Leitsatz (amtlich)
Für die Annahme, dem Geschädigten sei kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen, reicht nicht aus, dass das Mietwagenunternehmen dem Geschädigten nur einen Tarif angeboten hat und ihm bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs unter Offenlegung der Unfallsituation auch im Bereich einer Stadt zunächst ausschließlich der Unfallersatztarif angeboten worden wäre.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Würzburg (Urteil vom 12.04.2006; Aktenzeichen 43 S 2352/05) |
AG Würzburg (Entscheidung vom 29.06.2005; Aktenzeichen 12 C 3746/04) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Würzburg vom 12.4.2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger macht restliche Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall vom 4.7.2003 geltend. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.
[2] Der Kläger mietete von Samstag, dem 5.7.2003 bis zum 19.7.2003 bei der Autovermietung S. ein Ersatzfahrzeug zu einem Mietpreis von 2.732,69 EUR an. Unter Anrechnung von 10 % ersparter Eigenaufwendungen erstattete die Beklagte 513 EUR. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Differenzbetrag.
[3] Das AG hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.946,42 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Das LG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[4] Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger von der Beklagten die nach dem "Unfallersatztarif" entstandenen Mietwagenkosten ersetzt verlangen.
[5] Der Kläger könne zur betriebswirtschaftlichen Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs keinen Beweis anbieten, weil es ihm nicht möglich sei, einen Kostenvorschuss zu erbringen. Da der Kläger beweisfällig bleiben müsse, weil er als wirtschaftlich Schwächerer nicht in der Lage sei, die hohen Sachverständigenkosten zu verauslagen, teile die Kammer nicht die Auffassung des BGH, dass es insoweit an der Schlüssigkeit seines Vorbringens fehle.
[6] Demzufolge sei in einem zweiten Prüfungsschritt abzuklären, ob dem Geschädigten ein wesentlich günstigerer Normaltarif ohne Weiteres zugänglich gewesen sei. Diesbezüglich habe der Kläger den Nachweis geführt, dass einem Unfallgeschädigten ein anderer Tarif als der Unfallersatztarif überhaupt nicht zugänglich sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen B. sei nämlich der Unfallersatztarif, der generell höher sei als der Normaltarif, in der konkreten Unfallsituation der Tarif, der einem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall vom Mietwagenunternehmen angeboten werde.
II.
[7] Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[8] 1. Zutreffend ist allerdings der Ansatz des Berufungsgerichts, dass der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand Ersatz der objektiv erforderlichen Mietwagenkosten verlangen kann. Das Berufungsgericht hat auch die Grundsätze weitgehend zutreffend wiedergegeben, die der erkennende Senat zur Erstattungsfähigkeit sog. Unfallersatztarife entwickelt hat (vgl. Senatsurteile v. 12.10.2004 - VI ZR 151/03, BGHZ 160, 377, 383 f. = BGHReport 2005, 294 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 332; 163, 19, 22 f.; v. 26.10.2004 - VI ZR 300/03, BGHReport 2005, 297 = MDR 2005, 331 = VersR 2005, 241, 242; v. 15.2.2005 - VI ZR 160/04, BGHReport 2005, 705 = VersR 2005, 569 f. und - VI ZR 74/04, BGHReport 2005, 703 = VersR 2005, 568 f.).
[9] 2. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht von einer Klärung der Erforderlichkeit des der Klageforderung zugrunde liegenden Unfallersatztarifs abgesehen hat, steht jedoch nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats.
[10] a) Wie der Senat inzwischen mehrfach dargelegt hat (vgl. Senat, Urt. v. 25.10.2005 - VI ZR 9/05, MDR 2006, 686 = BGHReport 2006, 232 = VersR 2006, 133; v. 14.2.2006 - VI ZR 126/05, BGHReport 2006, 841 = MDR 2006, 1105 = VersR 2006, 669, 670 und - VI ZR 32/05, MDR 2006, 1106 = BGHReport 2006, 700 = VersR 2006, 564, 565; v. 9.5.2006 - VI ZR 117/05, BGHReport 2006, 1015 = VersR 2006, 986, 987; v. 13.6.2006 - VI ZR 161/05, BGHReport 2006, 1229 = MDR 2007, 29 = VersR 2006, 1273, 1274; v. 4.7.2006 - VI ZR 237/05, MDR 2007, 27 = BGHReport 2006, 1300 = VersR 2006, 1425, 1426), ist es nicht erforderlich, dass der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines "Unfallersatztarifs" die Kalkulation des konkreten Unternehmens - ggf. nach Beratung durch einen Sachverständigen - in jedem Einzelfall nachvollzieht. Vielmehr kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte bei Unternehmen dieser Art aus betriebswirtschaftlicher Sicht allgemein einen Aufschlag rechtfertigen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht kommt (vgl. Senat, Urt. v. 25.10.2005 - VI ZR 9/05, MDR 2006, 686 = BGHReport 2006, 232; v. 14.2.2006 - VI ZR 126/05, BGHReport 2006, 841 = MDR 2006, 1105; v. 13.6.2006 - VI ZR 161/05, BGHReport 2006, 1229 = MDR 2007, 29 = jeweils a.a.O.). Jedenfalls ist "Normaltarif" nicht der Tarif, der dem Unfallgeschädigten in seiner besonderen Situation angeboten wird, sondern derjenige, der dem Selbstzahler normalerweise angeboten und der unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet wird (vgl. Senatsurteile v. 12.10.2004 - VI ZR 151/03, BGHZ 160, 377, 385 = BGHReport 2005, 294 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 332; 163, 19, 23). Diesen "Normaltarif" kann der Tatrichter in Ausübung seines Ermessens nach § 287 ZPO auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des "Schwacke-Mietpreisspiegels" im Postleitzahlengebiet des Geschädigten - ggf. mit sachverständiger Beratung - ermitteln (vgl. Senat, Urt. v. 9.5.2006 - VI ZR 117/05, BGHReport 2006, 1015 - a.a.O.).
[11] Nach diesen Grundsätzen trifft die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu, der Kläger könne keinen Beweis zur Frage der betriebswirtschaftlichen Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs anbieten. Der Geschädigte muss nämlich zur Schlüssigkeit seines Vorbringens keineswegs die konkrete betriebswirtschaftliche Kalkulation des Mietwagenunternehmens darlegen, wie dies offenbar das Berufungsgericht meint. Zudem entstehen bei der vom Senat geforderten Prüfung in Verbindung mit der Möglichkeit einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO keine so außergewöhnliche Kosten für ein ggf. zu erstellendes Sachverständigengutachten, dass eine besondere Situation gegenüber anderen Verfahren vorläge, in denen eine Partei einen Kostenvorschuss hinsichtlich des von ihr angebotenen Beweises erbringen muss. Da das Berufungsgericht wegen der Weigerung des Klägers, einen Prozesskostenvorschuss zu zahlen, eine Prüfung der Erforderlichkeit des berechneten Unfallersatztarifs nicht vorgenommen hat, ist mithin revisionsrechtlich davon auszugehen, dass der Unfallersatztarif nicht erforderlich gewesen ist.
[12] b) Im Streitfall konnte die Frage der Erforderlichkeit nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch nicht offen bleiben.
[13] Zwar bedarf die Erforderlichkeit des den "Normaltarif" übersteigenden Unfallersatztarifs im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung dann keiner Klärung, wenn der Geschädigte darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - kein wesentlich günstigerer "(Normal-)Tarif" zugänglich war (vgl. Senatsurteile v. 19.4.2005 - VI ZR 37/04, BGHZ 163, 19, 24 f. = BGHReport 2005, 1039 = MDR 2005, 1105; v. 14.2.2006 - VI ZR 126/05, BGHReport 2006, 841 = MDR 2006, 1105 - a.a.O., 671; v. 13.6.2006 - VI ZR 161/05, BGHReport 2006, 1229 = MDR 2007, 29 - a.a.O., 1274; v. 23.1.2007 - VI ZR 243/05 - sowie - VI ZR 18/06, jeweils z.V.b). Das Berufungsgericht hat hier aber keine konkreten Umstände des Einzelfalles festgestellt, aufgrund derer es eine solche Zugänglichkeit ohne Rechtsfehler verneinen durfte.
[14] Die vom Berufungsgericht allein gegebene Begründung, der Unfallersatztarif sei in der konkreten Unfallsituation der Tarif, der einem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall vom Mietwagenunternehmen angeboten werde, reicht hierfür nicht aus. Diese Begründung beachtet nicht, dass gerade dieser Umstand zur neueren Rechtsprechung des BGH zum "Unfallersatztarif" geführt hat, weil sich nach Unfällen ein besonderer Tarif für Ersatzmietwagen entwickelt hat, der nicht mehr maßgeblich von Angebot und Nachfrage bestimmt wird (vgl. Senatsurteile v. 12.10.2004 - VI ZR 151/03, BGHZ 160, 377, 383 f. = BGHReport 2005, 294 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 332; 163, 19, 22 f.). Über die Frage der Erforderlichkeit i.S.d. § 249 BGB wird dadurch nichts ausgesagt. Demgemäß hat der BGH nach Verkündung des Berufungsurteils entschieden, dass es grundsätzlich nicht für die Annahme ausreicht, dem Geschädigten sei kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen, wenn ein Mietwagenunternehmen dem Geschädigten nur einen Tarif angeboten hat (vgl. Senat, Urt. v. 13.6.2006 - VI ZR 161/05, BGHReport 2006, 1229 = MDR 2007, 29 - a.a.O.). Ebenso kann nicht allein aus dem Umstand, dass dem Kläger bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs unter Offenlegung der Unfallsituation von einem Mietwagenunternehmen im Bereich der Stadt W. zunächst ausschließlich der Unfallersatztarif angeboten worden wäre, der Schluss gezogen werden, dem Kläger wäre bei entsprechender Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen (vgl. Senat, Urt. v. 30.1.2007 - VI ZR 99/06 - z.V.b.).
[15] Da nach dem Vorbringen der Beklagten der angebotene Tarif erheblich über den in der sog. "Schwacke-Liste" aufgezeigten durchschnittlichen örtlichen Normaltarifen lag und selbst die Autovermietung S. über verschiedene Preislisten für den Unfallersatztarif und den Normaltarif verfügte, musste ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter grundsätzlich Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben. Das Berufungsgericht hätte deshalb konkrete Umstände des Einzelfalls aufzeigen müssen, die ausnahmsweise die Prüfung der Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs entbehrlich machten. Die danach erforderlichen Feststellungen hat es nicht getroffen.
III.
[16] Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob dem Kläger unter den konkreten Umständen kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war. Bei Nichterweislichkeit des fehlenden Zugangs zu einem günstigeren Tarif wird es unter Beachtung der vom Senat entwickelten Grundsätze zu prüfen haben, ob der geltend gemachte "Unfallersatztarif" wegen unfallbedingter Mehrkosten seiner Struktur nach als "erforderlicher" Aufwand zur Schadensbeseitigung angesehen werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 1716859 |
NJW 2007, 1449 |
BGHR 2007, 494 |
EBE/BGH 2007 |
ZAP 2007, 508 |
MDR 2007, 773 |
NZV 2007, 351 |
VRS 2007, 410 |
VersR 2007, 661 |
GuT 2007, 101 |
VRR 2007, 221 |
ZGS 2007, 165 |
r+s 2007, 341 |
autorechtaktuell 2007, 12 |