Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrzeugkauf. Neuwagen. Fabrikneu. Zugesicherte Eigenschaft. 19 Monate Standzeit
Leitsatz (amtlich)
Ein unbenutztes Kraftfahrzeug ist regelmäßig noch "fabrikneu", wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrages nicht mehr als 12 Monate liegen.
Normenkette
BGB § 346 ff. a.F., § 459 a.F., § 462 a.F., § 463 a.F., § 465 a.F., § 467 a.F.
Verfahrensgang
OLG Dresden (Urteil vom 18.07.2002) |
LG Bautzen |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des OLG Dresden v. 18.7.2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Personenkraftwagen.
Der Kläger bestellte am 30.6.2000 bei der Beklagten einen Pkw F. V 6 zu einem Kaufpreis von 53.595 DM. Das von den Beklagten verwendete Formular enthielt die Angabe "verbindliche Bestellung neuer Kraftfahrzeuge und Anhänger". Am 9.8.2000 wurde dem Kläger von der Beklagten ein am 30.11.1998 hergestellter F. V 6 übergeben. Ein Modellwechsel bezüglich dieses Pkw-Typs hatte in der Zeit v. 30.11.1998 bis zum Kauf nicht stattgefunden. Mit Schreiben v. 5.9.2000 erklärte der Kläger die Wandelung des Kaufvertrages. Die Beklagte lehnte die Wandelung mit Schreiben v. 12.10.2000 ab. Der Kläger war zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz am 27.6.2002 mit dem Pkw ca. 24.000 Kilometer gefahren.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es fehle eine zugesicherte Eigenschaft, da ein 21 Monate alter Pkw nicht mehr als fabrikneu bezeichnet werden könne; er sei deshalb berechtigt, von der Beklagten insgesamt 55.581,33 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des Autos zu verlangen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat der Klage i. H. v. 44.976,92 DM stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision, mit der die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat - soweit in der Revision noch von Interesse - ausgeführt:
Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 44.976,92 DM Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Pkw aus §§ 459, 462, 465, 467, 346 f. BGB a. F. Im Verkauf eines Neuwagens durch einen Kfz-Händler liege i. d. R. die konkludente Zusicherung, dass das Fahrzeug fabrikneu sei. Der von dem Kläger erworbene Pkw könne auf Grund seiner Standzeit von 19 Monaten zwischen Herstellung und Abschluss des Kaufvertrages und 20 Monaten zwischen Herstellung und Übergabe nicht als fabrikneu angesehen werden. Ein nicht benutztes Kraftfahrzeug sei, auch wenn es einige Zeit nach seiner Herstellung verkauft werde, als fabrikneu anzusehen, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeuges unverändert weitergebaut werde, also keinerlei Änderung in der Technik und Ausstattung aufweise, und durch das Stehen keine Mängel entstanden seien. Ein Verkauf "einige Zeit nach der Herstellung" liege zumindest dann nicht mehr vor, wenn der Pkw bereits 19 Monate auf Lager gestanden habe. Nach der Verkehrsanschauung sei und bleibe die Lagerdauer für die Wertschätzung eines Kraftfahrzeugs von ausschlaggebender Bedeutung. Es mache einen großen Unterschied, ob ein Auto frisch vom Band oder erst nach längerer Standzeit verkauft werde. Eine lange, selbst technisch unbedenkliche Standzeit sei für den Neuwagen immer ein wertmindernder Faktor. Auf den zurückzugewährenden Kaufpreis von 53.595 DM müsse sich der Kläger aber die von ihm gezogenen und nach §§ 467, 347 S. 2 BGB a. F. herauszugebenden Nutzungen anrechnen lassen. Da der Kläger bis zur letzten mündlichen Verhandlung ca. 24.000 Kilometer mit dem Pkw gefahren sei, ergebe sich ein Abzug von 8.618,08 DM.
II.
Die zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung vom Senat zugelassene Revision hat keinen Erfolg und ist daher zurückzuweisen. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Auf das vor dem 1.1.2002 entstandene Schuldverhältnis der Parteien sind die Vorschriften BGB in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung anwendbar (Art. 229 § 5 EGBGB). Zu Recht geht das Berufungsgericht von einer Zusicherung der Beklagten aus, dass das von ihr an den Kläger verkaufte Auto fabrikneu sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats liegt im Verkauf eines Neuwagens durch einen Kfz-Händler grundsätzlich die Zusicherung, dass das verkaufte Fahrzeug die Eigenschaft hat, "fabrikneu" zu sein (BGH, Urt. v. 22.3.2000 - VIII ZR 325/98, MDR 2000, 828 = NJW 2000, 2018 unter II 2; Urt. v. 18.6.1980 - VIII ZR 185/79, MDR 1981, 44 = NJW 1980, 2127 unter II 3; Urt. v. 16.7.2003 - VIII ZR 243/02, MDR 2003, 1287 = BGHReport 2003, 1195).
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Pkw auf Grund seiner Standzeit von 19 Monaten zwischen Herstellung und Abschluss des Kaufvertrages und 20 Monaten zwischen Herstellung und Übergabe nicht als fabrikneu angesehen hat. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist ein unbenutztes Kraftfahrzeug fabrikneu, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird und wenn es keine durch eine längere Standzeit bedingte Mängel aufweist; das gilt auch dann, wenn das Fahrzeug erst einige Zeit nach seiner Herstellung verkauft wird (BGH, Urt. v. 22.3.2000 - VIII ZR 325/98, MDR 2000, 828 = NJW 2000, 2018 unter II 2; Urt. v. 18.6.1980 - VIII ZR 185/79, MDR 1981, 44 = NJW 1980, 2127 unter II 1; Urt. v. 6.2.1980 - VIII ZR 275/78, MDR 1980, 484 = NJW 1980, 1097 unter II 2 c).
Ohne Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht allein auf die Länge der Standzeit des Kraftfahrzeugs abgestellt habe und damit von der ständigen Rechtsprechung des Senats abweiche. Der Senat hat in seinen Entscheidungen zur Frage, wann ein Kraftfahrzeug "fabrikneu" ist, ausgeführt, dass diese Rechtsprechung auch für den Fall gelte, dass das Fahrzeug "erst einige Zeit nach seiner Herstellung verkauft" werde. In der Entsch. v. 6.2.1980 (BGH, Urt. v. 6.2.1980 - VIII ZR 275/78, MDR 1980, 484 = NJW 1980, 1097 unter II 2 c) hat der Senat die damalige, nach der Rechtsprechung und im Schrifttum herrschende Meinung dahin wiedergegeben, dass ein Kraftfahrzeug, das zehn bis zwölf Monate vor dem Verkauf hergestellt und abgesehen von der Überführungsfahrt nicht benutzt worden sei, jedenfalls dann als fabrikneu bezeichnet werden könne, wenn das Modell dieses Kraftfahrzeugs weiterhin hergestellt werde und wenn das Kraftfahrzeug keine Mängel aufweise. Im Rahmen der weiteren Gründe hat der Senat sich dieser herrschenden Meinung ausdrücklich angeschlossen. Entgegen der Auffassung der Revision weicht deshalb das Berufungsurteil nicht von der Rechtsprechung des Senats ab. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bedarf es aber nunmehr der Festlegung einer maximalen Standzeit, bis zu deren Ablauf ein Kraftfahrzeug im Regelfall noch als "fabrikneu" angesehen werden kann, da in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte die Frage des Höchstalters "fabrikneuer" Kraftfahrzeuge ganz unterschiedlich beantwortet wird (nicht mehr fabrikneu: OLG Düsseldorf v. 8.5.1992 - 22 U 226/91, OLGReport Düsseldorf 1992, 298 = NJW-RR 1993, 57 nach 8 Monaten; OLG Frankfurt v. 17.12.1997 - 23 U 42/97, OLGReport Frankfurt 1998, 191 = NJW-RR 1998, 1213 und OLG Hamm DAR 1995, 353 nach 12 Monaten; noch fabrikneu: OLG Frankfurt v. 9.6.2000 - 24 U 158/98, MDR 2001, 28 = OLGReport Frankfurt 2000, 287 = NJW-RR 2001, 166 nach 16 Monaten; OLG Celle v. 11.7.2001 - 7 U 72/00, OLGReport Celle 2001, 223 nach 14 Monaten; OLG Schleswig v. 21.7.1999 - 9 U 101/98, OLGReport Schleswig 1999, 412 nach 30 Monaten).
3. Der Senat präzisiert seine Rechtsprechung nunmehr dahin, dass ein unbenutztes Kraftfahrzeug regelmäßig noch "fabrikneu" ist, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch längere Standzeit bedingte Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrages nicht mehr als zwölf Monate liegen.
Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die Meinung, welche dem Verkäufer eine unbegrenzte Lagerhaltung zubilligt, sofern keine Standschäden eingetreten sind oder das Modell sich verändert hat, schützenswerte Interessen des Käufers verletzt (vgl. auch Knippel, DAR 1981, 141 f.; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl. 2003, Rz. 207). Nach der Verkehrsanschauung ist die Lagerdauer für die Wertschätzung eines Kraftfahrzeugs von wesentlicher Bedeutung. Eine lange Standdauer ist für einen Neuwagenkäufer ein wertmindernder Faktor. Jedes Kraftfahrzeug unterliegt einem Alterungsprozess, der mit dem Verlassen des Herstellungsbetriebes einsetzt. Grundsätzlich verschlechtert sich der Zustand des Fahrzeugs durch Zeitablauf auf Grund von Materialermüdung, Oxydation und anderen physikalischen Veränderungen. Selbst eine Aufbewahrung unter optimalen Bedingungen vermag dies nur zu verlangsamen, aber nicht zu verhindern. Im Regelfall ist deshalb davon auszugehen, dass eine Lagerzeit von mehr als 12 Monaten die Fabrikneuheit eines Neuwagens beseitigt.
4. Die Lagerzeit von 19 Monaten im vorliegenden Fall führt deshalb, wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, dazu, dass dem Fahrzeug die zugesicherte Eigenschaft (fabrikneu) bei Übergabe gefehlt hat. Umstände, die eine Abweichung vom Regelfall gebieten, hat die Beklagte nicht dargelegt. Allein der Umstand, dass es sich um ein aus den Vereinigten Staaten von Amerika importiertes Auto handelt, genügt hierfür nicht.
5. Ohne Erfolg rügt die Revision schließlich, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 27.6.2002 mit dem Pkw ca. 24.000 Kilometer gefahren war.
Dass der Kläger den Gebrauch des Fahrzeugs fortgesetzt hat, führt nicht zu einer Verwirkung seiner Gewährleistungsrechte. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es in solchen Fällen auf eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien an. In aller Regel wird dem Käufer die bloße, den Rahmen des Üblichen nicht überschreitende Weiterbenutzung des Wagens nicht als illoyales, widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden können, weil dies für ihn günstiger als die Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges sein wird. Die Interessen des Verkäufers werden dadurch gewahrt, dass er Anspruch auf Wertersatz für die vom Käufer genossenen Gebrauchsvorteile erheben kann (BGH, Urt. v. 16.10.1991 - VIII ZR 140/90, MDR 1992, 230 = NJW 1992, 170 unter II 2 f.; Urt. v. 2.2.1994 - VIII ZR 262/92, NJW 1994, 1004 unter II 2 b).
Wenn der Kläger in etwas weniger als zwei Jahren mit dem Fahrzeug ca. 24.000 Kilometer zurückgelegt hat, ist dies, worauf die Revisionserwiderung zu Recht hinweist, eine den Rahmen des Üblichen nicht überschreitende Weiterbenutzung des Wagens.
Fundstellen
Haufe-Index 1077164 |
BB 2004, 128 |
DB 2004, 130 |
NJW 2004, 160 |
NWB 2003, 3423 |
BGHR 2004, 151 |
EBE/BGH 2003, 396 |
EWiR 2004, 221 |
WM 2004, 1182 |
ZAP 2004, 7 |
ZIP 2004, 122 |
DAR 2004, 23 |
JA 2004, 177 |
MDR 2004, 209 |
NJ 2004, 34 |
NZV 2004, 20 |
RdW 2004, 48 |
SVR 2004, 61 |
VRA 2003, 180 |
ZGS 2003, 403 |
JT 2004, 193 |