Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherheitsleistung für Prozesskosten. Kostendeckende Sicherheit für alle Rechtszüge. Leistung weiterer Sicherheiten. Angehöriger des Staats Anguilla
Leitsatz (amtlich)
a) Hat der Beklagte die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten (§§ 110 ff. ZPO) in erster Instanz rechtzeitig und uneingeschränkt für alle Rechtszüge erhoben, setzt das Gericht erster Instanz die Sicherheit aber der Höhe nach so fest, dass sie nicht die Kosten sämtlicher möglicher Rechtszüge abdeckt, darf der Beklagte abwarten, bis die angeordnete Sicherheit die Kosten nicht mehr deckt, und dann gem. § 112 Abs. 3 ZPO - ggf. wiederholt - die Leistung weiterer Sicherheit für die Kosten sämtlicher Rechtszüge verlangen.
b) Ein Angehöriger des Staates Anguilla ist nach dem deutsch-britischen Abkommen über den Rechtsverkehr v. 3.12.1928 nur unter der Voraussetzung von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung befreit (§ 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), dass er einen Wohnsitz in Deutschland hat. Eine Vollstreckung einer Entscheidung über die Prozesskosten (§ 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) findet in Anguilla weder nach der EuGVVO noch nach dem EuGVÜ oder dem deutsch-britischen Abkommen v. 14.6.1960 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen statt.
Normenkette
ZPO §§ 110, 282 Abs. 3
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Aktenzeichen 10 U 13/01) |
LG Hamburg |
Tenor
Es wird angeordnet, dass die Klägerin wegen der Prozesskosten der Beklagten bis zum 14.7.2004 weitere Sicherheit i.H.v. 11.500 EUR zu leisten hat.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine auf der Insel Anguilla/Karibik gegründete Gesellschaft, die nach ihrem Vortrag ihren Verwaltungssitz in Macati City auf den Philippinen hat. Sie verlangt von der Beklagten Schadensersatz i.H.v. 665.601,03 EUR nebst Zinsen wegen Nichterfüllung eines Forderungskaufvertrages; hilfsweise nimmt sie die Beklagte wegen schuldhaften Abbruchs von Vertragsverhandlungen auf Erstattung vergeblicher Aufwendungen von 5.286,69 EUR in Anspruch. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
In ihrer Klageerwiderung hat die Beklagte wegen der Prozesskosten Sicherheit verlangt. Durch Beschl. v. 20.7.2000 hat das LG der Klägerin eine Sicherheitsleistung für die Prozesskosten i.H.v. 40.000 DM auferlegt, die die Klägerin erbracht hat. Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte erneut die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit erhoben und angeregt, für die ergänzende Sicherheitsleistung auch die Kosten einer Gebühr im Revisionsverfahren zu berücksichtigen. Auf einen entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts hat die Klägerin zur Abdeckung der Kosten der ersten beiden Instanzen freiwillig weitere Sicherheit i.H.v. 15.000 DM geleistet. Die Beklagte hat daraufhin vor der Verhandlung zur Sache vor dem Berufungsgericht erklärt, sie halte die Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit für eine denkbare dritte Instanz aufrecht.
Sie beantragt nunmehr, der Klägerin aufzugeben, eine weitere Sicherheit für die Prozesskosten der Beklagten i.H.v. 11.500 EUR zu leisten.
Entscheidungsgründe
Das Verlangen der Beklagten nach weiterer Prozesskostensicherheit ist gem. § 112 Abs. 3, § 110 ZPO begründet.
1. Die Beklagte ist mit dem Verlangen nach weiterer Sicherheitsleistung nicht nach §§ 565, 532 Satz 2 ZPO ausgeschlossen. Die Rüge der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten (§§ 110 ff. ZPO) gehört zu den die Zulässigkeit der Klage betreffenden verzichtbaren Rügen, die gem. § 282 Abs. 3 ZPO grundsätzlich vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache, und zwar für alle Rechtszüge, erhoben werden muss (BGH, Urt. v. 15.5.2001 - XI ZR 243/00, BGHReport 2001, 942 = NJW 2001, 3630 unter I 1; Urt. v. 23.11.1989 - IX ZR 23/89, MDR 1990, 432 = WM 1990, 373 unter 2; Urt. v. 1.4.1981 - VIII ZR 159/80, MDR 1981, 1011 = NJW 1981, 2646 unter III 1). Diese Obliegenheit hat die Beklagte erfüllt.
Sie hat bereits mit ihrer Klageerwiderung uneingeschränkt Prozesskostensicherheit verlangt. Das LG hat die zu leistende Sicherheit zwar - im Einvernehmen mit den Parteien - nur auf 40.000 DM und damit angesichts der erstinstanzlich erhobenen Klageforderung von 4.235.131,76 FF (umgerechnet 1.262.763,82 DM) erkennbar auf einen Betrag festgesetzt, der allenfalls Sicherheit für die Kosten der ersten und zweiten Instanz bot. Die Beklagte war jedoch nicht gehalten, wegen der Kosten der Revisionsinstanz die Einrede der mangelnden Kostensicherheit auch über die Entscheidung des LG hinaus aufrecht zu erhalten, sondern durfte abwarten, bis die vom LG angeordnete Sicherheit ihre Kosten nicht mehr deckte, und dann die Leistung einer weiteren Sicherheit verlangen (BGH, Urt. v. 23.11.1989 - IX ZR 23/89, MDR 1990, 432 = WM 1990, 373).
Dementsprechend hat die Beklagte mit ihrer Berufungserwiderung erneut die Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozesskosten erhoben. Dass sie dabei angeregt hat, bei der Festsetzung der ergänzenden Sicherheitsleistung auch die Kosten (nur) einer Gebühr im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, kann nicht als Beschränkung ihres Begehrens ausgelegt werden, die einem Antrag auf darüber hinaus gehende Sicherheitsleistung nach § 112 Abs. 3 ZPO entgegenstünde. Im Zusammenhang mit der auch im Berufungsrechtszug uneingeschränkt erhobenen Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit und der gleichzeitigen Bezugnahme der Beklagten auf das Senatsurteil v. 1.4.1981 (a.a.O.) war diese Anregung vielmehr als Hinweis auf das Mindestmaß an Sicherheit zu verstehen, welches die Beklagte im Hinblick darauf, dass sie Sicherheit auch für die Kosten der Revisionsinstanz beanspruchte, bei der Festsetzung der Höhe durch das Berufungsgericht für erforderlich hielt. Nach einer weiteren freiwilligen Sicherheitsleistung der Klägerin i.H.v. 15.000 DM, die die zu erwartenden Kosten des Berufungsrechtszugs abdeckte, hat die Beklagte noch vor der Verhandlung zur Hauptsache die Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit für die Revisionsinstanz ausdrücklich aufrechterhalten. Damit ist sie ihrer sich aus §§ 565, 532 S. 2 ZPO ergebenden Obliegenheit zu einem rechtzeitigen Verlangen weiterer Sicherheitsleistung nach § 112 Abs. 3 ZPO in der Berufungsinstanz ausreichend nachgekommen.
2. Die Voraussetzungen des § 110 ZPO für eine Verpflichtung der Klägerin zur Leistung weiterer Prozesskostensicherheit liegen vor.
a) Die Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Bei Gesellschaften gilt als gewöhnlicher Aufenthalt deren Sitz i.S.v. § 17 ZPO (Musielak/Foerste, ZPO, 3. Aufl., § 110 Rz. 4; Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 110 Rz. 2). Ob es insoweit auf den Gründungssitz der Klägerin in Anguilla oder den von ihr behaupteten Verwaltungssitz auf den Philippinen ankommt, kann dahinstehen.
b) Die Verpflichtung der Klägerin zur Leistung von Prozesskostensicherheit ist nicht gem. § 110 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Der Ausnahmetatbestand des § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, dass auf Grund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann, ist weder im Verhältnis zu Anguilla noch zu den Philippinen gegeben. Art. 14 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr v. 3.12.1928 (RGBl. II 1928, 623), das auch auf Anguilla Anwendung findet (BGBl. II 1960, 1518), befreit von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung nur unter der hier nicht gegebenen Voraussetzung, dass der Kläger einen Wohnsitz im Inland hat. Mit den Philippinen hat die Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen i.S.d. § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht getroffen.
Völkerrechtliche Verträge, auf Grund derer eine Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an die Beklagte im Ausland vollstreckt würde (§ 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), bestehen weder mit den Philippinen noch mit Anguilla. Mit den Philippinen wurde ein solcher völkerrechtlicher Vertrag nicht geschlossen. Die Insel Anguilla ist zwar britisches Überseegebiet, sie ist aber in die mit dem Vereinigten Königreich bestehenden Vollstreckungsvereinbarungen nicht einbezogen. Die EG-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) gilt gem. Art. 299 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.V.m. Anh. II zum Vertrag nicht im Verhältnis zu Anguilla (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Einl Rz. 29). Die Erstreckung des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf Anguilla würde eine entsprechende Erklärung des Vereinigten Königreichs voraussetzen, die dieses nicht abgegeben hat (Auer in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze, Der Internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand November 2003, Nr. 606-9 Rz. 20; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., Art. 60 Rz. 11), so dass sich die Frage einer Fortgeltung des EuGVÜ im Verhältnis zu Anguilla nach Art. 68 Abs. 1 EuGVVO nicht stellt. Auch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 14.6.1960 (BGBl. II 1961, 301) fand gemäß Art. I Abs. 1 lit. b auf Anguilla keine Anwendung, weil das Vereinigte Königreich die dafür erforderliche Ausdehnungserklärung nach Art. XII des Abkommens nicht abgegeben hat (vgl. Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze, Der Internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand November 2003, Nr. 702-38, Fn. 175 zu Art. XII des Abkommens); die Frage, ob dieses Abkommen durch Art. 55, 56 EuGVÜ auch für diejenigen Rechtsgebiete aufgehoben worden ist, für die das EuGVÜ nicht galt, bedarf deshalb ebenfalls keiner Entscheidung.
3. Bei der Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung hat der Senat gem. § 112 Abs. 2 ZPO die in den ersten beiden Rechtszügen bereits entstandenen und die in der Revisionsinstanz voraussichtlich noch entstehenden außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu Grunde gelegt.
Fundstellen
ZIP 2004, 2013 |
ProzRB 2005, 3 |