Verfahrensgang
Hessischer VGH (Aktenzeichen 12 UE 2965/98.A) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin zu 3 wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Dezember 2000 aufgehoben, soweit es sie betrifft.
Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Die – allein von der Klägerin zu 3 eingelegte – Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin zu 3 rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin zu 3 nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
Zwar ist im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nicht jedes Vorbringen der Beteiligten braucht in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich beschieden zu werden. Eine Gehörsverletzung kann aber festgestellt werden, wenn sich ausnahmsweise deutlich ergibt, dass das Gericht ein bestimmtes Vorbringen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat, etwa weil es auf wesentliches Vorbringen der Beteiligten, das auf der Grundlage seiner materiellen Rechtsauffassung entscheidungserheblich sein könnte, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht. So liegt der Fall hier.
Die Klägerin zu 3 hatte mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 (Bl. 146 der VGH-Akte) dargelegt, der in der Türkei tätige Rechtsanwalt K. bestätige in einem – als Anlage beigefügten – Schreiben vom 27. Januar 1999, dass gegen sie belastende Aussagen des Inhalts, dass sie Mitglied eines PKK-Komitees in B. gewesen sei, in verschiedenen Ermittlungsverfahren vorlägen und ihr im Falle ihrer Habhaftwerdung durch die türkischen Sicherheitskräfte aus diesem Grund die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens drohe, das im Falle einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zwischen 5 und 15 Jahren führen würde. Auch sei davon auszugehen, dass ihr im Rahmen der Untersuchungshaft asylerhebliche Misshandlungen drohten. In dem erwähnten Schreiben des Rechtsanwalts K. wird u.a. sinngemäß dargelegt, der Name der Klägerin zu 3 werde in dem in der Anlage in Kopie beigefügten Protokoll der Aussage des Angeklagten S. vom 14. Februar 1993 im Zusammenhang mit einem von Frauen in B. gegründeten PKK-Komitee erwähnt.
Im Tatbestand des Berufungsurteils wird lediglich dargelegt, die Klägerin zu 3 trage vor, selbst die PKK unterstützt zu haben (UA S. 3). Das weitere im Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 enthaltene Vorbringen wird dort nicht erwähnt. Auch in den Entscheidungsgründen wird dieser Schriftsatz und die darin enthaltene Behauptung der Klägerin zu 3 nicht angesprochen, ihr drohten angesichts der vor türkischen Stellen protokollierten Aussage, sie sei Mitglied eines PKK-Komitees gewesen, im Falle einer Rückkehr in die Türkei Strafverfolgung und Misshandlungen. Vielmehr wird dort ausgeführt, die Klägerin zu 3 habe „erst anlässlich der Vernehmung vor dem Berufungsgericht” (d.h. am 10. November 2000) von ihrer Mitwirkung in einem PKK-Komitee berichtet (UA S. 36). Dies trifft indessen nicht zu. Vielmehr hat die Klägerin zu 3 diese Mitwirkung, wie oben dargelegt, bereits in dem Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 behauptet. Auch wenn man annimmt, dass das Berufungsgericht diesen Schriftsatz zur Kenntnis genommen hat und er bei der Vernehmung der Klägerin zu 3 am 10. November 2000 erörtert wurde (vgl. den Nichtabhilfebeschluss vom 25. Mai 2001), ist der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist nämlich davon auszugehen, dass das Berufungsgericht, das auch den Beweiswert der Anlagen des Schriftsatzes vom 31. Oktober 2000 nicht anspricht, sich jedenfalls nicht ausreichend mit dem in diesem Schriftsatz enthaltenen konkreten Vorbringen der Klägerin zu 3 auseinandergesetzt hat.
Die Beschwerde legt auch zutreffend dar, dass das Vorbringen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 entscheidungserheblich gewesen ist. Zwar hat das Berufungsgericht dargelegt, die Ausreise der Klägerin zu 3 nach Deutschland sei nicht mehr unter dem Druck einer erlittenen politischen Verfolgung erfolgt, da sie zuvor noch fast zwei Jahre unbehelligt in Istanbul habe leben können, wodurch auch die Möglichkeit eines verfolgungsfreien Lebens im Westen der Türkei belegt sei (UA S. 36, 57). Hierauf hätte das Berufungsgericht aber nicht abstellen können, wenn es auf Grund der gebotenen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen im Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 und der Behauptung der Klägerin, sie habe in Istanbul unerkannt gelebt, zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der Klägerin zu 3 im Zeitpunkt der Ausreise asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen auch im Westen gedroht haben bzw. ihr nunmehr im Falle einer Rückkehr drohen. Dies gilt auch dann, wenn man das erwähnte Schreiben von Rechtsanwalt K. nicht, wie die Beschwerde meint, dahin versteht, dass gegen die Klägerin zu 3 bereits Anklage erhoben oder ein Strafverfahren anhängig sei, sondern dass ihr auf Grund der Aussage des S. ein Ermittlungsverfahren und im Falle der Verurteilung eine Freiheitsstrafe drohe. Ob das – auch heute noch – tatsächlich in Betracht kommt, hat das Berufungsgericht bisher nicht erwogen.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird zu prüfen und zu entscheiden haben, ob das in Rede stehende Vorbringen der Klägerin zu 3 zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des Falles führt.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Hund
Fundstellen