Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Aktenzeichen 8 A 11815/99) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. November 1999 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und auf die Verletzung von Verfassungsrecht gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde beanstandet (Beschwerdebegründung S. 2 unter 2.), die Entscheidung des Berufungsgerichts zu § 53 Abs. 6 AuslG sei „in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar begründet”. Sie meint hierzu, das Gericht gehe einerseits zutreffend für die Altersgruppe des 1996 geborenen Klägers im Zeitpunkt seiner Entscheidung von einer 40%igen Kindersterblichkeitsrate und einem beträchtlichen Risiko für das Leben und die körperliche Unversehrtheit bei einer Rückkehr nach Angola aus. Auf der anderen Seite nenne das Gericht aber kein einziges Beweismittel für seine „Tatsachenbehauptung”, daß diese „Einschätzung … den Kläger im Zeitpunkt seiner Abschiebung gar nicht treffen” und daß sich die Lage für den Kläger in Luanda „günstiger” darstellen würde. Damit beruhe die Entscheidung auf einer nicht nachvollziehbaren Tatsachengrundlage und verstoße deshalb gegen § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO und gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Verletzt seien ferner auch § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO und das Recht auf Gehör nach § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG.
Mit diesem Vortrag wird ein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht schlüssig dargelegt. Der in erster Linie geltend gemachte grobe Formmangel fehlender Entscheidungsgründe nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt nur dann vor, wenn der Entscheidung entweder überhaupt keine Gründe beigegeben sind oder die Begründung „völlig unverständlich und verworren ist, so daß sie in Wirklichkeit nicht erkennen läßt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind” (vgl. den Beschluß vom 5. Juni 1998 – BVerwG 9 B 412.98 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 = NJW 1998, 3290 m.w.N.). Derartiges macht die Beschwerde nicht geltend; sie meint lediglich, die Begründung des Berufungsurteils sei – aus ihrer Sicht – in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Das reicht für eine zulässige Rüge des Verfahrensmangels fehlender Entscheidungsgründe im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO grundsätzlich nicht aus. Im übrigen trifft es auch nicht zu, daß die Begründung des Berufungsurteils in sich widersprüchlich, nicht nachvollziehbar oder in wesentlichen Punkten unzureichend (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO) ist. Das Berufungsgericht hat vielmehr zunächst die allgemeine Situation in Angola anhand der eingeführten Berichte, Auskünfte und Gutachten im einzelnen „beschrieben” (UA S. 8 ff.) und hierbei u.a. zur Sterblichkeitsrate für Kleinkinder unter fünf Jahren in Angola ausgeführt, daß diese für das Jahr 1996 von UNICEF und dem Institut für Afrikakunde mit 29,2 % sowie zuletzt in einer Stellungnahme des UNHCR vom April 1999 mit 40 % angegeben worden sei. Im Anschluß hieran hat das Oberverwaltungsgericht dargelegt, weshalb es im vorliegenden Einzelfall aufgrund eigener Bewertungen und Schlußfolgerungen eine extreme allgemeine Gefahrenlage für den Kläger bei einer Rückkehr nach Angola gleichwohl nicht annimmt und demzufolge ein Abschiebungshindernis in verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG verneint. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt, aus der dargestellten Situation für Rückkehrer und insbesondere für Kleinkinder lasse sich „zwar ein beträchtliches Risiko für das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Klägers bei einer Rückkehr nach Angola herleiten”, es könne „jedoch nicht festgestellt werden”, daß er der von der Rechtsprechung zur verfassungskonformen Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG geforderten „extremen Gefahrenlage ausgesetzt sein würde” (UA S. 10). Eine extreme Gefahr ergebe sich nicht bereits wegen der hohen Kindersterblichkeitsrate, die sich in dem zitierten Bericht des UNHCR auf „die in Angola geborenen und aufgewachsenen Kinder bis zu 5 Jahren” beziehe und „daher nicht das Risiko” für den knapp vier Jahre alten (in Deutschland geborenen) Kläger bei seiner Abschiebung wiedergebe. Damit und mit den weiteren Ausführungen setzt sich das Berufungsgericht offensichtlich weder zu den zuvor zitierten Erkenntnismitteln noch zu seiner eigenen zusammenfassenden Risikobewertung in Widerspruch; es legt vielmehr dar, weshalb es im Falle des Klägers aufgrund einer differenzierenden Würdigung der Erkenntnisse zu einer erheblich verminderten Risikoeinschätzung gelangt. Das wird im folgenden mit weiteren Überlegungen zu einer Gefahrenminderung für den allein in Betracht kommenden Fall einer Abschiebung des Klägers nach Luanda begründet (UA S. 10 f.). Alle diese Erwägungen sind weder widersprüchlich noch unverständlich oder gar willkürlich; für einen Formmangel im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO fehlt es mithin auch an jedem Anhaltspunkt. In Wahrheit wendet sich die Beschwerde mit ihrer Rüge lediglich gegen eine aus ihrer Sicht sachlich falsche Tatsachenwürdigung und Risikoprognose des Berufungsgerichts. Damit läßt sich indessen ein Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen (vgl. den Beschluß des Senats vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = NVwZ-RR 1996, 359).
Auch der Einwand der Beschwerde, das Gericht habe für seine „Tatsachenbehauptung” kein „Beweismittel” benannt, führt nicht auf einen Verfahrensmangel. Soweit die Beschwerde damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen mangelnder Offenlegung tatsächlicher Entscheidungsgrundlagen ansprechen will, verkennt sie, daß die beanstandeten Erwägungen des Berufungsgerichts – wie oben bereits ausgeführt – tatrichterliche Bewertungen und Schlußfolgerungen der zuvor dargelegten Auskunftslage enthalten und nicht etwa von der festgestellten Tatsachenlage losgelöste gegensätzliche Feststellungen auf unklarer, nicht in das Verfahren eingeführter Erkenntnisgrundlage. Die Risikoeinschätzung und Gefahrenprognose unter differenzierender Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel gehört zu der dem Tatrichter vorbehaltenen Aufgabe der Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und bedarf insoweit keiner Angabe von „Beweismitteln”. Letztlich wendet sich die Beschwerde auch mit diesem Vorwurf im Gewande der Gehörsrüge nur gegen die von ihr nicht geteilte tatrichterliche Gefahrenprognose.
Soweit die Beschwerde schließlich (Beschwerdebegründung S. 3 unter 3.) geltend macht, das Berufungsgericht habe es willkürlich unterlassen, das Vorbringen des Klägers „auch auf Grundlage von Art. 1 I GG und Art. 2 II Satz 1 GG zu prüfen”, benennt sie schon keinen Revisionszulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO. Sie verkennt im übrigen, daß die angeführten Verfassungsbestimmungen auch nach der Auffassung des Berufungsgerichts im Rahmen verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG zu prüfen waren und geprüft worden sind.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen bemerkt der Senat, daß das Berufungsurteil die von der Beschwerde im Kern geltend gemachte Gefährdung des Klägers „an Leib und Leben” (Beschwerdebegründung S. 3 a.E.) nicht leugnet, sondern mit der Feststellung sogar eines beträchtlichen Risikos für das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Klägers bei einer Abschiebung nach Angola (UA S. 10) ausdrücklich in seine Erwägungen einbezieht, deren Berücksichtigung aber nach dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Schutzsystem der §§ 53, 54 AuslG ausschließlich der ausländerpolitischen Ermessensentscheidung (hier: des Innenministeriums nach § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG) überantwortet. Hierdurch entsteht keine verfassungswidrige, mit Art. 1 Abs. 1 und 3 GG unvereinbare Schutzlücke. Das Bundesverwaltungsgericht hat vielmehr bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß die Verwaltungsgerichte die Entscheidung des Bundesgesetzgebers in den Grenzen der Verfassung zu respektieren haben; sie dürfen daher im Einzelfall Ausländern, welche einer gefährdeten Gruppe angehören, für die ein Abschiebestopp nach § 54 AuslG nicht besteht, nur dann ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG zusprechen, wenn keine anderen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben sind, eine Abschiebung aber Verfassungsrecht verletzen würde (vgl. zuletzt Urteil vom 8. Dezember 1998 – BVerwG 9 C 4.98 – BVerwGE 108, 77, 80). Ob im Einzelfall die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG vorausgesetzte extreme Allgemeingefahr vorliegt und deshalb im Gerichtsverfahren trotz fehlenden Abschiebestopps nach § 54 AuslG Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gewährt werden kann, haben in erster Linie die zur Feststellung und Würdigung des Sachverhalts berufenen Tatsacheninstanzen und nicht das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden (vgl. auch das Urteil des Senats vom 21. September 1999 – BVerwG 9 C 9.99 – ≪juris≫ zu einem vergleichbaren Einzelfall). Die dem Tatrichter vorbehaltene Gefährdungsprognose und die Subsumtion im Einzelfall unterliegen keiner allgemeinen Plausibilitäts- und Richtigkeitskontrolle durch das Bundesverwaltungsgericht. Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision können auch insoweit nur die in § 132 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO vorgesehenen Zulassungsgründe geltend gemacht werden; solche hat die Beschwerde hier indessen nicht aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Hund, Richter
Fundstellen