Entscheidungsstichwort (Thema)
Fixkostenspeditionsvertrag. Haftung nach Art. 17 i.V.m. Art. 3 CMR für Transportgutverlust. Bewusste Leichtfertigkeit. Umfang des zu ersetzenden Schadens gem. Art 29 CMR nach jeweils nationalem Recht. Mangelnde Aufklärung über mögliches außergewöhnliches Schadensrisiko
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen einer Haftung nach Art. 17, 29 CMR kann der Spediteur/Frachtführer nach ergänzend anwendbarem deutschen Schuldrecht dem Absender entgegenhalten, vor Vertragsschluss nicht auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadensrisikos hingewiesen worden zu sein.
Normenkette
CMR Art. 17, 29; BGB § 254 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 22.02.2001; Aktenzeichen 16 U 40/00) |
LG Lübeck |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Schleswig in Schleswig v. 22.2.2001 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die frühere Klägerin, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (im Folgenden: die Klägerin), nimmt durch ihren Insolvenzverwalter die Beklagte wegen des Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin beauftragte die Beklagte im Mai 1999 zu einem Festpreis von 5.800 DM damit, ca. zwölf Tonnen Nähmaschinen und anderes technisches Gerät per Lkw von Hamburg zur in Moskau ansässigen Streithelferin der Klägerin zu transportieren. Die Parteien vereinbarten, dass die Beförderung durch einen deutschen Fahrer und mit einem in Deutschland zugelassenen Lkw mit Satellitenüberwachungsanlage erfolgen sollte. Eine gleich lautende Vereinbarung traf die Beklagte auch mit der Firma K. aus L., die sie mit der Durchführung des Transports beauftragte.
Nach Abschluss des Vertrags übersandte die Klägerin der Beklagten eine als "PROFORMA INVOICE" bezeichnete Rechnung einer H. International Inc. über 38.077 DM; diese Rechnung war an die auch in dem internationalen Frachtbrief als Empfängerin der Ware angegebene Streithelferin der Klägerin gerichtet. Darüber hinaus wies die Klägerin die Beklagte an, die Auslieferung nur gegen Vorlage der Fotokopie einer bestimmten mit ihrem Stempel und einer Unterschrift versehenen Banknote vorzunehmen. Eine entsprechende Weisung war auch Inhalt des Frachtvertrags zwischen der Beklagten und der Firma K. . Ferner übersandte die Klägerin der Frachtführerin eine Skizze mit einem Treffpunkt in Moskau und mehrere Telefonnummern, die der Fahrer nach seiner Ankunft in Moskau anrufen sollte.
Die Firma K. ließ die Ware in Hamburg von einem deutschen Fahrer abholen, der später aber durch einen Fahrer mit litauischer Staatsangehörigkeit ersetzt wurde. Kurz nachdem dieser Fahrer den vereinbarten Treffpunkt in Moskau erreicht hatte, stellten sich ihm, noch bevor er den beabsichtigten Kontakt unter den angegebenen Telefonnummern aufnehmen konnte, zwei Personen als Mitarbeiter der Streithelferin vor und fragten ihn, ob er Näh- und Strickmaschinen geladen habe. In einer später ggü. den Moskauer Ermittlungsbehörden abgegebenen schriftlichen Einlassung erklärte der Fahrer, auf seine Frage nach der zur Legitimation der Empfängerin dienenden Banknote hätten die beiden Personen ihm erklärt, dass sich diese im Büro befinde und nach der Deklarierung und Zollabwicklung dem Fahrer vorgelegt werde. Entsprechend den Anweisungen der beiden Personen folgte der Fahrer anschließend deren Pkw durch Moskau, bis er aufgefordert wurde anzuhalten und 15 Minuten in seinem Lkw zu warten. Eine der beiden Personen kehrte nach etwa 25 Minuten zurück und forderte den Fahrer auf, alle die Ladung betreffenden Dokumente an sich zu nehmen, den Lkw abzuschließen und zu ihm in den Pkw zu steigen. Dieser Aufforderung kam der Fahrer nach, da er glaubte, erkannt zu haben, dass eine der beiden Personen eine Waffe bei sich trug. Nach einer mehrstündigen Fahrt durch Moskau, während der er den ihm unbekannten Personen zwei Ausfertigungen des Frachtbriefes und eine Kopie der Pro-forma-Rechnung übergab, wurde der Fahrer schließlich abgesetzt. Er ließ sich mit einem Taxi zu seinem Lkw zurückbringen. Dort stellte er fest, dass die Ladung verschwunden war.
Die Klägerin hat behauptet, der Wert der Ladung habe tatsächlich 225.580 US-Dollar (umgerechnet 416.916,95 DM) betragen. Dieser Wert sei bei den Vertragsverhandlungen nicht Gegenstand der Erörterungen gewesen. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hafte unbeschränkt, da sie durch den Einsatz des litauischen Fahrers vorsätzlich gegen ihre vertraglichen Pflichten verstoßen habe. Die Beklagte müsse sich zudem das leichtfertige Verhalten des Fahrers zurechnen lassen. Beide Pflichtverstöße seien für den Schadenseintritt ursächlich geworden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 416.916,95 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin zum Umfang und Wert des übernommenen Gutes entgegengetreten. Darüber hinaus hat sie die Anfechtung des mit der Klägerin geschlossenen Vertrags wegen arglistiger Täuschung über den tatsächlichen Wert der Ladung erklärt. Ein Mitarbeiter der Klägerin habe bei einem Telefonat vor der Auftragserteilung den Wert des zu transportierenden Gutes mit ca. 39.000 DM beziffert. Bei Kenntnis des tatsächlichen Werts der Sendung hätte sie den Vertrag nur gegen eine höhere Vergütung geschlossen, da Transporte in die GUS mit einem 100.000 US-Dollar übersteigenden Warenwert bei ihr bis zur Ankunft am Bestimmungsort mit einem bewaffneten Begleitfahrzeug eskortiert würden. Zumindest sei der Klägerin wegen des unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines besonders hohen Schadens ein Mitverschulden anzulasten.
Das LG hat der Klage nur i.H.v. 38.077 DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat dem Klagebegehren in Höhe weiterer 338.360,65 DM nebst Zinsen entsprochen und die von der Beklagten eingelegte Anschlussberufung - mit Ausnahme eines Teils der angefochtenen Zinsentscheidung - zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Streithelferin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Schadensersatzanspruch i.H.v. 376.437,65 DM nebst Zinsen aus Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 29 CMR zuerkannt. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die von der Beklagten erklärte Anfechtung ihrer Vertragserklärung führe nicht zur Nichtigkeit des zwischen den Parteien zu festen Kosten geschlossenen Speditionsvertrags. Es fehle an einer arglistigen Täuschung seitens der Klägerin oder ihrer Streithelferin.
Das für die Streithelferin bestimmt gewesene Transportgut sei nicht an die berechtigte Empfängerin abgeliefert worden. Es stehe nicht fest, dass es sich bei den unbekannten Personen, die dem Fahrer in Moskau Anweisungen gegeben hätten, um Mitarbeiter der Streithelferin gehandelt habe. Die Behauptung der Beklagten, diese Personen hätten dem Fahrer auch die in den Auslieferungsanweisungen genannte Banknote und weitere Unterlagen präsentiert, widerspreche ihrem vorangegangenen Sachvortrag und dem Inhalt der schriftlichen Aussage des Fahrers.
Die Voraussetzungen für eine Haftungsbefreiung nach Art. 17 Abs. 2 CMR lägen nicht vor, da die Beklagte die Unvermeidbarkeit des Warenverlustes nicht nachgewiesen habe. Der Fahrer habe nicht nur die vereinbarte Identitätsprüfung anhand der Banknote, sondern auch eine nahe liegende telefonische Nachfrage bei der Streithelferin unterlassen. Die Beklagte habe zudem einen litauischen Fahrer eingesetzt und im Übrigen nicht nachgewiesen, dass es auch bei Befolgung der Auslieferungsanweisungen zum Verlust der Ladung gekommen wäre.
Die Beklagte hafte für den Warenverlust nach Art. 29 CMR unbeschränkt. Zwar könne ein qualifiziertes Verschulden des Fahrers nicht festgestellt werden. Die Beklagte müsse sich jedoch den vorsätzlichen Verstoß der Firma K. gegen die vertragliche Verpflichtung, einen deutschen Fahrer einzusetzen, zurechnen lassen. Der Vorsatz müsse sich - wie allgemein im Haftungsrecht - im Rahmen des Art. 29 CMR nur auf den haftungsbegründenden Tatbestand erstrecken und nicht auch auf den konkret eingetretenen Schaden. Da der vorsätzliche Vertragsverstoß als Ursache für den nachfolgenden Ladungsverlust ernsthaft in Betracht komme, spreche eine von der Beklagten nicht erschütterte Vermutung dafür, dass er für den konkreten Schadenseintritt ursächlich gewesen sei.
Der eingetretene Schaden belaufe sich auf 376.437,65 DM. Die geladenen Güter seien - mit Ausnahme der in der Schadensaufstellung der Klägerin aufgeführten Zubehör- und Ersatzteile - durch die von dem übernehmenden Fahrer unterzeichnete Verladeliste nachgewiesen. Der Wert des abhanden gekommenen Gutes ergebe sich aus den vorgelegten Einkaufsrechnungen.
Ein Mitverschulden wegen der unterlassenen Aufklärung über den tatsächlichen Warenwert sei der Klägerin nicht anzulasten.
II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte als Fixkostenspediteurin i.S.d. § 459 HGB der Haftung nach der CMR unterliegt (BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, MDR 1999, 556 = TranspR 1999, 19 [20 f.] = VersR 1999, 254, m.w.N.).
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht eine wirksame Anfechtung des Speditionsvertrages seitens der Beklagten wegen arglistiger Täuschung über den Wert der transportierten Waren verneint hat.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe für eine arglistige Täuschung durch Mitarbeiter der Klägerin nicht genügend vorgetragen. Selbst wenn ein Mitarbeiter der Klägerin vor der Auftragserteilung ggü. der Beklagten einen Warenwert von 39.000 DM genannt oder den Inhalt der Pro-forma-Rechnung gekannt hätte, ergebe sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, dass der Mitarbeiter den tatsächlich höheren Warenwert oder die Unrichtigkeit der Rechnung gekannt habe. Diese von der Revision nicht beanstandete Beurteilung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
b) Vergeblich wendet sich die Revision gegen die weitere Annahme des Berufungsgerichts, es fehle auch an einer der Klägerin zuzurechnenden arglistigen Täuschungshandlung ihrer Streithelferin, da diese als "Dritte" i.S.d. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen sei.
aa) Die Revision meint, die Klägerin müsse sich die unzutreffende Wertangabe ihrer Streithelferin auf Grund hier vorliegender besonderer Umstände billigerweise zurechnen lassen. In einem Fall wie dem vorliegenden bestehe die Besonderheit, dass der Spediteur den tatsächlichen Wert der Ladung regelmäßig nicht beurteilen könne. Mache der Auftraggeber des Spediteurs (hier: die Streithelferin) unter diesen Umständen ggü. dem Auftragnehmer falsche Angaben zum Warenwert, täusche er arglistig und benutze den so getäuschten Spediteur (hier: die Klägerin) in mittelbarer Täterschaft als argloses Werkzeug zur weiteren arglistigen Täuschung seiner Geschäftspartner (hier: der Beklagten).
bb) Dieses Vorbringen rechtfertigt es nicht, die Streithelferin im Verhältnis zur Klägerin nicht als "Dritte" i.S.v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein am Zustandekommen eines Vertrages Beteiligter dann nicht "Dritter" i.S.d. genannten Vorschrift, wenn sein Verhalten dem des Anfechtungsgegners gleichzusetzen ist (BGH, Urt. v. 9.4.1992 - IX ZR 145/91, MDR 1992, 961 = NJW-RR 1992, 1005 [1006]; Urt. v. 20.11.1995 - II ZR 209/94, MDR 1996, 350 = NJW 1996, 1051). Dies ist über den Bereich der gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertretung hinaus auch bejaht worden bei einem vom Erklärungsempfänger beauftragten Verhandlungsführer oder -gehilfen (BGHZ 47, 224 [230 f.]) sowie bei einem Beteiligten, dessen Verhalten sich der Erklärungsempfänger wegen besonders enger Beziehungen zwischen beiden oder wegen sonstiger besonderer Umstände billigerweise zurechnen lassen muss (BGH, Urt. v. 1.6.1989 - III ZR 261/87, MDR 1990, 29 = NJW 1989, 2879 [2880]; v. 20.11.1995 - II ZR 209/94, MDR 1996, 350 = NJW 1996, 1051).
Auf der Grundlage der unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts muss sich die Klägerin die unrichtige Wertangabe ihrer Streithelferin nicht zurechnen lassen. Zwischen der Klägerin und ihrer Streithelferin bestand im Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen mit der Beklagten keine enge Beziehung. Die Streithelferin ist bei den Verhandlungen im Verhältnis zur Beklagten weder als Verhandlungsführerin noch als Gehilfin der Klägerin tätig geworden. Die Streithelferin war lediglich Auftraggeberin der Klägerin und berechtigte Empfängerin der Ware. Solche gewöhnlichen vertraglichen Beziehungen zwischen dem Auftraggeber und seinem Auftragnehmer heben den Auftraggeber im Verhältnis des Auftragnehmers zu einem weiteren Auftragnehmer nicht über die Position eines "Dritten" i.S.v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB hinaus.
3. Danach hat die Beklagte gem. Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 CMR grundsätzlich Schadensersatz für den Verlust des Transportguts während der Obhutszeit des von ihr beauftragten Frachtführers zu leisten. Eine Haftungsbefreiung gem. Art. 17 Abs. 2 CMR kommt im Streitfall nicht in Betracht. Unbegrenzten Schadensersatz über die Beschränkung des Art. 23 Abs. 3 CMR hinaus schuldet die Beklagte aber nur dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 29 CMR vorliegen. Nach dieser Bestimmung kann sich der Frachtführer nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden verursacht hat. Das Gleiche gilt, wenn seinen Bediensteten oder Verrichtungsgehilfen ein solches qualifiziertes Verschulden zur Last fällt (Art. 29 Abs. 2 S. 1 CMR). Hiervon ist auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.
a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, im Streitfall seien die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung der Beklagten nach Art. 29 CMR gegeben.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass für Gütertransportschäden, die - wie hier - nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz - TRG) v. 25.6.1998 (BGBl. I, 1588 ff.) am 1.7.1998 eingetreten sind, bei Anwendbarkeit deutschen Rechts als ein Verschulden, das zur Durchbrechung der Haftungsbegrenzungen der CMR führt, neben dem Vorsatz nicht mehr die grobe Fahrlässigkeit anzusehen ist, sondern die Leichtfertigkeit, zu der das Bewusstsein hinzukommen muss, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, MDR 1999, 556 = TranspR 1999, 19 [21] = VersR 1999, 254; Dubischar in MünchKomm/HGB, Aktualisierungsband, Transportrecht, § 435 HGB Rz. 1; Thume in Fremuth/Thume, Transportrecht, Art. 29 CMR Rz. 4, 19a; Gass in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, Art. 29 CMR Rz. 8; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 29 CMR Rz. 3a). Die tatrichterliche Beurteilung der Frage, ob ein qualifiziertes Verschulden vorliegt, kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der bewussten Leichtfertigkeit verkannt hat und ob Verstöße gegen § 286 ZPO, gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze vorliegen (BGH v. 21.9.2000 - I ZR 135/98, BGHZ 145, 170 [186] = MDR 2001, 577 = BGHReport 2001, 5, zu Art. 25 WA 1955, 149, 337 [345]; Urt. v. 13.2.2003 - I ZR 128/00, BGHReport 2003, 658 = MDR 2003, 1001 = TranspR 2003, 255 [257] = VersR 2003, 1017, zur groben Fahrlässigkeit).
b) Das Berufungsgericht hat angenommen, hinsichtlich des von der Frachtführerin eingesetzten Fahrers mit litauischer Staatsangehörigkeit sei der Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens i.S.d. Art. 29 CMR nicht gerechtfertigt, da nicht festgestellt werden könne, dass er das Bewusstsein gehabt habe, ein Schaden werde mit Wahrscheinlichkeit eintreten. Denn der Fahrer dürfte angenommen haben, dass es sich bei den ihm unbekannten Personen, denen er gefolgt sei, um Mitarbeiter der Streithelferin gehandelt habe. Diese ihr günstige Beurteilung nimmt die Revision hin. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
c) Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte jedoch unbeschränkt wegen eines ihr zuzurechnenden vorsätzlichen Verstoßes der Frachtführerin K. gegen die vertragliche Verpflichtung, einen deutschen Fahrer einzusetzen, ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.
aa) Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend einen vorsätzlichen Verstoß der Frachtführerin gegen ihre vertragliche Verpflichtung, einen deutschen Fahrer einzusetzen, bejaht. Zwischen den Parteien war vereinbart, dass die Beförderung durch einen deutschen Fahrer erfolgen sollte. Eine entsprechende Vereinbarung hat die Beklagte auch mit der von ihr beauftragten Frachtführerin getroffen. Nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Frachtführerin in Kenntnis dieser Vereinbarung den ursprünglich eingesetzten deutschen Fahrer durch einen litauischen Fahrer ersetzt. Das reicht entgegen der Auffassung der Revision für die Annahme eines bewussten Verstoßes gegen die vertragliche Verpflichtung aus. Die Parteien haben damit eine die Sicherung des Transportguts dienende Vereinbarung getroffen. Die Haftung wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen die vertragliche Verpflichtung, einen deutschen Fahrer einzusetzen, hängt nicht davon ab, ob sich durch die Auswahl und den Einsatz des Fahrers mit litauischer Staatsangehörigkeit die Gefahr des Transportgutverlusts erhöht hat. Die vorsätzliche Vertragsverletzung der Frachtführerin muss sich die Beklagte gem. Art. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 CMR zurechnen lassen.
bb) Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass dieser vorsätzliche Verstoß schon für sich allein die Haftung aus Art. 29 Abs. 1 CMR rechtfertigt.
Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass Art. 29 CMR ein qualifiziertes Verschulden nur in Bezug auf den die Haftung begründenden Tatbestand voraussetzt (BGH, Urt. v. 27.6.1985 - I ZR 40/83, MDR 1986, 115 = TranspR 1985, 338 [340] = VersR 1985, 1060; Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, MDR 1999, 556 = TranspR 1999, 19 [22] = VersR 1999, 254). Ist danach von einem qualifizierten Verschulden i.S.v. Art. 29 Abs. 1 CMR auszugehen, das seiner Art nach als Schadensursache ernsthaft in Betracht kommt, so obliegt es der Beklagten, im Prozess solche Umstände vorzutragen und zu beweisen, die gegen die Kausalität des festgestellten Sorgfaltsverstoßes sprechen (BGH, Urt. v. 13.4.1989 - I ZR 28/87, MDR 1989, 967 = TranspR 1989, 327 [328] = VersR 1989, 1066; Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, MDR 1999, 556 = TranspR 1999, 19 [22 f.] = VersR 1999, 254; Fremuth/Thume, Frachtrecht, CMR, Art. 29 Rz. 29; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 29 CMR Rz. 7 a.E.). Durch diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wird der Frachtführer auf Grund seiner besonderen Sachnähe zum eingetretenen Schaden nicht in unzumutbarer Weise belastet (BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, MDR 1999, 556 = TranspR 1999, 19 [23] = VersR 1999, 254).
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im Streitfall rechtsfehlerfrei angewandt. Nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die ausdrückliche Vereinbarung, den Transport von einem deutschen Fahrer durchführen zu lassen, den auch für die Frachtführerin erkennbaren Sinn, zusammen mit weiteren Sicherheitsvorkehrungen - Satellitenüberwachung, Anweisung, die Auslieferung des Gutes nur gegen Vorlage einer bestimmten Geldnote mit Stempel und Signatur vorzunehmen, telefonische Kontaktaufnahme mit der Empfängerin - den im Russlandgeschäft häufiger vorkommenden Ladungsverlusten infolge von "Falschauslieferungen" entgegenzuwirken. Bei einer solchen Fallgestaltung hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen, dass es sich bei dem bewusst vorgenommenen Austausch des deutschen gegen einen litauischen Fahrer um einen Sorgfaltsverstoß handelt, der als Ursache für den streitgegenständlichen Transportgutverlust ernsthaft in Betracht kommt. Denn bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen die ausdrückliche Vereinbarung, einen deutschen Fahrer für den Transport einzusetzen, spricht eine Vermutung dafür, dass der Austausch des Fahrers gefahrerhöhend und damit kausal für den eingetretenen Verlust gewesen ist und dass dem Frachtführer dies auch bewusst sein musste. In einem solchen Fall obliegt es dem Frachtführer, Umstände vorzutragen und ggf. zu beweisen, die gegen die Kausalität seines Fehlverhaltens sprechen (BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, MDR 1999, 556 = TranspR 1999, 19 [22 f.] = VersR 1999, 254). Nach den ebenfalls nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte derartige Umstände weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt.
4. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens bestimmt sich im Fall des Art. 29 CMR nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht (BGH, Urt. v. 15.10.1998 - I ZR 111/96, MDR 1999, 880 = TranspR 1999, 102 [105] = VersR 1999, 646, insoweit in BGHZ 140, 84 nicht abgedr.; Urt. v. 3.3.2005 - I ZR 134/02, Umdruck S. 6). Danach kommt im Streitfall deutsches Recht zur Anwendung. Insoweit ist in erster Hinsicht an sich die frachtvertragliche Regelung in § 429 Abs. 2 und 3 HGB einschlägig. Da diese hier aber gem. § 435 HGB nicht anwendbar ist, beurteilt sich der Umfang der Haftung der Beklagten nach den allgemeinen schuldrechtlichen Bestimmungen der §§ 249 ff. BGB (BGH, Urt. v. 3.3.2005 - I ZR 134/02, Umdruck S. 6). Der durch den Verlust des Gutes entstandene Schaden beträgt nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts 376.437,65 DM (= 192.469,51 EUR).
5. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Haftung der Beklagten sei nicht durch ein Mitverschulden der Klägerin wegen der unterlassenen Aufklärung über den tatsächlichen Warenwert eingeschränkt.
a) Das Berufungsgericht hat ein Mitverschulden verneint, weil es an einem Verschulden der Klägerin gegen sich selbst fehle. Diese habe davon ausgehen können, dass sich die Beklagte und deren Erfüllungsgehilfen an ihre umfangreichen und aus damaliger Sicht auch ausreichenden Auslieferungsanweisungen halten würden. Aus ihrer Sicht habe daher keine Veranlassung bestanden, zusätzlich auf den von der Pro-forma-Rechnung abweichenden Wert der Ladung hinzuweisen. Die Klägerin habe die Angabe eines niedrigen Warenwerts zudem nachvollziehbar damit begründet, dass die Ladung nur auf diese Weise wirksam vor kriminellen Begehrlichkeiten habe geschützt werden können. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
b) Ein der Klägerin gem. Art. 17 Abs. 5 CMR zuzurechnender Mitverursachungsanteil an dem Verlust des Transportgutes ergibt sich allerdings nicht allein schon daraus, dass diese eine Wertdeklaration unterlassen hat. Es besteht nicht ohne weiteres eine Verpflichtung des Versenders, den Frachtführer, dessen Vergütung sich - jedenfalls i.d.R. - nicht nach dem Wert der Sendung, sondern nach deren Gewicht, Umfang und ggf. nach der Beschaffenheit des Gutes richtet (BGH, Urt. v. 6.2.1997 - I ZR 202/94, MDR 1997, 1040 = CR 1997, 730 = TranspR 1997, 335 [336] = VersR 1997, 1298), auf den tatsächlichen Warenwert hinzuweisen.
c) Das anspruchsmindernde Mitverschulden kann sich aber gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB daraus ergeben, dass der Geschädigte es unterlassen hat, den Schädiger im Hinblick auf den Wert des Gutes auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die dieser weder kannte noch kennen musste (BGH v. 15.11.2001 - I ZR 158/99, BGHZ 149, 337 [353] = BGHReport 2002, 633 = MDR 2002, 956; Urt. v. 8.5.2003 - I ZR 234/02, MDR 2003, 1361 = BGHReport 2003, 946 = TranspR 2003, 317 [318] = VersR 2003, 1596). Die Obliegenheit zur Warnung hat den Zweck, dem Schädiger Gelegenheit zu geben, geeignete Schadensabwendungsmaßnahmen zu ergreifen (Oetker in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 254 Rz. 73). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf einen außergewöhnlich hohen Schaden hinzuweisen, um seinem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird. Da das Unterlassen geeigneter Schadensabwendungsmaßnahmen durch eine Obliegenheitsverletzung des Geschädigten zumindest mitverursacht worden sein kann, ist es gerechtfertigt, die Haftung des Schädigers nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB einzuschränken.
d) Die Anwendung des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB ist im Streitfall nicht ausgeschlossen. Unabhängig davon, ob das Haftungssystem des Art. 17 Abs. 1 CMR den Mitverschuldenseinwand nach § 254 BGB wegen unterlassener Angabe des tatsächlichen Warenwerts ausschließt, kann jedenfalls im Rahmen der Haftung nach Art. 29 CMR eingewandt werden, dass der Ersatzberechtigte nicht vor Vertragsschluss auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hingewiesen und der Frachtführer deshalb keinen Anlass sah, besondere Vorsorgemaßnahmen zur Schadensverhinderung zu treffen. Insoweit ist lückenfüllend nationales Recht heranzuziehen (Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 29 CMR Rz. 8). So liegt der Fall hier.
Die Beklagte hat unter Beweisantritt vorgetragen, der die Vertragsverhandlungen auf Seiten der Klägerin führende Mitarbeiter habe bei einem Telefonat vor der Auftragserteilung auf Nachfrage der Beklagten ausdrücklich einen Warenwert von 39.000 DM genannt. Transporte in die GUS mit einem - wie von der Klägerin behauptet - 100.000 US-Dollar übersteigenden Warenwert würden bei ihr (gegen Zahlung einer höheren Vergütung) bis zur Ankunft am Bestimmungsort mit einem bewaffneten Begleitfahrzeug eskortiert. Diesem - von der Klägerin bestrittenen - Sachvortrag wird das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzugehen haben. Denn es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die erheblich zu niedrige Wertangabe die Beklagte von der Ergreifung der von ihr genannten zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen abgehalten hat und diese die Gefahr des Verlustes des Transportgutes verringert hätten (BGH, Urt. v. 21.5.1987 - III ZR 25/86, MDR 1988, 32 = NJW 1988, 129 [130]; Urt. v. 18.1.2001 - I ZR 256/98, MDR 2001, 1123 = BGHReport 2001, 637 = TranspR 2001, 369 [372] = VersR 2001, 1134).
Die Klägerin begehrt im Wege der Drittschadensliquidation den Ersatz des ihrer Streithelferin entstandenen Schadens. In einem solchen Fall muss sich der den Schaden des Dritten geltend machende Vertragspartner des Schädigers das Verschulden des Dritten zurechnen lassen (BGH, Urt. v. 25.11.1971 - VII ZR 37/70, NJW 1972, 289; Oetker in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 254 Rz. 132; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb., 2005, § 254 Rz. 110). Die Streithelferin der Klägerin kannte den tatsächlichen Warenwert und hätte deshalb darüber aufklären müssen, dass dieser um etwa das Zehnfache höher war als der in der Pro-forma-Rechnung angegebene Betrag von ca. 39.000 DM.
III. Danach war das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist. In diesem Umfang war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1384093 |
BGHR 2005, 1187 |
NJW-RR 2005, 1277 |
MDR 2005, 1360 |
NZV 2005, 469 |
RIW 2005, 705 |
VRS 2005, 331 |
VersR 2006, 814 |
IDLR 2006, 13 |