Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtshaftung der Gemeinde bei unrichtiger Auskunft zu bei Grunderwerb zu erwartender Erschließungskosten. Schadensberechnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Gibt ein stellvertretender Gemeindedirektor zu einem beabsichtigten Grundstückserwerb die falsche Auskunft, im Falle der Teilung einer zu erwerbenden Grundstücksfläche würden nur für die kleinere Parzelle Erschließungskosten und Abgaben anfallen, liegt eine Amtspflichtverletzung vor. Die Amtsträger einer Gemeinde haben die Pflicht, Auskünfte richtig, wahrheitsgemäß und vollständig zu erteilen; dies gilt auch und gerade bei Fragen zum Umfang entstehender Erschließungskosten.
2. Der aus der Amtspflichtverletzung resultierende Schadensersatzanspruch umfasst den gesamten getätigten Aufwand, wobei der durch den Grundstückserwerb in Form des Vorteilsausgleichs erlangte Vermögenszuwachs in Abzug zu bringen ist. Dabei kann der in Abzug zu bringende Vorteil dadurch gemindert sein, dass dem Erwerber die Nutzungsvorteile des an sich bestehenden objektiven Wertes des Grundstücks nicht in vollem Umfang zugute kommen.
Normenkette
GG Art. 34; BGB § 839; ZPO § 287
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 21.09.2001) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21. September 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin suchte im Jahre 1994 gemeinsam mit ihrem Ehemann für die Erweiterung von dessen metallverarbeitendem Betrieb ein geeignetes Gewerbegrundstück. Sie entschied sich für ein im Eigentum des Landwirts M. stehendes, in der beklagten Gemeinde belegenes Areal in der Gesamtgröße von 7.259 m². Aufgrund eines Kaufvertrages vom 9. März 1995 erwarb sie hieraus eine Teilfläche von 2.000 m² (das spätere Flurstück 66/1) und aufgrund eines weiteren Kaufvertrages vom 18. Mai 1995 die Restfläche (das spätere Flurstück 66/2), und zwar jeweils zu einem Kaufpreis von 13 DM/m².
In der Folgezeit wurde das größere Grundstück 66/2 mit einer Halle bebaut. Das kleinere Flurstück blieb ungenutzt.
Die Klägerin behauptet, der stellvertretende Gemeindedirektor L. der Beklagten habe ihr zu dieser Art des Erwerbsvorganges geraten, da auf diese Weise lediglich für die kleinere Parzelle 66/1 Erschließungskosten und Abgaben anfallen würden. Tatsächlich ist die Klägerin jedoch – unstreitig – zu Erschließungskosten und Beiträgen für das Gesamtgelände herangezogen worden. Ihre hiergegen gerichteten verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Die Klägerin macht geltend, statt der von ihr im Vertrauen auf die Erklärungen L. kalkulierten Erwerbskosten von 153.230 DM belaufe sich der Gesamtaufwand für die Anschaffung beider Grundstücke einschließlich Erschließungskosten auf 298.128,52 DM. Sie nimmt daher die Beklagte aufgrund der Erklärungen L. auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch, und zwar in Höhe von 75.862,56 DM nebst Zinsen auf Zahlung, in Höhe eines Betrages von 84.628,72 DM auf Freistellung von weiteren Erschließungskosten. Außerdem begehrt sie die Feststellung, daß die Beklagte sie auch von weiteren Erschließungskosten freizustellen habe.
Die Beklagte hat eine Amtspflichtverletzung bestritten. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht unterstellt zugunsten der Klägerin, die behauptete Erklärung des damaligen stellvertretenden Gemeindedirektors, bei einer Teilung der zu erwerbenden Grundstücksfläche müßten nur für die kleinere Parzelle Erschließungskosten und Abgaben entrichtet werden, sei eine fehlerhafte Auskunft gewesen. Diese konnte den Tatbestand einer Amtspflichtverletzung erfüllen. Denn die Pflicht der Amtsträger einer Gemeinde, Auskünfte richtig, wahrheitsgemäß und vollständig zu erteilen, besteht auch und gerade bei Fragen nach dem Umfang zu erwartender Erschließungskosten (Senatsurteil vom 3. Mai 2001 – III ZR 191/00 = NVwZ 2002, 373).
2. Das Berufungsgericht stützt die Abweisung der Amtshaftungsklage darauf, es habe sich nicht feststellen lassen, daß die behauptete Auskunft für den Erwerb des Grundstücks durch die Klägerin ursächlich gewesen sei. Das Berufungsgericht weist darauf hin, daß die Klägerin nach ihrem eigenen Sachvortrag ein Grundstück in der Nachbargemeinde B. zum Preise von 42.000 DM an der Hand gehabt und sich gleichwohl für den Erwerb des hier in Rede stehenden Areals in O. entschlossen habe, welches nach ihren eigenen Angaben, d.h. unter Nichtberücksichtigung der erhöhten tatsächlichen Erschließungslast, bereits 153.000 DM hatte kosten sollen. Danach trifft es zu, daß selbst unter Berücksichtigung der von der Gemeinde gewährten Wirtschaftsförderung in Höhe von 30.000 DM die Klägerin einen Mehraufwand von 81.000 DM gehabt hätte. Dies allein rechtfertigt jedoch, wie die Revision mit Recht rügt und wie die Klägerin in den Vorinstanzen durchgängig geltend gemacht hat, noch nicht die vom Berufungsgericht gezogene Folgerung. Die Klägerin kann sich vielmehr darauf berufen, daß der Wert des „Standortvorteils”, für den sie die 81.000 DM aufzubringen bereit war, sich in eben diesem Betrag erschöpfte. Tatsächlich kostete das gesamte erschlossene Grundstück jedoch nicht 153.000 DM, sondern knapp 300.000 DM. Danach liegt klar zutage – und dem Senat ist nicht erkennbar, was die Klägerin sonst noch vortragen sollte –, daß sie Belastungen in dieser Größenordnung nicht auf sich genommen hätte, wenn sie von vornherein über deren Umfang ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre.
3. Das Berufungsgericht beanstandet ferner die Schadensberechnung der Klägerin. Dabei mag ihm im Ausgangspunkt darin beizupflichten sein, daß die Klägerin hier das positive Interesse geltend macht, also verlangt, so gestellt zu werden, wie wenn die behaupteten Erklärungen L. richtig gewesen wären und sie von den Erschließungskosten für den größeren Grundstücksteil verschont geblieben wäre. Dies allein genügt aber nicht, um die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Zahlenmaterial läßt sich nämlich – erforderlichenfalls nach richterlichem Hinweis und notfalls mit Hilfe eines Sachverständigen – eine schlüssige Schadensberechnung vornehmen: Die Klägerin kann verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn L. die entsprechenden Auskünfte nicht erteilt hätte. Dann hätte sie von dem Grundstückskauf Abstand genommen, weil sie, wie oben bereits dargelegt, nicht damit hätte rechnen dürfen, von einem über die kalkulierten 153.000 DM hinausgehenden Gesamtaufwand verschont zu bleiben. Dies bedeutet, daß Grundlage der Schadensersatzforderung der gesamte getätigte Aufwand ist, abzüglich des ihm in Form des Vorteilsausgleichs gegenüberzustellenden Vermögenszuwachses, den die Klägerin durch den Wert des erworbenen Grundbesitzes erlangt hat. Ergibt diese Gegenüberstellung, daß das Grundstück den gezahlten Gesamtpreis tatsächlich wert gewesen ist, würde ein Schaden gleichwohl nicht von vornherein ausgeschlossen sein: Die Klägerin macht nämlich geltend, daß das erworbene Grundstück für ihre Zwecke viel zu groß sei. Dies bedeutet, daß ihr die Nutzungsvorteile des an sich bestehenden objektiven Wertes des Grundstücks nicht in vollem Umfang zugute kommen. Dies mindert den auf den Schaden anzurechnenden Vorteil und wirkt sich insoweit zu Lasten der Beklagten aus. Der Senat sieht auch keine durchgreifenden Bedenken dagegen, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe insoweit eine Schätzung nach § 287 ZPO vorzunehmen. Im übrigen betreffen die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Schadensberechnung nicht die in diese eingestellten Prozeßkosten, die die Klägerin hatte aufwenden müssen, um im Verfahren des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes eine Herabsetzung der Erschließungskostenlast zu erreichen. Diese Aufwendungen werden bereits durch das negative Interesse gedeckt.
4. Mit der jetzigen Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zur Nichtannahme der Revision in der Parallelsache III ZR 96/01 (Vorinstanzen: LG Osnabrück, 2 O 261/00/OLG Oldenburg, 6 U 268/00). Denn jene Sache war auf der Grundlage des dortigen Parteivorbringens und der getroffenen tatrichterlichen Feststellungen revisionsrechtlich anders zu beurteilen als die vorliegende.
5. Das Berufungsurteil kann nach alledem keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, welches die noch erforderliche tatrichterliche Aufklärung nachzuholen haben wird.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Richter am Bundesgerichtshof Streck ist im Urlaub und kann daher nicht unterschreiben. Rinne, Schlick, Dörr
Fundstellen
Haufe-Index 779193 |
BGHR 2002, 1080 |
IBR 2002, 641 |
ZfIR 2003, 87 |