Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallbedingte Gesundheitsschädigung mit Todesfolge. Mitverursachung durch Vorerkrankungen. Darlegungs- und Beweislast des Unfallversicherers
Leitsatz (amtlich)
Der Unfallversicherer hat den Vollbeweis i.S.v. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO dafür zu erbringen, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen (hier dem Tod des Versicherungsnehmers) zumindest 25 % mitgewirkt haben.
Normenkette
AUB 94 § 8; AUB 2008/2010 Nr. 3; ZPO § 286 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen OLG vom 16.3.2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin begehrt als Bezugsberechtigte von der Beklagten die Todesfallleistung aus einer Unfallzusatzversicherung, die ihr am 6.2.2004 verstorbener Ehemann in Verbindung mit einer Risikolebensversicherung abgeschlossen hatte.
Rz. 2
Dem Versicherungsvertrag liegen die Bedingungen der Beklagten für die Unfallzusatzversicherung mit Leistung bei Erwerbsunfähigkeit oder Todesfall zugrunde (BB-UZV). Diese bestimmen in § 4:
"Haben zur Herbeiführung des Todes bzw. der Erwerbsunfähigkeit neben dem Unfall Krankheiten oder Gebrechen zumindest 25 Prozent mitgewirkt, so vermindert sich unsere Leistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung."
Rz. 3
Am 26.1.2004 führte der Ehemann der Klägerin in einem Betrieb Elektroarbeiten aus. Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe während der Montage aus einem Schaltschrank ein Kabel heruntergezogen und sei damit an mindestens eine Phase gelangt, wodurch ein Kurzschluss ausgelöst worden sei. Der dabei erlittene Stromschlag sei Ursache für den Tod ihres Ehemannes gewesen, dessen Gesundheitszustand sich nach dem Stromunfall erheblich verschlechtert habe.
Rz. 4
In einem für die Berufsgenossenschaft erstellten pathologischen Gutachten vom 21.6.2004 wurden aufgrund einer Obduktion vom 9.2.2004 eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße als Grundleiden und frische subendokardiale Myocardinfarkte der Hinterwand und der Seitenwand des linken Ventrikels beschrieben; als Todesursache wurde ein protrahiertes Herz-Kreislauf-Versagen bei Koronarinsuffizienz angegeben.
Rz. 5
Die Beklagte lehnte Leistungen aus der Unfallzusatzversicherung ab, weil der Tod des Ehemannes der Klägerin nicht auf einen Unfall, sondern auf die bestehende schwere Herzkrankheit zurückzuführen sei.
Rz. 6
Das LG hat nach Vernehmung verschiedener Zeugen, Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten und mündlicher Anhörung der Sachverständigen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Todesfallleistung i.H.v. 231.183 EUR verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG nach ergänzender Beweisaufnahme die Verurteilung dahin geändert, dass es der Klägerin nur die Hälfte der Klageforderung zuerkannt hat. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren restlichen Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 8
I. Dieses hat es - ebenso wie das LG - für erwiesen erachtet, dass der Tod des Ehemannes der Klägerin durch einen am 26.1.2004 erlittenen Stromunfall mitverursacht worden sei. Die Klägerin habe den Vollbeweis dafür erbracht, dass ihr Ehemann am 26.1.2004 einen Stromschlag erlitten habe, bei dem Strom durch seinen Körper und sein Herz geflossen sei und der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Rhythmusstörung des Herzens geführt habe. Dass diese Gesundheitsbeschädigung den Tod zumindest mitverursacht habe, sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Rz. 9
Die von der Beklagten geschuldete Todesfallleistung vermindere sich allerdings nach § 4 BB-UZV auf die Hälfte, weil nach der Beweisaufnahme von einer 50 %igen Mitwirkung der Vorerkrankung - einer Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße - am Tod des Versicherungsnehmers auszugehen sei. Die Beweislast für die Mitwirkung anderer Ursachen treffe den Versicherer, wobei das Beweismaß nicht § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO entnommen werden müsse, weil es ebenso um die Unfallfolgen, also die haftungsausfüllende Kausalität gehe wie bei der vom Versicherungsnehmer zu beweisenden Tatsache, dass der Unfall mitursächlich gewesen sei. Für die tatrichterliche Überzeugungsbildung reiche deshalb eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen, dass die Vorerkrankung in kausalem Zusammenhang mit der Unfallfolge stehe. Das sei hier anzunehmen.
Rz. 10
Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. Ö. und Prof. Dr. E. begründeten eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Mitwirkung der Vorerkrankung und führten zu einer 50 %igen Leistungskürzung, denn beide Ursachen seien für den Tod des Ehemannes der Klägerin gleichwertig und nicht hinwegzudenken. Dem stehe nicht entgegen, dass Prof. Dr. E. keine Verursachungsquoten habe angeben können. Wenn der Versicherungsnehmer nur im Zusammenwirken von Unfall und Vorerkrankung gestorben sei, aber nicht durch eine dieser Ursachen alleine gestorben wäre, und keine sonstigen Anhaltspunkte für eine andere Gewichtung vorlägen, könne nur eine hälftige Quotierung vorgenommen werden.
Rz. 11
II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Mitwirkung der Vorerkrankung halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 12
1. Zugunsten der Klägerin ist die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen, dass ihr Ehemann am 26.1.2004 einen Stromschlag erlitt, der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Herzrhythmusstörung führte, die den Tod des Versicherungsnehmers zumindest mitverursachte.
Rz. 13
2. Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin - eine Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße - habe zu 50 % an seinem Tod mitgewirkt, beruht auf einem fehlerhaften Ausgangspunkt. Das Berufungsgericht hat das Beweismaß für das Leistungskürzungsrecht des Unfallversicherers bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen verkannt.
Rz. 14
a) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei dem Unfallversicherer liegt (OLG Koblenz, Urt. v. 18.6.2010 - 10 U 1014/09, juris Rz. 46 m.w.N., die Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Parallelverfahren wurde durch Senatsbeschluss v. 14.9.2010 - IV ZR 156/10 - zurückgewiesen; OLG Koblenz, r+s 2001, 348, 349; OLG Celle VersR 2010, 205, 207 m.w.N.; Leverenz in Bruck/Möller, Versicherungsvertragsgesetz 9. Aufl., § 182 Rz. 19 m.w.N.; Grimm, Unfallversicherung 4. Aufl., § 3 AUB 99 Rz. 7 m.w.N.; Schießl in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 4. Aufl. 22. Kap. Rz. 68; Rüffer in HK-VVG 2. Aufl. Ziff. 3 AUB 2008/2010 Rz. 6; Jannsen in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff. 3 AUB 2008 Rz. 9 m.w.N.; Kloth, Private Unfallversicherung Kap. J Rz. 11; Götz in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl., § 182 Rz. 6; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl., § 8 AUB 94 Rz. 6; ders. in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. Nr. 3 AUB 2008 Rz. 8; Hormuth in Terbille, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 2. Aufl., § 24 Rz. 187 m.w.N.; Wussow/Pürckhauer, AUB 6. Aufl., § 8 Rz. 12). Dies war bislang schon einhellige Auffassung und ist nunmehr in § 182 VVG gesetzlich normiert (Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Versicherungsvertragsreformgesetz, BT-Drucks. 16/3945, 108). Nicht nur nach der Intention des Reformgesetzgebers (a.a.O.), sondern auch nach bislang unangefochtener Ansicht erstreckt sich die Beweislast des Versicherers auf den Nachweis, dass der Mitwirkungsanteil mindestens 25 % entspricht (OLG Koblenz, Urteil vom 18.6.2010, a.a.O.; r+s 2001, a.a.O.; Leverenz, a.a.O.; Grimm, a.a.O.; Jannsen, a.a.O.; Kloth, a.a.O.; Götz, a.a.O.; Hormuth, a.a.O.). Liegt der Mitwirkungsanteil darunter, so unterbleibt eine Minderung (Kloth, a.a.O.).
Rz. 15
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hält die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO für ausreichend, um einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25 % nachzuweisen. Vielmehr wird allgemein sowohl für die Prüfung, ob überhaupt unfallabhängige Faktoren mitgewirkt haben, als auch für die Frage, ob der Mitwirkungsanteil mindestens 25 % beträgt, das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO angewandt (OLG Düsseldorf r+s 2002, 261, 262; OLG Koblenz r+s 2001, a.a.O.; OLG Frankfurt VersR 1991, 762; Leverenz, a.a.O.; Grimm, a.a.O.; Jannsen, a.a.O.; Götz, a.a.O.; Wussow/Pürckhauer, a.a.O.; dies voraussetzend auch Rüffer, a.a.O., Rz. 5 und 6 m.w.N.). Bleibt unklar, ob der Anteil der Mitwirkung 25 % oder mehr beträgt, so kommt eine Leistungskürzung nicht in Betracht (OLG Koblenz, Urteil vom 18.6.2010, a.a.O.; Leverenz, a.a.O., Rz. 19 m.w.N.; Grimm, a.a.O.; Rüffer, a.a.O., Rz. 6 m.w.N.; Jannsen, a.a.O., m.w.N.; Kloth, a.a.O.; Knappmann, a.a.O., m.w.N.). Erst wenn dieser Nachweis erbracht ist, obliegt es der freien tatrichterlichen Würdigung, die Höhe des anzurechnenden Mitwirkungsanteils gem. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu schätzen (Leverenz, a.a.O., Rz. 20 m.w.N.). Demgemäß wurde in den im Berufungsurteil zitierten Entscheidungen (OLG Düsseldorf VersR 1997, 174, 175; VersR 1994, 1218 ff.; OLG Hamm VersR 1982, 946) zunächst festgestellt, dass der Mitwirkungsanteil der jeweiligen Vorerkrankung mehr als 25 % betragen habe, und erst bei der Gewichtung im Verhältnis zu dem Unfall eine Schätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommen.
Rz. 16
c) Der Senat teilt die herrschende Auffassung, dass der Versicherer für einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25 % den Vollbeweis gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen hat. Bei der Prüfung, ob Krankheiten oder Gebrechen bei der durch den Unfall verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen zumindest 25 % mitgewirkt haben, geht es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um die Unfallfolgen und damit um die haftungsausfüllende Kausalität wie bei der vom Versicherungsnehmer nach dem Beweismaß des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu beweisenden Tatsache, dass die unfallbedingte Gesundheitsschädigung für die Invalidität oder den Tod des Versicherten (mit-)ursächlich war (vgl. dazu BGH, Urt. v. 17.10.2001 - IV ZR 205/00, VersR 2001, 1547 unter II 1 m.w.N.). Vielmehr betrifft die Mitursächlichkeit von Vorerkrankungen eine Leistungseinschränkung, für die grundsätzlich der Versicherer die volle Beweislast trägt. Für diesen Beweis genügt nicht eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit. Vielmehr muss ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit erreicht werden, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so auch Grimm, a.a.O., m.w.N.).
Rz. 17
d) Das Berufungsgericht wird nunmehr unter Anwendung des Beweismaßes gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erneut zu prüfen haben, ob die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis erbringen kann, dass die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin zumindest 25 % an seinem Tod mitgewirkt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2859794 |
NJW 2012, 392 |
NJW 2012, 6 |
NWB 2012, 360 |
EBE/BGH 2012, 10 |
MDR 2012, 154 |
NJ 2012, 6 |
NZV 2012, 125 |
NZV 2012, 4 |
VersR 2012, 92 |
VuR 2012, 202 |
ZfS 2012, 278 |
NWB direkt 2012, 107 |
VK 2012, 27 |
VK 2012, 59 |
VRR 2012, 183 |
r+s 2012, 89 |
PAK 2012, 41 |