Entscheidungsstichwort (Thema)
Restitutionsausschluss. komplexer Wohnungsbau. Unmöglichkeit der Rückgabe von der Natur der Sache her
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Grundstück selbst nicht unmittelbar zu Wohnzwecken genutzt, kann es nur dann in einen komplexen Wohnungsbau im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG einbezogen sein, wenn es mit seiner Nutzung funktional auf in der Umgebung errichtete Wohnungbebauung bezogen ist.
2. Die Rückgabe eines Grundstücks kann gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG von der Natur der Sache her ausgeschlossen sein, wenn die Rückgabe die Aufteilung eines neu zugeschnittenen Grundstücks verlangt und infolge dieser Aufteilung das Grundstück seine bisherige Bebaubarkeit verliert.
Normenkette
VermG § 4 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1 Buchst. c
Verfahrensgang
VG Dresden (Entscheidung vom 09.09.1999; Aktenzeichen 7 K 245/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 9. September 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren die vermögensrechtliche Übertragung eines Grundstücks sowie die Feststellung, dass ihnen dem Grunde nach ein Anspruch auf Auskehr des Erlöses oder des Verkehrswertes zusteht, soweit das Grundstück inzwischen veräußert ist. Ihre Rechtsvorgänger waren Eigentümer des Grundstücks Flurstück 513 Gemarkung D. Es wurde aufgrund eines Beschlusses der Kreisbodenkommission vom 6. Dezember 1951 in Volkseigentum überführt.
Das etwa 1 800 m² große Grundstück liegt in einem Geviert, das von der W. Straße, der S.straße/A., dem D.-Ring und der W.straße begrenzt wird. Dieses Quartier wurde ursprünglich von der B. Straße, der Z.gasse, der W.gasse und der Sch.straße durchquert. Das Grundstück grenzte einerseits an die W.gasse und andererseits an die Z.gasse. Die Bebauung dieses Quartiers wurde im 2. Weltkrieg nahezu völlig zerstört. Das Quartier wurde ab 1953 neu bebaut, und zwar ohne Beachtung der ursprünglichen Straßenführung und der ursprünglichen Grundstücksgrenzen. Entlang der W. Straße, der S.straße/A., dem D.-Ring und der W.straße sind Wohn- und Geschäftshäuser, teilweise reine Geschäftshäuser errichtet worden. Im Innenbereich des Quartiers sind sog. Versorgungsbauten entstanden, namentlich ein Einkaufszentrum beidseits der in ihrem Verlauf völlig geänderten W.gasse. Das ehemalige Flurstück 513 ist heute Teil der Flurstücke 597/7, 597/4, 597/14 und 597/6 (oder /16). Das Flurstück 597/7 wurde mit einem Kinderkaufhaus, das Flurstück 597/6 mit einer Gaststätte bebaut. Auf dem Flurstück 597/4 wurde die W.gasse angelegt. Auf dem Flurstück 597/14 wurde ein Teil des Einkaufszentrums entlang der W.gasse errichtet.
Die Anträge der Kläger auf Rückübertragung des ehemaligen Flurstücks 513 lehnte die Beklagte zunächst unter Hinweis auf § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ab. Auf den Widerspruch der Kläger stellte sie durch einen Änderungsbescheid fest, dass die Kläger wegen des Vermögensverlustes zu entschädigen seien. Im Übrigen lehnte sie die Rückübertragung erneut ab; diese sei gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG ausgeschlossen. Das Flurstück sei im komplexen Wohnungsbau verwendet worden.
Nach erfolglosem weiteren Widerspruch haben die Kläger Klage erhoben. Sie haben zunächst ihr Begehren auf Rückübertragung des gesamten Flurstücks weiterverfolgt.
Während des erstinstanzlichen Klageverfahrens erließ die Beklagte einen bestandskräftig gewordenen Investitionsvorrangbescheid. Er ermöglicht die Veräußerung einer größeren Fläche im Innenbereich des Straßengevierts und eine Belastung weiterer Flächen mit Dienstbarkeiten. Auf der zu veräußernden Fläche soll ein Geschäfts- und Dienstleistungszentrum mit 90 bis 120 Läden, Gaststätten, Dienstleistungsbetrieben, Büroräumen und einer Tiefgarage errichtet werden. Dem Investitionsvorrangbescheid ist als Anlage ein Flurstücksplan beigefügt. Nach ihm soll ein Teil des ehemaligen Flurstücks 513 veräußert, ein weiterer Teil mit Dienstbarkeiten belastet werden. Soweit es in den Flurstücken 597/7 (Kinderkaufhaus) und 597/6 (Gaststätte) aufgegangen ist, wird das ehemalige Flurstück 513 von dem Investitionsvorrangbescheid nicht erfasst.
Nach Ergehen des Investitionsvorrangbescheids haben die Kläger in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids in der Gestalt des Änderungsbescheids und des Widerspruchsbescheids zu verpflichten festzustellen, dass ihnen – den Klägern – dem Grunde nach ein Anspruch nach § 16 Abs. 1 InVorG zusteht.
Das Verwaltungsgericht hat diese Klage durch das angefochtene Urteil mit der Begründung abgewiesen: Im Zeitpunkt der investiven Veräußerung sei die Rückgabe des Grundstücks gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG ausgeschlossen gewesen. Eine Verwendung im komplexen Wohnungsbau liege jedenfalls bei einer flurstücksübergreifenden Neubebauung vor. Erforderlich sei die dauerhafte Einbindung der Grundstücke in eine planerische und städtebauliche Einheit. Das ehemalige Flurstück 513 existiere in seinen damaligen Grenzen nicht mehr. Das gesamte Areal sei unter Aufgabe der früheren Flurstücksgrenzen neu eingeteilt und komplett überplant worden. Ziel sei es gewesen, eine komplexe Einheit aus Wohnbauten und Versorgungseinrichtungen zu schaffen. Durch die investive Veräußerung sei dieser Ausschlussgrund nicht entfallen. Der Investor plane zwar, einen Teil der Gebäude abzureißen. Dadurch werde jedoch die bisherige planerische und städtebauliche Einheit nicht aufgelöst, sondern lediglich weiter entwickelt. Zum einen bleibe die Wohnbebauung erhalten, die den Innenbereich umschließe. Zum anderen werde der Innenbereich wie bisher gewerblich genutzt. Die Bebauung werde lediglich durch moderne Geschäftsbauten und Passagen ersetzt.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren erstinstanzlichen Antrag mit der Maßgabe weiter, dass der nicht zum Kaufgegegenstand des Investitionsvorrangbescheids gehörige Teil des ehemaligen Flurstücks 513 zu restituieren sei. Sie machen geltend: Die Verwendung von Grundstücken im komplexen Wohnungsbau sei durch deren dauerhafte Einbeziehung in eine planerische und städtebauliche Einheit gekennzeichnet. Diese Einheit solle nicht durch Herauslösen der zurückverlangten Gebäude oder Grundstücke gefährdet oder zerstört werden. Der betriebene bauliche Aufwand und die getätigten Investitionen würden geschützt. Dieser Schutzzweck sei hier entfallen. Die investive Veräußerung bezwecke den Abriss des vorhandenen Bestands zugunsten der geplanten Neubebauung; diese sei nach ihrem Zweck mit der Nachkriegsbebauung nicht mehr vergleichbar.
Die Beklagte hält die Revision für unbegründet. Nach § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG sei darauf abzustellen, ob das in Rede stehende Grundstück bis zum 29. September 1990 im komplexen Wohnungsbau verwendet worden sei. Dieser Ausschlussgrund falle infolge einer investiven Veräußerung jedenfalls dann nicht weg, wenn die geplante Neubebauung die Funktion der vorhandenen Bebauung übernehme. Das sei hier der Fall.
Der Oberbundesanwalt hält die Revision für begründet. Wegen der investiven Veräußerung des Grundstücks sei der Restitutionsausschlussgrund der Verwendung im komplexen Wohnungsbau entfallen. Zwar setze § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG nicht voraus, dass die vorhandene Bebauung erhalten bleibe. Die Neubebauung müsse sich jedoch an dem vorhandenen Zuschnitt der Grundstücke, der Straßenführung und der Nutzung des Areals orientieren. Hier solle hingegen die vorhandene städtebauliche Einheit durch eine andere ersetzt werden. Bei der Neugestaltung des Areals stehe das Interesse im Vordergrund, eine der gesamten Stadt dienende Geschäftslage zu schaffen. Sie gehe weit über die Versorgung der umliegenden Wohnbebauung hinaus, mit der sie in keinem Zusammenhang mehr stehe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Es beruht auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG. Die bislang festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung über die Klage nicht zu. Daher ist das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
1. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Kläger, die Beklagte zu verpflichten, das Eigentum an dem ehemaligen Flurstück 513 gemäß § 3 Abs. 1 VermG auf sie zurückzuübertragen, soweit dieses Grundstück nicht investiv veräußert worden ist, und, soweit eine solche Veräußerung stattgefunden hat, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass gemäß § 16 Abs. 1 Sätze 1 und 3 InVorG ein Anspruch auf Auskehr des anteiligen Veräußerungserlöses oder Verkehrswerts besteht. Die Kläger haben in ihrem Klageantrag erster Instanz zuletzt die Rückübertragung des Flurstücks nicht mehr ausdrücklich erwähnt, sondern in ihrem umgestellten Klageantrag nur noch die Feststellung ihres Anspruchs auf Erlösauskehr als Folge der investiven Veräußerung angesprochen. Sie haben durch diese Umstellung ihres Antrags aber die Klage nicht insoweit zurückgenommen, als sie auf die Verpflichtung der Beklagten zur Rückübertragung des Grundstücksteils gerichtet war, der von der investiven Veräußerung nicht erfasst wird. Der bestandskräftige Investitionsvorrangbescheid ermöglicht nach der ihm beigefügten Flurkarte die investive Veräußerung nur eines kleinen Teils des ehemaligen Flurstücks 513. Soweit ein weiterer Teil mit Dienstbarkeiten belastet werden kann, ist die Rückübertragung des Grundstücks nicht ausgeschlossen. Es ist lediglich die Wertminderung auszugleichen, welche durch die Bestellung der Dienstbarkeit eintritt (§ 16 Abs. 1 Satz 4 InVorG). In diesem Umfang haben die Kläger ihre auf Rückübertragung des Grundstücks gerichtete Klage aufrechterhalten. Sie haben die ablehnenden Bescheide der Beklagten und den ergangenen Widerspruchsbescheid in vollem Umfang zum Gegenstand der Klage und dadurch zugleich deutlich gemacht, dass sie entweder Rückübertragung des Grundstücks oder, soweit dieses veräußert ist, Auskehr des Erlöses begehren.
2. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für beide Begehren erforderliche Berechtigung der Kläger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG aufgrund des insoweit bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheids der Beklagten bindend festgestellt worden ist.
Es hat des Weiteren angenommen, der Rückübertragung stehe, und zwar bezogen auf das gesamte Flurstück, der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG entgegen, der durch die investive Veräußerung nicht weggefallen sei. Diese Auffassung beruht auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG. Nach dieser Vorschrift ist die Rückübertragung von Eigentumsrechten an Grundstücken ausgeschlossen, wenn das Grundstück im komplexen Wohnungsbau verwendet wurde.
Gemeinsamer Zweck der Ausschlusstatbestände in § 5 Abs. 1 VermG ist es, bestimmte rechtliche oder tatsächliche Veränderungen der Nutzungsart oder der Zweckbestimmung eines entzogenen Grundstücks oder Gebäudes nicht dadurch in Frage zu stellen, dass die früheren Eigentumsverhältnisse wieder begründet werden. § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG geht dabei davon aus, dass Grundstücke und Gebäude durch ihre Verwendung im komplexen Wohnungsbau eine Änderung ihrer Zweckbestimmung erfahren haben, die im öffentlichen Interesse aufrechterhalten bleiben soll. Diese geänderte Zweckbestimmung liegt in der Einbeziehung der Grundstücke und Gebäude in eine planerische oder städtebauliche, durch eine komplexe Vielfalt der Bebauung und Nutzung gebildete Einheit. Die geschützte Einheit muss als Wohnungsbau zu kennzeichnen sein. Nicht hingegen ist geschützt eine planerische und städtebauliche Einheit, die durch eine komplexe Vielfalt andersartiger Bebauung und Nutzung gebildet wird (BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1995 – BVerwG 7 C 27.94 – BVerwGE 100, 77). Wird ein Grundstück selbst nicht unmittelbar zu Wohnzwecken genutzt, kann es nur dann in einen komplexen Wohnungsbau im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG einbezogen sein, wenn es mit seiner Nutzung funktional auf die in der Nähe errichteten Wohngebäude bezogen ist. Es muss mit vorhandenen Wohngebäuden eine funktionale Einheit im Sinne eines gesteigerten städtebaulichen Zusammenhangs aus Wohnbauten und sonstigen dem gemeinschaftlichen Wohnen dienender Grundstücksnutzung bilden, der vernünftigerweise nicht trennbar ist.
Die Notwendigkeit eines solchen funktionalen Bezugs hat das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt. Es hat zu Unrecht den Tatbestand einer Verwendung im komplexen Wohnungsbau allein aus der flurstücksübergreifenden Bebauung sowie der zeitlich und sachlich eng verzahnten Planung des Areals hergeleitet. Die Grundlage dieser Planung war der Wiederaufbau des kriegszerstörten Innenstadtkerns. Die Verwirklichung des entsprechenden städtebaulichen Konzepts erfüllte nicht den Tatbestand einer Verwendung von Grundstücken und Gebäuden im komplexen Wohnungsbau (§ 5 Abs. 1 Buchst. c VermG).
Das ehemalige Flurstück 513 liegt innerhalb eines Straßengevierts, das in diesem Teil schon vor der investiven Veräußerung von Teilflächen neben den öffentlichen Verkehrsflächen ausschließlich mit gewerblich nutzbaren Gebäuden bebaut war. Auf dem ehemaligen Flurstück 513 selbst standen Teile des Kinderkaufhauses und der Gaststätte „W.” sowie zu einem kleinen Teil ein Gebäude, das zu dem Einkaufszentrum Webergasse gehörte. Wohnbebauung war weder auf dem ehemaligen Flurstück 513 noch auf einem der Flurstücke verwirklicht, in denen dieses Grundstück aufgegangen war. In der Umgebung des streitigen Grundstücks war zwar Wohnbebauung entstanden. Der gewerblich genutzte Komplex im Innenbereich des Straßengevierts war aber funktional von der Wohnbebauung isoliert. Dieses funktional nicht aufeinander bezogene Nebeneinander von Wohnen und sonstigen Nutzungen bildet keinen komplexen Wohnungsbau, mag es auch gleichzeitig und auf der Grundlage einheitlicher Planung entstanden sein. Der gewerblich genutzte Komplex stellte mit seinen Geschäften verschiedener Fachrichtungen, Dienstleistungsbetrieben und Gaststätten schon vor der investiven Veräußerung eine Nutzung dar, wie sie für Kerngebiete typisch ist. Sie war nicht auf die Versorgung eines engeren angrenzenden Wohngebiets ausgerichtet, sondern war Teil einer zentralen Geschäftslage mit Versorgungsfunktionen für die Gesamtstadt. Sie setzte sich in den Innenbereichen der angrenzenden Quartiere, aber auch in der Blockrandbebauung fort, die für Kerngebiete ebenfalls typisch teilweise, namentlich den Erdgeschossen, gewerblich genutzt war. Insoweit greift das investive Vorhaben die Funktionen dieser zentralen Lage nur in modernisierter Form wieder auf. Die geplante Nutzung hat dementsprechend ebenso wenig wie die frühere Nutzung einen funktionalen Bezug zu der Wohnnutzung in der Umgebung.
3. Ob andere Ausschlussgründe vorliegen, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
a) Von der Natur der Sache her, war zunächst eine Rückgabe derjenigen Teile des Flurstücks 513 im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht mehr möglich, die in den Flurstücken 597/6 (oder /16) und 597/7 aufgegangen sind. Sie waren Teil einer grundstücksübergreifenden Bebauung mit dem Kinderkaufhaus (Flur-stück 597/7) und der Gaststätte „W.” (Flur-stück 597/6 ≪oder /16≫). Bei dieser Bebauung war ein Stammgrundstück nicht feststellbar. Eine Rückgabe hätte daher zur eigentumsrechtlichen Zerschneidung baulicher Funktionseinheiten geführt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1999 – BVerwG 7 C 31.98 – Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 2). Wären die derzeitigen Flurstücke entlang der Grenze des ehemaligen Flurstücks 513 geteilt worden, hätten auf den neu entstehenden Flurstücken vollkommen unregelmäßig geschnittene Teile des Gebäudes gelegen, ohne dass sich nach Umfang, Lage und wirtschaftlicher Bedeutung einer dieser Gebäudeteile als der maßgebliche hätte identifizieren lassen (BGH, Urteil vom 23. Februar 1990 – V ZR 231/88 – BGHZ 110, 298, 302 f.).
Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Ausschlussgrund einer Unmöglichkeit der Rückgabe weggefallen ist, der aus nachbarlichen Konflikten bei einer Gebäudeteilung hergeleitet wird.
b) Für einen anderen Teil des ehemaligen Flurstücks 513 könnte bis zur investiven Veräußerung der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG vorgelegen haben. Über das ehemalige Flurstück 513 führte die W.gasse, die jedenfalls tatsächlich öffentliche Verkehrsfläche war. Ein erheblicher Teil der Verkehrsfläche „W.gasse” gehört jedoch zu dem Teil des Areals, der aufgrund des Investitionsvorrangbescheids veräußert werden sollte. Mit der investiven Veräußerung des wesentlichen Teils der Verkehrsfläche „W.gasse” verliert diese ihre Verkehrsfunktion. Die Beklagte ist zugleich als Trägerin der Straßenbaulast für die Widmung und Entwidmung dieser Verkehrsfläche zuständig. Veräußert sie wesentliche Teile einer bestehenden Verkehrsfläche zum Zwecke ihrer Überbauung, liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Entwidmung vor; jedenfalls steht fest, dass der zuständige Verwaltungsträger demnächst eine Entwidmung vornehmen wird. Unter diesen Voraussetzungen entfällt der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG bereits mit der investiven Veräußerung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 1998 – BVerwG 7 B 285.98 –). Das gilt nicht nur für den unmittelbar veräußerten Teil der Verkehrsfläche, sondern auch für den verbleibenden Rest, wenn er mit der Veräußerung seine Verkehrsfunktion verliert. Das bedarf weiterer tatsächlicher Feststellungen.
c) Die Rückübertragung eines Grundstücks ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG von der Natur der Sache her ferner nicht mehr möglich, wenn die Rückgabe zu einem rechtswidrigen Zustand führen würde. Ein solcher Zustand tritt unter anderem dann ein, wenn die zurückzugebende Fläche für den Alteigentümer ohne Inanspruchnahme eines Notwegrechts nach § 917 BGB nicht nutzbar wäre (BVerwG, Beschluss vom 22. September 1997 – BVerwG 7 B 157.97 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 47; Urteil vom 15. Juni 2000 – BVerwG 7 C 20.99 –). Diese Möglichkeit kommt hier in Betracht. Das ehemalige Flurstück 513 hat keinen Anschluss an die W.straße. Es grenzt an die W.gasse. Dieser Teil der Verkehrsfläche soll zwar nicht veräußert werden, könnte seine Verkehrsfunktion aber als Folge der investiven Veräußerung des größeren Teils der Verkehrsfläche eingebüßt haben. Ob der verbleibende Teil der W.gasse dem ehemaligen Flurstück 513 nach der investiven Veräußerung noch eine Erschließung vermittelt, bedarf weiterer Klärung.
d) Unabhängig von einer fehlenden Erschließung kann die Rückgabe des ehemaligen Flurstücks 513 von der Natur der Sache her ausgeschlossen sein, weil die Grundstückszuschnitte sowie die Straßenführung sich verändert haben und die tatsächlich vorhandene Bebauung des Areals oder dessen Bebaubarkeit diese Änderungen voraussetzt.
Mit dem Begriff der Unmöglichkeit von der Natur der Sache her soll in § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG nichts anderes ausgedrückt werden, als dass in diesen Fällen ungeachtet faktisch und rechtlich möglicher Rückgabe eine Restitution wegen der damit einhergehenden Folgen, nämlich der Gefährdung der zwischenzeitlich geänderten Nutzung des Vermögenswerts, vernünftigerweise nicht in Betracht kommen kann. Mit diesem Ausschlusstatbestand will der Gesetzgeber erreichen, dass eine Rückgabe generell nicht stattfindet, wenn dies im Hinblick auf die dadurch eintretenden Folgen, insbesondere wegen dadurch hervorgerufener schwerwiegender Konfliktsituationen, unvernünftig wäre. Denn damit würde ein sozialverträglicher Ausgleich der unterschiedlichen Interessen, dem das Restitutionsrecht in seiner Gesamtheit verpflichtet ist, von vornherein verfehlt (BVerwG, Urteil 29. Juli 1999 – BVerwG 7 C 31.98 – Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 2). Wegen der Gefahr einer schwerwiegenden Konfliktsituation kann die Rückübertragung eines Grundstücks in diesem Sinne unvernünftig sein, wenn für die Zurückübertragung ein neu zugeschnittenes und nur auf dieser Grundlage bebaubares Grundstück in der Weise aufgeteilt werden müßte, dass künftig weder das zurückzugebende Grundstück noch der von der Rückübertragung nicht betroffene Rest des neu zugeschnittenen Grundstücks bebaubar sind. Dieser Ausschlussgrund wirkt nach dem Abriss vorhandener Bebauung auf den betroffenen Grundstücken fort, wenn deren Bebaubarkeit an den veränderten Grundstückszuschnitt und eine damit einhergehende veränderte Lage der Erschließungsanlagen anknüpft. Der Verlust der Bebaubarkeit für beide Grundstücksteile, die infolge der Rückübertragung entstehen, verfehlt den sozialverträglichen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen. Dies wird bei Baugrundstücken in zentraler Innenstadtlage besonders deutlich. Sie verlangt, um den interessengerechten Ausgleich wiederherzustellen, letztlich nach dem Einsatz bodenordnender Maßnahmen namentlich einer Umlegung.
Wird das Flurstück 513 zurückgegeben, können nach Aktenlage durch die Neugestaltung des Areals entstandene und nur auf deren Grundlage bebaubare Grundstücke in einer Weise zerrissen werden, die ihre künftige Bebauung ausschließt. Ob ein Bebauungsplan für den hier in Rede stehenden Bereich besteht, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Besteht kein Bebauungsplan, richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB, jedenfalls was das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die Grundstücksfläche angeht, die überbaut werden soll. Die vorhandene nähere Umgebung ist nach Aktenlage gekennzeichnet durch eine geschlossene Bebauung, die einer faktisch eingehaltenen Baulinie entlang der Straßenbegrenzungslinie zur Wallstraße folgt. Das vorliegende Kartenmaterial spricht dafür, dass weder auf dem zurückübertragenen Flurstück 513 noch auf den verbleibenden Resten der Flurstücke 597/7 und 597/6 (oder /16) eine Bebauung zu verwirklichen ist, die sich in diese aus der Umgebung ablesbare Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt. Dies bedarf indes weiterer Klärung durch das Verwaltungsgericht.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Kley, Herbert, Neumann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 11.01.2001 durch Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558014 |
BuW 2001, 563 |
ZAP 2001, 375 |
DÖV 2001, 655 |