Leitsatz (amtlich)
Unterhalt für die Vergangenheit vor Anerkenntnis oder Feststellung der Vaterschaft kann das Kind gem. § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB - anders als nach § 1615d BGB a. F. - auch von ersatzweise haftenden Verwandten des nicht mit der Mutter verheirateten leistungsunfähigen Vaters verlangen. Dies gilt jedoch nicht bereits für Zeiträume vor In-Kraft-Treten dieser Vorschrift am 1.7.1998.
Normenkette
BGB § 1613 Abs. 2 Nr. 2a, § 1607 Abs. 1, § 1615d a.F.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Karlsruhe v. 22.3.2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten für die Zeit bis einschließlich Juni 1998 zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des AG - FamG - Heidelberg v. 7.4.2000 - 33 F 4/00 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.533,88 EUR (3.000 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 22.2.2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehenden Rechtsmittel des Beklagten werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 78 % und der Beklagte 22 %.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Für die am 8.1.1995 geborene Klägerin zahlt der Beklagte, ihr Großvater, seit dem 1.7.1999 freiwillig monatlich 250 DM Unterhalt. Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin ihn auf rückständigen Unterhalt für die Zeit von Januar 1995 bis Juni 1999i. H. v. (54x 250 DM =) 13.500 DM nebst Rechtshängigkeitszinsen in Anspruch.
Durch Urteil des AG Trier v. 26.4.1999, das seit dem 1.6.1999 rechtskräftig ist, wurde festgestellt, dass der Sohn des Beklagten der Vater der Klägerin ist. Zugleich wurde der Sohn des Beklagten zur Zahlung von Regelunterhalt ab 8.1.1995 verurteilt. Zahlungen leistete er nicht. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des AG, die sich das Berufungsgericht zu Eigen gemacht hat, ist er wegen einer schweren Erkrankung jedenfalls für die Zeit ab März 1998 zur Unterhaltsleistung nicht in der Lage.
Sonstige leistungsfähige Verwandte sind nicht vorhanden. Die Höhe des geltend gemachten Unterhalts und die Leistungsfähigkeit des Beklagten stehen zwischen den Parteien außer Streit.
Der Beklagte ist am 22.6.1999 zum 1.7.1999 gemahnt worden. Die Klägerin behauptet, ihre Mutter habe den Beklagten schon im Mai 1997 auf seine Zahlungspflicht für den Fall hingewiesen, dass der Kindesvater keinen Unterhalt zahle.
Das AG gab der Klage statt, das OLG wies die Berufung des Beklagten zurück. Dagegen richtet sich dessen zugelassene Revision, mit der er seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg, soweit der Beklagte zu Unterhaltszahlungen für die Zeit vor dem 1.7.1998 verurteilt worden ist, und führt insoweit zur Abweisung der Klage. Im Übrigen hat sie keinen Erfolg.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Beklagte im Wege der Ersatzhaftung nach § 1607 Abs. 1 BGB, zumindest aber nach § 1607 Abs. 2 BGB, seiner Enkelin gegenüber unterhaltspflichtig ist. Dies greift auch die Revision nicht an.
2. Im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, gem. § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB hafte der Beklagte auch ohne Verzug für in der Vergangenheit liegende Unterhaltszeiträume.
a) § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB ist durch Art. 1 Nr. 12 des Kindesunterhaltsgesetzes v. 6.4.1998 (BGBl. I, 666), in Kraft getreten am 1.7.1998, neu gefasst worden und ist an die Stelle des früheren § 1615d BGB getreten, hat diese Regelung aber zugleich erweitert.
b) Nach § 1615d BGB a. F. konnte das Kind "von seinem Vater Unterhaltsbeträge, die fällig geworden sind, bevor die Vaterschaft anerkannt oder rechtskräftig festgestellt war, auch für die Vergangenheit verlangen". Diese Regelung stellte eine Ausnahme gegenüber dem allgemeinen, in § 1613 Abs. 1 BGB a. F. normierten Grundsatz "in praeteritum non vivitur" dar, demzufolge der Berechtigte Unterhalt für die Vergangenheit nur von der Zeit an fordern konnte, zu welcher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden war.
Entsprechend dem Wortlaut dieser Vorschrift galt die Ausnahme des § 1615d BGB a. F. nach herrschender Auffassung lediglich für den Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seinen Vater (vgl. Erman/Holzhauer, BGB, 9. Aufl., § 1615d Rz. 4 m. w. N.; Soergel/Häberle, BGB, 12. Aufl., § 1615d Rz. 5; Köhler in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 1615d Rz. 1; BGB-RGRK/Mutschler, § 1615d Rz. 2). Die entgegenstehende Auffassung von Gernhuber (Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl., § 59 IV I Fn. 1) und Eichenhofer (Staudinger/Eichenhofer, BGB, 1997, § 1615d Rz. 16), derzufolge § 1615d BGB a. F. auf alle väterlichen Verwandten zu erstrecken sei, weil der Normzweck der Vorschrift in deren Wortlaut nur unvollständig zum Ausdruck gelange, hatte sich nicht durchsetzen können.
c) § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB hat diese Beschränkung auf Unterhaltsansprüche gegen den Vater nicht übernommen. Da der Meinungsstreit, ob § 1615d BGB a. F. auch Ansprüche gegen die nach § 1607 Abs. 1 und 2 BGB ersatzweise haftenden Verwandten erfasst, dem Gesetzgeber im Zeitpunkt der Neuregelung bekannt war, ist aus dem Fortfall der Beschränkung zu schließen, dass jedenfalls nunmehr auch diese Ansprüche erfasst werden sollten (vgl. Staudinger/Engler, BGB, 2000, § 1613 Rz. 95; Göppinger/Wax/Kodal, Unterhaltsrecht, 8. Aufl., Rz. 207). Dies ergibt sich auch aus der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 13/7338, 31). Danach sollen unter die neue Vorschrift alle bisher von § 1615d BGB a. F. erfassten Sachverhalte fallen; zugleich sollte die neue Vorschrift aber die Voraussetzung des Verzuges oder der Rechtshängigkeit "generell" erübrigen, um Unterhaltsansprüche in Fällen rechtlicher oder tatsächlicher Verhinderung an der Geltendmachung aufrechtzuerhalten.
Der entgegenstehenden Auffassung von Holzhauer (Erman/Holzhauer, BGB, 10. Aufl., § 1613 Rz. 19), der § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB weiterhin auf den Anwendungsbereich des § 1615d BGB a. F. beschränken will, vermag der Senat daher trotz durchaus gewichtiger Argumente (Erman/Holzhauer, BGB, 10. Aufl., § 1613 Rz. 17) letztlich nicht zu folgen.
3. Mit Erfolg rügt die Revision allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, mangels einschränkender Übergangsbestimmungen gelte § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB auch rückwirkend für den vorliegenden Streitfall.
Richtig ist zwar, dass die Sperre des § 1600d Abs. 4 BGB = § 1600a S. 2 BGB a. F., nach der die Rechtswirkungen der Vaterschaft grundsätzlich erst vom Zeitpunkt der Feststellung der Vaterschaft an geltend gemacht werden können, nach bisherigem Recht und abweichend vom Grundsatz des § 1613 Abs. 1 BGB durch § 1615d BGB a. F. mit Feststellung der Vaterschaft rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes entfiel, und dass diese Rückwirkung, die bisher nur den Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den Vater erfasste, nunmehr nach § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB auch auf Unterhaltsansprüche gegen ersatzweise haftende Verwandte erweitert worden ist.
Dies bedeutet aber nicht, dass ein Berechtigter, der aus rechtlichen Gründen (hier: Bis zur Feststellung der Vaterschaft) gehindert war, seinen mit seiner Geburt entstandenen Unterhaltsanspruch gegen einen ersatzweise haftenden Verwandten seines Vaters geltend zu machen, nunmehr nach § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB Unterhalt auch für diejenigen in der Vergangenheit liegenden Zeiträume nachfordern kann, die vor dem In-Kraft-Treten dieser Vorschrift am 1.7.1998 (Artt. 1 Nr. 12, 8 Abs. 1 S. 2 KindUG) liegen.
Zwar enthält das Kindesunterhaltsgesetz keine besonderen Übergangsvorschriften, denen sich eine zeitliche Begrenzung der in § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB normierten Regelung entnehmen ließe. Auszugehen ist daher von dem Grundsatz, dass auf Unterhalt für Zeiten vor In-Kraft-Treten einer gesetzlichen Neuregelung das bisherige Recht anwendbar bleibt, sofern das Gesetz keine anderweitige Übergangsregelung trifft (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1997 - XII ZR 38/96, MDR 1998, 287 = FamRZ 1998, 426 [427], unter 2d). Die Auslegung des Art. 8 Abs. 1 S. 2 KindUG, derzufolge die neue Regelung des § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB am 1.7.1998 in Kraft tritt, ergibt jedenfalls, dass die Erstreckung der Regelung auf ersatzweise haftende Verwandte Unterhaltsansprüche für Zeiträume, die vor In-Kraft-Treten dieser Vorschrift liegen, nicht betrifft (für § 1613 Abs. 2 Nr. 2b BGB offen gelassen von OLG Bremen, Beschl. v. 9.2.1.999 - 4 UF 121/98, OLGReport Bremen 1999, 150 = MDR 1999, 808 = FamRZ 2000, 256). Denn es kann nicht angenommen werden, dass das Gesetz sich eine mit dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 GG unvereinbare echte Rückwirkung zulegen wollte, indem es nachträglich in Tatbestände eingreift, die in der Vergangenheit bereits vollständig abgeschlossen sind.
Die vor In-Kraft-Treten des Gesetzes bestehende Rechtslage war zwar hinsichtlich des Geltungsbereichs des § 1615d BGB a. F. nicht unumstritten, aber keineswegs "undurchsichtig" und "verworren", so dass erst die Neuregelung eine Klärung herbeiführt hätte; die Rechtsänderung ist auch nicht schon lange Zeit zuvor in der breiten Öffentlichkeit diskutiert worden. Eine echte Rückwirkung ist aber nur zulässig, wenn der Bürger kein Vertrauen in den Bestand der bisherigen Regelung haben konnte (vgl. BVerfG FamRZ 1965, 308 [311]).
Bis zur Änderung des § 1615d BGB a. F. mit Wirkung zum 1.7.1998 durfte der Beklagte als ersatzweise haftender Verwandter des Kindesvaters darauf vertrauen, von der Klägerin auf Unterhalt für die Vergangenheit auch dann nicht in Anspruch genommen werden zu können, wenn die Vaterschaft seines Sohnes festgestellt würde. Abweichend vom Schuldrecht, wo eine späte Geltendmachung der Forderung allenfalls ein Gegenrecht (Verjährung, Verwirkung) begründen kann, erlischt der Unterhaltsanspruch, wenn der Gläubiger nicht besondere rechtswahrende Handlungen vorgenommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 9.5.1984 - IVb ZR 84/82, MDR 1985, 35 = FamRZ 1984, 775 [776], sub. 2a, 777 sub. 4; BGHZ 43, 1 [7]; Johannsen/Henrich/Graba, Eherecht, 4. Aufl., § 1613 Rz. 1) oder das Gesetz diese ausnahmsweise - wie in § 1615d BGB a. F. dem Kindesvater ggü. - entbehrlich macht. Nach der bis zum 1.7.1998 geltenden Rechtslage waren die bis dahin entstandenen Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihn daher nicht nur nicht durchsetzbar, sondern erloschen. Wollte man davon ausgehen, die Neufassung des § 1613 Abs. 2 Nr. 2a BGB habe bereits erloschene Unterhaltsansprüche gegen ihn für die Vergangenheit wieder aufleben lassen wollen, wäre dies eine echte Rückwirkung.
Dem Ergebnis, dass der Beklagte der Klägerin somit für die Zeit vor dem 1.7.1998 keinen Unterhalt schuldet, steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin geltend macht, den Beklagten bereits im Mai 1997 gemahnt zu haben. Abgesehen davon, dass der bloße Hinweis auf dessen Zahlungspflicht für den Fall, dass der Kindesvater keinen Unterhalt zahle, den Anforderungen an eine Inverzugsetzung i. S. d. § 1613 Abs. 1 BGB nicht entspricht, konnte eine vor Feststellung der Vaterschaft des Sohnes des Beklagten ausgesprochene Mahnung dessen Verzug nicht herbeiführen (§ 1600a BGB a. F., vgl. BGH, Urt. v. 27.1.1988 - IVb ZR 12/87, BGHZ 103, 160 [167] = MDR 1988, 479, m. w. N.).
4. Die Revision zieht die Aktivlegitimation der Klägerin für die Zeit von ihrer Geburt bis zum 12.3.1998 mit der Begründung in Zweifel, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Beklagten übergegangen, dass der Ehemann der Kindesmutter der Klägerin in dieser Zeit Unterhalt gezahlt haben "soll", so dass Unterhaltsansprüche für diese Zeit gem. § 1615b Abs. 1 S. 1 BGB a. F. auf ihn übergegangen seien.
Da Unterhaltsansprüche für die Zeit vor dem 1.7.1998 nicht bestehen, kommt es darauf nicht mehr an.
Aus den gleichen Gründen kann dahinstehen, ob der Kindesvater erst ab 13.3.1998 leistungsunfähig war, wie dem im Berufungsurteil (allein) zitierten Abänderungsurteil des AG Trier v. 8.12.1999 zu entnehmen ist, oder ob auf entsprechenden Hinweis sowohl der Revisionsbegründung als auch der Revisionserwiderung in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen ist, dass das OLG Koblenz dieses Urteil auf die Berufung des Kindesvaters dahin abgeändert hat, dass dieser von Anfang an leistungsunfähig war.
5. Soweit der Beklagte für die Zeit v. 1.7.1998 bis 30.6.1999 zur Zahlung von Unterhalt verurteilt worden ist und das Berufungsgericht das Vorliegen von Härtegründen i. S. d. § 1613 Abs. 3 S. 1 BGB verneint hat, begegnet dies - insbesondere angesichts der Höhe des nunmehr noch nachzuzahlenden Betrages - keinen durchgreifenden Bedenken. Auch die Revision erinnert insoweit nichts.
Fundstellen
Haufe-Index 1132084 |
BGHZ 2005, 231 |
NJW 2004, 1735 |
BGHR 2004, 877 |
EBE/BGH 2004, 2 |
FamRZ 2004, 800 |
FuR 2004, 231 |
DNotI-Report 2004, 107 |
JurBüro 2004, 624 |
ZAP 2004, 528 |
FPR 2004, 394 |
MDR 2004, 882 |
FamRB 2004, 177 |
GV/RP 2004, 622 |
NJW-Spezial 2004, 104 |
FuBW 2005, 118 |
FuHe 2005, 146 |
FuHe 2005, 44 |
FuNds 2005, 211 |
JAmt 2004, 264 |
JWO-FamR 2004, 91 |