Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht des Anlageberaters über etwaigen Totalverlust bei geschlossenen Immobilienfonds
Leitsatz (amtlich)
Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Beratungsfehlers eines Anlageberaters oder der unrichtigen Auskunft eines Anlagevermittlers ergibt sich nicht schon allein daraus, dass es der Anleger unterlassen hat, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen und auf diese Weise die Ratschläge und Auskünfte des Anlageberaters oder -vermittlers auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren.
Leitsatz (redaktionell)
Geht es für den Anleger neben dem Aspekt der Steuerersparnis insbesondere um die sichere Kapitalanlage zur Altersvorsorge, hat der Anlageberater bzw. -vermittler auf die besonderen Risiken der unternehmerischen Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds hinzuweisen, da er ansonsten nach den Grundsätzen der Haftung wegen positiver Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet ist.
Normenkette
BGB §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2, §§ 675, 254 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des OLG Köln vom 25.8.2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt den Beklagten unter dem Vorwurf fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Auf Empfehlung des Beklagten zeichnete der Kläger am 28.10.1999 über eine Summe von 150.000 DM zzgl. 5 % Agio (7.500 DM) eine Beteiligung an der C. G. GmbH & Co. Vermietungs KG (Turmcenter F.), einem geschlossenen Immobilienfonds. Die hierfür benötigten Mittel hatte der Kläger aus dem Verkauf eines von seinem Vater ererbten Hausgrundstücks gewonnen. Der Fonds wurde zum 31.12.1999 nach Vollplatzierung geschlossen. Nach anfänglichen Ausschüttungen geriet der Fonds aufgrund deutlichen Rückgangs der Mieteinnahmen ab dem Jahre 2002 in zunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Versuch, die im Eigentum des Fonds stehende Büroturm-Immobilie - als wesentlichen Teil des Fondsvermögens - zu veräußern, blieb ohne Erfolg. Auf Antrag der finanzierenden Bank wurde am 4.8.2005 die Zwangsverwaltung des Objekts angeordnet. Die Hauptmieterin kündigte das Mietverhältnis außerordentlich zum 31.12.2005. Am 17.2.2006 ordnete das AG München die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Fondsgesellschaft an.
Rz. 3
Der Kläger hat seine Schadensersatzforderung unter Einberechnung der Kosten für die Beteiligung an dem Fonds und entgangener anderweitiger Anlagezinsen - nach Abzug ihm verbliebener Ausschüttungen - mit 102.879,46 EUR beziffert und geltend gemacht, der Beklagte habe seine Pflichten aus dem Anlageberatungsvertrag verletzt, da er ihm mit der Fondsbeteiligung eine Anlage empfohlen habe, die seinem erklärten Anlageziel einer sicheren Altersvorsorge widersprochen habe. Der Beklagte habe ihn nicht auf die spezifischen Risiken dieser Anlage, insb. nicht auf das Risiko eines Totalverlusts, hingewiesen, die gebotene Überprüfung der wirtschaftlichen Plausibilität, Seriosität und Tragfähigkeit des Beteiligungsangebots unterlassen und negative Pressestimmen nicht berücksichtigt. Als Fachmann habe der Beklagte erkennen müssen, dass das Beteiligungsangebot auf eine Täuschung der neu eintretenden Anleger abgezielt und von vornherein keine Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg gehabt habe.
Rz. 4
Der Beklagte ist diesen Vorwürfen entgegengetreten und hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Rz. 5
Das LG hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist im Wesentlichen - bis auf einen geringfügigen Teil der erstinstanzlich zugesprochenen Zinsen - ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht (GWR 2010, 93) hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Rz. 8
Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch wegen Vertragspflichtverletzung des Beklagten zu. Zwischen den Parteien sei ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Die ihm hieraus erwachsenen Pflichten habe der Beklagte verletzt, da er keine anlegergerechte - d.h. dem erklärten Anlageziel des Klägers gemäße - Beratung geleistet habe. Der Beklagte habe dem Kläger eine Kapitalanlage empfohlen, die für das Ziel einer Altersvorsorge erkennbar ungeeignet gewesen sei. Die Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds berge das Risiko des Totalverlusts. Nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des LG habe der Kläger eine Kapitalanlage gewünscht, die gerade auch dem Zweck der Altersversorgung habe dienen sollen. Durch den von ihm zu vertretenden Beratungsfehler habe der Beklagte einen Schaden in der mit der Klage geltend gemachten Höhe herbeigeführt. Ein anrechnungsfähiges Mitverschulden falle dem Kläger nicht zur Last, da er auf den Rat des Beklagten habe vertrauen dürfen. Der Schadensersatzanspruch des Klägers sei auch nicht verjährt. Es sei nicht feststellbar, dass der Kläger vor dem 1.1.2004 Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen gehabt oder sich insoweit grob fahrlässig in Unkenntnis befunden habe. Für eine grob fahrlässige Unkenntnis genüge es nicht, dass er den ihm überlassenen Anlageprospekt nicht durchgelesen habe.
II.
Rz. 9
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht als begründet angesehen. Der Beklagte schuldet dem Kläger den geforderten Schadensersatz nach den Grundsätzen der Haftung wegen positiver Vertragsverletzung (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
Rz. 10
1. Die Annahme des Berufungsgerichts, zwischen den Parteien sei - über eine reine Anlagevermittlung hinausgehend - ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen, der den Beklagten zu einer eingehenden anlegergerechten, an den konkreten Anlagezielen des Klägers orientierten Beratung verpflichtet habe, lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
Rz. 11
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte seine Pflichten aus dem Anlageberatungsvertrag verletzt habe, da er keine anlegergerechte - dem erklärten Anlageziel des Klägers gemäße - Beratung geleistet habe.
Rz. 12
a) Nach den Feststellungen beider Vorinstanzen, die maßgeblich auf die Würdigung der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen R. -H.. E., des Sohnes des Klägers, gestützt worden sind, hatte der Kläger dem Beklagten im Beratungsgespräch erklärt, dass es ihm neben dem Aspekt der Steuerersparnis gerade auch darum gehe, dass das Kapital "sicher" sei und so angelegt werden solle, dass es für das Alter reiche; der Zweck der Alterssicherung und -vorsorge sei ausdrücklich mitgeteilt worden.
Rz. 13
Diese Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 14
Soweit der Beklagte einwendet, dass es weitere Gespräche zwischen den Parteien gegeben habe, an denen der Zeuge E. nicht beteiligt gewesen sei, weist die Revisionserwiderung in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht zu Recht darauf hin, dass der Beklagte nicht dargetan hat, dass der Kläger in diesen weiteren Gesprächen von dem bekundeten Anlageziel abgewichen wäre, insb. das Ziel einer "sicheren Altersvorsorge" aufgegeben hätte. Dass die Ziele einer einerseits steuersparenden und andererseits zur Altersvorsorge geeigneten, "sicheren" Kapitalanlage in einen Konflikt geraten können - jedoch nicht: geraten "müssen" -, steht der Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit der Beweiswürdigung nicht entgegen.
Rz. 15
Auch mit seiner Rüge, das Berufungsgericht habe - ebenso wie schon das LG - fehlerhaft davon abgesehen, ihn selbst zum Inhalt der Beratungsgespräche als Partei zu vernehmen oder anzuhören, vermag der Beklagte nicht durchzudringen. Mangels Zustimmung des Klägers (§ 447 ZPO) kam hier allein eine Parteivernehmung des Beklagten nach § 448 ZPO in Betracht. Diese setzt freilich voraus, dass aufgrund einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die durch die Parteivernehmung zu beweisende Tatsache spricht ("Anbeweis"; s. etwa BGHZ 150, 334, 342; BGH, Urt. v. 19.12.2002 - VII ZR 176/02, NJW-RR 2003, 1002, 1003 m.w.N.). Hiervon ist das Berufungsgericht nicht ausgegangen, ohne dass ihm dabei ein Rechtsfehler unterlaufen ist.
Rz. 16
Allerdings kann im Fall der Beweisnot einer Partei eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO oder eine Anhörung der Partei nach § 141 ZPO aus dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit notwendig sein. Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK) erfordern, dass einer Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch - anders als die Gegenpartei - keinen Zeugen hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen; zu diesem Zweck ist die Partei gem. § 448 ZPO zu vernehmen oder gem. § 141 ZPO persönlich anzuhören (BGH, Urt. v. 12.7.2007 - III ZR 83/06, NJW-RR 2007, 1690, 1691 Rz. 10 sowie Beschlüsse v. 25.9.2003 - III ZR 384/02, NJW 2003, 3636; v. 30.9.2004 - III ZR 369/03 - BeckRS 2004, 09779; BGH, Urt. v. 9.10.1997 - IX ZR 269/96, NJW 1998, 306 f.; v. 16.7.1998 - I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364; vom 19.12.2002, a.a.O.; v. 27.9.2005 - XI ZR 216/04, NJW-RR 2006, 61, 63; v. 23.4.2008 - XII ZR 195/06, NJW-RR 2008, 1086, 1087 Rz. 13; BVerfG NJW 2001, 2531 f.; NJW 2008, 2170 f.; EuGHMR NJW 1995, 1413 f.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Bei dem vom Zeugen E. bekundeten Gespräch handelt es sich nicht um ein Vier-Augen-Gespräch. Der Zeuge E. hat bei dem Beratungsgespräch nicht anstelle des Klägers als dessen Vertreter gehandelt, sondern als weitere Person teilgenommen. Dass er dem Kläger als dessen Sohn nahe steht, rechtfertigt es nicht ohne Weiteres, das Gespräch als ein zwischen den Parteien geführtes "Vier-Augen-Gespräch" einzuordnen (s. auch BGH, Urt. v. 23.4.2008, a.a.O.; für den Fall des Gesprächs zwischen einer Prozesspartei und einem "außenstehenden" bzw. "nicht ausschließlich im Lager" der gegnerischen Partei stehenden Zeugen s. BGHZ 150, 334, 341 ff. und Senatsbeschluss vom 30.9.2004, a.a.O.). Hinzu kommt, dass sich der Beklagte für seine gegenteilige Behauptung, dass es dem Kläger stets und allein um die Steuerersparnis - als "einzige Richtschnur" - gegangen sei, nicht aber (auch) um eine sichere, zur Altersvorsorge geeignete Kapitalanlage, auf das Zeugnis der Steuerberaterin F. -F. berufen hat; diese Zeugin hat in ihrer Vernehmung vor dem LG freilich bekundet, an den Gesprächen nicht beteiligt gewesen zu sein bzw. sich hieran nicht mehr erinnern zu können. Bei dieser Lage einer - behaupteten - Gesprächsbeteiligung zweier weiterer als Zeugen vernommener Personen fordert der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit nicht die Anhörung oder Vernehmung derjenigen Partei, zu deren Nachteil die Beweisaufnahme ausgegangen ist. Abgesehen davon ist den Belangen der in Beweisnot geratenen Partei zureichend Genüge getan, wenn diese bei oder nach der Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) vor Gericht persönlich anwesend war und daher die Möglichkeit hatte, ihre Darstellung vom Verlauf des Gesprächs durch eine Wortmeldung gem. § 137 Abs. 4 ZPO persönlich vorzutragen oder den Zeugen zu befragen (Senatsbeschlüsse vom 25.9.2003, a.a.O., und vom 30.9.2004, a.a.O.; BGH, Urt. v. 23.4.2008, a.a.O.; BVerfG, NJW 2008, 2170, 2171). Der Beklagte war bei sämtlichen Verhandlungs- und Beweisterminen in beiden Vorinstanzen persönlich anwesend; zum Verhandlungstermin vor dem Berufungsgericht war zudem sein persönliches Erscheinen angeordnet worden. Dafür, dass er daran gehindert gewesen wäre, in diesen Terminen seine Sicht der Gesprächsinhalte zu schildern, ist nichts vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Rz. 17
b) Ausgehend davon, dass der Kläger ausdrücklich - auch - eine "sichere", zur Altersvorsorge geeignete Kapitalanlage wünschte, hat das Berufungsgericht einen Beratungsfehler des Beklagten zu Recht schon darin gesehen, dass dieser dem Kläger die Anlage in dem hier streitgegenständlichen geschlossenen Immobilienfonds empfohlen hat.
Rz. 18
Eine solche Empfehlung verletzte die Pflicht zur "anlegergerechten", auf die persönlichen Verhältnisse und Anlageziele des Kunden zugeschnittene Beratung. Soll gemäß dem Anlageziel des Kunden eine sichere Geldanlage getätigt werden, so kann, wie dies der Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat, die Empfehlung einer unternehmerischen Beteiligung wegen des damit regelmäßig verbundenen Verlustrisikos schon für sich genommen fehlerhaft sein (Senat, Urt. v. 19.6.2008 - III ZR 159/07 - BeckRS 2008, 13080 Rz. 6; v. 19.11.2009 - III ZR 169/08 - BKR 2010, 118, 120 Rz. 21). Zwar ist bei der Beteiligung an einem Immobilienfonds das Risiko eines anteilmäßig hohen Kapitalverlusts meist gering zu veranschlagen; dies gilt insb. für das Risiko eines Totalverlusts, da dem Fonds in aller Regel der Sachwert des Immobilienvermögens verbleibt (vgl. dazu BGHZ 167, 239, 249 Rz. 26 sowie BGH, Urt. v. 27.10.2009 - XI ZR 337/08, NJW-RR 2010, 115, 116 Rz. 25 und - XI ZR 338/08, BB 2010, 15, 16 Rz. 28). Gleichwohl handelt es sich hierbei um eine "unternehmerische Beteiligung", die als solche das Risiko birgt, dass das eingesetzte Kapital zumindest zu einem Teil verloren gehen kann. Dieses Risiko hängt in seinem Ausmaß u.a. von der Eigenkapital-/Fremdkapitalquote, der Entwicklung der Immobilienpreise und Mieteinkünfte und den zugrunde gelegten Wertansätzen ab. Da die hier empfohlene Fondsanlage - worauf der Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf entsprechende Angaben im Anlageprospekt hingewiesen haben will - sogar (im "Extremfall") ein "Totalverlustrisiko" aufwies, durfte diese Beteiligung nicht als praktisch (weitgehend) "risikofrei" und mithin "sichere", zur Altersvorsorge geeignete Kapitalanlage eingeordnet werden. Gegenteiliges hat der Beklagte in den Vorinstanzen auch nicht geltend gemacht.
Rz. 19
Unter diesen Umständen hätte der Beklagte dem Kläger die hier eingegangene Beteiligung nicht empfehlen dürfen, sondern davon abraten müssen. Dafür, dass der Kläger, etwa unter dem Eindruck entsprechender deutlicher Hinweise des Beklagten, von seinem Anlageziel einer "sicheren", zur Altersvorsorge geeigneten Kapitalanlage abgerückt wäre und sich letztlich bewusst auf eine diesem Anlageziel widersprechende Fondsbeteiligung eingelassen hätte, hat der Beklagte keinen tragfähigen Anhaltspunkt vorgetragen, und ein solcher ist auch im Übrigen nicht ersichtlich.
Rz. 20
3. Die Kausalität des Beratungsfehlers des Beklagten für die Anlageentscheidung des Klägers und den ihm daraus erwachsenen Schaden hat das Berufungsgericht mit Recht bejaht. Diesen Punkt greift die Revision auch nicht an. Für den Ursachenzusammenhang zwischen einer fehlerhaften Beratung und der Anlageentscheidung spricht eine durch die Lebenserfahrung begründete tatsächliche Vermutung (s. etwa BGH, Urt. v. 9.2.2006 - III ZR 20/05, NJW-RR 2006, 685, 687 f Rz. 22 ff.; vom 19.6.2008, a.a.O., Rz. 8; vom 5.11.2009, a.a.O., S. 351 Rz. 21 und vom 19.11.2009, a.a.O., S. 121 Rz. 26 sowie BGH v. 9.4.2009 - III ZR 89/08 - BeckRS 2009, 11192 Rz. 8 m.w.N.). Diese Vermutung hat der Beklagte nicht zu entkräften vermocht.
Rz. 21
4. Auch gegen den Umfang des zuerkannten Schadensersatzanspruchs und die Ablehnung eines anrechnungsfähigen Mitverschuldens des Klägers (§ 254 BGB) bringt die Revision nichts vor. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Mitverschulden des Anlageinteressenten im Falle eines Schadensersatzanspruchs wegen der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten nur unter besonderen Umständen zur Anrechnung kommt, weil sich der Anleger regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Aufklärung und Beratung verlassen darf (s. dazu BGHZ 100, 117, 125; BGH, Urt. v. 25.11.1981 - IVa ZR 286/80, NJW 1982, 1095, 1096; v. 26.9.1997 - V ZR 65/96, NJW-RR 1998, 16; v. 13.1.2004 - XI ZR 355/02, NJW 2004, 1868, 1870, jeweils m.w.N.).
Rz. 22
5. Entgegen der Ansicht der Revision greift auch der Einwand der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) nicht durch. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Verjährungsfrist habe nicht vor Ablauf des Jahres 2004 zu laufen begonnen und sei daher durch Zustellung des Mahnbescheids am 13.2.2007 gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB), lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Rz. 23
a) Der hier in Rede stehende Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung ist im Jahre 1999, nämlich mit dem vom Beklagten empfohlenen Erwerb der Beteiligung an dem geschlossenen Immobilienfonds, entstanden (§ 198 Satz 1 BGB a.F.) und unterlag mithin zunächst der 30jährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB a.F.
Rz. 24
Zwar ist der Eintritt eines Schadens regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn es zu einer konkreten Verschlechterung der Vermögenslage des Gläubigers gekommen ist; der Eintritt einer risikobehafteten Situation genügt dafür grundsätzlich nicht (BGHZ 73, 363, 365; 100, 228, 231 f.; 124, 27, 30; BGH, Urt. v. 17.2.2000 - IX ZR 436/98, NJW 2000, 1498, 1499). Allerdings kann der auf einer fehlerhaften Beratung beruhende Erwerb einer für den Anlageinteressenten nachteiligen, seinen konkreten Anlagezielen und Vermögensinteressen nicht entsprechenden Kapitalanlage bereits für sich genommen einen Schaden darstellen und ihn deshalb - unabhängig von der Werthaltigkeit der Anlage - dazu berechtigen, im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Erwerbs der Anlage zu verlangen; der Schadensersatzanspruch entsteht hierbei schon mit dem (unwiderruflichen und vollzogenen) Erwerb der Kapitalanlage (BGHZ 162, 306, 309 f.; BGH, Urt. v. 7.5.1991 - IX ZR 188/90, NJW-RR 1991, 1125, 1127; v. 27.1.1994 - IX ZR 195/93, NJW 1994, 1405, 1407; v. 26.9.1997 - V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 304; v. 19.7.2004 - II ZR 354/02, NJW-RR 2004, 1407). So liegt es auch hier.
Rz. 25
b) Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 EGBGB gilt seit dem 1.1.2002 für den bis dahin nicht verjährten Schadensersatzanspruch die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB n.F., wobei für den Fristbeginn zusätzlich die subjektiven Voraussetzungen nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegen müssen; der Gläubiger muss von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt haben oder seine diesbezügliche Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhen (BGHZ 171, 1, 7 ff. Rz. 19 ff.; 179, 260, 276 Rz. 46; BGH, Urt. v. 9.11.2007 - V ZR 25/07, NJW 2008, 506 Rz. 8; Senatsurteil vom 19.11.2009, a.a.O., S. 119 Rz. 13). Für eine dahingehende Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis des Klägers trägt der Beklagte als Schuldner die Darlegungs- und Beweislast (BGHZ 171, 1, 11 Rz. 32; BGH, Urt. v. 3.6.2008 - XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576, 2578 Rz. 25).
Rz. 26
c) Die Würdigung des Berufungsgerichts, eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den Anspruchsvoraussetzungen ergebe sich nicht schon daraus, dass dieser es unterlassen hat, den ihm übergebenen Emissionsprospekt durchzulesen und hierbei auf durchgreifende Hinweise auf die fehlende Eignung der Kapitalanlage für seine Anlageziele zu stoßen, hält den Angriffen der Revision stand.
Rz. 27
aa) Die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt, bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände außer Betracht gelassen oder gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (st.Rspr.; s. nur BGHZ 10, 14, 16 f.; 10, 69, 74; 145, 337, 340; 163, 351, 353; BGH, Urt. v. 23.9.2008 - XI ZR 262/07, NJW-RR 2009, 547 Rz. 17 m.w.N.; v. 10.11.2009 - VI ZR 247/08, VersR 2010, 214, 215 Rz. 12 m.w.N.).
Rz. 28
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (s. BGH, Urt. v. 23.9.2008, a.a.O., Rz. 16 und vom 10.11.2009, a.a.O., Rz. 13 m.w.N.; Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, 108 u.a. mit Hinweis auf BGHZ 10, 14, 16 und 89, 153, 161; Palandt/Ellenberger, BGB, 69. Aufl., § 199 Rz. 36; MünchKomm/BGB/Grothe, 5. Aufl., § 199 Rz. 28; Henrich/Spindler, in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 199 Rz. 19 f.). Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, eine schwere Form von "Verschulden gegen sich selbst", vorgeworfen werden können (BGH, Urt. v. 10.11.2009, a.a.O., m.w.N.; Grothe, a.a.O.). Ihn trifft generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (s. BGH, Urt. v. 10.11.2009, a.a.O., S. 216 Rz. 15 f m.w.N.; s. auch Grothe, a.a.O.).
Rz. 29
bb) Nach diesen Maßgaben ist die Auffassung des Berufungsgerichts, der Umstand, dass der Anlageinteressent den ihm überlassenen Emissionsprospekt nicht durchgelesen hat, genüge für sich allein noch nicht, um die grob fahrlässige Unkenntnis von einem Beratungsfehler zu begründen, nicht zu beanstanden.
Rz. 30
Diese Frage wird in der Rechtsprechung der OLG allerdings nicht einheitlich beantwortet. Eine Reihe von OLG hält es für einen den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigenden schweren Verstoß gegen die Gebote des eigenen Interesses des Anlageinteressenten, wenn er es im Zusammenhang mit einer bedeutsamen Investitionsentscheidung unterlässt, den ihm von einem Anlageberater oder einem Anlagevermittler zur Verfügung gestellten Anlageprospekt durchzulesen, und aus diesem Grunde nicht bemerkt, dass er falsch beraten oder ihm eine unrichtige Auskunft erteilt worden ist (so OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2008, 880, 881 f und Beschl. v. 20.9.2007 - 14 W 75/07 - juris Rz. 5; OLG Düsseldorf, Teilurteil vom 18.4.2008 - I-16 U 275/06 - juris Rz. 58 ff.; OLG Köln, Beschl. v. 22.10.2008 - 13 U 10/08 - juris Rz. 7 f.; OLG Brandenburg, Urt. v. 19.2.2009 - 12 U 140/08 - juris Rz. 26 ff.; v. 30.4.2009 - 12 U 225/08 - juris Rz. 24; OLG Celle OLGReport Celle 2009, 121). Dabei wird teilweise grob fahrlässige Unkenntnis selbst für den Fall bejaht, dass der Prospekt erst bei oder sogar kurz nach der Zeichnung übergeben worden ist (OLG Köln, a.a.O.; OLG Brandenburg, a.a.O.), teilweise nur für den Fall, dass der Prospekt ausreichende Zeit vor dem abschließenden Beratungsgespräch vorgelegen hat (OLG Celle, a.a.O.). Die Gegenansicht verweist demgegenüber darauf, dass der Anlageinteressent regelmäßig auf die Richtigkeit und Ordnungsmäßigkeit der ihm erteilten Anlageberatung vertrauen und ihm eine unterbliebene "Kontrolle" dieser Beratung durch Lektüre des Prospekts deshalb nicht ohne Weiteres als grobe Fahrlässigkeit vorgehalten werden dürfe (s. OLG München, Urt. v. 6.9.2006 - 20 U 2694/06 - juris Rz. 63; OLG Hamm, Urt. v. 20.11.2007 - 4 U 98/07 - juris Rz. 49; v. 26.11.2009 - I-4 U 224/08 - juris Rz. 50).
Rz. 31
Der erkennende Senat hält die letzterwähnte Ansicht für zutreffend.
Rz. 32
Zwar kommt dem Anlageprospekt in aller Regel eine große Bedeutung für die Information des Anlageinteressenten über die ihm empfohlene Kapitalanlage zu. Sofern der Prospekt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er dem Anleger rechtzeitig vor Vertragsschluss überlassen worden ist, kann die Aushändigung eines Prospekts im Einzelfall ausreichen, um den Beratungs- und Auskunftspflichten Genüge zu tun (s. etwa BGH, Versäumnisurteil v. 18.1.2007 - III ZR 44/06, NJW-RR 2007, 621, 622 Rz. 17 sowie Urt. v. 12.7.2007 - III ZR 145/06, NJW-RR 2007, 1692 Rz. 9; vom 19.6.2008, a.a.O., Rz. 7; v. 5.3.2009 - III ZR 302/07, NJW-RR 2009, 687, 688 Rz. 17; v. 5.3.2009 - III ZR 17/08, WM 2009, 739, 740 Rz. 12 und vom 19.11.2009, a.a.O., S. 120 Rz. 24 m.w.N.; s. auch BGH, Urt. v. 21.3.2005 - II ZR 310/03, NJW 2005, 1784, 1787 f.). Es liegt daher zweifellos im besonderen Interesse des Anlegers, diesen Prospekt eingehend durchzulesen.
Rz. 33
Andererseits misst der Anleger, der bei seiner Anlageentscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder Anlagevermittlers in Anspruch nimmt, den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Anlageberaters oder -vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht bei. Die Prospektangaben, die notwendig allgemein gehalten sind und deren Detailfülle, angereichert mit volks-, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fachausdrücken, viele Anleger von einer näheren Lektüre abhält, treten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund. Vertraut daher der Anleger auf den Rat und die Angaben "seines" Beraters oder Vermittlers und sieht er deshalb davon ab, den ihm übergebenen Anlageprospekt durchzusehen und auszuwerten, so ist darin im Allgemeinen kein in subjektiver und objektiver Hinsicht "grobes Verschulden gegen sich selbst" zu sehen. Unterlässt der Anleger eine "Kontrolle" des Beraters oder Vermittlers durch Lektüre des Anlageprospekts, so weist dies auf das bestehende Vertrauensverhältnis zurück und ist daher für sich allein genommen nicht schlechthin "unverständlich" oder "unentschuldbar".
Rz. 34
Eine andere Betrachtungsweise stünde zum einen in einem Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des BGH zur Frage des anspruchsmindernden Mitverschuldens (s. oben 4.). Zum anderen würde sie den Anleger unangemessen benachteiligen und seinen Schadensersatzanspruch oftmals leer laufen lassen. Denn die Risiken und Nachteile einer Kapitalanlage wirken sich vielfach erst einige Jahre nach dem Erwerb finanziell spürbar aus (Reduzierung oder gar Wegfall von Ausschüttungen etc.). Fiele dem Anleger bereits die unterbliebene Lektüre des Anlageprospekts als grob fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Last, so wäre sein Schadensersatzanspruch häufig schon verjährt, bevor sich die Risiken oder Nachteile der Kapitalanlage für ihn "bemerkbar" machen und er sich daher veranlasst sieht, die Richtigkeit der ihm von einem Anlageberater oder -vermittler gegebenen Empfehlungen und Auskünfte zu hinterfragen.
Rz. 35
cc) Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, auch nach der Zeichnung der Anlage habe sich in der Zeit bis zum 1.1.2004 kein dringender, den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis rechtfertigender Anlass für die Lektüre des Emissionsprospekts ergeben, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 2372696 |
BFH/NV 2010, 2220 |
BGHZ 2011, 152 |
BB 2010, 1929 |
BB 2010, 2005 |
DB 2010, 1989 |
NJW 2010, 3292 |
EBE/BGH 2010 |
EWiR 2010, 665 |
NZG 2010, 947 |
WM 2010, 1493 |
WuB 2010, 667 |
ZAP 2010, 935 |
ZIP 2010, 1548 |
ZfIR 2010, 866 |
GewArch 2010, 375 |
JZ 2011, 100 |
MDR 2010, 1051 |
VersR 2011, 395 |
VuR 2010, 417 |
GWR 2010, 403 |
ZBB 2010, 429 |
ZGS 2010, 477 |
Kreditwesen 2010, 1285 |
V&S 2010, 8 |