Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluss sowie Ablehnung des Erlasses einstweiliger Anordnungen: Zivilprozessuales eV-Verfahren über äußerungsrechtliche Unterlassungspflichten eines Nachrichtenmagazins. Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§§ 936, 924 Abs 3 S 2, 707 ZPO) nicht zur mittelbaren Rüge von Grundrechtsverletzungen durch zugrunde liegende einstweilige Verfügung geeignet. Grundrechtsrügen bzgl einstweiliger Verfügungen teils geheilt (soweit rechtliches Gehör betroffen ist), teils verfristet (soweit durch die fachgerichtliche Verfahrensgestaltung das Recht auf prozessuale Waffengleichheit bzw auf ein faires Verfahren verletzt sein soll)
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1; BVerfGG § 32 Abs. 1, §§ 90, 93 Abs. 1 S. 1; ZPO § 924 Abs. 2 S. 2, §§ 935-936, 937 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Hamburg (Beschluss vom 08.03.2017; Aktenzeichen 324 O 47/17) |
LG Hamburg (Beschluss vom 08.03.2017; Aktenzeichen 324 O 13/17) |
LG Hamburg (Verfügung vom 22.02.2017; Aktenzeichen 324 O 47/17) |
LG Hamburg (Verfügung vom 20.02.2017; Aktenzeichen 324 O 13/17) |
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Damit werden die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen gegenstandslos.
Gründe
Rz. 1
1. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) ist ein Presseverlag. Sie begehrt die Aufhebung zweier landgerichtlicher Beschlüsse, die ihre Anträge auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus äußerungsrechtlichen einstweiligen Verfügungen ablehnen, und die Anordnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den einstweiligen Verfügungen. Gegen die einstweiligen Unterlassungsverfügungen, die ihr die Äußerung und Verbreitung von Passagen zweier Artikel des von ihr verlegten Nachrichtenmagazins verbieten, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben. Das Landgericht hat zwischenzeitlich in beiden Verfahren mündlich verhandelt und durch Urteil nach §§ 936, 925 Abs. 1 ZPO entschieden.
Rz. 2
Zur Begründung ihrer Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, die Zwangsvollstreckung habe bereits deshalb bis zur mündlichen Verhandlung eingestellt werden müssen, weil das Landgericht durch die Abstandnahme von einer vorherigen mündlichen Verhandlung nicht nur die Vorschrift des § 937 Abs. 2 ZPO, sondern den Kernbereich des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin verletzt habe. Die einstweiligen Verfügungen seien nicht eilbedürftig gewesen. So habe das Landgericht die nicht begründeten Unterlassungsverfügungen im einen Fall dreieinhalb, im anderen Fall fünf Wochen nach Antragstellung erlassen. Zuvor habe es den Antragstellern des Verfügungsverfahrens telefonische Hinweise erteilt. Die Beschwerdeführerin habe weder förmlich noch informell rechtliches Gehör erhalten; weder habe sie erfahren, welche Anträge gestellt und wie sie ursprünglich begründet gewesen seien, noch, was der Inhalt der gerichtlichen Hinweise gewesen sei. Ihr Verfahrensbevollmächtigter hat anwaltlich versichert, in einstweiligen Verfügungsverfahren unter Beteiligung der Beschwerdeführerin entscheide die Pressekammer des Landgerichts Hamburg seit fünf Jahren in ständiger Praxis ohne vorherige mündliche Verhandlung, auch wenn keine besondere Dringlichkeit bestehe.
Rz. 3
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie ihrer Rechte auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG und auf ein faires Verfahren aus Art. 20 Abs. 3 GG. Sie hat die Eilbedürftigkeit ihrer Anträge damit begründet, dass ein Verstoß gegen § 937 Abs. 2 ZPO zivilprozessual nicht angreifbar sei und dass mit Durchführung der mündlichen Verhandlung die Gehörsverstöße als geheilt gälten. Auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und Entscheidung über ihren Widerspruch habe sie ein Rechtsschutzbedürfnis in Bezug auf die Feststellung einer aus der verfassungswidrigen ständigen Praxis der Pressekammer folgenden Verletzung ihrer Grundrechte.
Rz. 4
2. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerden liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Den Verfassungsbeschwerden kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme derzeit zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248 ff.≫). Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig.
Rz. 5
a) Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung wendet, haben sich die von ihr unmittelbar angegriffenen Beschlüsse erledigt. Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, NVwZ 2013, S. 570 ≪571≫). Die Beschlüsse erschöpften sich in der Ablehnung des Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Die Beschwerdeführerin hat einen hierin liegenden Verstoß gegen Verfassungsrecht nicht substantiiert. Insbesondere hat sie nicht geltend gemacht, dass sie insoweit ein spezifisches Interesse an vorläufigem Vollstreckungsschutz gehabt habe, sondern beruft sich - hier wie vor den Fachgerichten - allein auf Gehörsverstöße bezüglich der insoweit zugrundeliegenden einstweiligen Verfügung. Dass es insoweit aber auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, wenn die Fachgerichte den Antrag auf die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 936, § 924 Abs. 3 Satz 2, § 707 ZPO nicht für geeignet halten, um unabhängig von einem sachlichen Vollstreckungsschutzinteresse mittelbar Grundrechtsverletzungen zu rügen, die sich auf die zugrundeliegenden einstweiligen Verfügungen beziehen, ist nicht ersichtlich.
Rz. 6
b) Auch soweit die Verfassungsbeschwerden so auszulegen sein sollten, dass die Beschwerdeführerin mittelbar eine Verletzung ihrer Grundrechte durch die ihrer Ansicht nach prozessrechtswidrig erlassenen einstweiligen Verfügungen selbst rügt, sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig. Eine gegen sie gerichtete Verfassungsbeschwerde kann jedenfalls zurzeit keinen Erfolg haben.
Rz. 7
aa) Die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlungen geheilt. Die Funktionenteilung zwischen der Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit betraut zunächst die Fachgerichte mit der Korrektur bereits verwirklichter Grundrechtseingriffe (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪40≫; 104, 220 ≪232 f.≫). Im Besonderen - so auch hier - gilt das für die grundsätzlich mögliche Heilung von Gehörsverstößen durch nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfGE 5, 9 ≪10≫; 58, 208 ≪222≫; 62, 392 ≪397≫; 107, 395 ≪410 ff.≫; stRspr). Die Beschwerdeführerin hat selbst hervorgehoben, dass das Landgericht ihr im Zuge der auf ihren Widerspruch nach §§ 936, 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO veranlassten mündlichen Verhandlungen rechtliches Gehör gewähren würde. Insoweit war sie nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von vornherein auf den Rechtsweg zu verweisen.
Rz. 8
bb) Soweit die Beschwerdeführerin der Sache nach eine Verletzung ihrer Rechte auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG und auf ein faires Verfahren aus Art. 20 Abs. 3 GG durch die einstweiligen Verfügungen selbst rügt, sind ihre Verfassungsbeschwerden verfristet.
Rz. 9
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihr vor Erlass der einstweiligen Verfügungen ohne sachlichen Grund und unter bewusster Umgehung ihrer prozessualen Rechte das rechtliche Gehör verwehrt würde, während das Landgericht zugleich der Antragstellerseite telefonische Hinweise erteile, die weder offen gelegt würden noch überhaupt rekonstruierbar seien. Das Landgericht verlasse sich dabei auf die von der Rechtsprechung für Eilfälle und Sondersituationen anerkannten Heilungsmöglichkeiten, um die Entscheidung entsprechend ständiger Praxis zunächst sehenden Auges unter Übergehung der prozessualen Rechte der Beschwerdeführerin zu treffen; hierdurch würden ihre Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt.
Rz. 10
Die Verfassungsbeschwerden sind hinsichtlich dieser Rügen verfristet. Maßgeblich für den Fristbeginn ist insoweit der Zeitpunkt der Entscheidung über die einstweiligen Verfügungen. Die Rügen beziehen sich auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die einstweiligen Verfügungen selbst. Dabei können die Verfügungen hinsichtlich der insoweit geltend gemachten Grundrechtsverletzungen vor den Fachgerichten aber nicht wirksam angegriffen werden. Zwar können die einstweiligen Verfügungen in Blick auf andere Rechtsverletzungen - materieller Art, aber auch wegen Verstoßes gegen das rechtliche Gehör - fachgerichtlich angegriffen werden und kann diesbezüglich möglicherweise auch ihre Aufhebung erreicht werden. Die geltend gemachte Grundrechtsverletzung des bei Erlass der Verfügungen bewussten Übergehens prozessualer Rechte kann damit jedoch nicht beseitigt werden. Auch gibt es insoweit keine prozessrechtliche Möglichkeit, etwa im Wege einer Feststellungsklage eine fachgerichtliche Kontrolle eines solchen Vorgehens zu erwirken.
Rz. 11
Demzufolge kann aber eine Verfassungsbeschwerde in diesen Fällen unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung selbst erhoben werden. Zwar kann auch die Verfassungsbeschwerde die gerügten Rechtsverletzungen nicht mehr beseitigen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie auf ein fortwirkendes Feststellungsinteresse gestützt werden kann. Die für eine unmittelbar gegen die einstweiligen Verfügungen gerichtete Verfassungsbeschwerde geltende Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG ist indes abgelaufen.
Rz. 12
Weitere Grundrechtsverletzungen durch die angegriffenen Beschlüsse sind nicht substantiiert geltend gemacht.
Rz. 13
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 10966660 |
NJW 2017, 2985 |