) vereinbarte Kündigungsrecht für den Fall des Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers (im Folgenden unter b) als auch die in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) vereinbarten Rechtsfolgen dieses Kündigungsrechts (im Folgenden unter c) sind trotz der Zielsetzung der Insolvenzordnung unter Berücksichtigung der besonderen Interessenlage der an einem Bauvertrag Beteiligten mit §§ 103, 119 InsO zu vereinbaren.
Rz. 25
a) Vorrangiges Ziel der Insolvenzordnung ist die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Als Mittel zur Erreichung dieses Ziels sieht § 1 InsO neben der Liquidation gleichrangig die Sanierung des Unternehmens und dessen Fortführung als Mittel der Massemehrung vor. Zu diesem Zweck eröffnen die §§ 103, 105 InsO dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, die Erfüllung laufender, gegenseitiger Verträge zu wählen und damit das Unternehmen wirtschaftlich fortzuführen. Dieser Zweck könnte vereitelt werden, wenn sich der Vertragspartner des Schuldners allein wegen der Insolvenz von einem für die Masse günstigen Vertrag lösen und dadurch das Wahlrecht des Insolvenzverwalters unterlaufen kann. Eine Beeinträchtigung des Wahlrechts ist mit einer vertraglichen Lösungsklausel jedoch dann nicht verbunden, wenn diese sich eng an eine gesetzliche Lösungsmöglichkeit anlehnt (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2006 - IX ZR 194/05, BGHZ 170, 206 Rz. 11; Urt. v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 Rz. 13). Das ist bei § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) der Fall. Diese Regelungen entsprechen in aus Rechtssicherheit gebotener typisierender Weise gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten.
Rz. 26
b) Vor diesem Hintergrund verstößt die Kündigungsregelung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) isoliert betrachtet nicht gegen §§ 103, 119 InsO. Sie geht bereits nicht weiter als die gesetzliche Kündigungsmöglichkeit nach § 649 Satz 1 BGB (vgl. Beck'scher VOB/B-Kommentar/Wellensiek, 3. Aufl., § 8 Rz. 32 f.), wonach der Auftraggeber jederzeit berechtigt ist, den Werkvertrag zu kündigen. § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) hat daher nur deklaratorische Bedeutung.
Rz. 27
Dieses Ergebnis steht in Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Die Vorschrift § 137 des Regierungsentwurfs, dessen Abs. 1 dem heutigen § 119 InsO entspricht, enthielt in Abs. 2 eine Regelung, nach der Vereinbarungen, die für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Auflösung eines gegenseitigen Vertrags vorsehen oder der anderen Partei das Recht geben, sich einseitig vom Vertrag zu lösen, unwirksam sind. Ferner sollten für den Fall einer Vermögensverschlechterung des Schuldners vereinbarte Lösungsrechte nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ausgeübt werden können. In der Begründung zu § 137 Abs. 2 des Regierungsentwurfs, der letztlich nicht in § 119 InsO übernommen wurde, weil der Rechtsausschuss eine sanierungsfeindliche Wirkung der Vorschrift befürchtete, wird ausgeführt, die neue Vorschrift solle nicht die Wirksamkeit der Kündigungsmöglichkeit nach § 8 Nr. 2 VOB/B berühren (BT-Drucks. 12/2443, 152 f.; vgl. Begründung zum EGInsO zu § 14 VVG a.F., BT-Drucks. 12/7303, 114 f.; vgl. zum gesamten Gesetzgebungsverfahren: Wöllner, Die Wirksamkeit vertraglicher Lösungsklauseln im Insolvenzfall, 2009, S. 100 ff.; Wortberg, Lösungsklauseln und Insolvenz, 2003, S. 73 ff.; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 36 ff.).
Rz. 28
c) Nichts anderes ergibt sich bei einer Gesamtbetrachtung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) mit den sich aus der Kündigung wegen eines Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers ergebenden Rechtsfolgen gem. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009).
Rz. 29
aa) §§ 103, 119 InsO tangieren, soweit der Vertragspartner des Schuldners betroffen ist, den Schutzbereich der Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, und die aus Art. 2 Abs. 1 GG resultierende Vertragsfreiheit zugunsten des Schutzes des Eigentums der Insolvenzgläubiger.
Rz. 30
Eigentum i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind alle vermögenswerten subjektiven (Privat-)Rechte, die ihrem Inhaber von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf, mithin also auch die obligatorischen Rechte (vgl. BVerfGE 83, 201, 208 f., juris Rz. 36; BVerfGE 89, 1, 6, juris Rz. 20; Maunz/Dürig/Papier, GG, Stand: September 2015, Art. 14 Rz. 201; jeweils m.w.N.). Grundrechtlich geschützt ist durch Art. 2 Abs. 1 GG ferner das Recht der Vertragsparteien, ihren Vertrag im Rahmen der Rechtsordnung frei zu gestalten. Geschützt ist demnach nicht nur der werkvertragliche Erfüllungsanspruch des Auftraggebers, d.h. der Anspruch auf vertragsgemäße Ausführung des Bauvorhabens mit dem gewählten Vertragspartner. Geschützt ist vielmehr auch der Anspruch des Auftraggebers, im Fall des Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers von diesem auf das Erfüllungsinteresse gerichteten Schadensersatz zu erlangen (Näheres dazu vgl. unten II. 5. c aa (2) mit III. 1. c cc) und damit einhergehend bei Lösung von dem Bauvertrag keinem Vergütungsanspruch nach § 649 Satz 2 BGB ausgesetzt zu sein.
Rz. 31
Andererseits unterfällt das Recht der Insolvenzgläubiger auf Realisierung ihrer Forderungen (§ 1 Satz 1 InsO) ebenfalls der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Insolvenzverfahren ist Teil des Zwangsvollstreckungsrechts. Es zielt damit unmittelbar auf den Schutz und die Durchsetzung verfassungsrechtlich geschützter privater Interessen. Nach § 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Forderungen der Gläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen, indem Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insb. zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Vorrangiger Zweck des Insolvenzverfahrens ist damit unter Berücksichtigung der Lage des Schuldners die bestmögliche Befriedigung der Forderungen der Gläubiger, die auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung als private vermögenswerte Rechte von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind (BVerfGE 116, 1, 13, juris Rz. 34). Deshalb unterliegt es grundsätzlich keinen Bedenken, dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht des § 103 InsO einzuräumen und abweichende Vereinbarungen im Rahmen von § 119 InsO für unwirksam zu erklären.
Rz. 32
Die damit einhergehende Beschränkung der Rechte des Vertragspartners des Schuldners ist zur Erreichung des mit dem Insolvenzverfahren verbundenen Ziels aber nicht gerechtfertigt, wenn seine grundrechtlich geschützten Interessen die Interessen der Insolvenzgläubiger an einer möglichen Vertragsfortführung erheblich überwiegen und ihm ein Festhalten am Vertrag ohne Anspruch auf Schadensersatz unzumutbar ist. Davon ist zugunsten des Auftraggebers eines Bauvertrags regelmäßig auszugehen.
Rz. 33
Im Unterschied zu anderen Gläubigern, insb. Warenlieferanten, hat der Auftraggeber eines Bauvertrags regelmäßig ein schwerwiegendes, die Interessen der Insolvenzgläubiger an einer Fortführung des Bauvertrags erheblich überwiegendes Interesse daran, sich im Falle des Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers frühzeitig vom Vertrag lösen zu können und den ihm durch die anderweitige Vergabe der Restarbeiten etwa entstehenden Schaden geltend zu machen, ohne gem. § 649 Satz 2 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter zur Zahlung einer Vergütung für nicht erbrachte Leistungen verpflichtet zu sein. Das beruht auf nachfolgenden Erwägungen:
Rz. 34
(1) Es ist dem Auftraggeber im Fall des Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers regelmäßig nicht zuzumuten, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die sich anschließende Entscheidung des Insolvenzverwalters zur Fortführung des Bauvertrags abzuwarten (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.7.2002 - 14 U 207/00, juris Rz. 20; Kuffer in Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 13. Aufl., § 8 VOB/B Rz. 47; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 14. Aufl., § 119 Rz. 15a). Zwar hat der Insolvenzverwalter auf Aufforderung des Auftraggebers unverzüglich zu erklären, ob er die Erfüllung des Vertrags verlangen will, § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO. Dies gilt jedoch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine dem vorläufigen Insolvenzverwalter gegenüber erklärte Aufforderung zur Wahlrechtsausübung bleibt wirkungslos (BGH, Urt. v. 8.11.2007 - IX ZR 53/04, NJW-RR 2008, 560 Rz. 8 ff.). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss der Auftraggeber daher zunächst abwarten. Hinzu kommt, dass sich der Insolvenzverwalter nach der Aufforderung durch den Auftraggeber nur unverzüglich, nicht jedoch sofort erklären muss. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 Abs. 1 BGB. Dem Insolvenzverwalter steht eine nach den Umständen angemessene Überlegungszeit zur Verfügung. Angemessen ist diejenige Zeitspanne, die im Einzelfall objektiv benötigt wird, um Klarheit über die Maßstäbe zur Wahlrechtsausübung und deren Bewertung zu erlangen (vgl. OLGReport Köln 2003, 66, 67, juris Rz. 7; MünchKomm/InsO/Huber, 3. Aufl., § 103 Rz. 173). Die Prüfung, ob sich eine Erfüllung des Vertrags für die Masse lohnt, ist regelmäßig komplex. So erschöpft sich die Beurteilung nicht in der bloßen Beantwortung der Frage, ob der für die restliche Bauleistung vom Auftraggeber noch zu zahlende Werklohn den Aufwand für die Werkleistung übersteigt. Zu berücksichtigen sind zusätzlich die Folgen und die Reichweite möglicher Mängelrechte, das Risiko der Übernahme eines etwaigen Vertragsstrafeversprechens und die Übernahme erheblicher Haftungsrisiken durch Verzug oder Mangelfolgeschäden. Der Prozess der Entscheidungsfindung nimmt deshalb - noch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens - erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch. Während dieser Zeit können sowohl dem Auftraggeber selbst als auch sämtlichen am Bau Beteiligten durch den daraus regelmäßig folgenden Baustillstand erhebliche Schäden entstehen, die durch eine frühzeitige Vertragsbeendigung geringer gehalten werden können (vgl. Beck'scher VOB/B-Kommentar/Wellensiek, 3. Aufl., § 8 Abs. 2 Rz. 61 ff.; Wellensiek/Scharfenberg, DZWiR 2013, 317, 321 f.; Huber, NZI 2014, 49, 52; Fritsche/Kilian, DZWiR 2008, 45, 47).
Rz. 35
(2) Dem Auftraggeber ist es häufig auch in persönlicher Hinsicht nicht zuzumuten, den Vertrag gegen seinen Willen mit dem Auftragnehmer, der einen Eigeninsolvenzantrag gestellt hat, oder mit dem Insolvenzverwalter fortzusetzen. Bei einem Bauvertrag sind die persönlichen Eigenschaften des Auftragnehmers (Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit) für den Auftraggeber von wesentlicher Bedeutung. Der Abschluss eines Bauvertrags erfolgt deshalb regelmäßig unter Inanspruchnahme besonderen Vertrauens.
Rz. 36
Dieses Vertrauen zerstört der Schuldner, der einen Eigeninsolvenzantrag stellt. Aus Sicht des Auftraggebers bringt der Auftragnehmer mit seinem Eigeninsolvenzantrag zum Ausdruck, dass ihm die finanziellen Mittel zur vertragsgemäßen Erfüllung des Bauvertrags fehlen. Daran ändert nichts, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Vertragsfortsetzungsverlangen durch den Insolvenzverwalter dieser an die Stelle des Insolvenzschuldners tritt.
Rz. 37
Der Insolvenzverwalter kann das für die Erfüllung des Bauvertrags erforderliche Vertrauen nicht in gleicher Weise für sich in Anspruch nehmen wie der Schuldner vor der Eigeninsolvenzantragstellung. Er wird zur Fortführung des Bauvorhabens regelmäßig auf die Mitwirkung Dritter (z.B. von Materiallieferanten, Nachunternehmern und Banken) angewiesen sein, die sich häufig in Folge eigener Forderungsausfälle nicht zur Weiterarbeit bereitfinden. Aus Sicht des Auftraggebers steht daher zu befürchten, dass die weiteren Arbeiten durch den Insolvenzschuldner oder den Insolvenzverwalter nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1985 - VII ZR 19/85, BGHZ 96, 34, 38, juris Rz. 20; Kuffer in Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 13. Aufl., § 8 VOB/B Rz. 47; Karge, BauR 2016, 420, 423 f.; Matthies, jurisPR-PrivBauR 7/2015 Anm. 5; Wellensiek, BauR 2005, 186, 188).
Rz. 38
Für den Fall der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) gilt nichts anderes.
Rz. 39
bb) Die Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) gehen daher regelmäßig nicht weiter als die dem Auftraggeber im Falle eines Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers gesetzlich und aufgrund Richterrechts zustehenden Rechte.
Rz. 40
(1) Verletzt der Auftragnehmer seine Vertragspflichten derart, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört oder die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist, ist der Auftraggeber berechtigt, das Vertragsverhältnis außerordentlich zu kündigen, ohne gem. § 649 Satz 2 BGB verpflichtet zu sein, eine Vergütung für noch nicht erbrachte Leistungen zu zahlen. Dieses Kündigungsrecht ergibt sich nicht unmittelbar aus § 314 BGB, da diese Vorschrift nur auf Dauerschuldverhältnisse anwendbar ist. Es ist jedoch richterrechtlich anerkannt (vgl. BGH, Urt. v. 8.3.2012 - VII ZR 118/10, BauR 2012, 949 Rz. 22 = NZBau 2012, 357; BGH, Urt. v. 20.8.2009 - VII ZR 212/07, BauR 2009, 1736 Rz. 26 = NZBau 2010, 47; BGH, Urt. v. 24.6.2004 - VII ZR 271/01, BauR 2004, 1613, 1615, juris Rz. 24 = NZBau 2004, 612; Urt. v. 23.5.1996 - VII ZR 140/95, BauR 1996, 704, 705, juris Rz. 24; Urt. v. 30.6.1983 - VII ZR 293/82, BauR 1983, 459, 461, juris Rz. 11; OLG Brandenburg, Urt. v. 15.1.2008 - 11 U 98/07, juris Rz. 27) und folgt aus dem Rechtsgedanken des § 314 BGB (vgl. OLG Hamm, NZBau 2015, 480 Rz. 50; OLG Nürnberg, Urt. v. 29.12.2011 - 13 U 967/11, juris Rz. 67; Kniffka/Schmitz, Bauvertragsrecht, 2. Aufl., § 649 Rz. 9 ff.).
Rz. 41
Durch seinen Eigeninsolvenzantrag zerstört der Auftragnehmer in der Regel das für die Fortführung des Bauvertragsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis, weshalb der Auftraggeber berechtigt ist, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen (vgl. auch Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, BR-Drucks. 123/16, 53). Insoweit wird auch auf die Ausführungen unten zu III. 1. c bb verwiesen.
Rz. 42
(2) Zugleich wird dem Auftraggeber regelmäßig auch ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 282 BGB gegen den Auftragnehmer zustehen, da dieser mit seinem Eigeninsolvenzantrag seine aus dem Bauvertrag resultierende Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Auftraggebers verletzt (vgl. hierzu näher unten unter III. 1. c cc).
Rz. 43
d) In diesem auf den Besonderheiten des Bauvertrags beruhenden Ergebnis liegt keine Abweichung vom Urteil des IX. Zivilsenats v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348, in welchem eine Lösungsklausel zugunsten eines Energielieferanten im Fall der Insolvenz des Kunden beurteilt wurde. Die Entscheidung beschränkt sich auf Verträge über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie (vgl. Kayser, ZIP 2013, 1353, 1362; Wellensiek/Scharfenberg, DZWiR 2013, 317, 320; Raeschke-Kessler/Christopeit, WM 2013, 1592, 1594).
III.
Rz. 44
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
Rz. 45
1. Die von der Klägerin gestellten Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) sind nicht gem. § 307 Abs. 1, 2 BGB unwirksam.
Rz. 46
a) Es kann offen bleiben, ob die VOB/B (2009) als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart worden und deshalb eine Prüfung anhand der Vorschriften der §§ 305 ff. BGB nicht eröffnet ist (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2004 - VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346, 348, juris Rz. 10), da § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) weder mit Grundgedanken gesetzlicher Regelungen unvereinbar sind, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (im Folgenden unter c), noch den Auftragnehmer sonst unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB benachteiligen (im Folgenden unter d).
Rz. 47
b) Dahinstehen kann ferner, ob die Vereinbarung anderer in § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B (2009) genannter Kündigungsgründe nach § 307 BGB unwirksam ist, da § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B inhaltlich von den weiteren Regelungen der Klausel trennbar und aus sich heraus verständlich ist (vgl. zur Trennbarkeit BGH, Urt. v. 22.1.2015 - VII ZR 120/14, BauR 2015, 832 Rz. 19 = NZBau 2015, 223; Urt. v. 1.10.2014 - VII ZR 164/12, NZBau 2014, 759 Rz. 28; Urt. v. 12.2.2009 - VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rz. 15; Urt. v. 10.10.1996 - VII ZR 224/95, BauR 1997, 302, 303, juris Rz. 16).
Rz. 48
c) Die Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) weichen nicht von wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes ab, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Rz. 49
aa) Wie bereits unter II. dargelegt, steht das Leitbild der §§ 103, 119 InsO der Wirksamkeit des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) nicht entgegen.
Rz. 50
bb) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 VOB/B (2009), nach dem nur die bereits ausgeführten Leistungen abgerechnet werden können, aufgrund einer Abweichung von § 649 Satz 2 BGB unwirksam ist (bejahend: Leinemann/Franz, VOB/B, 5. Aufl., § 8 Rz. 106; Peters, BauR 2014, 1218, 1221 f.; Schmidt, NJW-Spezial 2013, 492, 493; Koenen, BauR 2011, 352, 360 f.; Hinger, Die Bauunternehmerinsolvenz, 2010, S. 75 f.; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 585 f.; verneinend: OLG Schleswig NJW 2012, 1967, 1968, juris Rz. 46 ff.; BeckOK VOB/B/Vogel, Stand: 1.7.2015, § 8 Abs. 2 Rz. 8, 36; Fritsche/Kilian, DZWiR 2008, 45, 47; Beck'scher VOB/B-Kommentar/Wellensiek, 3. Aufl., § 8 Abs. 2 Rz. 50).
Rz. 51
Die letztgenannte, verneinende Auffassung ist zutreffend.
Rz. 52
Nach § 649 Satz 2 BGB sollen dem Auftragnehmer durch das freie Kündigungsrecht des Auftraggebers keine Nachteile entstehen. Deshalb bestimmt § 649 Satz 2 BGB, dass der Auftragnehmer in diesem Fall Anspruch auf die vereinbarte Vergütung hat und sich nur anrechnen lassen muss, was er infolge der Aufhebung des Vertrags erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Damit schafft das Gesetz einen ausgewogenen Interessenausgleich (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2007 - VII ZR 154/06, BauR 2007, 1724, 1725 = NZBau 2007, 634, juris Rz. 18; Urt. v. 4.10.1984 - VII ZR 65/83, BGHZ 92, 244, 249 f., juris Rz. 23 ff.). Anders stellt sich die Rechtslage indes dar, wenn der Auftraggeber den Bauvertrag aus wichtigem Grund kündigt. In einem solchen Fall entfällt der Vergütungsanspruch des Auftragnehmers aus § 649 Satz 2 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2014 - VII ZR 285/12, BauR 2014, 1771 Rz. 13; Urt. v. 12.2.2003 - X ZR 62/01, BauR 2003, 880, 881, juris Rz. 16; Urt. v. 30.6.1983 - VII ZR 293/82, BauR 1983, 459, 461, juris Rz. 11). Ein wichtiger Grund ist u.a. dann anzunehmen, wenn der Auftragnehmer das für den Bauvertrag als eines auf Kooperation der Vertragspartner angelegten Langzeitvertrags vorauszusetzende Vertrauensverhältnis durch sein schuldhaftes Verhalten derart empfindlich stört, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet und dem Auftraggeber die Vertragsfortsetzung nicht mehr zumutbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.2004 - VII ZR 271/01, BauR 2004, 1613, 1615, juris Rz. 24 = NZBau 2004, 612; Urt. v. 23.5.1996 - VII ZR 140/95, BauR 1996, 704, 705, juris Rz. 24; Urt. v. 30.6.1983 - VII ZR 293/82, BauR 1983, 459, 461, juris Rz. 11; OLG Brandenburg, Urt. v. 15.1.2008 - 11 U 98/07, juris Rz. 27).
Rz. 53
Vor diesem Hintergrund weicht § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 VOB/B (2009) nicht vom gesetzlichen Leitbild des § 649 BGB ab. Die Klausel regelt nicht die Rechtsfolgen eines freien Kündigungsrechts des Auftraggebers, sondern eines solchen aus wichtigem Grund, denn aufgrund des Eigeninsolvenzantrages des Auftragnehmers ist der Auftraggeber regelmäßig berechtigt, den Bauvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen. Durch den Eigeninsolvenzantrag bringt der Auftragnehmer aus Sicht des Auftraggebers zum Ausdruck, eine Gewähr für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung nicht mehr geben zu können. Das für die Fortsetzung des Bauvertrags erforderliche Vertrauensverhältnis wird hierdurch - ungeachtet der Frage, ob der Auftragnehmer seine Arbeiten zu diesem Zeitpunkt bereits eingestellt hat oder weiterhin erbringt - nachhaltig gestört (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1985 - VII ZR 19/85, BGHZ 96, 34, 38, juris Rz. 20, vgl. auch oben unter II. 5. c).
Rz. 54
cc) In Rechtsprechung und Literatur ist ferner umstritten, ob § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) deshalb wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist, weil er einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch regelt.
Rz. 55
Während eine Auffassung § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) als mit den wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes vereinbar ansieht (vgl. OLG Schleswig NJW 2012, 1967, 1968, juris Rz. 47 ff.; BeckOK VOB/B/Vogel, Stand: 1.7.2015, § 8 Abs. 2 Rz. 8, 36; Fritsche/Kilian, DZWiR 2008, 45, 47; differenzierend: Beck'scher VOB/B-Kommentar/Wellensiek, 3. Aufl., § 8 Abs. 2 Rz. 52 ff., der § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B als Rechtsgrundverweisung auf §§ 280 ff. BGB ansieht; differenzierend auch: MünchKomm/InsO/Huber, 3. Aufl., § 119 Rz. 52), wird teilweise angenommen, § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) verstoße gegen den in §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 286 Abs. 4, 311a Abs. 2 Satz 2, 823 ff. BGB zum Ausdruck kommenden wesentlichen Grundgedanken des allgemeinen Haftungsrechts, nach dem ein Schadensersatzanspruch stets ein Verschulden des Schuldners erfordere. Indem § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) lediglich eine Kündigung wegen Insolvenz des Schuldners, nicht hingegen ein Verschulden voraussetze, weiche die Regelung von diesem Grundgedanken ab (vgl. Leinemann/Franz, VOB/B, 5. Aufl., § 8 Rz. 106 f.; Peters, BauR 2014, 1218, 1224; Schmidt, NJW-Spezial 2013, 492, 493; Koenen, BauR 2011, 352, 360 f.; Hinger, Die Bauunternehmerinsolvenz, 2010, S. 76; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 587).
Rz. 56
Die erstgenannte Auffassung ist zutreffend.
Rz. 57
Wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelungen zum Haftungsrecht ist, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz grundsätzlich nur bei schuldhaftem Verhalten des Schuldners besteht.
Rz. 58
§ 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) steht hiermit in Einklang. Die Klausel regelt eine Schadensersatzverpflichtung des Auftragnehmers wegen schuldhafter Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht i.S.d. §§ 280 Abs. 1, 3, 282 BGB. Gemäß § 241 Abs. 2 BGB sind die Bauvertragsparteien als Nebenpflicht aus dem Bauvertrag zur wechselseitigen Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Vertragspartners verpflichtet. Dies umfasst die Verpflichtung der Bauvertragsparteien, das zwischen ihnen erforderliche Vertrauensverhältnis nicht nachhaltig zu stören und die Erreichung des Vertragszwecks nicht zu gefährden (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.1983 - VII ZR 293/82, BauR 1983, 459, 461, juris Rz. 11). Stellt der Auftragnehmer einen Eigeninsolvenzantrag, verletzt er diese Pflicht, da er aus Sicht des Auftraggebers zum Ausdruck bringt, eine Gewähr für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung nicht mehr bieten zu können, wodurch er regelmäßig das Vertrauensverhältnis zu seinem Auftraggeber nachhaltig stört (vgl. dazu oben unter III. 1. c bb).
Rz. 59
Diese Pflichtverletzung hat der Auftragnehmer zu vertreten. Zwar kann der Eigeninsolvenzantrag auf einer gesetzlichen Verpflichtung des Auftragnehmers beruhen, vgl. § 15a InsO, so dass der Vorwurf schuldhaften Verhaltens in diesen Fällen nicht allein an die Antragstellung geknüpft werden kann. Der Auftragnehmer hat jedoch stets auch die Ursache einer solchen Verpflichtung, nämlich seine fehlende Liquidität, i.S.d. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB zu vertreten. Nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, welches § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB ebenso zugrunde liegt wie der Vorgängerregelung des § 279 BGB a.F., hat der Auftragnehmer ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (vgl. BGH, Urt. v. 4.2.2015 - VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 Rz. 18; OLG Schleswig NJW 2012, 1967, 1969, juris Rz. 49; vgl. auch zu § 279 BGB a.F.: BGH, Urt. v. 28.2.1989 - IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92, 102, juris Rz. 24; Urt. v. 25.3.1982 - VII ZR 60/81, BGHZ 83, 293, 300, juris Rz. 22).
Rz. 60
d) § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2, § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) benachteiligt den Auftragnehmer auch im Übrigen nicht unangemessen.
Rz. 61
Ein Verstoß gegen §§ 307 Abs. 1, 308 Nr. 3, 310 Abs. 1 Satz 2 BGB ist - ungeachtet der Frage, ob diese Bestimmungen auf Bauverträge, die auf eine längerfristige Zusammenarbeit angelegt sind, anwendbar sind - nicht gegeben, da die oben unter II. 5. c aa (1) bis (2) dargestellte besondere Interessenlage des Auftraggebers beim Bauvertrag ein sachlicher Grund im Sinne der Vorschrift für das besondere Kündigungsrecht des Auftraggebers ist (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 16.12.2009 - 4 U 44/09, juris Rz. 40; MünchKomm/InsO/Huber, 3. Aufl., § 119 Rz. 50, 47 ff.). Der Kündigungsgrund bezieht sich auf den Insolvenzantrag des Auftragnehmers, mithin auf eine Tatsache, die eine konkrete und ernsthafte Gefährdung seiner Vertragsinteressen begründet (vgl. OLG Schleswig NJW 2012, 1967, 1968, juris Rz. 47 ff.; Beck'scher VOB/B-Kommentar/Wellensiek, 3. Aufl., § 8 Abs. 2 Rz. 34).
Rz. 62
2. Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht die - erstmals mit der Berufung - von der Beklagten erhobene Einrede insolvenzrechtlicher Anfechtbarkeit gem. § 242 BGB, § 146 Abs. 2 InsO, § 768 BGB entgegen.
Rz. 63
Grundsätzlich kann der Insolvenzverwalter, solange das Insolvenzverfahren noch nicht beendet ist, dem Anspruch des Insolvenzgläubigers die Einrede rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (dolo-agit-Einrede) entgegenhalten, sofern dieser seine Forderung gegen den Insolvenzschuldner in anfechtbarer Weise erlangt hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.4.2007 - IX ZR 59/06, NJW 2007, 2325 Rz. 13; Bork/Jacoby, Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts, 2006, Teil 6 Rz. 12 f.).
Rz. 64
Es kann dahinstehen, ob der Bürge, der nach dem Akzessorietätsprinzip nicht weitreichender haften darf als der Hauptschuldner, gem. § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB seiner Verpflichtung aus dem Bürgschaftsvertrag diese Einrede ebenfalls entgegenhalten kann (vgl. zur insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit der Gewährung einer Bürgschaft: BGH, Beschl. v. 20.9.2007 - IX ZR 155/06, juris Rz. 2; allgemein: Ensenbach/Jotzo, KTS 2010, 463, 464 ff.), da die Einbeziehung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) in den Vertrag nicht in anfechtbarer Weise i.S.d. §§ 129 ff. InsO erfolgt ist.
Rz. 65
Nach der Rechtsprechung des BGH ist Anfechtungsgegenstand grundsätzlich nur ein Vertrag in seiner Gesamtheit. Die Anfechtung einzelner Bestimmungen eines Vertrags ist ausgeschlossen. Die Anfechtung des Vertrags als Ganzes kann aber die Wirkung einer Teilanfechtung haben, wenn die anfechtbare Handlung das Schuldnervermögen nur in begrenztem Umfang geschmälert hat und das Rechtsgeschäft insoweit teilbar ist. Teilbar in diesem Sinne ist auch ein allgemein ausgewogener Vertrag, der lediglich und gezielt für den Fall der Insolvenz den späteren Schuldner bzw. dessen Gläubiger benachteiligt. In diesem Fall entfällt für die Rückabwicklung alleine die benachteiligende Klausel. Eine Benachteiligung kommt in einem solchen Fall etwa in Betracht, wenn dem späteren Insolvenzschuldner gezielt für den Fall der Insolvenz Vermögensnachteile auferlegt werden, welche über die gesetzlichen Folgen hinausgehen und auch bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände zur Erreichung des Vertragszwecks nicht geboten sind (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2008 - IX ZB 39/05, NJW-RR 2008, 1274 Rz. 16; Urt. v. 11.11.1993 - IX ZR 257/92, BGHZ 124, 76, 80 f., 84f., juris Rz. 50, 69 ff.; MünchKomm/InsO/Huber, 3. Aufl., § 119 Rz. 53; Jacoby, ZIP 2014, 649, 653 f.).
Rz. 66
An einer solchen Benachteiligung fehlt es hier, da die Einbeziehung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) in den Vertrag dem Insolvenzschuldner - wie bereits oben unter II. 5. c und unter III. 1. c ausgeführt wurde - keine Vermögensnachteile auferlegte, die über die gesetzlichen und richterrechtlich anerkannten Folgen hinausgehen.
Rz. 67
Da im Übrigen eine Unausgewogenheit des Bauvertrags nicht ersichtlich ist, scheidet eine insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit aus.
Rz. 68
3. Dem Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Schadensersatz steht schließlich nicht die Einrede der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede gem. §§ 242, 768 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen.
Rz. 69
a) Die Vereinbarung gem. Nr. III. des Vertrags, nach der die Auftragnehmerin zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft i.H.v. zehn Prozent der Auftragssumme verpflichtet ist, ist nicht gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Rz. 70
Die Regelung weicht nicht vom gesetzlichen Leitbild des § 632a Abs. 3 Satz 1 BGB ab, nach dem dem Besteller, wenn er Verbraucher ist und der Vertrag die Errichtung oder den Umbau eines Hauses oder eines vergleichbaren Bauwerks zum Gegenstand hat, eine Vertragserfüllungssicherheit i.H.v. fünf Prozent zu leisten ist. Dieser Bestimmung kann nicht entnommen werden, dass eine Vertragserfüllungssicherheit, die von einem Verbraucher - und mithin erst recht von einem Unternehmer - verlangt wird, nicht mehr als fünf Prozent betragen darf.
Rz. 71
§ 632a Abs. 3 Satz 1 BGB dient dem Verbraucherschutz. Mit Einführung dieser Vorschrift sollte erstmals ein gesetzlicher Anspruch des Verbrauchers auf Bestellung einer fünfprozentigen Sicherheit normiert werden (BT-Drucks. 16/511, 15). § 632a Abs. 3 Satz 1 BGB ist dispositiv und beinhaltet keine Obergrenze der zulässigen Sicherheitsleistung, sondern regelt den erforderlichen Mindestschutz des Verbrauchers. Die Vereinbarung höherer Vertragserfüllungssicherheiten wird hierdurch nicht ausgeschlossen (vgl. OLG München, BauR 2010, 1230, 1232, juris Rz. 44; Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB Teile A und B, 19. Aufl., § 17 VOB/B Rz. 38; Hain, jurisPR-InsR 10/2015, Anmerkung 2; a.A. Schmitz, Sicherheiten für die Bauvertragsparteien, ibr-online, Stand: 10.8.2015 Rz. 123/1 ff.).
Rz. 72
b) Die Vereinbarung gem. Nr. III. des Vertrags benachteiligt die Auftragnehmerin auch im Übrigen nicht unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB. In der Praxis hat sich für die Vertragserfüllungsbürgschaft eine Größenordnung von zehn Prozent durchgesetzt. Das Vertragserfüllungsrisiko verwirklicht sich insb., wenn der Auftragnehmer vor der Fertigstellung seiner Werkleistung insolvent wird und der Auftraggeber deshalb einen Dritten mit der Vollendung des Bauvorhabens beauftragen muss. Der sich daraus ergebende finanzielle Mehraufwand wird vielfach zehn Prozent der Auftragssumme überschreiten. Die auf diesen Prozentsatz beschränkte Absicherung des Auftraggebers ist daher nicht zu beanstanden (BGH, Urt. v. 20.3.2014 - VII ZR 248/13, BGHZ 200, 326 Rz. 15; Urt. v. 9.12.2010 - VII ZR 7/10, BauR 2011, 677 Rz. 19 = NZBau 2011, 229).
IV.
Rz. 73
Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da nach den vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen die Sache zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO.
Rz. 74
Die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen, da der Klägerin gegen die B. GmbH ein Schadensersatzanspruch aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B i.V.m. § 765 BGB dem Grunde nach zusteht, für dessen Erfüllung die Beklagte sich verbürgt hat.
V.
Rz. 75
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 9397917 |
BGHZ 2017, 1 |
DB 2016, 6 |
NJW 2016, 1945 |
NJW 2016, 8 |
BauR 2016, 1306 |
BauR 2017, 1091 |
DWW 2017, 11 |
EWiR 2016, 373 |
IBR 2016, 342 |
IBR 2016, 346 |
WM 2016, 944 |
WuB 2016, 527 |
ZIP 2016, 37 |
ZfIR 2016, 666 |
DNotZ 2017, 57 |
DZWir 2016, 437 |
JZ 2016, 442 |
MDR 2016, 705 |
NZI 2016, 5 |
NZI 2016, 532 |
ZInsO 2016, 1062 |
ZfBR 2016, 575 |
BauSV 2016, 72 |
BauSV 2016, 73 |
NJW-Spezial 2016, 365 |
NZBau 2016, 422 |
NZBau 2016, 5 |
BBB 2016, 53 |
FMP 2016, 148 |
FSt 2017, 264 |