Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. teilweise außergerichtliche Erfüllung der Forderung. Einheitlichkeit des Auftrags. Geschäftsgebühr aus Gesamtstreitwert. Keine getrennten Geschäftsgebühren aus jeweiligen Teilstreitwerten

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt kann die Gebühr gem. Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) auch dann nur einmal aus dem Gesamtgegenstandswert und nicht zweimal aus (dann niedrigeren) Teilgegenstandswerten verlangen, wenn die von ihm für seinen Mandanten geltend gemachte Forderung außergerichtlich nur teilweise erfüllt wird und ihm deshalb für den noch offenen Teil der Forderung Klageauftrag erteilt wird.

 

Normenkette

RVG §§ 15, 22

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 14.08.2013; Aktenzeichen 3 S 192/12)

AG Mainz (Urteil vom 07.11.2012; Aktenzeichen 85 C 95/12)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Mainz vom 14.8.2013 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Nach einem Verkehrsunfall, für dessen Schäden die Beklagten unstreitig aufzukommen haben, beauftragte die Klägerin im Februar 2012 ihren späteren Prozessbevollmächtigten damit, im Hinblick auf den ihr entstandenen Fahrzeugschaden, ihre Gutachter-, Mietwagen-, Ummeldungs- und Abschleppkosten sowie die allgemeine Kostenpauschale Schadensersatzansprüche i.H.v. insgesamt 8.721,45 EUR gegenüber den jetzigen Beklagten außergerichtlich geltend zu machen. Auf die anwaltliche Aufforderung, den Schaden zu regulieren, erbrachte die Beklagte zu 3) als Haftpflichtversicherer Zahlungen i.H.v. insgesamt 5.702,41 EUR. Zudem ersetzte sie der Klägerin an außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten 555,61 EUR, wobei sie der Abrechnung eine 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 5.702,41 EUR zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer zugrunde legte.

Rz. 2

Nachdem die Beklagte zu 3) weitere Zahlungen abgelehnt hatte, erteilte die Klägerin ihrem Rechtsanwalt Auftrag zur Klage, mit der sie gegen die Beklagten restliche Schadensersatzansprüche i.H.v. 3.019,04 EUR zzgl. weiterer außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 359,50 EUR, nämlich eine 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 3.019,04 EUR zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer, geltend machte. Nach Zustellung der Klage erfüllte die Beklagte zu 3) die Hauptforderung der Beklagten voll. Auf die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bezahlte sie weitere 162,79 EUR, wobei sie ihrer Berechnung eine 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 8.721,45 EUR zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer zugrunde legte und von den so ermittelten Kosten i.H.v. 718,40 EUR die bereits vorprozessual erbrachte Zahlung in Abzug brachte. Die restlichen 196,71 EUR nebst Zinsen sind - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Gegenstand des Rechtsstreits.

Rz. 3

Die Klägerin vertritt unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats v. 1.10.1968 - VI ZR 159/67 (VersR 1968, 1145 ff.) die Auffassung, der vorprozessual erledigte Teil der ursprünglichen Forderung einerseits und der übrige Teil der Forderung andererseits seien gebührenrechtlich auch im Hinblick auf die außergerichtliche Geschäftsgebühr gesondert zu betrachten, so dass die diesbezüglichen Kosten nicht einmal aus einem Gesamtgegenstandswert von 8.721,45 EUR, sondern gesondert einmal aus einem (Teil-)Wert von 5.702,41 EUR und zusätzlich aus einem (Teil-)Wert von 3.019,04 EUR zu berechnen seien.

Rz. 4

Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die vom AG zugelassene Berufung der Beklagten hat sie das LG unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils abgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Ersatz weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten nicht zu, weil es an einem entsprechenden gegen sie gerichteten Honoraranspruch ihres nunmehrigen Prozessbevollmächtigten fehle. Dieser könne die Gebühr gem. Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses (VV, Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG]) nur einmal aus dem Gesamtwert von 8.721,45 EUR und nicht einmal aus einem Teilwert von 5.702,41 EUR und ein weiteres Mal aus einem Teilwert von 3.019,04 EUR verlangen, da es sich um eine einheitliche Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne handle. Daran habe auch der später bezüglich der außergerichtlich nicht beglichenen Forderung von 3.019,04 EUR erteilte Klageauftrag nichts geändert. Das Senatsurteil vom 1.10.1968 (VI ZR 159/67, VersR 1968, 1145 ff.) stehe dem nicht entgegen.

II.

Rz. 6

Das Berufungsurteil hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Zutreffend kommt das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass der Klägerin kein Anspruch auf Erstattung weiterer außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zusteht.

Rz. 7

1. Die Bemessung der Höhe eines Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urt. v. 1.3.2011 - VI ZR 127/10, NJW 2011, 2591 Rz. 6; v. 3.8.2010 - VI ZR 113/09, VersR 2011, 896 Rz. 12; jeweils m.w.N.).

Rz. 8

2. Derartige Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen.

Rz. 9

a) Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und dass die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urt. v. 1.3.2011 - VI ZR 127/10, NJW 2011, 2591 Rz. 7; v. 19.10.2010 - VI ZR 237/09, NJW 2011, 155 Rz. 15; v. 27.7.2010 - VI ZR 261/09, VersR 2011, 771 Rz. 14; jeweils m.w.N.).

Rz. 10

b) Zu Recht geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Klägerin die streitgegenständlichen weiteren vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten im Innenverhältnis zu ihrem Rechtsanwalt nicht entstanden sind. Auf der Grundlage der bis zum 31.7.2013 gültigen Gebührentabelle belaufen sich die der Klägerin durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihres späteren Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten auf 718,40 EUR. Sie setzen sich aus 1,3 Gebühren nach Nr. 2300 VV bei einem Gegenstandswert von bis zu 9.000 EUR, der Post- und Kommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV sowie Umsatzsteuer zusammen. Dieser Betrag wurde der Klägerin von der Beklagten zu 3) bereits erstattet.

Rz. 11

c) Unzutreffend ist die Auffassung der Revision, durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihres späteren Prozessbevollmächtigten seien nicht 1,3 Gebühren aus einem Gegenstandswert von bis zu 9.000 EUR, sondern einmal 1,3 Gebühren aus einem Gegenstandswert von bis zu 6.000 EUR und zusätzlich 1,3 Gebühren aus einem Gegenstandswert von bis zu 3.500 EUR, jeweils zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer, angefallen.

Rz. 12

aa) Ob die Gebühren für die Inanspruchnahme anwaltlicher Tätigkeit einheitlich aus einem Gesamtwert oder, was für den Rechtsanwalt insb. im Hinblick auf den degressiven Verlauf der Gebührentabelle regelmäßig günstiger ist, jeweils gesondert aus dann niedrigeren Teilwerten berechnet werden, hängt - wie sich aus §§ 15, 22 RVG ergibt - davon ab, ob es sich um eine oder mehrere Angelegenheiten handelt. Unter einer Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne wird dabei das gesamte Geschäft verstanden, das der Rechtsanwalt auftragsgemäß für seinen Auftraggeber besorgen soll (BGH, Urt. v. 13.12.2011 - VI ZR 274/10, VersR 2012, 331 Rz. 9; BGH, Urt. v. 19.12.2012 - IV ZR 186/11, NJW 2013, 1610 Rz. 19; v. 17.11.1983 - III ZR 193/82, MDR 1984, 561). Vorliegend war dies die außergerichtliche Geltendmachung der gesamten Schadensersatzansprüche der Klägerin i.H.v. 8.721,45 EUR gegen die Unfallverursacher und die hinter ihnen stehende Haftpflichtversicherung.

Rz. 13

Durch die weiteren Geschehensabläufe hat sich hieran nichts geändert. Die maßgebliche Einheitlichkeit des Auftrags wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die vom Rechtsanwalt geschuldete außergerichtliche Geltendmachung einer Forderung nur teilweise zum Erfolg führt. Denn auch die sich nach Zahlung eines Teilbetrags ggf. nur noch auf einen Teilbetrag der ursprünglichen Forderung beziehende außergerichtliche Tätigkeit wird vom Rechtsanwalt aufgrund des ursprünglichen Auftrags geschuldet. Ebenso wenig führt der Umstand, dass dem Rechtsanwalt hinsichtlich des vorgerichtlich nicht ausgeglichenen Teils der Forderung schließlich auch Klageauftrag erteilt wird, dazu, dass seine vorgerichtliche Tätigkeit insoweit nicht mehr vom ursprünglichen Auftrag umfasst wäre.

Rz. 14

bb) Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung lässt sich der Entscheidung des erkennenden Senats vom 1.10.1968 (VI ZR 159/67, VersR 1968, 1145 ff.) Gegenteiliges nicht entnehmen. Dabei kann offenbleiben, ob und inwieweit auch im Geltungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes Raum für eine Anwendung der in der genannten Entscheidung für den Geltungsbereich der Bundesrechtsanwaltsvergütungsordnung (BRAGO) aufgestellten Grundsätze besteht. Denn die Aussage, eine bereits aus einem einheitlichen Gegenstandswert entstandene Geschäftsgebühr sei im Falle eines späteren, nur einen Teil der Forderung betreffenden Klageauftrags rückwirkend dahingehend neu zu berechnen, dass statt einer Geschäftsgebühr aus dem Gesamtstreitwert zwei getrennte Geschäftsgebühren aus den jeweiligen Teilstreitwerten entstehen, lässt sich dieser Entscheidung nicht entnehmen. Sie befasst sich vielmehr allein mit der Höhe der Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 BRAGO a.F. bezüglich des nicht vom Klageauftrag erfassten Teils der Forderung sowie mit der Höhe der für den anderen Teil der Forderung angefallenen Gebühren nach § 31 BRAGO a.F. Eine Aussage zur Berechnung der nach § 118 Abs. 1 BRAGO a.F. auch für den später vom Klageauftrag erfassten Teil der Forderung entstandenen, nach § 118 Abs. 2 BRAGO a.F. aber auf die Gebühren nach § 31 BRAGO a.F. anzurechnenden Gebühren enthält sie demgegenüber nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 6978561

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