Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Vertrag vom 21. August 1987 zwischen der Republik Österreich und der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) über die Regelung bestimmter Vermögensansprüche (abgedruckt in: Feiberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Bd. 2, Anhang II 6).
I.
1. Die DDR schloss in den 70er und 80er Jahren mit westeuropäischen Staaten eine Reihe so genannter Globalentschädigungsabkommen, so auch mit der Republik Österreich. Nach Art. 1 dieses Vertrags zahlt die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik an die Regierung der Republik Österreich eine Nettosumme zur Abgeltung der “vermögensrechtlichen Ansprüche, die der Republik Österreich, österreichischen Staatsbürgern oder österreichischen juristischen Personen dadurch erwachsen sind, daß ihr Vermögen durch Übernahme in staatliche Verwaltung oder durch staatliche Maßnahmen der Deutschen Demokratischen Republik in deren ausschließliche Verfügungsgewalt gelangt ist.” Gemäß Art. 7 sind mit “vollständiger Bezahlung des in Artikel 1 festgesetzten Betrags” alle geregelten vermögensrechtlichen Ansprüche “endgültig erledigt”.
Die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin der untergegangenen DDR überwies im Juni 1993 die letzte Rate des Betrags an die Republik Österreich.
2. Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie ist Rechtsnachfolgerin ihres Vaters, eines österreichischen Staatsbürgers jüdischer Abstammung. Dieser war Eigentümer des streitigen, im Ostteil Berlins belegenen Grundstücks. Er übertrug es am 22. Mai 1939 auf seine Tochter. Das Grundstück stand ab 1951/52 unter staatlicher Verwaltung gemäß der Verordnung des Magistrats von Groß-Berlin vom 18. Dezember 1951.
Nach Abschluss des Vertrags nahm die Beschwerdeführerin am 21. August 1987 die ihr angebotene Entschädigung in Höhe von öS 1.760.246,25 (rd. DM 250.000) vorbehaltlich der von ihr in erster Linie erstrebten Rückgabe des Grundstücks an. Nach Aufhebung der staatlichen Verwaltung durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 wurde der Beschwerdeführerin die Verwaltung des streitigen Grundstücks zum 1. Mai 1993 übertragen. Mit Bescheid vom 10. August 1995 ordnete der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Berlin das streitige Grundstück der Bundesrepublik Deutschland (Entschädigungsfonds) gemäß § 1b Abs. 1 Satz 1 des Vermögenszuordnungsgesetzes (VZOG) zu, weil es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch handele, der von der DDR durch zwischenstaatliche Vereinbarung geregelt sei.
3. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin blieb erfolglos: Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid sei § 1b Abs. 1 Satz 1 VZOG. Danach seien Vermögensgegenstände, die Gegenstand der in § 1 Abs. 8 Buchstabe b VermG genannten Vereinbarungen seien, dem Bund (Entschädigungsfonds) zuzurechnen, wenn dieser nicht etwas anderes bestimme und die in den Vereinbarungen bestimmten Zahlungen geleistet seien. Der Tatbestand des § 1b Abs. 1 Satz 1 VZOG sei erfüllt. Der Vertrag zwischen der DDR und Österreich sei eine Vereinbarung i.S. des § 1 Abs. 8 Buchstabe b VermG. Das streitige Grundstück unterfalle Art. 1 dieses Vertrags, da es spätestens seit dem 5. Juni 1952 unter staatlicher Verwaltung der DDR gestanden habe. Die erforderlichen Zahlungen seien geleistet. Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht berührt, da etwaige Eigentumspositionen der Beschwerdeführerin spätestens mit dem In-Kraft-Treten des Vertrags erloschen seien. Das ergebe sich aus Wortlaut, Sinn und Zweck von Art. 1, 7 des Vertrags entsprechend der Auslegungsregel des Art. 31 Wiener Vertragsrechtskonvention. Die gegenteilige Ansicht des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs könne nicht überzeugen.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mangels rechtsgrundsätzlicher Bedeutung zurückgewiesen. Auf die Frage, ob durch den Vermögensvertrag DDR-Österreich oder durch Zahlungen auf diesen die individuellen Ansprüche österreichischer Staatsangehöriger untergegangen seien, komme es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht an. Zweck des hier maßgeblichen § 1b Abs. 1 VZOG sei es, einen nochmaligen Ausgleich für Vermögensschäden, die der DDR zuzurechnen und bereits durch Gewährung einer Globalentschädigung ausgeglichen seien, zu vermeiden. Erforderlich sei daher nur, dass der geltend gemachte Vermögensanspruch in eine zwischenstaatliche Vereinbarung einer Globalentschädigung i.S. des § 1 Abs. 8 Buchstabe b VermG einbezogen worden sei.
4. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin in ihrer am 16. Oktober 2000 eingegangenen Verfassungsbeschwerde verletzen die angegriffenen Entscheidungen sie in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Sie seien eine Enteignung des streitigen Grundstücks. Der Vertrag habe das Eigentum nicht entzogen. Weder das Verwaltungsgericht noch das Bundesverwaltungsgericht hätten sich umfassend mit den Bestimmungen des Vertrags, insbesondere mit Art. 7 Sätze 1 und 2 auseinandergesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht habe insbesondere die Materialien zu der Verhandlungsgeschichte des Vertrags nicht herangezogen, obwohl dies durch Art. 32 WVRK geboten sei. Der Österreichische Verfassungsgerichtshof habe am 25. Juni 1992 (VIZ 1993, S. 360) entschieden, dass die Republik Österreich durch das Globalentschädigungsabkommen mit der DDR nicht namens ihrer Staatsangehörigen auf Individualrechte verzichtet habe. Die Abweichung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsansicht des österreichischen Verfassungsgerichtshof sei völkerrechtlich nicht überzeugend und übersehe die österreichische Verfassungslage.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, § 93a Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
1. Das zwischen der DDR und Österreich geschlossene Globalentschädigungsabkommen berechtigt und verpflichtet nach der Vereinigung beider deutschen Staaten die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik ist auf Grund von Konsultationen mit Österreich in das zwischen diesem Staat und der DDR geschlossene Globalentschädigungsabkommen sukzediert, Art. 12 Abs. 1 des Einigungsvertrages i.V.m. der Bekanntmachung über das Erlöschen völkerrechtlicher Übereinkünfte der DDR mit Österreich vom 15. Oktober 1992 (BGBl II S. 1115).
2. Prüfungsmaßstab für das von der DDR geschlossene Globalentschädigungsabkommen und seine Auslegung durch die Fachgerichte ist nicht Art. 14 Abs. 1 GG. Denn diese Vorschrift galt im Gebiet der ehemaligen DDR nicht (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪122 f.≫). Art. 14 Abs. 1 GG ist auch nicht etwa deshalb anwendbar, weil die Bundesrepublik Deutschland eine Zahlungsleistung auf das Abkommen erbracht hat. Sie war insoweit völkerrechtlich als Rechtsnachfolgerin der DDR durch den von dieser geschlossenen Vertrag verpflichtet. Die Übertragung der Verwaltung der streitigen Immobilie an die Beschwerdeführerin ändert an der bereits durch den Vertrag bedingten Eigentumsentziehung nichts.
3. Prüfungsmaßstab für die angegriffenen Urteile ist Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn ein Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und daher willkürlich ist. Auslegung und Anwendung des die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkervertragsrechts ist in erster Linie Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht überprüft die Auslegung und Anwendung des Völkervertragsrechts grundsätzlich nach den für die Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen allgemein geltenden Maßstäben (vgl. BVerfGE 18, 441 ≪450≫; 99, 145 ≪160≫). Völkerrechtliche Verträge sind ausgehend von ihrem Wortlaut im Zusammenhang nach Sinn und Zweck unter Berücksichtigung des allgemeinen Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerfGE 4, 157 ≪168≫; 46, 342 ≪361 f.≫). Von Willkür kann auch bei der Auslegung und Anwendung von Völkerrecht nicht gesprochen werden, wenn das Fachgericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪13 f.≫).
Die angegriffenen Urteile werden den aufgezeigten Anforderungen gerecht. Die Auffassung der Fachgerichte zu Wirkung (a) und sachlichem Anwendungsbereich (b) des Abkommens verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Die Rechtsauffassung der Fachgerichte zur Wirkung des Vertrags begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit sie annehmen, das Globalentschädigungsabkommen selbst habe das Eigentum der Beschwerdeführerin zum Erlöschen gebracht (vgl. Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Oktober 2000 – 2 BvR 36/00 –, DVBl 2001, S. 64, zum Globalentschädigungsabkommen zwischen der DDR und Dänemark; Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. April 2002 – 2 BvR 1829/01 –, zum Globalentschädigungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika). Die in Art. 7 des Abkommens genannte aufschiebende Bedingung voller Zahlung der Globalentschädigungssumme ist nach den Feststellungen der Gerichte erfüllt, nachdem die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin in das Globalentschädigungsabkommen die abschließende Zahlung geleistet hat (vgl. Dahm, Völkerrecht, Bd. III, S. 106 f.). Ob das Abkommen seine Rechtswirkung des Erlöschens aller vermögensrechtlichen Ansprüche rückwirkend auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens entfaltete, kann dahin stehen. Denn die Ansprüche der Klägerin wären jedenfalls mit der Zahlung im Juni 1993, also vor der angegriffenen Zuordnung des Grundstücks zur Bundesrepublik im Jahre 1995, erloschen.
b) Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs des Globalentschädigungsabkommens begegnet das angegriffene Urteil ebenfalls keinen Bedenken aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das Verwaltungsgericht gelangt zu seiner Auffassung, dass der Vertrag das streitige Grundstück erfasst, durch Anwendung von Art. 31 WVRK. Diese Norm entspricht grundsätzlich den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Maßstäben für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge (vgl. BVerfGE 40, 141 ≪169≫). Ihre Handhabung durch das Verwaltungsgericht lässt keinen Verfassungsverstoß erkennen. Das Verwaltungsgericht hat entsprechend Art. 31 Abs. 1 WVRK Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck von Art. 1 und 7 des Abkommens ermittelt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, Art. 7 regele alle offenen Vermögensfragen, findet einen Anhaltspunkt im Wortlaut der in dieser Vorschrift enthaltenen Erledigungsklausel, die sich auf alle zwischen den Vertragsstaaten offenen Ansprüche bezieht. Art. 32 WVRK bezeichnet die genetische Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags demgegenüber als Hilfsinstrument, das dazu dienen kann, ein nach Art. 31 WVRK gefundenes Auslegungsergebnis zu bestätigen. Insofern begegnete es keinen Bedenken, wenn die angegriffenen fachgerichtlichen Urteile, wie die Beschwerdeführerin annimmt, den von ihr angeführten Verhandlungsmaterialien nicht entsprechen sollten. Die Rechtsansicht des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs hat gegenüber der Auslegung des Vertrags durch Gerichte der Bundesrepublik als des anderen Vertragspartners kein überwiegendes Gewicht.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Di Fabio, Lübbe-Wolff
Fundstellen
Haufe-Index 905979 |
VIZ 2003, 280 |
NJ 2003, 360 |
www.judicialis.de 2003 |