Leitsatz (amtlich)
Auch wenn davon auszugehen ist, daß der Verbraucher mit „Kloster Pilsner” und „Klosterbrauerei” die für seine Kaufentscheidung nicht unbedeutsame Vorstellung verbindet, das Bier stamme aus einer zu einem Kloster gehörigen Brauerei oder es bestehe jedenfalls ein unmittelbarer Bezug zu einer klösterlichen Brautradition, ist es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, die Verwendung einer solchen unzutreffenden Bezeichnung als irreführend zu untersagen, wenn die Bezeichnung seit über 150 Jahren unbeanstandet benutzt wird und der Absatz des so bezeichneten Bieres auch heute im wesentlichen auf das lokale und regionale Verbreitungsgebiet beschränkt ist, für das ein Besitzstand aufgrund unbeanstandeter Verwendung entstanden ist.
Normenkette
UWG § 3; LMBG § 17 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 15.10.1999) |
LG Stuttgart |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 1999 wird auf Kosten der Klägerinnen zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechtigung der Beklagten, die Bier- und Unternehmensbezeichnungen „Kloster Pilsner”, „Sigel Kloster Pilsner” und „Klosterbrauerei GmbH, Metzingen, Brauort Stuttgart” zu verwenden.
Die Klägerin zu 1 ist die Benediktiner-Abtei St. Bonifaz in München, zu der das im 15. Jahrhundert gegründete Kloster Andechs gehört, das unter dieser Bezeichnung seit jeher Bier herstellt; es vertreibt sein Bier heute bundesweit. Die Klägerin zu 2 ist die Brauereigesellschaft der Benediktiner-Abtei Ettal, die ebenfalls auf eine Jahrhunderte alte Brautradition zurückblickt. Auch sie vertreibt ihr Bier unter der Bezeichnung „Klosterbrauerei Ettal” nunmehr überregional.
Die Beklagte bringt ihr Bier unter den Bezeichnungen „Kloster Pilsner” und „Sigel Kloster Pilsner” überwiegend im Raum Reutlingen, Tübingen, Stuttgart, daneben im übrigen Baden-Württemberg und in geringem Umfang auch im weiteren Bundesgebiet mit Ausnahme Bayerns auf den Markt. Sie wurde 1840 als „Klosterbrauerei” in Pfullingen gegründet, wobei der Bezug zu einem Kloster lediglich darin besteht, daß die (ursprüngliche) Pfullinger Braustätte auf dem neben einer Klosterkirche gelegenen Areal eines bereits in der Reformationszeit aufgegebenen Klarissenklosters lag. 1860 wurde die „Klosterbrauerei” von einem Christian Sigel erworben, der schon 1868 eine „Kloster-Sigel”-Marke schuf. Seit den dreißiger Jahren verwendet die Beklagte in der Werbung und in der Ausstattung der Bierflaschen die Abbildung eines roten Wachssiegels, auf dem ein Mönch mit einem überschäumenden Bierglas zu sehen ist. 1976 wurden die von der Familie Sigel gehaltenen Anteile an der Beklagten von der Schwabenbräu Robert Leicht AG, Stuttgart, erworben. 1980 wurde der Braubetrieb in Pfullingen eingestellt und die Beklagte unter Fortführung der Firma Klosterbrauerei GmbH mit einer Metzinger Brauerei verschmolzen. 1985 wurde auch der Braubetrieb in Metzingen eingestellt. Heute ist die Beklagte eine Tochter der Dinkelacker-Schwabenbräu AG in Stuttgart-Vaihingen. Die Beklagte selbst stellt kein Bier mehr her, sondern läßt es bei ihrer Konzernmutter im Rahmen eines Sudvertrages herstellen. Sie vertreibt ihr Bier, dessen Absatz sie in den letzten zehn Jahren von ca. 10.000 hl auf ca. 70.000 hl steigern konnte, unter den beanstandeten Bezeichnungen, unter anderem mit einem Etikett, auf dem die Bezeichnung „Kloster Pilsner” hervorgehoben ist und das die Abbildung eines Mönchs mit Bierglas zeigt. Ferner heißt es dort:
Klosterbrauerei GmbH, |
Metzingen, |
Brauort Stuttgart |
Dieses Etikett ist nachfolgend in schwarzweiß wiedergegeben:
In der Vergangenheit sind die von der Beklagten verwendeten Bezeichnungen unbeanstandet geblieben.
Die Klägerinnen machen geltend, die Beklagte verstoße mit der Verwendung des Etiketts und des Begriffs „Kloster” in Produkt- und Unternehmenskennzeichen gegen das Irreführungsverbot. Beim Publikum werde der Eindruck erweckt, als ob das Bier in einem Kloster oder von Mönchen oder doch jedenfalls am Ort eines früheren Klosters in dessen Brautradition gebraut werde. Der winzige Hinweis auf den Brauort Stuttgart sei nicht geeignet, diese Fehlvorstellung zu korrigieren. Die Klägerinnen seien nicht früher gegen die Beklagte vorgegangen, weil sie erst infolge der Ausdehnung ihres Absatzgebietes das Auftreten der Beklagten am Markt wahrgenommen hätten. Im übrigen könne sich aus der vorsätzlichen Verletzung wettbewerbsrechtlicher Regeln kein schützenswerter Besitzstand ergeben. Es gehe nicht allein um Individualinteressen der Klägerinnen als Wettbewerber, sondern auch um das Interesse der Allgemeinheit an einer Unterbindung irreführender Werbung.
Die Klägerinnen haben beantragt,
I. die Beklagte zu verurteilen,
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
- Bier unter den Bezeichnungen „Kloster Pilsner” und/oder „Sigel Kloster Pilsner” anzubieten, zu bewerben oder zu vertreiben, insbesondere in (der oben wiedergegebenen) Aufmachung;
- sich für ihren auf die Herstellung und den Vertrieb von Bier gerichteten Geschäftsbetrieb der Bezeichnung „Klosterbrauerei GmbH, Metzingen, Brauort Stuttgart” zu bedienen;
- in die Löschung des Bestandteils „Klosterbrauerei” ihrer beim Handelsregister … eingetragenen Firma einzuwilligen und diese Löschung herbeizuführen;
den Klägerinnen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über Handlungen gemäß Ziffer I.1. unter Angabe von
- Liefermengen und Lieferzeiten,
- erzieltem Gewinn,
- erzieltem Umsatz und zugehörigen Abnehmern,
- Art, Zeitraum und Umfang der betriebenen Werbung, jeweils aufgeschlüsselt nach Werbeträgern und Verbreitungsgebieten;
II. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, jeder Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch Handlungen gemäß Ziffer I.1. entstanden ist und/oder noch entstehen wird, einschließlich eines etwaigen Marktverwirrungsschadens.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat die Ansicht vertreten, der geltend gemachte Anspruch sei verwirkt. Im übrigen sei es in der Branche üblich, daß ein als Brauerei bezeichnetes Unternehmen nicht mehr selbst braue, sondern sich nur noch auf den Vertrieb ihres mit eigener Geschmacksnote versehenen Bieres beschränke.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerinnen, mit der sie ihre Klageanträge weiterverfolgen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerinnen aus § 3 UWG verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Es könne unterstellt werden, daß ein beachtlicher Teil des Verkehrs auch heute noch von dem Begriff „Kloster” und von der Abbildung eines Mönchs – wenn im Zusammenhang mit einem Bier verwendet – auf einen räumlichen Bezug zu einem Kloster sowie auf eine Verbindung zu Mönchen oder Nonnen schließe. Weil ein solcher Bezug im Streitfall nicht (mehr) bestehe, sei von einer Irreführung auszugehen. Es fehle jedoch an der wettbewerbsrechtlichen Relevanz, weil die (unterstellte) Irreführung den Kaufentschluß der angesprochenen Verbraucher nicht in erheblicher Weise beeinflusse. Den Verbrauchern sei bekannt, daß deutsches Bier aufgrund des Reinheitsgebots hinsichtlich seiner Zusammensetzung strikten Regeln unterworfen sei. Das biertrinkende Publikum orientiere sich an Geschmacksrichtungen und Biergattungen, messe der Qualität des Bieres entscheidende Bedeutung bei und unterscheide nach der jeweiligen geschmacklichen Note. Die Klägerinnen hätten nicht deutlich gemacht, worin der Vorteil eines klösterlichen Bieres liegen solle. Auch Mönche unterlägen den für alle geltenden Brauregeln und brauten ihr Bier, wenn sie im Markt erfolgreich seien, in hochtechnisierten üblichen Großanlagen. Für den Verkehr seien die beanstandeten Begriffe nur ein Vehikel für einen Bedeutungsgehalt wie Tradition und lange Erfahrung, also für Eigenschaften, die auch die Beklagte für sich in Anspruch nehmen könne. Ob ein Kloster in der Nähe sei oder ob sich die Braustätte sogar auf einem ehemaligen Klostergelände befinde, müsse für den verständigen Verbraucher unerheblich sein. Nur der Unverstand könne ihn lehren, daß ein solcher Bezug nennenswerten Einfluß auf das Produkt habe. Daher sei der Bezug zu einem Kloster bar jeder Aussagekraft. Soweit es noch auf die Braukunst ankomme, könnten über sie auch weltliche Brauer verfügen. Der Begriff des Klosters sei daher nichts anderes als eine historisierende Chiffre ohne beachtlichen Tatsachenkern. Die Klägerinnen hätten daher kein schützenswertes Interesse daran, daß dieser Begriff von der Beklagten nicht mehr verwendet werde.
Mit dem Landgericht sei zudem davon auszugehen, daß die Klägerinnen einen Anspruch, selbst wenn die Voraussetzungen im übrigen gegeben seien, nicht mehr geltend machen könnten. Zwar unterlägen Ansprüche wegen irreführender Werbung im Hinblick auf das Interesse der Allgemeinheit an ihrer Durchsetzung regelmäßig nicht der Verwirkung. Hiervon gelte jedoch eine Ausnahme in Fällen, in denen die Irreführungsgefahr gering sei, im wesentlichen nur die Individualinteressen des Mitbewerbers betroffen seien und auf seiten des Werbenden ein wertvoller, durch eine länger andauernde redliche und ungestörte Benutzung geschaffener Besitzstand auf dem Spiel stehe. So verhalte es sich im Streitfall.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Landgericht und Berufungsgericht haben die Klage im Ergebnis mit Recht als unbegründet erachtet. Nicht zu beanstanden ist die – vom Berufungsgericht unterstellte – Annahme, daß die mit „Klosterbrauerei” bezeichnete Braustätte sowie das mit „Kloster Pilsner” bezeichnete Bier nach dem Verständnis der Verbraucher einen Bezug zu einem Kloster aufweisen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist diese Vorstellung für die Kaufentscheidung durchaus von Bedeutung. Anders als es das Berufungsgericht in einer Hilfserwägung angenommen hat, ist auch eine Verwirkung nicht eingetreten. Dennoch muß die mit der beanstandeten Werbung verbundene Irreführung hingenommen werden, weil die Durchsetzung des Verbots im Streitfall mit Blick auf das eher geringe Gewicht der Irreführung auf der einen und die über lange Zeit unbeanstandet gebliebene Verwendung der angegriffenen Bezeichnungen auf der anderen Seite unverhältnismäßig wäre.
1. Soweit sich die Klage dagegen richtet, daß die Beklagte unter den Bezeichnungen „Kloster Pilsner” oder „Sigel Kloster Pilsner” Bier anbietet und vertreibt, ist Grundlage der rechtlichen Beurteilung nicht allein das allgemeine Irreführungsverbot des § 3 UWG, sondern auch das spezielle Verbot des § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. b LMBG; eine Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot stellt stets auch einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG dar. Die beiden Anspruchsgrundlagen sind zwar nebeneinander anzuwenden (vgl. Piper in Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., § 3 Rdn. 21; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 3 UWG Anh. III Übersicht Rdn. 2). Doch bestimmt sich im Anwendungsbereich des lebensmittelrechtlichen Verbots die Frage der Irreführung stets nach den Maßstäben dieser Vorschrift, weil sie auf eine abschließende europarechtliche Regelung, nämlich auf Art. 2 der Etikettierungsrichtlinie 79/112/EWG (inzwischen Art. 2 der Etikettierungsrichtlinie 2000/13/EG), zurückgeht. Das Verbot des § 3 UWG kann daher im gemeinsamen Anwendungsbereich dieser Bestimmungen nicht weitergehen als das lebensmittelrechtliche Verbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.2002 – I ZR 307/99, GRUR 2002, 1091, 1092 = WRP 2002, 1267 – Bodensee-Tafelwasser; OLG Frankfurt GRUR-RR 2001, 67, 69; Köhler in Köhler/Piper aaO Einf. Rdn. 83; Piper in Köhler/Piper aaO § 3 Rdn. 40; Ullmann, JZ 1994, 928, 930 f.; Bornkamm in Festschrift BGH, 2000, S. 343, 354).
2. Das Berufungsgericht hat zugunsten der Klägerinnen unterstellt, daß die Verwendung des Begriffs „Kloster” bei den angesprochenen Verkehrskreisen eine Fehlvorstellung auslöst. Eine solche Annahme wäre auch – entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung – aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß der Verkehr die Bezeichnung „Kloster” für Bier oder für eine Brauerei in der Weise versteht, daß das Bier entweder in einer wirklichen Klosterbrauerei – also in einer zu einem Kloster gehörenden Brauerei – gebraut worden ist oder daß zumindest ein Bezug zur klösterlichen Brautradition der früheren Jahrhunderte, insbesondere zu einer klösterlichen Braustätte, besteht (so auch OLG Hamburg WRP 1998, 76, 77 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2001, 61, 63; OLG Frankfurt GRUR-RR 2001, 67, 68). Allein der Umstand, daß sich eine Vielzahl von Unternehmen auf eine solche Tradition berufen und sie in ihrer Werbung herausstellen, deutet auf eine entsprechende Wertschätzung der „Kloster”-Bezeichnungen für Biere beim Publikum hin. Derartige Bezeichnungen vermitteln unterschwellig den Eindruck einer alten, bodenständigen Brautradition. Auch verständige Verbraucher lassen sich von solchen versteckten Qualitätssignalen leiten, selbst wenn sie sich darüber im klaren sein mögen, daß das konkrete Bier nicht mehr von Mönchen gebraut wird und im übrigen von Mönchen gebrautes Bier nicht notwendig etwas Besonderes sein muß. Es verhält sich insofern ähnlich wie mit der auf eine besondere Unternehmenstradition hinweisenden Alterswerbung (vgl. BGH, Urt. v. 31.5.1960 – I ZR 16/59, GRUR 1960, 563, 565 = WRP 1960, 238 – Sektwerbung; Urt. v. 11.7.1980 – I ZR 105/78, GRUR 1981, 69, 70 = WRP 1981, 21 – Alterswerbung für Filialen; Urt. v. 28.2.1991 – I ZR 94/89, GRUR 1991, 680, 681 f. – Porzellanmanufaktur; Urt. v. 21.2.1991 – I ZR 106/89, GRUR 1992, 66, 67 f. = WRP 1991, 473 – Königl.-Bayerische Weisse). Sie soll ebenfalls die Vorstellung von einem traditionsbewußten, seit langem mit Erfolg im Markt tätigen, auf bewährte Produkte setzenden Unternehmen vermitteln, ohne damit nahezulegen, daß diese Produkte seit Jahrhunderten unverändert geblieben sind.
3. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß nicht jede Werbung, durch die eine Fehlvorstellung der Verbraucher ausgelöst wird, im Sinne der § 3 UWG und § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG irreführend ist. Wettbewerbsrechtlich relevant werden unrichtige Angaben vielmehr erst dadurch, daß sie geeignet sind, das Marktverhalten der Gegenseite, in der Regel also den Kaufentschluß der Verbraucher, zu beeinflussen (vgl. BGH, Urt. v. 29.5.1991 – I ZR 204/89, GRUR 1991, 852, 855 = WRP 1993, 95 – Aquavit; Urt. v. 30.10.1997 – I ZR 127/95, GRUR 1998, 949, 951 = WRP 1998, 598 – D-Netz-Handtelefon; Urt. v. 17.6.1999 – I ZR 149/97, GRUR 2000, 239, 241 = WRP 2000, 92 – Last-Minute-Reise; Urt. v. 13.1.2000 – I ZR 253/97, GRUR 2000, 914, 915 = WRP 2000, 1129 – Tageszulassung II; Urt. v. 27.6.2002 – I ZR 19/00, GRUR 2002, 1095, 1096 = WRP 2002, 1430 – Telefonische Vorratsanfrage).
Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht die Relevanz der fraglichen Fehlvorstellung verneint. Es hat darauf abgestellt, die Verbraucher seien sich darüber im klaren, daß sich deutsches Bier zwar wegen des Reinheitsgebots von anderen Bieren unterscheide, daß aber bei Beachtung dieses Gebots für den einzelnen Bierbrauer nur ein relativ geringer Spielraum verbleibe mit der Folge, daß Verbraucher sich in erster Linie an Geschmacksrichtungen und Biergattungen orientierten. Damit hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet, daß auch die Kaufentscheidung verständiger Verbraucher maßgeblich durch Erwägungen beeinflußt werden kann, die sich einer rationalen Überprüfung entziehen. Die beworbene klösterliche Brautradition stellt ein solches Qualitätssignal dar, das – ähnlich wie die Alterswerbung – eine unternehmensbezogene positive Assoziation weckt. Derartige versteckte Qualitätssignale können für die Kaufentscheidung des Publikums maßgeblich sein. Dies wird nicht zuletzt auch durch das Verhalten der Anbieter selbst belegt, die derartigen Merkmalen, durch die sie sich von ihren Wettbewerbern abzusetzen vermögen, in der Aufmachung ihrer Produkte und in der Werbung generell einen breiten Raum einräumen (vgl. BGH GRUR 1992, 66, 69 – Königl.-Bayerische Weisse).
4. Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage hilfsweise damit begründet, daß die Ansprüche der Klägerinnen verwirkt seien. Im Streitfall liegen indessen – worauf die Revision mit Recht hinweist – die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vor. Doch sind die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang angeführten besonderen Umstände – die über lange Zeit unbeanstandet gebliebene Nutzung der angegriffenen Bezeichnungen, die für die Beklagte einen erheblichen Wert darstellen, auf der einen sowie das verhältnismäßig geringe Gewicht der in Rede stehenden Irreführung auf der anderen Seite – im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Diese führt dazu, daß die von den Klägerinnen beanstandete Irreführung im Streitfall hingenommen werden muß.
a) Mit Recht rügt die Revision, daß die Voraussetzungen einer Verwirkung im Streitfall nicht vorliegen. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, daß Ansprüche aus § 3 UWG im allgemeinen nicht der Verwirkung unterliegen, weil das Interesse der Allgemeinheit, vor Irreführung geschützt zu werden, grundsätzlich als vorrangig vor den Individualinteressen des Werbenden anzusehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 14.3.1985 – I ZR 66/83, GRUR 1985, 930, 931 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft; Urt. v. 26.6.1986 – I ZR 103/84, GRUR 1986, 903, 904 = WRP 1986, 674 – Küchen-Center). Ob vorliegend eine Ausnahme von diesem Grundsatz in Betracht kommt, weil es letztlich nur um Individualinteressen der Klägerinnen geht (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1976 – I ZR 23/75, GRUR 1977, 159, 161 – Ostfriesische Tee Gesellschaft; Urt. v. 29.9.1982 – I ZR 25/80, GRUR 1983, 32, 34 = WRP 1983, 203 – Stangenglas I), bedarf keiner Entscheidung; denn nach den getroffenen Feststellungen haben die Klägerinnen der Beklagten keinen Anlaß zu der Annahme gegeben, sie würden ihnen zustehende Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche nicht verfolgen. Insbesondere konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, daß die Klägerinnen den historischen Hintergrund der beanstandeten Bezeichnungen schon seit längerem kannten und insbesondere wußten, daß sich die Beklagte nicht auf eine klösterliche Brautradition berufen kann. Muß der Schuldner aber davon ausgehen, daß der Berechtigte keine Kenntnis von dem ihm zustehenden Anspruch hat, fehlt es im Hinblick auf den konkreten Gläubiger an dem für die Verwirkung erforderlichen Vertrauenstatbestand (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.1999 – I ZR 57/97, GRUR 2000, 144, 145 f. – Comic-Übersetzungen II).
b) In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, daß auch unabhängig von einer Verwirkung eine Irreführungsgefahr in besonderen Ausnahmefällen hinzunehmen ist, wenn die Belange der Allgemeinheit nicht in erheblichem Maße und ernstlich in Mitleidenschaft gezogen werden, weil nur eine geringe Irreführungsgefahr vorliegt (vgl. BGH GRUR 1983, 32, 34 – Stangenglas I; GRUR 1986, 903, 904 – Küchen-Center; Baumbach/Hefermehl aaO § 3 UWG Rdn. 107; Piper in Köhler/Piper aaO § 3 Rdn. 216; Großkomm.UWG/Lindacher, § 3 Rdn. 259). Eine solche Ausnahme kommt insbesondere dann in Betracht, wenn durch das Verbot ein wertvoller Besitzstand an einer Individualkennzeichnung zerstört würde (BGH GRUR 1977, 159, 161 – Ostfriesische Tee Gesellschaft; vgl. ferner BGH, Urt. v. 28.1.1957 – I ZR 88/55, GRUR 1957, 285, 287 = WRP 1957, 173 – Erstes Kulmbacher).
aa) Diese Ausnahme ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, unter dessen Vorbehalt das Irreführungsverbot steht. Auch wenn im allgemeinen das Interesse des Werbetreibenden an der Weiterverwendung einer irreführenden Angabe nicht schutzwürdig ist (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.1972 – I ZR 38/71, GRUR 1973, 532, 533 f. – Millionen trinken …; BGH GRUR 1960, 563, 566 – Sektwerbung), kann es doch im Einzelfall das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit und das individuelle Interesse eines Mitbewerbers überwiegen. So ist in der Rechtsprechung seit jeher anerkannt, daß die Anwendung des Irreführungsverbots aufgrund einer Interessenabwägung ausgeschlossen sein kann, wenn eine Werbeangabe zwar objektiv zutreffend ist, vom Verkehr aber in einer vom objektiven Aussagegehalt abweichenden, irreführenden Weise verstanden wird (vgl. nur BGH, Urt. v. 15.2.1996 – I ZR 9/94, GRUR 1996, 910, 912 = WRP 1996, 729 – Der meistverkaufte Europas; Urt. v. 23.5.1996 – I ZR 76/94, GRUR 1996, 985, 986 = WRP 1996, 1156 – PVC-frei; Urt. v. 22.4.1999 – I ZR 108/97, GRUR 2000, 73, 75 = WRP 1999, 1145 – Tierheilpraktiker). Für das besondere, früher ebenfalls aus § 3 UWG hergeleitete Verbot der Verwendung irreführender geographischer Herkunftsangaben, das heute in § 127 Abs. 1 MarkenG geregelt ist, hat der Bundesgerichtshof den Einwand zugelassen, daß seine Anwendung im Einzelfall unverhältnismäßig ist (BGHZ 139, 138, 145 – Warsteiner II; BGH, Urt. v. 19.9.2001 – I ZR 54/96, GRUR 2002, 160, 162 = WRP 2001, 1450 – Warsteiner III; Urt. v. 18.4.2002 – I ZR 72/99, GRUR 2002, 1074, 1076 = WRP 2002, 1286 – Original Oettinger). Auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zieht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Korrektiv für das Irreführungsverbot heran, wenn das Verbot eine Beeinträchtigung des Handelsverkehrs nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. EuGH, Urt. v. 4.4.2000 – Rs. C-465/98, Slg. 2000, I-2297 Tz. 28 = GRUR Int. 2000, 756 = WRP 2000, 489 – Verein gegen Unwesen …/Darbo; vgl. auch BGH, Urt. v. 15.7.1999 – I ZR 44/97, GRUR 1999, 1122, 1124 = WRP 1999, 1151 – EG-Neuwagen I).
bb) Im Streitfall überwiegen die Interessen der Beklagten ausnahmsweise das Interesse der Allgemeinheit und das der Klägerinnen an einem Verbot der Bezeichnungen „Kloster Pilsner” und „Klosterbrauerei”.
Auf der einen Seite sind die Fehlvorstellungen, die die angegriffenen Bezeichnungen beim Verbraucher bewirken, für die Kaufentscheidung zwar von Bedeutung, aber doch nur von geringem Gewicht. Wodurch sich ein unter der Bezeichnung „Kloster” vertriebenes Bier von anderen Bieren abhebt, ist – wie oben dargestellt – keineswegs eindeutig. Die Verwendung dieser Bezeichnung könnten die Klägerinnen auch einem Unternehmen nicht verwehren, das sich zwar zu Recht auf eine klösterliche Brautradition beruft, das aber selbst in keiner Weise mehr mit einem Kloster verbunden ist und dessen Bier auch längst nicht mehr mit dem früher an derselben Stelle von Mönchen gebrauten Bier übereinstimmt, auf das es mit der Bezeichnung „Kloster” Bezug nimmt. Das berechtigte Interesse der Allgemeinheit sowie das gleichgerichtete Interesse der Klägerinnen daran, daß die Beklagte diese Bezeichnung nicht mehr verwendet, kann daher wettbewerbsrechtlich nur als verhältnismäßig gering eingestuft werden.
Das Interesse der Beklagten an einer Weiterverwendung der beanstandeten Bezeichnungen ergibt sich auf der anderen Seite vor allem aus der langjährigen Verwendung, die in der Vergangenheit niemals von einem Wettbewerber oder von dritter Seite beanstandet worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten bereits 1840 als „Klosterbrauerei” in Pfullingen gegründet worden ist und die Beklagte die Firma nach der Verschmelzung mit einer Metzinger Brauerei im Jahre 1980 fortführt, ohne daß die Verwendung dieses Begriffs jemals beanstandet worden wäre. Seit 1868 verwendet die Rechtsvorgängerin bzw. die Beklagte den Begriff „Kloster” als Bestandteil einer Marke. Auch dies ist niemals beanstandet worden. Damit ist der Rechtsvorgängerin der Beklagten über viele Jahrzehnte ein wertvoller Besitzstand zugewachsen, auf den sich auch die Beklagte berufen kann, in der der Geschäftsbetrieb der alten „Klosterbrauerei” vollständig aufgegangen ist. Diese Abwägung wird zusätzlich dadurch entscheidend bestimmt, daß die Beklagte sich nach Ausstoß und Verbreitungsgebiet in der Tradition des Unternehmens hält, das seit nunmehr über 160 Jahren in Pfullingen und Umgebung Bier unter der Bezeichnung „Kloster” und „Klosterbrauerei” vertreibt.
III. Danach ist die Revision der Klägerinnen mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Ullmann, v. Ungern-Sternberg, Starck, Bornkamm, Pokrant
Fundstellen
Haufe-Index 932354 |
BuW 2003, 471 |
BGHR 2003, 680 |
BGHR |
GRUR 2003, 628 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2003, 946 |
WRP 2003, 747 |
ZLR 2003, 473 |
LMK 2003, 130 |
Mitt. 2003, 570 |