Leitsatz (amtlich)
Zu den "sonstigen aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes" entstandenen Kosten (Beträgen) i. S. von Art. 23 Abs. 4 CMR (Art. 40 § 3 CIM) zählen nur solche Aufwendungen, die bei vertragsgemäßer Beförderung gleichermaßen entstanden wären und zum Wert des Gutes am Bestimmungsort beigetragen hätten, die also nicht schadensbedingt entstanden sind.
Normenkette
CMR § 23 Abs. 4; CIM § 40 § 3
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 11.08.2000) |
LG Berlin |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des KG vom 11.8.2000 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Versicherer der M. GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin), die in Deutschland Zigaretten herstellen lässt. Sie nimmt die Beklagte, die D. AG, aus übergegangenem und abgetretenem Recht wegen des Verlusts unversteuerter Zigaretten u. a. auf Ersatz von Tabaksteuer in Anspruch.
Die Versicherungsnehmerin versandte in den Jahren 1995 bis 1997 im Rahmen des Steueraussetzungsverfahrens an eine französische Empfängerin per Bahn unversteuerte Zigaretten. Bei dem innergemeinschaftlichen Versand unter Steueraussetzung werden in der Bundesrepublik Deutschland hergestellte Zigaretten von einem Steuerlager aus in Betriebe von berechtigten Empfängern in anderen Mitgliedstaaten verbracht. Die Steuerschuld für die Tabakwaren entsteht mit deren Aufnahme in den Betrieb des berechtigten Empfängers, der dann Steuerschuldner ist. Werden die Tabakwaren während des Transports dem Steueraussetzungsverfahren entzogen, ist der Versender steuerpflichtig.
In der Zeit von Oktober 1995 bis August 1997 kam es während des Transports nach Frankreich in acht Fällen zu Diebstählen von Zigaretten. Die dadurch bei der Versicherungsnehmerin entstandene Tabaksteuer hat die Beklagte teilweise aus Gründen der Kulanz erstattet. Den nicht ausgeglichenen Steuerbetrag hat die Klägerin der Versicherungsnehmerin - mit Ausnahme des Selbstbehalts - ersetzt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei gem. Art. 40 § 3 CIM auch verpflichtet, die von der Versicherungsnehmerin wegen des Diebstahls der Zigaretten geleistete und noch zu entrichtende Tabaksteuer zu erstatten.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage hinsichtlich der Tabaksteuer abgewiesen.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der von ihr gezahlten Tabaksteuer i. H. v. 279.889,53 DM sowie 947.283 FF und weiteren 91.523,10 DM, jew. nebst Zinsen, weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat eine Verpflichtung der Beklagten verneint, der Klägerin die Tabaksteuerbeträge zu erstatten, mit denen die französischen Steuerbehörden die Versicherungsnehmerin wegen des Entzugs der Zigaretten aus dem Steueraussetzungsverfahren belastet haben. Dazu hat es ausgeführt:
Die gezahlte Tabaksteuer sei nicht gem. Art. 40 § 3 der einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM) zu erstatten. Nach dieser Vorschrift müsse die Bahn Frachten, Zölle und Sonstige aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes gezahlte Beträge erstatten. Die Tabaksteuer gehöre nicht zu den "aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes" gezahlten Beträge, da sie wegen des Diebstahls der Zigaretten angefallen sei. Sie gehöre zum Versendungsrisiko des Absenders, der sich dagegen entweder durch die Angabe eines besonderen Interesses gem. Art. 46 CIM oder den Abschluss einer besonderen Versicherung schützen könne.
Das Berufungsgericht hat dabei angenommen, die Entwicklung des Frachthaftungsrechts der Bahnen weg von der Haftung in Höhe des Warenwertes am Ablieferungsort in Richtung auf den Wert des beschädigten oder in Verlust geratenen Gutes am Versandort lasse das Ziel einer Absenkung des Schadensrisikos der Bahn erkennen. Billigerweise habe der Absender dann aber einen Anspruch auf Erstattung derjenigen Aufwendungen erhalten müssen, die ihm aus Anlass der Beförderung entstanden seien. Denn der Geschädigte erhielte nicht den vollen Wert am Versandort, wenn er Fracht, Zölle und sonstige Kosten selbst tragen müsste, da diese Beträge den Wert des Gutes verringerten. Bei dieser Ausgangslage seien nur Zölle, Frachten und Sonstige aus Anlass der Beförderung gezahlte Beträge erstattungsfähig, die dazu beitrügen, dass das Gut am Ablieferungsort einen höheren Wert erlange. Schadensbedingte Aufwendungen schieden damit von der Erstattungsfähigkeit aus, weil sie - auch nicht typischerweise - den Ablieferungswert nicht erhöhten. Bei der auf Grund des Entzugs der Zigaretten aus dem Steueraussetzungsverfahren entstandenen Tabaksteuer handele es sich jedoch gerade um eine schadensbedingte Aufwendung. Sie gehöre daher - anders als beispielsweise eine in jedem Fall zu entrichtende Einfuhrumsatzsteuer - nicht zu den "aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes" gezahlten Beträgen i. S. des Art. 40 § 3 CIM.
II. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision stand.
Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei einen Anspruch der Klägerin aus Art. 40 § 3 CIM i.V. mit § 67 Abs. 1 VVG, § 398 BGB auf Erstattung der Tabaksteuerbeträge verneint, mit denen die Versicherungsnehmerin von den französischen Steuerbehörden wegen des Entzugs von Zigaretten aus dem Steueraussetzungsverfahren belastet worden ist.
1. Nach Art. 36 § 1 CIM haftet die Eisenbahn grundsätzlich für Schäden, die durch gänzlichen oder teilweisen Verlust des Gutes in der Zeit von der Annahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entstehen. Die hier in Rede stehenden Verlustfälle sind während dieses Zeitraums eingetreten.
2. Der Umfang der bei Verlust geschuldeten Entschädigung ergibt sich aus Art. 40 CIM. Nach Art. 40 § 1 CIM hat die Eisenbahn bei gänzlichem oder teilweisem Verlust des Gutes ohne weiteren Schadensersatz eine Entschädigung zu zahlen, die in erster Linie nach dem Börsenpreis, andernfalls nach dem Marktpreis oder - in Ermangelung beider - nach dem gemeinen Wert von Gütern gleicher Art und Beschaffenheit an dem Tag und an dem Ort, an dem das Gut zur Beförderung angenommen worden ist, berechnet wird. Die Vorschrift entspricht damit inhaltlich weitgehend den in Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR enthaltenen Regelungen.
Eine Erstattungsfähigkeit der von der Versicherungsnehmerin gezahlten Tabaksteuer nach Art. 40 § 1 CIM hat das Berufungsgericht verneint, weil der Marktpreis für die dem Steueraussetzungsverfahren entzogenen Zigaretten nicht die in Rede stehende Steuer umfasse. Das lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nicht beanstandet.
3. Neben dem Warenwert hat die Eisenbahn gem. Art. 40 § 3 CIM, der inhaltlich dem Art. 23 Abs. 4 CMR entspricht, Fracht, Zölle und Sonstige aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes gezahlte Beträge zu erstatten. Welche Aufwendungen zu den "sonstigen aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes" gezahlten Beträge zählen, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten.
a) Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass Kosten, die vor der Übernahme des Gutes durch den Frachtführer aufgewendet wurden, grundsätzlich nicht zu ersetzen sind, weil sie sich bereits im Versandwert des Gutes niedergeschlagen haben (vgl. Koller, Transportrecht, 4. Aufl., Art. 23 CMR Rz. 10; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 23 CMR Rz. 33; Mutz in MünchKomm/HGB, Art. 40 CIM Rz. 8; Herber/Piper, CMR, Art. 23 Rz. 26; Helm, Frachtrecht II, CMR, 2. Aufl., Art. 23 Rz. 19). Es werden mithin nur solche Kosten von Art. 40 § 3 CIM bzw. Art. 23 Abs. 4 CMR erfasst, die erst nach Beginn der Beförderung entstehen und deshalb den Wert des Gutes am Übernahmeort noch nicht erhöht haben.
b) In Bezug auf die letztgenannten Aufwendungen wird die Auffassung vertreten, dass sie nach Art. 23 Abs. 4 CMR und nach Art. 40 § 3 CIM, da diese Vorschrift den gleichen Regelungsgehalt wie die CMR-Bestimmung hat, erstattungsfähig seien, wenn sie mit der konkreten Beförderung in einem engen Zusammenhang stünden. Unerheblich sei, ob der Ersatzberechtigte sie im Hinblick auf den vertragsgemäßen Ablauf der Beförderung getätigt habe oder ob sie sich erst aus der vertragswidrigen Entwicklung des Transports ergeben hätten. Diese insbesondere in Frankreich, Großbritannien und Dänemark, aber auch in anderen Ländern vertretene Ansicht (siehe die Nachweise in Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 23 CMR Fn. 138-141) wird hauptsächlich mit der unscharfen Fixierung des Zusammenhangs (sont en outre remboursés le prix du transport, les droits de douane et les autres frais encourus à l'occasion du transport de la marchandise, ...) zwischen den Kosten und dem Transport begründet (vgl. Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 23 CMR Rz. 37).
c) Nach anderer (engerer) Auffassung sind nur solche Kosten gem. Art. 23 Abs. 4 CMR zu erstatten, die bei vertragsgemäßer Beförderung gleichermaßen entstanden wären und zum Wert des Gutes am Bestimmungsort beigetragen hätten, die also nicht schadensbedingt entstanden sind (vgl. BGH, Urt. v. 13.2.1980 - IV ZR 39/78, MDR 1980, 657 = VersR 1980, 522 [523] = NJW 1980, 2021; OLG München v. 17.7.1991 - 7 U 2871/91, TranspR 1991, 427 [428]; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., Art. 23 CMR Rz. 10m. w. N.; Helm, Frachtrecht II, CMR, 2. Aufl., Art. 23 Rz. 18; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 23 CMR Rz. 38; Herber/Piper, CMR, Art. 23 Rz. 26; Piper, Höchstrichterliche Rspr. zum Speditions- und Frachtrecht, 7. Aufl., Rz. 425).
d) Der Senat schließt sich im Grundsatz der Auffassung an, die eine enge Auslegung des Art. 23 Abs. 4 CMR befürwortet.
Die Haftungsregelungen des Art. 23 Abs. 1 bis 4 CMR unterscheiden wie die des Art. 40 § 1 bis 3 CIM zwischen dem Schaden, der durch den Verlust des Gutes eingetreten ist, und den transportbedingten Kosten des Absenders/Empfängers. Die Schäden werden gem. Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR, Art. 40 § 1 CIM durch Wertersatz und darüber hinaus - nach dem ausdrücklichen Verbot der Art. 23 Abs. 4 CMR und Art. 40 § 1 CIM - nicht kompensiert. Ersatzlos bleiben vor allem Folgekosten, zu denen sämtliche schadensbedingten Aufwendungen gehören. Das Risiko hierfür trägt grundsätzlich die Verladerseite, die auch das Risiko für entgangenen Gewinn oder Produktionsausfall des Empfängers trifft (vgl. Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 23 CMR Rdn. 38).
Diese enge Auslegung des Art. 23 Abs. 4 CMR (Art. 40 § 3 CIM) mag zwar zu Lücken bei der Ersatzleistung führen, weil nach Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR (Art. 40 § 1 CIM) nur der Börsen-/Marktpreis/gemeine Wert des in Verlust geratenen Gutes ersetzt wird. Sie entspricht aber sowohl dem Wortlaut als auch dem beschränkten Zweck des Art. 23 Abs. 4 CMR. Erstattungsfähig sind nur "Sonstige aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes entstandene Kosten". Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass es sich um Aufwendungen handeln muss, die auch bei vertragsgemäßer Abwicklung der Beförderung entstanden wären (vgl. Helm, Frachtrecht II, CMR, 2. Aufl., Art. 23 Rz. 18; Herber/Piper, CMR, Art. 23 Rz. 28).
Legt der Warenversender auf die Haftung des Beförderers für nicht von Art. 23 CMR (Art. 40 CIM) erfasste Sachfolgeschäden Wert, so hat er - worauf das Berufungsgericht mit Recht hingewiesen hat - die Möglichkeit, gem. Art. 26 CMR (Art. 46 CIM) ein besonderes Lieferinteresse zu deklarieren (Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 23 CMR Rz. 38; Herber/Piper, CMR, Art. 23 Rz. 9).
4. Auf der Grundlage dieses rechtlichen Ausgangspunktes hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass es sich bei der von der Versicherungsnehmerin gezahlten Tabaksteuer um schadensbedingte Aufwendungen gehandelt hat, deren Erstattungsfähigkeit nicht von Art. 40 § 3 CIM umfasst wird. Die im Steueraussetzungsverfahren (§§ 15 bis 17 TabakStG) beförderten Zigaretten wurden durch Diebstahl während des Transports in den Verkehr gebracht. Nach § 18 Abs. 1, 3 und 4 Nr. 1 TabakStG ist die Versicherungsnehmerin dadurch Steuerschuldnerin geworden. Bei vertragsgemäßer Abwicklung der Beförderung wären ihr die in Rede stehenden Kosten nicht entstanden. Es handelt sich mithin um durch die Schädigung selbst verursachte Aufwendungen, die nicht nach Art. 40 § 3 CIM (Art. 23 Abs. 4 CMR) erstattungsfähig sind (Herber/Piper, Basedow, Art. 23 Rz. 39 für die Entrichtung von Steuern wegen Verlustes von Gütern, die im Steueraussetzungsverfahren befördert und durch Diebstahl dem Verfahren entzogen werden; ebenso Piper, Höchstrichterliche Rspr. zum Speditions- und Frachtrecht, 7. Aufl., Rz. 425).
Der Revision kann nicht darin beigetreten werden, dass nicht der Diebstahl, sondern bereits der Transport der Zigaretten im Steueraussetzungsverfahren die Steuerschuld ausgelöst habe, weil die Ware während der Beförderung latent mit der Steuerpflicht behaftet gewesen sei. Die Revision berücksichtigt nicht genügend, dass die Warenbeförderung im Steueraussetzungsverfahren keinen Steuerentstehungstatbestand darstellt. Bei einem Transport von Tabakwaren im Verfahren nach den §§ 15 bis 17 TabakStG ist die Steuer gem. § 8 Abs. 1 Nr. 2 TabakStG zunächst ausgesetzt und daher noch nicht entstanden. Im Streitfall ist die Versendung der Zigaretten nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 TabakStG erfolgt, so dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 TabakStG zur Anwendung kommt. In einem solchen Fall entsteht die Tabaksteuer also nicht schon auf Grund der Beförderung, sondern auf Grund der Tatsache, dass die Zigaretten während des Transports dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden sind (§ 18 Abs. 1 TabakStG).
III. Danach war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1058741 |
BGHR 2003, 1404 |
NJW-RR 2004, 31 |
EWiR 2004, 331 |
MDR 2004, 285 |
VRS 2004, 44 |
VersR 2004, 535 |
TranspR 2003, 453 |