Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung, dass eine zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung eine Schadensersatzforderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung darstelle und der Widerspruch des Schuldners unbegründet sei
Leitsatz (redaktionell)
Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage eines Insolvenzgläubigers auf Feststellung, dass es sich bei einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung um eine Schadensersatzforderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung handelt und der Widerspruch des Schuldners unbegründet sei, weil kein einfacherer Weg zur Verfügung steht, um im Falle der Erteilung der Restschuldbefreiung einer Vollstreckungsgegenklage des Schuldners den Boden zu entziehen.
Normenkette
InsO § 179 Abs. 1, § 183 Abs. 2, § 184 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Kammergerichts vom 29. September 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Beklagte war Geschäftsführer der G. -GmbH, die wiederum Komplementärin der G. GmbH & Co. KG war. Die KG hatte in den Monaten Februar bis Juli 2000 die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer an die Rechtsvorgänger der Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, nicht abgeführt. Wegen dieser nicht abgeführten Beiträge erwirkte die Klägerin am 8. Januar 2002 einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Dresden auf Zahlung von 11.161,63 EUR und am 8. April 2003 ein rechtskräftiges Versäumnisurteil des Landgerichts Gera auf Zahlung von 47.468,25 EUR gegen den Beklagten. Von dem Gesamtbetrag von 58.629,88 EUR hat ein früherer Mitgeschäftsführer des Beklagten einen Betrag von 10.000 EUR an die Klägerin gezahlt.
Rz. 2
Am 28. Juli 2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet. Die Klägerin meldete ihren Anspruch in Höhe von 48.629,88 EUR mit dem Forderungsgrund: „Schadensersatzansprüche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB (tituliert)” zur Insolvenztabelle an. Die Insolvenzverwalterin bestritt die Forderung zunächst, erkannte sie dann aber an. Der Beklagte widersprach der Forderung nach Grund und Höhe.
Rz. 3
Die Klägerin beantragt festzustellen, dass der Beklagte die Schadensersatzforderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung schulde und sein Widerspruch unbegründet sei. Das Landgericht hat die Klage für zulässig und begründet gehalten. Auf die Berufung des Beklagten hat das Kammergericht die Klage mit der Maßgabe abgewiesen, dass sie derzeit unzulässig sei. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Entscheidung hat angesichts der Säumnis des Beklagten durch Versäumnisurteil zu ergehen, beruht aber inhaltlich auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81).
II.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, weil der Klägerin das für eine Feststellungsklage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehle. Sie könne die Beseitigung des gegen den Grund und die Höhe der Forderung gerichteten Widerspruchs des Beklagten auf einfacherem Wege durch einen Antrag auf Berichtigung der Insolvenztabelle gemäß § 183 Abs. 2 InsO erlangen. Der Beklagte habe seinen Widerspruch nicht innerhalb der Frist des § 184 Abs. 2 Satz 1 InsO im Klagewege weiterverfolgt. Dieser gelte deshalb als nicht erhoben. Entsprechend einer gleichgelagerten Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg (NZI 2010, 266 [OLG Brandenburg 11.02.2010 – 12 U 164/09]) müsse davon ausgegangen werden, dass § 184 Abs. 2 InsO auch dann anzuwenden sei, wenn durch Auslegung ermittelt werden könne, dass die angemeldeten Forderungen sich auf das genannte Attribut gründeten. Zwar weise das Versäumnisurteil im Tenor die Anspruchsgrundlage nicht aus. Aus der Klageschrift sei aber zu entnehmen, dass die Forderung allein auf die Haftungsgründe gemäß § 823 Abs. 2 BGB, §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt worden sei. Auch in dem Vollstreckungsbescheid seien diese Anspruchsgrundlagen ausdrücklich so bezeichnet worden. Da gemäß einer weiteren Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg (NZI 2008, 319 [OLG Brandenburg 14.02.2008 – 12 U 89/07]) davon auszugehen sei, dass auch der auf den Anspruchsgrundlagen beruhende entscheidungserhebliche Sachverhalt in Rechtskraft erwachse, müsse von einer Bindungswirkung des Versäumnisurteils und des Vollstreckungsbescheides ausgegangen werden.
III.
Rz. 6
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klage ist zulässig.
Rz. 7
1. Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde (§ 256 Abs. 1 ZPO). Vorliegend folgt das rechtliche Interesse der Klägerin aus § 302 Nr. 1 InsO. Der Schuldner hat Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt. Wird diese erteilt, darf die Klägerin grundsätzlich weder aus dem Urteil vom 8. April 2003 noch aus dem Vollstreckungsbescheid vom 8. Januar 2002 gegen den Schuldner vollstrecken. Zwar werden Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hatte (§ 302 Nr. 1 InsO). Vorliegend hat aber der Schuldner der von der Klägerin angemeldeten Forderung dem Grunde und der Höhe nach widersprochen. Damit hat er sich die rechtliche Möglichkeit verschafft, im Fall der Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil und dem Vollstreckungsbescheid Vollstreckungsgegenklage zu erheben (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010 – IX ZR 41/10, ZInsO 2011, 39 Rn. 8). Für die Klägerin besteht damit das Risiko, dass es früher oder später zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung kommt (vgl. BGH, aaO; Beschluss vom 18. Mai 2006 – IX ZR 187/04, ZInsO 2006, 704 Rn. 10). Zurückgenommen hat der Beklagte seinen Widerspruch nicht, so dass weiterhin das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung um den Forderungsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gegeben ist.
Rz. 8
2. Der Klägerin steht kein gegenüber der Feststellungsklage einfacherer Weg zur Verfügung, um die Wirkungen des Widerspruchs des Beklagten zu beseitigen. Insbesondere kann sie nicht einen Antrag auf Berichtigung der Tabelle gemäß oder entsprechend § 183 Abs. 2 InsO stellen. Die Tabelle ist nicht im Sinne dieser Vorschrift unrichtig.
Rz. 9
a) Aus § 183 Abs. 2 InsO folgt, dass ein obsiegender Beteiligter eines Feststellungsstreits im Sinne des § 179 Abs. 1 oder 2 InsO beim Insolvenzgericht die Berichtigung der Tabelle beantragen kann, wenn er als anmeldender Gläubiger mit seiner Klage Erfolg gehabt hat oder als bestreitender Insolvenzgläubiger oder Insolvenzverwalter mit seinem Widerspruch durchgedrungen ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010, aaO Rn. 10). Eine entsprechende Anwendung des § 183 Abs. 2 InsO kommt möglicherweise dann in Betracht, wenn der Gläubiger eine titulierte Forderung angemeldet hat, die vom Schuldner bestritten worden ist, der Schuldner jedoch entgegen § 184 Abs. 2 InsO seinen Widerspruch nicht innerhalb der Monatsfrist verfolgt hat (BGH, aaO Rn. 11).
Rz. 10
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine entsprechende Anwendung des § 184 Abs. 2 und des § 183 Abs. 2 InsO ausgeschlossen, wenn der Anspruchsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vom Schuldner bestritten und die Forderung tituliert ist, nicht aber der Anspruchsgrund selbständig festgestellt ist (BGH, aaO Rn. 12 ff). Dies hat der Bundesgerichtshof anlässlich der Revision gegen das vom Berufungsgericht ausgeführte Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 11. Februar 2010 (NZI 2010, 266) geklärt. Von einer entsprechenden Rechtslage ist auch hier auszugehen. Die Klägerin verfügt zwar über ein rechtskräftiges Versäumnisurteil und einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid gegen den Schuldner. In beiden Fällen ist aber nicht mit der für § 184 Abs. 2 InsO erforderlichen Rechtskraftwirkung festgestellt, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht (vgl. Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 184 Rn. 36 ff).
Rz. 11
aa) Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Tabelle sei unrichtig, darauf gestützt, dass der Beklagte es im Hinblick auf das Versäumnisurteil vom 8. April 2003 unterlassen habe, seinen Widerspruch gegen die von der Klägerin angemeldete Forderung gemäß § 184 Abs. 2 InsO zu verfolgen. Hierbei hat es übersehen, dass mit der unanfechtbaren Verurteilung des Geschäftsführers einer GmbH zum Schadensersatz für nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile von Sozialversicherungsbeiträgen in einem Versäumnisurteil diesem gegenüber noch nicht rechtskräftig feststeht, dass der zuerkannte Anspruch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht und deshalb nicht von einer etwaigen Restschuldbefreiung ergriffen wird (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2009 – IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77, Rn. 15 f). Danach erstreckt sich die Rechtskraft eines Leistungsurteils nicht auf die Feststellung, dass der Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt (BGH, aaO Rn. 14 ff). Die rechtskräftige Feststellung kann auch nicht durch Auslegung des Versäumnisurteils in Verbindung mit der Klageschrift, aufgrund derer das Urteil erlassen worden ist, ersetzt werden (BGH, aaO).
Rz. 12
bb) Rechtskraftwirkung zum materiellen Anspruchsgrund tritt – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – auch nicht ein, soweit die Klägerin ihre Forderung auf einen Vollstreckungsbescheid stützt, in dem angegeben ist, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt. Dass ein solcher Vollstreckungsbescheid das Gericht des Feststellungsprozesses nicht bindet, auch wenn er auf eine Anspruchsgrundlage Bezug nimmt, die eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung voraussetzt, hat der Bundesgerichtshof bereits in einem Urteil vom 18. Mai 2006 (IX ZR 187/04, ZInsO 2006, 704 Rn. 12 f) entschieden. Der auf einem Mahnbescheid beruhende Vollstreckungsbescheid ist – dies gilt auch für § 850f Abs. 2 ZPO (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – VII ZB 17/05, ZInsO 2005, 538, 539) – nicht geeignet, die rechtliche Einordnung des in ihm geltend gemachten Anspruchs festzustellen, weil er nicht auf einer richterlichen Schlüssigkeitsprüfung beruht, sondern allein auf der Angabe des Gläubigers (BGH, Urteil vom 18. Mai 2006, aaO Rn. 12; Beschluss vom 5. April 2005, aaO zu § 850f Abs. 2 ZPO). Darüber hinaus gelten auch hier die Erwägungen des Senatsurteils vom 5. November 2009 (aaO). Das Berufungsgericht hätte deshalb der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage auch im Hinblick auf die im Vollstreckungsbescheid vom 8. Januar 2002 titulierte Forderung nicht absprechen dürfen. Eine rechtskräftige Titulierung des Ausspruchs, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht, die der Schuldner innerhalb der Frist des § 184 Abs. 2 Satz 1 InsO hätte angreifen müssen, ist mit dem Vollstreckungsbescheid nicht verbunden.
Rz. 13
c) Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2009 (IX ZR 154/08, ZInsO 2009, 1494), steht dieser Entscheidung nicht entgegen. Gegenstand war dort ein gerichtlicher Vergleich, in dem die Parteien außer Streit gestellt hatten, dass der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung besteht. Anders als bei einem Versäumnisurteil und einem Vollstreckungsbescheid steht in einem derartigen Fall für den Feststellungsprozess bindend fest, dass die Forderung auf einer entsprechenden Handlung beruht (vgl. BGH, aaO Rn. 11).
IV.
Rz. 14
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird nunmehr die Begründetheit der Feststellungsklage zu prüfen haben.
Unterschriften
Vill, Raebel, Pape, Grupp, Möhring
Fundstellen
Haufe-Index 3512458 |
JurBüro 2012, 605 |
WM 2012, 1872 |
DGVZ 2013, 36 |
ZInsO 2012, 1614 |
FoVo 2012, 217 |
FMP 2012, 195 |