Entscheidungsstichwort (Thema)
Wasserverband. Verbandsversammlung. funktionale Selbstverwaltung. Demokratieprinzip. demokratische Legitimation. demokratische Repräsentation. Berufsgruppe. hauptberufliche Landwirte. Verbandsbeitrag. Verbandssatzung. Beitragsmaßstab. Flächenanteil. Einwohneranteil. Willkürverbot. Anteil befestigter Flächen. Beitragssatz. Beitragskalkulation. Schätzung. Haushaltsplan. Jahresrechnung. Aufklärungspflicht. Überraschungsentscheidung. rechtliches Gehör
Leitsatz (amtlich)
Mit dem Demokratieprinzip kann es vereinbar sein, in der Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes vorzuschreiben, dass ein bestimmter Anteil der von den Mitgliedsgemeinden in die Verbandsversammlung entsandten Vertreter der Berufsgruppe der hauptberuflichen Landwirte angehören muss; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vertretungskörperschaften der Mitgliedsgemeinden die betreffenden Vertreter selbst frei auswählen können, ohne durch verbindliche Vorschlagsrechte der Berufsgruppe eingeengt zu sein, und außerdem kommunalrechtliche Weisungsrechte auch gegenüber diesen Vertretern bestehen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5, 6/98 – BVerfGE 107, 59 ff.).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, 3, Art. 28 Abs. 1 S. 1, Art. 103 Abs. 1; WVG §§ 28, 30, 47, 72 Abs. 1; VwGO § 86 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 15.09.2004; Aktenzeichen 20 A 3166/02) |
VG Minden (Entscheidung vom 14.06.2002; Aktenzeichen 8 K 244/96) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 259 618,67 EUR festgesetzt.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde lässt nicht den Schluss zu, dass der Rechtssache die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zukommt. Von grundsätzlicher Bedeutung ist eine Rechtssache nur, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen erfüllen diese Erfordernisse nicht.
a) Für grundsätzlich bedeutsam hält die Beschwerde die folgende Frage:
Ist es mit dem Prinzip der demokratischen Repräsentation (Art. 20 Abs. 2 GG) vereinbar, wenn in der Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft eine zwingende Beteiligung bzw. ein zwingendes Beteiligungsverhältnis bestimmter Berufsgruppen in der Vertreterversammlung vorgesehen ist?
Unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht für die Organisation von Trägern funktionaler Selbstverwaltung aus dem Demokratieprinzip abgeleitet hat, besteht für diese Frage kein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf. Wie das Bundesverfassungsgericht speziell für Wasserverbände entschieden hat, lassen sich die für die unmittelbare Staatsverwaltung und die gemeindliche Selbstverwaltung geltenden Anforderungen des Demokratiegebots auf Träger funktionaler Selbstverwaltung nicht ungesehen übertragen. Bezogen auf diese Träger ist das Demokratiegebot offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt. Insoweit lässt das Grundgesetz insbesondere Raum für besondere Formen der Beteiligung Betroffener bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5, 6/98 – BVerfGE 107, 59 ≪91 f.≫). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass funktionale Selbstverwaltung und demokratisches Prinzip in einer engen Beziehung zueinander stehen; denn sowohl das Demokratieprinzip in seiner traditionellen Ausprägung einer ununterbrochen auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette für alle Amtsträger als auch die funktionale Selbstverwaltung als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen verwirklichen die sie verbindende Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung. Der Gesetzgeber darf deshalb in Bereichen funktionaler Selbstverwaltung ein wirksames Mitspracherecht der Betroffenen schaffen und verwaltungsexternen Sachverstand aktivieren (BVerfG, a.a.O. S. 92). Dies bedeutet freilich nicht, dass Organen von Trägern der funktionalen Selbstverwaltung verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter ermöglicht werden dürfte, ohne dass das Volk maßgeblichen Einfluss auf dieses Handeln behielte. Das Bundesverfassungsgericht hat aber insoweit eine lückenlose personelle Legitimationskette vom Volk zum Entscheidungsbefugten für verzichtbar gehalten, sofern eine sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation durch eine ausreichende gesetzliche Steuerung der Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe und eine Aufsicht über sie durch personell demokratisch legitimierte Amtswalter gewährleistet sei (a.a.O. S. 94).
Hiervon ausgehend kann es mit dem Demokratieprinzip vereinbar sein, wenn in der Satzung eines Wasserverbands zwingend die Beteiligung bestimmter Berufsgruppen in der Verbandsversammlung vorgesehen wird. Eine solche Beteiligung kann aus Gründen sachgerechter und zugleich die Interessen der von der Verbandstätigkeit in herausgehobener Weise Betroffenen berücksichtigender Aufgabenwahrnehmung gerechtfertigt sein. Das Berufungsgericht hat derartige Gründe für die in Rede stehende Satzungsregelung, nach der eine bestimmte Anzahl der von den Verbandsmitgliedern in die Verbandsversammlung entsandten Delegierten der Gruppe der hauptberuflichen Landwirte angehören muss, im Hinblick auf die Aufgaben des Verbandes als gegeben angesehen. Das leuchtet ein, da diese Berufsgruppe – wie im Berufungsurteil näher ausgeführt – sowohl besonderen aufgabenspezifischen Sachverstand in die Verbandsarbeit einbringen kann als auch in besonderem Maße von der Wahrnehmung der Verbandsaufgaben in ihren Interessen betroffen ist, unter beiden Gesichtspunkten also den vom Bundesverfassungsgericht in dieser Hinsicht genannten Kriterien entspricht.
Ob den Mindestanforderungen demokratischer Legitimation, die auch an verbindliches Handeln derartiger Organisationsformen funktioneller Selbstverwaltung zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen worden ist, lässt sich anhand der vom Bundesverfassungsgericht formulierten Maßgaben ebenfalls unschwer beantworten. Die demokratische Legitimation der Aufgabenerfüllung durch die Verbandsversammlung des Beklagten geht nämlich über die vom Bundesverfassungsgericht als hinreichend erachteten Anforderungen sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation sogar erheblich hinaus. Es sind nicht nur die Aufgaben der Verbandsversammlung einschließlich der Änderung der Verbandssatzung durch ein Parlamentsgesetz im Einzelnen vorherbestimmt (vgl. § 47 WVG) und die Aufgabenerfüllung der Rechtsaufsicht durch demokratisch legitimierte Amtswalter unterstellt (vgl. § 72 Abs. 1 WVG). Vielmehr verfügte die Verbandsversammlung nach den hier maßgeblichen Bestimmungen der Verbandssatzung 1980 auch über eine personelle demokratische Legitimation, weil die der Verbandsversammlung angehörenden Delegierten ausnahmslos von den Vertretungskörperschaften der Mitgliedsgemeinden zu wählen waren. Eine Einschränkung erfuhr die personelle Legitimation lediglich insofern, als die Vertretungskörperschaften darauf festgelegt waren, eine bestimmte Zahl von Delegierten aus der Gruppe der hauptberuflichen Landwirte zu wählen. Das Gewicht dieser Einschränkung wird aber deutlich dadurch relativiert, dass – worauf die Vorinstanz bereits hingewiesen hat – die Vertretungskörperschaften der Mitgliedsgemeinden die betreffenden Vertreter selbst frei auswählen konnten, also nicht durch verbindliche Vorschlagsrechte der Berufsgruppe eingeengt waren, und außerdem kommunalrechtliche Weisungsrechte auch gegenüber diesen Delegierten bestanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1969 – 2 BvR 518/66 – BVerfGE 26, 186 ≪196≫; Beschluss vom 17. Dezember 1969 – 2 BvR 271, 342/68 – BVerfGE 27, 312 ≪320≫; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 II Rn. 55).
Ein weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht etwa daraus, dass die Klägerin auf ein von dem Gebot demokratischer Legitimation zu trennendes Prinzip demokratischer Repräsentation verweist, das – jedenfalls auch – für die Vertretungskörperschaften von Verbänden funktionaler Selbstverwaltung gelten und die zwingende Berücksichtigung bestimmter Berufsgruppen bei der Delegiertenwahl ausschließen soll. Ein solches Prinzip hat die Klägerin lediglich postuliert, ohne seine Herleitung aus dem Demokratieprinzip näher zu begründen. Der maßgeblichen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das sich – wie ausgeführt – ausdrücklich zur Beteiligung der von der Verbandstätigkeit Betroffenen und zur Aktivierung verwaltungsexternen Sachverstandes im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung bekannt hat, entspricht die von der Klägerin erhobene Forderung nicht (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 9. April 1975 – 1 BvL 6/74 – BVerfGE 39, 247 ≪254 f.≫; Beschluss vom 16. Dezember 1975 – 2 BvL 7/74 – BVerfGE 41, 1 ≪12≫).
b) Die von der Beschwerde außerdem aufgeworfene Frage,
ob es mit § 30 Abs. 1 WVG und Art. 3 Abs. 1 GG bzw. dem allgemeinen Willkürverbot vereinbar ist, dass bei einem Wasserverband der Maßstab für Verbandsbeiträge durch eine Kombination von einem Flächenanteil und einem Einwohneranteil gebildet wird,
verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Diese Frage ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im bejahenden Sinne zu beantworten, ohne dass es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. § 30 Abs. 1 WVG sieht eine Beitragsbemessung primär nach dem Verhältnis der Vorteile der Mitglieder und der im Hinblick auf die Mitglieder aufgewandten Kosten des Verbandes vor (Satz 1); hierfür reicht es aus, die Vorteile und Kosten annähernd zu ermitteln (Satz 2). Nach § 30 Abs. 2, 2. Alt. WVG ist es auch zulässig, einen abweichenden Beitragsmaßstab festzulegen. Die gesetzliche Regelung eröffnet, wie vor allem das vorerwähnte Wahlrecht zeigt, dem Satzungsgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Begrenzt wird dieser Spielraum durch das Willkürverbot (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1964 – BVerwG 4 C 22.63 – BVerwGE 18, 324 ≪327≫; Urteil vom 2. Dezember 1966 – BVerwG 4 C 185.65 – Buchholz 445.2 § 81 WVVO Nr. 1 S. 4), auf das sich verbandsangehörige Gemeinden ungeachtet ihrer mangelnden Grundrechtsträgerschaft wegen seiner Verankerung im Rechtsstaatsprinzip berufen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1969 – 2 BvR 446/64 – BVerfGE 26, 228 ≪244≫; Beschluss vom 7. Oktober 1980 – 2 BvR 584/76 u.a. – BVerfGE 56, 298 ≪313≫). Der Beitragsmaßstab darf nicht sachwidrig und für das Wirken des Verbandes völlig unpassend sein.
Hiervon ausgehend liegt es auf der Hand, dass sich der Beitragsmaßstab nicht notwendig an einem einzelnen Kriterium ausrichten muss. Vielmehr kann es sachangemessen sein, mehrere Faktoren einzubeziehen, wenn ihnen nicht nur je für sich, sondern auch in ihrer Kombination typischerweise Aussagekraft hinsichtlich des jeweiligen verbandlichen Kostenaufwandes und des für die Verbandsmitglieder aus der Aufgabenerfüllung resultierenden Nutzens zukommt. Dies trifft auf einen Beitragsmaßstab wie den des Beklagten zu, der die Flächenanteile der Mitgliedsgemeinden, differenziert nach Flächenklassen, und die Einwohneranteile zugrundelegt. Wie das Oberverwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt hat, hängen der Umfang des Wasserabflusses und der damit korrespondierende Gewässerunterhaltungsaufwand maßgeblich vom Flächenumfang und von der Flächenbeschaffenheit ab, wobei sich Unterschiede insbesondere zwischen befestigten und nicht befestigten Flächen ergeben. Die Bevölkerungszahl wiederum lässt Rückschlüsse auf die Nutzungsintensität der jeweiligen Flächen und den damit verbundenen Nutzwert zu. Den Einwand der Klägerin, mit den Faktoren Einwohnerzahl und Anteil befestigter Flächen werde ein und derselbe Gesichtspunkt doppelt gewichtet, hat die Vorinstanz überzeugend entkräftet. Über das zusätzliche Kriterium der Einwohnerzahl wird lediglich berücksichtigt, dass befestigte Flächen in eher städtisch strukturierten Gebieten verglichen mit außerhalb gelegenen befestigten Flächen im Hinblick auf die Vorteilhaftigkeit der Verbandstätigkeit typischerweise Unterschiede aufweisen.
c) Die Beschwerde misst ferner der folgenden Frage grundsätzliche Bedeutung bei:
Ist es bei der Erhebung von Beiträgen mit § 30 Abs. 1 WVG und Art. 3 Abs. 1 GG bzw. dem allgemeinen Willkürverbot vereinbar, wenn die bei der Beitragsverteilung zugrunde zu legenden Vorteile und Kosten überhaupt nicht ermittelt, sondern lediglich pauschal geschätzt worden sind?
Die Fragestellung richtet sich, wie aus der Beschwerdebegründung folgt, im Wesentlichen auf die der Bestimmung des Beitragssatzes zugrunde zu legenden Kosten. Insoweit fehlt es an einem revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf. Denn das Berufungsgericht hat nicht zu der Frage Stellung genommen, ob es ausreicht, die Beitragserhebung auf pauschale Schätzungen des beitragsfähigen Aufwandes zu stützen. In seinem Urteil führt es lediglich aus, eine „gesonderte Beitragskalkulation” sei verzichtbar, und erachtet es als unbedenklich, die Kalkulation des Gesamtbeitrages an den Ansätzen im Haushaltsplan für Ausgaben und (sonstige) Einnahmen auszurichten. In diesem Zusammenhang betont das Gericht ausdrücklich, dass der Aufstellung des Haushaltsplans mit seinen detaillierten Angaben zu Ausgaben und Einnahmen eine tragfähige Prognose zugrunde lag. Warum eine solche, über pauschale Schätzungen weit hinausgehende Prognose den Anforderungen des einschlägigen § 28 WVG oder dem Willkürverbot nicht gerecht werden sollte, ist weder von der Klägerin mit ihrer Beschwerde dargelegt worden noch sonst ersichtlich.
Ohnehin könnte eine fehlerhafte Kalkulation für die Beurteilung des angefochtenen Beitragsbescheides nur dann von Bedeutung sein, wenn sie sich zu Lasten der Klägerin auf die Beitragshöhe ausgewirkt hätte. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die für das Haushaltsjahr 1995 durchgeführte und im Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamts der Klägerin unbeanstandet gebliebene Jahresrechnung für das Haushaltsjahr 1995 die dem Haushaltsplan zugrunde gelegte Prognose bestätigt hat.
Sofern sich die Fragestellung außerdem auf die der Beitragsverteilung zugrunde zu legenden Vorteile der Mitglieder und Kosten des Verbands im Sinne des § 30 Abs. 1 WVG beziehen sollte, lässt sie sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 WVG ist in dieser Hinsicht eine „annähernde Ermittlung” geboten, aber auch hinreichend. Dies lässt ohne weiteres erkennen, dass sich das Gesetz mit einer überschlägigen, typisierenden Betrachtung begnügt, wogegen auch im Hinblick auf das Willkürverbot nichts einzuwenden ist.
2. Die auf das behauptete Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg.
a) Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es versäumt habe zu klären, welcher Aufwand beim Beklagten im streitigen Veranlagungsjahr konkret angefallen ist. Diese Rüge greift nicht durch. Das Berufungsgericht könnte seine Aufklärungspflicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann verletzt haben, wenn sich ihm eine weitere Ermittlung aufgedrängt hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 S. 15; Beschluss vom 10. Oktober 2001 – BVerwG 9 BN 2.01 – Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7 S. 11). Das war indes nicht der Fall.
Die Vorinstanz ist der Frage, auf welchen Annahmen zum Kostenaufwand die Beitragserhebung beruht, mit mehreren Aufklärungsverfügungen im vorliegenden Verfahren und im Parallelverfahren OVG 20 A 3165/02 nachgegangen. Der Beklagte hat daraufhin auf seinen Haushaltsplan für das Veranlagungsjahr verwiesen und diesen nebst Nachtragshaushaltsplan, Jahresrechnung und Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamts der Klägerin dem Gericht vorgelegt. Eine weitere Aufklärung in dieser Hinsicht schied schon deshalb aus, weil aufgrund der Reaktion des Beklagten klar war, dass es eine von den Haushaltsplanungen zu unterscheidende Kalkulation des beitragsfähigen Aufwandes nicht gab. Von dieser Annahme geht übrigens auch die Klägerin aus, wenn sie in ihrer Beschwerdebegründung ausführt, es habe seitens des Beklagten „keine konkrete Kostenermittlung stattgefunden”. In dieser Situation bestand für das Gericht kein Anlass und keine Möglichkeit zu weiteren Ermittlungen, sondern vielmehr allein die Notwendigkeit, rechtlich zu bewerten, ob die Haushaltsplanung des Beklagten den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beitragskalkulation genügte. Folgerichtig hat auch die anwaltlich vertretene Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht keine Veranlassung gesehen, durch einen entsprechenden Beweisantrag auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung hinzuwirken.
b) Die Vorinstanz hat ferner keine Überraschungsentscheidung getroffen, durch die der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verwehrt worden wäre. Ein Urteil ist als Überraschungsentscheidung zu werten, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (BVerwG, Urteil vom 10. April 1991 – BVerwG 8 C 106.89 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Aus der Begründung des Zulassungsbeschlusses der Vorinstanz vom 7. Mai 2003 konnte die Klägerin nicht den Schluss ziehen, auf den Haushaltsplan werde es für die Beurteilung einer ordnungsgemäßen Beitragskalkulation nicht ankommen. Abgesehen davon, dass einer solchen Entscheidung ihrem Charakter entsprechend nur eine sehr vorläufige Einschätzung der klärungsbedürftigen Fragen zu entnehmen ist, verhielt sich der Zulassungsbeschluss gar nicht dazu, ob und gegebenenfalls welche Rückschlüsse aus dem Haushaltsplan und der zugehörigen Jahresrechnung für die im Veranlagungsjahr zugrunde zu legende Verbandstätigkeit und die damit verbundenen Kosten zu ziehen seien; er wies vielmehr nur allgemein auf das Erfordernis hin, Tätigkeiten und Kostenansätze zu klären, ohne sich zu den einschlägigen Erkenntnisquellen zu äußern. Dass der Haushaltsplan nebst der darauf bezogenen Jahresrechnung als eine solche Erkenntnisquelle vom Gericht herangezogen werden könnte, war angesichts der darin enthaltenen detaillierten Ansätze über Ausgaben und Einnahmen eine nahe liegende Möglichkeit; dies umso mehr, als das Gericht sie anforderte, nachdem der Beklagte sich zum Beleg einer ordnungsgemäßen Kalkulation auf diese Unterlagen berufen hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Hien, Dr. Nolte, Domgörgen
Fundstellen
DVBl. 2005, 1597 |
GV/RP 2006, 446 |
ZfW 2008, 45 |
FuBW 2006, 393 |
FuHe 2006, 607 |