Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufgreifen des Verfahrens. neue Beweismittel. Geeignetheit, eine für die Antragsteller günstigere Entscheidung herbeizuführen. Maßgeblichkeit der dem bestandskräftigen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsansicht
Leitsatz (amtlich)
Neu im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG sind nur solche Beweismittel, die im Rahmen der den bestandskräftigen Bescheid tragenden Rechtsauffassung zu einer günstigeren Entscheidung geführt hätten (wie Beschluß vom 29. Oktober 1997 – BVerwG 7 B 336.97 – VIZ 1998, 86 ≪87≫).
Normenkette
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 01.07.1999; Aktenzeichen 29 A 159.95) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachte Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargetan. Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
1. Die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) setzt voraus, daß die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer von der Beschwerde bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (stRspr, vgl. u.a. Beschluß vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 ≪11≫). Die Beschwerde muß die voneinander abweichenden Rechtssätze einander gegenüberstellen. Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf dem – von der Beschwerde zutreffend dargestellten – Rechtssatz, § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG verlange, daß die neuen Beweismittel eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, wobei von der den bestandskräftigen Bescheid tragenden Rechtsauffassung der Behörde auszugehen sei. Einen davon abweichenden Rechtssatz in dem von der Beschwerde herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. September 1984 – BVerwG 2 C 22.83 – (BVerwGE 70, 110 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 16) zeigt die Beschwerde nicht auf. Eine Divergenz liegt im übrigen auch nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der bezeichneten Entscheidung lediglich ausgeführt, daß sich bei einem begründeten Antrag nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG die in dem wiederaufgegriffenen Verfahren zu treffende Sachentscheidung nach dem anzuwendenden materiellen Recht richtet (a.a.O. S. 115; insoweit nicht abgedruckt in Buchholz). Eine Aussage dazu, ob für die Begründetheit eines Antrags nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG maßgeblich auf die damalige Rechtsansicht der Behörde – wie es das Verwaltungsgericht hier angenommen hat – oder auf die materielle Rechtslage abzustellen ist, enthält die angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dagegen nicht.
Hinsichtlich der weiteren von der Beschwerde angeführten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 1960 – BVerwG 6 C 22.58 – (BVerwGE 11, 106) und vom 15. November 1962 – BVerwG 3 C 257.60 – (BVerwGE 15, 155) kommt eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO schon deswegen nicht in Betracht, weil diese Entscheidungen nicht zu § 51 VwVfG, sondern zu der vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes geltenden Rechtslage ergangen sind.
2. Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob im Rahmen einer Entscheidung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG von der den bestandskräftigen Bescheid tragenden Rechtsauffassung der Behörde oder von dem anzuwendenden materiellen Recht auszugehen ist, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil die Frage schon anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des angefochtenen Urteils zu beantworten ist. Nach dem Beschluß vom 29. Oktober 1997 – BVerwG 7 B 336.97 – (VIZ 1998, 86 ≪87≫; insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 428.5 § 6 GVO Nr. 1) ist bei der Prüfung, ob neue Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorliegen, von den für den bestandskräftig gewordenen Bescheid maßgeblichen Rechtsgründen auszugehen und nicht unabhängig davon zu entscheiden, ob das neue Vorbringen den geltend gemachten Anspruch begründen kann; denn „neu” im Sinne der genannten Vorschrift sind nur solche Beweismittel, die im Rahmen der den bestandskräftigen Bescheid tragenden Rechtsauffassung zu einer günstigeren Entscheidung geführt hätten, sich also nicht darin erschöpfen, der rechtlichen Bewertung des ursprünglichen Bescheids zu widersprechen. Anderenfalls würde im Rahmen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, der den Fall einer aufgrund neuer Beweismittel möglichen Veränderung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage regelt, erneut die rechtliche Grundlage des Bescheides überprüft. Das ist aber nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zulässig. Diese Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der vergleichbaren Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (vgl. BFH, Beschluß vom 23. November 1987 – GrS 1/86 – NVwZ 1989, 293 und Urteil vom 11. Mai 1988 – I R 216/85 – NVwZ 1989, 295). Inwiefern der vorliegende Fall geeignet sein sollte, eine darüber hinausgehende Klärung der Rechtslage herbeizuführen, bzw. warum Veranlassung bestehen sollte, diese Rechtsprechung in Frage zu stellen, wird von der Beschwerde nicht dargelegt.
Auf der Grundlage dieser Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG entsteht auch entgegen der Ansicht der Beschwerde keine Rechtsschutzlücke, die ihrerseits zu klärungsbedürftigen Rechtsfragen führt. Vielmehr ist davon auszugehen, daß derjenige, der einen Verwaltungsakt bestandskräftig werden läßt, sich mit der zugrundeliegenden Rechtsansicht abfindet. Andernfalls muß er die von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe einlegen. Unterläßt er das, kann er nicht nachträglich eine Änderung der Entscheidung unter Hinweis auf neue Beweismittel beanspruchen, die nur im Lichte einer geänderten Rechtsansicht entscheidungserheblich sind.
Hinsichtlich der weiteren von der Beschwerde mehr beiläufig als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Rechtsfragen im Zusammenhang mit § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und mit einer möglichen Ermessensreduzierung hinsichtlich der Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG genügt die Beschwerde schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil sie die Klärungsbedürftigkeit der Fragen nicht in Auseinandersetzung mit den einschlägigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts herausarbeitet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf den §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Sailer, Golze, Postier
Fundstellen
Haufe-Index 566828 |
BayVBl. 2001, 58 |
DVBl. 2001, 305 |
KomVerw 2001, 227 |
FSt 2001, 401 |
FuBW 2001, 482 |
FuHe 2001, 517 |
FuNds 2001, 577 |