Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Arzthaftungsklage. Fehlende Aufklärung über Nebenwirkungen. Heilbehandlung ohne wirksame Einwilligung des Patienten. Arzt in der Schweiz. In Deutschland wohnhafter Patient
Leitsatz (amtlich)
Verschreibt ein Arzt in der Schweiz einem in Deutschland wohnhaften Patienten Medikamente, die am Wohnort des Patienten zu schweren Nebenwirkungen führen, über die der Arzt den Patienten nicht aufgeklärt hat, so ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine auf deliktische Ansprüche gestützte Klage aus Art. 5 Nr. 3 LugÜ, weil der Erfolgsort in Deutschland liegt. Denn eine ärztliche Heilbehandlung, die - mangels ausreichender Aufklärung - ohne wirksame Einwilligung des Patienten erfolgt, führt nur dann zur Haftung des Arztes, wenn sie einen Gesundheitsschaden des Patienten zur Folge hat.
Normenkette
Lugü Art. 5 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 13. Zivilsenats in Freiburg i. Br. des OLG Karlsruhe vom 9.2.2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Parteien streiten über die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Arzthaftungsklage.
[2] Der in Deutschland wohnhafte Kläger begab sich am 27.7.2004 in ein Kantonsspital in der Schweiz. Der beklagte Arzt diagnostizierte eine chronische Hepatitiserkrankung und empfahl eine Therapie mit zwei Medikamenten. Diese sollte sich der Kläger für sechs Monate bei wöchentlichen Kontrollen seines Hausarztes selbst verabreichen, davon eines durch Injektion mit einer Spritze, was im Rahmen einer Einweisung am 30.7.2004 auch einmalig im Kantonsspital geschah. Ende November 2004 brach der Kläger die Therapie ab.
[3] Er behauptet, die Einnahme der Medikamente habe zu schweren Nebenwirkungen geführt, über die er vom Beklagten nicht aufgeklärt worden sei, und verlangt deshalb - gestützt auf § 823 BGB - Schmerzensgeld und Schadensersatz.
[4] Das LG hat in einem Zwischenurteil seine internationale Zuständigkeit bejaht. Die Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) zugelassenen Revision macht er weiterhin die Unzuständigkeit deutscher Gerichte geltend.
Entscheidungsgründe
I.
[5] Das Berufungsgericht (OLGReport Karlsruhe 2007, 453) meint, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich aus Art. 5 Nr. 3 des Luganer Übereinkommens. Der Erfolgsort liege in Deutschland, weil dort in das geschützte Rechtsgut, nämlich Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, eingegriffen worden sei, denn die Medikamenteneinnahme sei planmäßig über einen längeren Zeitraum am Wohnsitz des Klägers erfolgt. Die Klage knüpfe nicht an einen Vertrag an, da die schädigende Einnahme der Medikamente ohne Aufklärung eine Körperverletzung darstelle. Art. 5 Nr. 3 sei auch dann anwendbar, wenn deliktische Ansprüche mit vertraglichen konkurrierten, und werde nicht von Art. 5 Nr. 1 verdrängt.
II.
[6] Die Revision hat keinen Erfolg. Die deutschen Gerichte sind international zuständig gem. Art. 5 Nr. 3 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16.9.1988 (BGBl. 1994 II 2658 ff., 3772; künftig: LugÜ), weil mit dem Rechtsstreit Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend gemacht werden.
[7] Das LugÜ ist in der Bundesrepublik Deutschland als dem Wohnsitzstaat des Klägers am 1.3.1995 und in der Schweiz als dem Wohnsitzstaat des Beklagten am 1.1.1992 in Kraft getreten (BGBl. 1995 II 221). Es findet im Streitfall gem. Art. 54b Abs. 2a, 1. Fall LugÜ Anwendung.
[8] Nach Art. 2 Abs. 1 LugÜ können Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, grundsätzlich nur vor den Gerichten dieses Staates verklagt werden. Die Gerichte eines anderen Vertragsstaates sind gem. Art. 3 LugÜ international zuständig, soweit das Übereinkommen Ausnahmen regelt. Eine solche stellt Art. 5 Nr. 3 LugÜ dar, der bestimmt, dass eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden kann, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist.
[9] 1. Diese Vorschrift ist in der für den Streitfall maßgebenden Fassung des LugÜ von den deutschen Gerichten auszulegen. Eine Auslegungszuständigkeit des EuGH besteht nicht (EuGH, Gutachten vom 7.2.2006 - C-1/03 - Slg. 2006 I, 1145, Rz. 19). Dies stellt die Revision auch nicht in Abrede.
[10] 2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass Gegenstand des Verfahrens eine unerlaubte Handlung i.S.v. Art. 5 Nr. 3 LugÜ ist.
[11] a) Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass der Kläger seinen Anspruch auf § 823 BGB stützt. Vielmehr sind die im LugÜ verwendeten Begriffe, die nach innerstaatlichem Recht der Vertragsstaaten eine unterschiedliche Bedeutung haben können, grundsätzlich autonom auszulegen (vgl. EuGH, Urt. v. 3.7.1997 - Rs. C-269/95 - Slg. 1997 I, 3767, Rz. 12 - Benincasa). Das gilt nach der Rechtsprechung des EuGH zum nahezu wortgleichen Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ auch für den Begriff "unerlaubte Handlung", der sich nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht verstehen lässt. Indessen bezieht sich hiernach der Begriff der unerlaubten Handlung auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen "Vertrag" i.S.v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ anknüpfen, wobei der Begriff "Vertrag" ebenfalls autonom zu verstehen ist und eine freiwillig gegenüber einer anderen Person eingegangene Verpflichtung meint (EuGH, Urt. v. 17.9.2002 - Rs. C-334/00 - Slg. 2002 I, 7357, Rz. 19 ff. - Tacconi; vom 20.1.2005 - Rs. C-27/02 - Slg. 2005 I, 481, Rz. 29 - Engler). Zuständigkeitsbegründende Tatsachen muss grundsätzlich der Kläger beibringen und jedenfalls schlüssig behaupten (EuGH, Urt. v. 3.7.1997 - Rs. C-269/95 -, a.a.O., Rz. 29 f.).
[12] b) Das ist im Streitfall geschehen. Der Kläger macht eine Schadenshaftung geltend, denn er verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Körperschadens, den er durch die ärztliche Behandlung des Beklagten erlitten habe, weil die von diesem verordneten Medikamente zu starken Nebenwirkungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hätten. Seine Klage knüpft schon deshalb nicht an einen Vertrag an, weil er nicht vorträgt, ob er einen Vertrag abgeschlossen hat und ggf. mit wem. Seine Klage knüpft vielmehr an eine unerlaubte Handlung an, weil er dem Beklagten eine Körperverletzung vorwirft (vgl. Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 214). Dabei moniert er eine unzureichende ärztliche Aufklärung, also den Verstoß gegen eine Pflicht, die eine ärztliche Berufspflicht darstellt und entgegen der Auffassung der Revision nicht "immer auf vertraglicher Grundlage" besteht (vgl. BGH BGHZ 162, 320, 323 f.; 172, 1 ff. = VersR 2007, 995, 998; v. 10.7.1954 - VI ZR 45/54, NJW 1956, 1106, 1107; v. 17.4.2007 - VI ZR 108/06, VersR 2007, 999 f.).
[13] c) Die Revision erkennt selbst, dass sich die Klage nicht auf Vertrag stützt, meint aber, allein die bestehende Möglichkeit einer Anspruchskonkurrenz begründe den Vorrang des Vertragsgerichtsstandes, auch wenn die Klage ausschließlich auf Delikt gestützt werde. Diese Auffassung findet indes in der Rechtsprechung des EuGH keine Stütze (vgl. EuGH, Urteile vom 27.9.1988 - Rs. 189/87 - Slg. 1988, 5565, Rz. 19 f. Kalfelis; vom 27.10.1998 - Rs. C-51/97 - Slg. 1998 I, 6511 ff. - Reunion; vom 17.9.2002 - Rs. C-334/00 -, a.a.O., - Tacconi und vom 20.1.2005 - Rs. C-27/02 - Slg. 2005 I, 481 - Engler). Soweit die Revision aus den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Rechtssache Kalfelis (Rs. 189/87 - Slg. 1988, 5565, 5573; zustimmend Lohse, a.a.O., S. 25 ff.; ähnlich OLG München WM 1989, 602, 606) Gegenteiliges folgern will, kann dem nicht gefolgt werden. Der EuGH hat nicht in diesem Sinn entschieden, sondern den Deliktsgerichtsstand auch dann für gegeben erachtet, wenn konkurrierende vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden. Das muss erst recht gelten, wenn die Klage - wie im Streitfall - ausschließlich auf deliktische Ansprüche gestützt ist (vgl. auch BGH, Urt. v. 7.12.2004 - IX ZR 366/03, NJW-RR 2005, 581, 584 m.w.N.).
[14] Die Revision sieht auch selbst, dass der EuGH in der Rechtssache Kalfelis von der Möglichkeit einer Zuständigkeitsspaltung für Ansprüche vertraglicher und außervertraglicher Art ausgegangen ist. Soweit sie gleichwohl meint, dass hierdurch im Falle der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz nur eine Annexkompetenz für vertragliche Ansprüche im Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 LugÜ verneint, aber nicht ausdrücklich zur Frage Stellung genommen werde, ob Art. 5 Nr. 3 von Art. 5 Nr. 1 LugÜ verdrängt werde, kann dem nicht gefolgt werden.
[15] 3. "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" i.S.v. Art. 5 Nr. 3 LugÜ ist vorliegend der Wohnort des Klägers.
[16] a) Insoweit besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort (vgl. EuGH, Urt. v. 10.6.2004 - Rs. C-168/02 - Slg. 2004 I, 6009, Rz. 16 - Kronhofer), doch kommt im Streitfall nur der Erfolgsort in Betracht. Erfolgsort ist derjenige Ort, an dem die Verletzung des primär geschützten Rechtsguts eintritt. Allerdings erfasst er nicht jeden Ort, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar werden, der bereits einen - tatsächlich an einem anderen Ort entstandenen - Schaden verursacht hat.
[17] b) Bei einer Medikamententherapie, die in der Schweiz verordnet und über die dort angeblich fehlerhaft aufgeklärt wurde, liegt der Erfolgsort in Deutschland, wenn das Medikament - wie zwischen Arzt und Patient besprochen - dort eingenommen wurde und die Nebenwirkungen dort auftraten (vgl. Uhl, Internationale Zuständigkeit gem. Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler und Lugano-Übereinkommens, S. 217 ff.; Sänger, Der Internist 1998, M 221, M 222; Schlosser, RIW 1988, 987, 989; ähnlich für Diagnosefehler Bäune, Zeitschrift für Orthopädie 2005, 12 ff.).
[18] Der Auffassung der Revision, bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht sei Erfolgsort nicht der Ort, an dem die Gesundheitsschäden eingetreten sind, sondern der Ort, an dem der Patient sich befand, als die Aufklärungspflicht verletzt wurde, überzeugt nicht. Die Revision will sich darauf stützen, dass die "Primärverletzung" in einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht bzw. die Entscheidungsfreiheit des Patienten zu sehen sei. Dabei verkennt sie jedoch, dass Art. 5 Nr. 3 LugÜ als Erfolgsort denjenigen Ort ansieht, an dem der Schaden (erstmals) eingetreten ist. Insoweit räumt auch die Revision ein, dass ein die Haftung auslösender Schaden bei einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht erst dann eintritt, wenn die Behandlung zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit führt. Diese Betrachtungsweise entspricht sowohl Wortlaut und Sinn des Art. 5 Nr. 3 LugÜ als auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. nur die BGH BGHZ 162, 320, 323 f.; 172, 1 ff., a.a.O.; v. 17.4.2007 - VI ZR 108/06 -, a.a.O., jeweils m.w.N.).
[19] Der gelegentlich vertretenen Auffassung, wonach eine ärztliche Heilbehandlung ohne rechtfertigende Einwilligung in erster Linie eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstelle und deshalb auch ohne einen vom Arzt verursachten Gesundheitsschaden zu einer Haftung führe (vgl. OLG Jena VersR 1998, 586, 588 m.w.N.; zur Problematik vgl. Wagner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 823 Rz. 662, 748, m.w.N.), vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Diese Auffassung, die eine Haftung bereits aus der bloßen Verletzung der Aufklärungspflicht herleitet, auch wenn kein Gesundheitsschaden eintritt, würde zu einer uferlosen Haftung der Ärzte führen, die auch bei der gebotenen Berücksichtigung der Interessen der Patienten nicht vertretbar wäre.
[20] Vielmehr ist eine ärztliche Heilbehandlung ohne wirksame Einwilligung des Patienten - die eine ausreichende Aufklärung voraussetzt - zwar rechtswidrig (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.2007 - VI ZR 108/06 -, a.a.O., m.w.N.), doch führt sie zur Haftung des Arztes nur, wenn sie einen Gesundheitsschaden des Patienten zur Folge hat. Maßgeblich für den Erfolgsort ist deshalb, an welchem Ort der Gesundheitsschaden eintritt.
III.
[21] Die Revision muss danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 2009317 |
BGHZ 2008, 342 |
NJW 2008, 2344 |
EBE/BGH 2008 |
JR 2009, 337 |
ArztR 2009, 78 |
EuZW 2008, 447 |
IPRax 2009, 150 |
MDR 2008, 934 |
MedR 2008, 666 |
MedR 2009, 282 |
RIW 2008, 711 |
VersR 2008, 1668 |
GesR 2008, 419 |
r+s 2008, 445 |
AZR 2008, 126 |
ELF 2008, 57 |
EuLF 2008, 138 |