Leitsatz (amtlich)
Besteht zwischen den Parteien eines Frachtvertrages Streit darüber, ob der beim Empfänger nicht angekommene Teil der Sendung überhaupt in die Obhut des Frachtführers gelangt ist, kann nicht auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises zurückgegriffen werden. Da die Parteien über den Grund der Haftung streiten, scheidet auch eine Anwendung des § 287 ZPO aus. Der Anspruchsteller hat daher in einem solchen Fall den vollen Beweis dafür zu erbringen, dass der nicht beim Empfänger angekommene Teil der Sendung in die Obhut des Frachtführers gelangt ist.
Normenkette
CMR Art. 17 Abs. 1, Art. 29; ZPO § 286
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 26.1.2005 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin, ein Hamburger Assekuradeur, nimmt die Beklagte wegen des Verlusts von 100 Computerfestplatten aus übergegangenem und abgetretenem Recht der Transportversicherer der T. GmbH (im Weiteren: T. GmbH) auf Schadensersatz in Anspruch.
[2] Die T. GmbH erteilte der Beklagten am 22.5.2002 den Auftrag, 1000 Festplatten, die für sie bei der E. GmbH in Hünxe eingelagert waren, zu festen Kosten zu der L. Group S.A. in Paris zu befördern. Der Fahrer der von der Beklagten beauftragten Unterfrachtführerin quittierte am selben Tag, die Sendung ordnungsgemäß übernommen zu haben. Die Sendung traf, nachdem sie am 22.5.2002 im Lager der Beklagten in Wuppertal und am 23.5.2002 bei dem Unternehmen F. in Bretigny sur Orge in Frankreich umgeschlagen worden war, am 24.5.2002 bei der L. Group S.A. ein. Ein Mitarbeiter dieses Unternehmens brachte auf der Empfangsquittung u.a. den Stempel "SOUS RESERVE DE CONTROLE" ("Unter Vorbehalt der Kontrolle") auf. Des Weiteren befindet sich auf der Empfangsquittung ein ebenfalls französischsprachiger handschriftlicher Vermerk eines Mitarbeiters der Empfängerin, dass eine umschrumpfte Palette abgegeben worden sei, bei deren Kontrolle aber zwei Kartons leer vorgefunden und 100 Festplatten als fehlend festgestellt worden seien.
[3] Die Klägerin hat behauptet, in jedem der 20 Kartons hätten sich 50 Festplatten befunden. Zwei der Kartons mit zusammen 100 Festplatten im Verkaufswert von insgesamt umgerechnet 13.494,55 EUR seien im Obhutsgewahrsam der Beklagten bzw. ihrer Gehilfen in Verlust geraten. Die Beklagte sei ihrer Darlegungs- und Einlassungsverpflichtung nicht nachgekommen, den Schadenshergang einzugrenzen. Es bestehe daher die Vermutung, dass der Verlust der Festplatten auf einem qualifizierten Verschulden der Beklagten beruhe. Die von der Klägerin geleistete Entschädigung habe einschließlich Umsatzsteuer 14.844 EUR betragen.
[4] Die Klägerin hat die Beklagte daher vor dem LG gem. Art. 17, 29 CMR auf Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen in Anspruch genommen.
[5] Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten und außerdem in Abrede gestellt, dass die Ware in ihrem Obhutsgewahrsam verlorengegangen ist.
[6] Das LG hat die Klage abgewiesen.
[7] Die Berufung der Klägerin, mit der diese den Klageanspruch i.H.v. 13.494,55 EUR nebst Zinsen weiterverfolgt hat, ist ohne Erfolg geblieben.
[8] Mit ihrer (vom Berufungsgericht zugelassenen) Revision begehrt die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 13.494,55 EUR nebst Zinsen. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
[9] I. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin für unbegründet erachtet und hierzu ausgeführt:
[10] Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass zwei der bei der E. GmbH an die Unterfrachtführerin übergebenen Kartons nicht bereits leer gewesen seien. Der Inhalt der Kartons sei nicht in Augenschein genommen worden, bevor die Palette, auf der die Kartons gestapelt gewesen seien, mit Folie umwickelt worden sei. Da die zum Versand anstehende Ware entgegen den bei der E. GmbH bestehenden internen Richtlinien auch nicht erneut gewogen worden sei, habe es nicht zwingend auffallen müssen, wenn zwei Kartons keinen Inhalt mehr gehabt hätten. Es bestehe nicht nur eine theoretische Möglichkeit, dass noch bei der E. GmbH, also noch vor der Übergabe der Palette an die Unterfrachtführerin, aus zwei Kartons insgesamt 100 Festplatten entnommen worden seien. In zeitlicher Hinsicht sei ein entsprechender Diebstahl ohne Weiteres möglich gewesen. Ebenso lasse die Organisation des Lagers einen solchen Diebstahl weder als gänzlich ausgeschlossen noch als fernliegende, lediglich theoretische Möglichkeit erscheinen.
[11] Allerdings sei bei Gütern, die von kaufmännischen Absendern in verschlossenen Behältnissen versandt würden, prima facie anzunehmen, dass die im Lieferschein und in der dazu korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren in den Behältnissen enthalten gewesen seien. Der Anscheinsbeweis, den die Klägerin insoweit durch die von ihr vorgelegte Handelsrechnung und den entsprechenden Lieferschein begründet habe, sei vorliegend aber erschüttert. Es bestehe hier die Besonderheit, dass nicht etwa ein Karton vollständig im Obhutsgewahrsam des Frachtführers in Verlust geraten sei, sondern dieser die übernommene Sendung äußerlich vollständig beim bestimmungsgemäßen Empfänger abgeliefert habe. Die Manipulation an den Kartons, die zum Verlust der in ihnen enthalten gewesenen Waren geführt habe, könne sowohl noch beim Absender als auch in der Obhut der Frachtführer erfolgt sein. In einem solchen Fall sei der Anscheinsbeweis zumindest dann durch das Ausliefern geöffneter Kartons auf einer mit Folie umwickelten Palette erschüttert, wenn eine Manipulation beim Versender nach den Umständen keine nur theoretische Möglichkeit darstelle. Vom Frachtführer könne nicht verlangt werden, konkrete Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass beim Versender manipuliert worden sei. Der Versender habe es zudem in der Hand, durch einfache Maßnahmen wie insb. durch das Wiegen der zu versendenden Ware zu überprüfen und zu dokumentieren, dass diese dem Frachtführer vollständig übergeben worden sei, sowie Diebstählen im Frachtführergewahrsam vorzubeugen.
[12] II. Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht zusteht, weil diese nicht zu beweisen vermocht hat, dass die 100 Festplatten, die bei der L. Group S.A. nicht angekommen sind, in die Obhut der Beklagten gelangt sind.
[13] 1. Die Klägerin macht gegen die Beklagte wegen des Verlusts der Festplatten einen Schadensersatzanspruch gem. Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR geltend. Sie hat daher vorzutragen und, da die Beklagte die Sachdarstellung der Klägerin insoweit bestritten hat, zu beweisen, dass das Gut in der Obhut der Beklagten Schaden genommen hat und wie hoch dieser Schaden ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.1985 - I ZR 88/83, MDR 1986, 465 = TranspR 1986, 278, 280 f. = VersR 1986, 381; Urt. v. 8.6.1988 - I ZR 149/86, MDR 1988, 1026 = TranspR 1988, 370 = VersR 1988, 952; Urt. v. 16.11.1995 - I ZR 245/93, TranspR 1996, 72, 74 = VersR 1996, 913, zu § 407 HGB a.F.; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 17 CMR Rz. 12 m.w.N.). Dies umfasst neben dem Beweis der Übernahme von Gütern als solchen auch den Beweis ihrer Identität, ihrer Art, ihrer Menge und ihres Zustands (vgl. BGH, Urt. v. 10.4.1974 - I ZR 4/73, VersR 1974, 796, 798 = NJW 1974, 1614; Koller, a.a.O., Art. 17 CMR Rz. 12; Großkomm.HGB/Helm, 4. Aufl., Anh. VI nach § 452: CMR Art. 17 Rz. 46 m.w.N.). Die Beweisführung ist grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Zivilprozessrechts und insb. nach § 286 ZPO zu beurteilen (Großkomm.HGB/Helm, a.a.O., CMR Art. 17 Rz. 46). Danach setzte die Bildung der richterlichen Überzeugung, dass die 100 bei der L. Group S.A. nicht angekommenen Festplatten sich im Zeitpunkt der Übernahme der Sendung durch die Unterfrachtführerin bei der E. GmbH noch auf der Palette befunden hatten, einen Grad von Gewissheit voraus, der den Zweifeln Schweigen gebot (vgl. BGH, Urt. v. 4.11.2003 - VI ZR 28/03, MDR 2004, 509 = BGHReport 2004, 264 = NJW 2004, 777, 778 = VersR 2004, 118).
[14] 2. Der Annahme eines Anscheinsbeweises, wie ihn das Berufungsgericht unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 24.10.2002 (I ZR 104/00, TranspR 2003, 156, 159 = NJW-RR 2003, 754; vgl. auch BGH, Urt. v. 20.7.2006 - I ZR 9/05, BGHReport 2006, 1468 = MDR 2007, 414 = TranspR 2006, 394 = VersR 2007, 564 Tz. 19 f.) geprüft hat, steht - ungeachtet der von einem Teil des Schrifttums an der Anwendung des Anscheinsbeweises in einem derartigen Fall geübten Kritik (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., Vor § 284 Rz. 29 u. 31 a.E.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 286 Rz. 95, insb. Fn. 265; vgl. aber auch MünchKomm/ZPO/Prütting, 2. Aufl., § 286 Rz. 48 f., 58f., 67 ff.; Musielak/Foerste, ZPO, 5. Aufl., § 286 Rz. 23 u. 26 ff.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., Anh. zu § 286 Rz. 22 f.) - im Streitfall entgegen, dass es hier nicht um das unstreitige Abhandenkommen einer Sendung in der Obhut des Frachtführers geht. Die Fallkonstellation, in der der Senat den Anscheinsbeweis angewandt hat, betraf stets Fälle, in denen das zu befördernde Gut dem Frachtführer unstreitig in einem verschlossenen Behältnis übergeben worden und in der Obhut des Frachtführers verlorengegangen ist. Steht in einem solchen Fall in Streit, welche Waren sich in dem dem Frachtführer zum Transport übergebenen Behältnis befunden haben, ist in den angeführten Entscheidungen für den kaufmännischen Verkehr prima facie davon ausgegangen worden, dass die im Lieferschein und der damit korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren in dem Behältnis enthalten waren. Dahinter stand die Erwägung, dass jedenfalls im kaufmännischen Bereich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die - lange vor Kenntnis von dem späteren Verlust - in Lieferschein und Rechnung aufgeführten Waren tatsächlich auch versandt worden sind (BGH TranspR 2003, 156, 159). Um eine solche Konstellation geht es im vorliegenden Fall nicht. Vielmehr besteht hier zwischen den Parteien Streit darüber, ob der betreffende Teil der Sendung überhaupt in die Obhut der Beklagten gelangt ist. Für diese Frage kann nicht auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises zurückgegriffen werden. Da die Parteien über den Grund der Haftung streiten, scheidet auch eine Anwendung des § 287 ZPO aus.
[15] 3. Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass sich das Berufungsgericht keine Überzeugung davon bilden konnte, dass sich die abhandengekommenen Festplatten in den beiden der Beklagten übergebenen Paketen befunden haben (§ 286 ZPO). Es hat insb. den Diebstahl der Festplatten noch in der Obhut der E. GmbH und damit noch in der Obhut der Versenderin für nicht ausgeschlossen gehalten. Diese tatrichterliche Würdigung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Verfahrensrügen, die die Revision insofern erhebt, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
[16] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1807400 |
BGHR 2007, 1177 |
EBE/BGH 2007, 335 |
NJW-RR 2008, 119 |
CR 2008, 7 |
ZAP 2007, 1194 |
AnwBl 2008, 33 |
MDR 2007, 1436 |
NZV 2008, 145 |
RIW 2007, 870 |
PA 2008, 28 |
RdW 2008, 18 |
IDLR 2008, 7 |
Mitt. 2008, 45 |