Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur. Sprache als bestätigendes Merkmal. Vermittlung bestätigender Merkmale. deutsche Sprache als bestätigendes Merkmal für die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum. deutsches Volkstum, deutsche Sprache als bestätigendes Merkmal. Volkstum, deutsches – und deutsche Sprache
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG (wie Urteil vom 19. Oktober 2000 – BVerwG 5 C 44.99 – ≪zum Abdruck in der Entscheidungssammlung bestimmt≫).
2. Ein erlebtes Verfolgungsschicksal stellt kein unbenanntes Bestätigungsmerkmal i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG dar.
3. Wessen Nationalität aufgrund der deutschen Herkunft beider Eltern nach sowjetischem Passrecht von Amts wegen im Pass als „Deutsch” eingetragen ist, unterfällt der 3. Alternative des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG.
Normenkette
BVFG § 6 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 09.12.1998; Aktenzeichen 24 B 97.2289) |
VG Würzburg (Entscheidung vom 19.06.1997; Aktenzeichen W 8 K 96.1477) |
Tenor
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Dezember 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der am 20. September 1928 in Rokotowka im Gebiet Saratow/Wolga in Russland geborene Kläger ist Sohn volksdeutscher Eltern. Nach seinen Angaben wurde er mit seinen Eltern 1941 nach Kustanai/Kasachstan zwangsumgesiedelt und stand von 1944 bis 1955 unter Kommandantur. 1956 heiratete er die deutsche Volkszugehörige Elsa G. Am 26. August 1995 reisten der Kläger und seine Ehefrau mit Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamts vom 22. März 1995, aus Rudny in Kasachstan kommend, in das Bundesgebiet ein und beantragten die Ausstellung von Spätaussiedlerbescheinigungen. Mit Bescheiden vom 19. März 1996 gab das Landratsamt S. dem Antrag der Ehefrau statt und lehnte den des Klägers wegen Nichtbeherrschung der deutschen Sprache ab, erkannte ihn aber als Ehegatten einer Spätaussiedlerin nach § 7 Abs. 2 BVFG an.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Verpflichtung zur Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung aus eigenem Recht hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg: Der Kläger sei 1928 geboren und mit den Eltern 1941 – also im Alter von etwa 13 Jahren – vertrieben worden. Er habe deshalb plausibel vorgetragen, er habe zunächst Deutsch gesprochen und diese Sprache erst ab 1946 verlernt, als er ausbildungsbedingt in die Stadt verzogen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei er aber bereits 18 Jahre alt gewesen; auf seine Entwicklung nach diesem Zeitpunkt komme es weder in sprachlicher noch in erziehungsmäßiger Hinsicht an. Die deutsche Erziehung des Klägers lasse sich im Übrigen im Wege des Indizienschlusses aus der Abstammung von zwei deutschen Elternteilen und seinem im Pass urkundenmäßig festgehaltenen Bekenntnis zum deutschen Volkstum ableiten.
Auf die Berufung des Beklagten hat dagegen der Verwaltungsgerichtshof die Klage abgewiesen, weil der Kläger kein deutscher Volkszugehöriger i.S.d. § 4 Abs. 1 BVFG sei; er erfülle nicht die maßgebenden Kriterien des § 6 Abs. 2 BVFG. Zwar stamme der Kläger beiderseits von deutschstämmigen Eltern ab, er erfülle aber nicht die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG bezeichneten Merkmale. Deutsch sei im Zeitpunkt der Einreise nicht die Muttersprache oder bevorzugt verwendete Umgangssprache des Klägers gewesen. Darauf, ob dies – wie vom Kläger unter Beweis gestellt – in der Kindheit und Jugend bis zur Selbständigkeit der Fall gewesen sei, komme es aus Rechtsgründen nicht an; denn die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG geforderten Merkmale hätten die Funktion, das Bekenntnis zum deutschen Volkstum (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG), das unstreitig im Zeitpunkt der Ausreise vorliegen müsse, zu bestätigen. Auf § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG könne sich der Kläger nicht berufen. Denn als Grund für das Verlernen der in seiner Kindheit gesprochenen deutschen Sprache habe er nicht die politischen Verhältnisse angegeben, sondern den Umzug seiner Familie in ein russisches Dorf bzw. seinen Aufenthalt in der Stadt. Dabei habe eine freiwillige Assimilierung der Sprachgewohnheiten in der Familie des Klägers und bei ihm selbst stattgefunden. Wegen des engen Zusammenhangs von Sprache, Erziehung und Kultur könne unter diesen Umständen in der Regel auch nicht von einer deutschen Erziehung und der Vermittlung deutscher Kultur als der dem Betreffenden am nächsten stehenden ausgegangen werden. Es sei zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, auch ohne Vermittlung der deutschen Sprache deutsche Erziehung und Kultur vermittelt zu bekommen. Zu den Bestätigungsmerkmalen Kultur und Erziehung sei von dem Kläger jedoch nur wenig Substantiiertes vorgetragen worden. Das Begehen von Feiertagen wie Weihnachten und Ostern sowie von Hochzeiten reiche nicht aus, um die Bestätigungsmerkmale Kultur und Erziehung als gegeben anzusehen. Es lägen auch keine sonstigen Umstände vor, die als unbenannte Bestätigungsmerkmale i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in Betracht kämen. Alle Umstände, die in dieser Hinsicht in Betracht gezogen werden könnten (Erzählungen über das Familienschicksal wie Deportation und Unterstellung unter Kommandantur und eine damit bewirkte Identifizierung mit dem Volkstumsbewusstsein der Eltern; die Angabe der deutschen Nationalität bei Ausstellung des ersten Inlandspasses), seien nämlich Umstände, die lediglich für die Frage von Bedeutung seien, ob der Kläger ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt habe. Als Bestätigung einer Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum schieden sie von vornherein aus. Schließlich ergebe sich eine Erklärung zur deutschen Nationalität i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG aus den Angaben des Klägers ebenfalls nicht. Denn dem Passeintrag komme kein Erklärungsgehalt zu, weil der Kläger aufgrund der deutschen Herkunft beider Eltern kein Wahlrecht gehabt habe.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Verpflichtungsbegehren weiter. Er rügt vor allem die Verletzung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 sowie des § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG. Das Berufungsgericht habe § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG in seiner 3. Variante übersehen, wonach der Kläger aufgrund der beiderseits deutschen Volkszugehörigkeit seiner Eltern nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehöre. In diesem Fall sei deshalb kein Bekenntnis zu bestätigen, vielmehr werde gesetzlich vermutet, dass der Betreffende volksdeutsch erzogen und ihm volksdeutsche Kultur vermittelt worden sei. Darüber hinaus greife zugunsten des Klägers die Fiktion des § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG ein. Die Ansicht, die Vermittlung von Bestätigungsmerkmalen könne auch rein familienintern erfolgen, verstoße gegen den Zweck der Vorschrift. Auch in den Vorläufigen Richtlinien zur Durchführung des BVFG werde zu Recht entscheidend auf die Möglichkeit des Umgangs mit anderen Deutschen oder das Erhalten von Schulunterricht in deutscher Sprache abgestellt. Daran habe es beim Kläger gefehlt, der nicht in einem deutschen Siedlungsgebiet aufgewachsen sei. Des Weiteren habe das Berufungsgericht das rechtliche Gehör des Klägers dadurch verletzt, dass es seinen Sachvortrag zum eigenen Erleiden von Deportation und Kommandanturzeit und dem daraus entstandenen Bewusstsein, einer zu Unrecht ausgegrenzten Volksgruppe anzugehören, nicht in seiner Entscheidung verarbeitet und berücksichtigt habe; dieses Erleben könne durchaus gleichgesetzt werden mit einer Erziehung zum deutschen Volkstum und sei deshalb ein unbenanntes Bestätigungsmerkmal i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG.
Die Beklagte und der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen den angefochtenen Beschluss.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Die angefochtene Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht. Das führt zu ihrer Aufhebung und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers keine sonstigen Umstände vorliegen, die neben den in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) ausdrücklich aufgeführten als sog. unbenannte Bestätigungsmerkmale (vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juni 1971 – BVerwG 8 C 31.69 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 20 und vom 4. November 1997 – BVerwG 9 C 36.96 – Urteilsabdruck S. 10) in Betracht kommen könnten. Die Umstände, die das Berufungsgericht insoweit betrachtet hat (äußerlich sichtbare Ausgrenzung der Eltern und anderer Angehöriger als Verräter, Faschisten oder Feinde der Sowjetunion durch Deportation und Unterstellung unter Kommandantur; Erzählungen über das Familienschicksal und eine damit bewirkte Identifizierung mit dem Volkstumsbewusstsein eines Elternteils; die Angabe der deutschen Nationalität bei Ausstellung des ersten Inlandspasses), sind lediglich für die Frage von Bedeutung, ob der Kläger ein volksdeutsches Bewusstsein entwickelt und ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt hat. Als Bestätigung einer Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum scheiden sie von vornherein aus (vgl. Urteil vom 4. November 1997 a.a.O.). Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings unberücksichtigt gelassen, dass der 1928 geborene Kläger 1941 Deportation und Kommandantur bis Dezember 1955 als Jugendlicher und Heranwachsender selbst erlitten und erlebt hat und dadurch bis zu seiner Selbständigkeit und darüber hinaus einer „äußerlich sichtbaren Ausgrenzung” und Stigmatisierung als „Verräter, Faschist oder Feind der Sowjetunion” (vgl. BVerwGE 98, 367 ≪372≫) ausgesetzt war. Ein solches erlebtes Vertreibungsschicksal ist zwar objektiv feststellbar und dem Betroffenen gegen seinen Willen aufgezwungen (deshalb plädiert von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, B 2 § 6 S. 20/8 f. für seine Anerkennung als unbenanntes Bestätigungsmerkmal), aber nicht von seinen Eltern durch aktives Tun vermittelt worden, wie es § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG tatbestandlich voraussetzt. Darüber hinaus stellt es den gesetzlichen Grund für die Zuerkennung des Vertriebenen- bzw. Spätaussiedlerstatus (§ 1 Abs. 2 Nr. 3, § 4 Abs. 1 BVFG) dar und kann deshalb nicht ein zweites Mal im Rahmen der Bestätigungsmerkmale berücksichtigt werden.
Bundesrecht verletzt jedoch die Ansicht des Berufungsgerichts, der deutschen Volkszugehörigkeit des Klägers stehe § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG entgegen. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, der Volkstumseintrag des Klägers als Deutscher in seinem Inlandspass ergebe sich aus der deutschen Herkunft beider Eltern des Klägers und dem entsprechenden Eintrag in seiner Geburtsurkunde. Auf der Grundlage dieser Feststellung kommt es darauf, ob bei fehlendem Wahlrecht bezüglich der Nationalität in dem Antrag, im Pass „Deutsch” einzutragen, ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum gesehen werden kann (vgl. insoweit – zu § 6 BVFG a.F. – BVerwG, Urteil vom 13. April 2000 – BVerwG 5 C 14.99 – Urteilsabdruck S. 8 f.), nicht an. Denn damit hat das Berufungsgericht zugleich die Feststellung getroffen, dass der Kläger nach dem Recht des Herkunftsstaates, nämlich der sowjetischen Passverordnung von 1953, zur deutschen Nationalität gehörte (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 – BVerwG 9 C 391.94 – Urteilsabdruck S. 12 ff.). Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum in dem vom Berufungsgericht erörterten Sinne war deshalb nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 letzte Alternative BVFG nicht erforderlich.
Das Berufungsgericht geht weiter zu Unrecht davon aus, dass nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG eines der dort aufgeführten bestätigenden Merkmale zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet vorgelegen haben müsse.
§ 6 BVFG regelt, wer deutscher Volkszugehöriger ist, Absatz 1 für die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen und Absatz 2 für die nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen. Zwar ist es gerechtfertigt, zur Auslegung des § 6 Abs. 1 BVFG auf die Auslegung des wortgleichen § 6 BVFG a.F. (vor der Änderung durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 ≪BGBl I S. 2094≫ bis zum 31. Dezember 1992 geltende Fassung) in Bezug auf die bekenntnisfähigen Personen zurückzugreifen. Dagegen ist es nicht zulässig, § 6 Abs. 2 BVFG, insbesondere dessen Satz 1 Nr. 2, unter weitgehendem Rückgriff auf die Auslegung des § 6 BVFG a.F. auszulegen und die rechtliche Bedeutung bestätigender Merkmale in § 6 BVFG a.F. einerseits und in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits gleichzusetzen. An der auf solchen Ansätzen beruhenden bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 102, 214; 105, 60) wird nicht festgehalten.
Gegen die Übertragung der Auslegungskriterien und -begriffe zu den bestätigenden Merkmalen im Sinne von § 6 BVFG a.F. auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht zunächst der Umstand, dass der Gesetzgeber die zu § 6 BVFG a.F. in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien für die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit nicht in § 6 Abs. 2 BVFG n.F. übernommen hat. Das alte, bis zum 31. Dezember 1992 geltende Recht unterschied zwischen drei Personengruppen: Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bereits bekenntnisfähigen Personen musste zu dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum ein das Volkstumsbekenntnis bestätigendes Merkmal wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur hinzutreten (BVerwGE 98, 367 ≪368 f.≫). Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen wegen ihres Alters noch bekenntnisunfähigen Frühgeborenen kam es für die deutsche Volkszugehörigkeit auf die kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der Familie prägende Bekenntnislage an, die ihnen zugerechnet wurde (BVerwGE 92, 70 ≪73≫), während bei den nach dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenen Spätgeborenen erforderlich war, dass in der Person des Spätgeborenen ein die Identifikation mit der volksdeutschen Bekenntnislage der Eltern bestätigendes Merkmal vorlag (BVerwGE 98, 367 ≪369 f.≫). Diese Unterscheidung hat der Gesetzgeber nicht übernommen (BVerwGE 99, 133 ≪137≫). Als bekenntnisfähig im Sinne des § 6 Abs. 1 BVFG gelten nunmehr „zur administrativen Erleichterung” (vgl. BTDrucks 12/3212 S. 23) nur noch die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen, während alle danach Geborenen zu einer einheitlichen Gruppe zusammengefasst werden, deren Volkszugehörigkeit sich einheitlich nach § 6 Abs. 2 BVFG bestimmt. Das verbietet es, je unterschiedliche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale aus § 6 BVFG a.F. auf das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BVFG zu übertragen.
Gegen die Übertragung des Verständnisses der bestätigenden Merkmale im Sinne des alten Rechts auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht weiter, dass der Gesetzgeber nicht der Stellungnahme des Bundesrates gefolgt ist, der § 6 BVFG ausgehend von dessen alter Fassung und dessen Struktur, dass das Volkstumsbekenntnis bestätigende Merkmale vorliegen müssen, wie folgt fassen wollte (BTDrucks 12/3341 S. 1):
„§ 6
Volkszugehörigkeit
Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in der Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat und bekennt, sofern diese Bekenntnisse neben der Abstammung durch die Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur nachgewiesen werden.”
Vielmehr hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit der nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen „in einem neuen Absatz 2 zu § 6 festgelegt” (BTDrucks 12/3341 S. 13).
§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BVFG macht anders als § 6 Abs. 1 BVFG die Eigenschaft, deutscher Volkszugehöriger zu sein, kumulativ (Nummer 2 a.E.: „und”) von drei Voraussetzungskomplexen abhängig, wobei es allerdings genügen kann, wenn innerhalb eines Voraussetzungskomplexes nur eine von zwei oder mehreren möglichen Voraussetzungen erfüllt ist (BVerwGE 99, 133).
In § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG wird vorausgesetzt,
- dass die Person von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nummer 1),
- dass der Person die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nummer 2) und
- dass die Person sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nummer 3). Da die Erklärung zur deutschen Nationalität ein Unterfall des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist (s. Nummer 3: „auf andere Weise”), setzt Nummer 3 alternativ entweder ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder – ohne dass es auf ein Bekenntnis ankäme – voraus, dass die Person nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte.
Bei der Auslegung des § 6 BVFG a.F., des jetzigen § 6 Abs. 1 BVFG, einerseits und des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits ist zu beachten, dass diese bestätigenden Merkmale in beiden Bestimmungen in einem jeweils anderen textlichen Zusammenhang stehen. So stellen § 6 BVFG a.F. für die bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bekenntnisfähigen Personen und § 6 Abs. 1 BVFG für die bis zum 31. Dezember 1923 geborenen Personen in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache nicht darauf ab, wann und von wem sie erlernt wurde; entscheidend war, dass sie im maßgeblichen Bekenntniszeitraum, also kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, die vorrangig benutzte Sprache war. Demgegenüber verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache, dass sie durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte vermittelt worden ist, wobei die Sprachvermittlung bzw. deren Ende nur in seltenen Ausnahmefällen zeitlich mit dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes zusammenfallen werden.
In § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG beziehen sich die bestätigenden Merkmale unmittelbar und ausschließlich auf ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn es wird verlangt, dass die Person sich in ihrer Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, und weiter, dass dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale bestätigt wird. Hiermit ist nicht die Bestätigung des Bekenntnisvorgangs, sondern des Bekenntnisinhalts gemeint, also der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität. Ein bloßes Lippenbekenntnis genügt nicht, vielmehr muss das Bekenntnis in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung finden (BVerwGE 102, 214 ≪217≫). Das setzt (auch) objektive Zugehörigkeitsmerkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur voraus. Wegen des direkten Bezugs und der vorausgesetzten Zeitgleichheit müssen die bestätigenden Merkmale in § 6 BVFG a.F. bzw. § 6 Abs. 1 BVFG zur Zeit des Bekenntnisses vorliegen (§ 6 Abs. 1 BVFG: „… sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird”).
In § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG stehen die bestätigenden Merkmale dagegen nicht in einem unmittelbaren und ausschließlichen Bezug zu einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn der Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG ist auch dann erfüllt, wenn kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorliegt, die Person aber nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört. Auch in diesem Fall verlangt Nummer 2, dass bestätigende Merkmale vermittelt worden sind. Die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 BVFG beziehen sich also nicht auf ein Bekenntnis, sondern unmittelbar auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität (vgl. auch BTDrucks 12/3212 S. 22: „Bestätigungsmerkmale …, die sie dem deutschen Volkstum zuweisen”).
Anders als § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG, die bestätigende Merkmale als aktuelle Bestätigung der durch Bekenntnis erklärten Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum voraussetzen, verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG weder für die Erklärung zur deutschen Nationalität noch für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum noch für die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität durch den Herkunftsstaat in Nummer 3 eine Bestätigung durch bestätigende Merkmale. Bestätigende Merkmale sind vielmehr in der der Nummer 3 vorhergehenden Nummer 2 dahin geregelt, dass Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte sie „vermittelt haben” müssen. Tatbestandsvoraussetzung nach Nummer 2 ist also nicht eine aktuelle Bestätigung der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, sondern die Vermittlung bestätigender Merkmale als ein in der Vergangenheit liegender Vorgang. Dementsprechend knüpft auch die Fiktion nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG daran an, dass die Vermittlung bestätigender Merkmale nicht möglich oder nicht zumutbar war.
Die Zeit(dauer), in der die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte Sprache, Erziehung, Kultur „vermittelt haben” (grundsätzlich die Zeit von der Geburt bis zur Selbständigkeit), und die Zeit, in der diese Vermittlung abgeschlossen ist, in der sie also Sprache, Erziehung, Kultur „vermittelt haben” (grundsätzlich mit Eintritt der Selbständigkeit), decken sich nicht oder nur zufällig mit der für das Bekenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG maßgeblichen Zeit „bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete”. Da sie einen in der Vergangenheit, und zwar häufig lange Zeit vor dem Verlassen der Aussiedlungsgebiete liegenden Vorgang bezeichnen, können die bestätigenden Merkmale im Sinne der Nummer 2 nicht die Funktion haben, eine bekannte oder herkunftsstaatlich zugeordnete Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum durch eine aktuelle Entsprechung in der objektiven Lebenswirklichkeit zu belegen.
Indem das Gesetz die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in den Kontext der Vermittlung durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte stellt, weist er ihnen anders als in § 6 Abs. 1 BVFG nicht die Funktion zu, eine aktuelle Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage zu bestätigen, sondern lässt es ausreichen, dass den Kindern bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, dass bei ihnen also mit Abschluss des Vermittlungsvorgangs die Grundlage für eine (mögliche) deutsche Bewusstseinslage geschaffen war. Bekennen sich die Kinder dann zum deutschen Volkstum oder rechnet sie der Herkunftsstaat der deutschen Nationalität zu (Nummer 3), finden dieses Bekenntnis bzw. diese Zuordnung insofern in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung, als diese nicht inhaltsleer sind.
Die Dauer der Vermittlung bestätigender Merkmale ist in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht besonders bestimmt und richtet sich deshalb nach der Dauer des familiären Erziehungseinflusses, der in der Regel mit der Dauer des Sorgerechts gleichgesetzt werden kann. Grundsätzlich beginnt sie im Säuglingsalter und endet mit der Selbständigkeit. Der Eintritt der Selbständigkeit kann in diesem Zusammenhang nicht generell auf ein bestimmtes Alter festgelegt werden, sondern ist im Einzelfall zu beurteilen; er wird regelmäßig schon angenommen werden können, wenn der Jugendliche sein Elternhaus bzw. den Haushalt des ihn erziehenden Verwandten verlässt, und ist spätestens mit der Volljährigkeit gegeben.
Unter den bestätigenden Merkmalen kommt der Sprache besondere Bedeutung zu; denn die Vermittlung von Erziehung und Kultur wird regelmäßig über die Sprache erfolgen (s. BTDrucks 12/3212 S. 23). Während sich in der Anfangszeit die Sprachvermittlung insbesondere in Form der Nachahmung der von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten gesprochenen Sprache vollzieht, wird sie im Laufe der Jahre in eine Verfestigung der gelernten Sprache und eine Vertiefung und Erweiterung der Sprachkenntnisse durch fortgesetzten Sprachgebrauch übergehen. Dabei richten sich Ausmaß und Intensität der geforderten Sprachvermittlung nach dem Sprachvermögen der Eltern, des Elternteils oder anderer Verwandter. Die deutsche Sprache muss nicht als Hochsprache vermittelt worden sein, es reicht aus, wenn sie so vermittelt worden ist, wie sie im Elternhaus – z.B. in Form des Dialekts – gesprochen wurde (BVerwGE 102, 214 ≪220≫).
Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ist insbesondere die Muttersprache (BTDrucks 12/3212 S. 22). Unter Muttersprache wird allgemein die als Kind von den Eltern (oder sie ersetzenden Bezugspersonen) erlernte Sprache verstanden (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 20. Auflage 1996; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Auflage 1989). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 3. November 1998 – BVerwG 9 C 4.97 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90) zum Begriff der Muttersprache weitergehend davon ausgegangen worden ist, sie müsse „so vertieft worden (sein), dass sie auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache umfassend beherrscht wird”, kann daran für § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht festgehalten werden.
Der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 6 BVFG a.F. entwickelte Begriff der bevorzugten Umgangssprache behält für § 6 Abs. 1 BVFG Bedeutung. Denn mit Sprache im Sinne dieser Bestimmungen soll das Bekenntnis zum deutschen Volkstum aktuell objektiv bestätigt werden. Das rechtfertigt es, auf die vorrangig benutzte Sprache abzustellen. Dagegen wird der Begriff der bevorzugten Umgangssprache dem geänderten Kontext des Begriffs der Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht gerecht. Denn dafür kommt es nicht auf eine bevorzugt „benutzte” Umgangssprache an, sondern allein auf die von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten vermittelte Sprache.
Die Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG muss „zumindest Gewicht” haben (BTDrucks 12/3212 S. 23). Der wesentliche Gesichtspunkt für Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung ergibt sich aus der geänderten Funktion der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG. Da der Gesetzgeber in den vermittelten bestätigenden Merkmalen Sprache, Erziehung, Kultur die objektive Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage, für die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum sieht, setzt eine Sprachvermittlung voraus, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte ihre vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Denn je intensiver deutsche Sprache vermittelt worden ist, umso tragfähiger ist die Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage. Das bedeutet aber nicht, dass dem Kind als Sprache nur oder jedenfalls überwiegend Deutsch vermittelt worden sein muss. Ein derart enges Verständnis kann weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien entnommen werden. Es würde auch an der Realität in den Aussiedlungsgebieten vorbeigehen. Denn wer nicht in reinen oder überwiegend deutschsprachigen Siedlungsgebieten aufgewachsen ist, musste realistischerweise, sollte er nicht „sprachlos” in Kinderkrippe, Kindergarten oder Schule kommen, bereits von Kindesbeinen an auch die Landessprache erlernen. Es reicht demnach aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Wurden dem Kind im Elternhaus Deutsch und die Landessprache vermittelt, hat sein späteres Bekenntnis zum deutschen Volkstum eine objektive, durch die Vermittlung der deutschen Sprache bis zur Selbständigkeit bestätigte Grundlage. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Denn von der Existenz anderer Landessprachen in den Herkunftsgebieten ausgehend verlangt der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG weder bei volkstumsmäßig verschiedenen noch bei volkstumsmäßig gleichen Eltern eine alleinige oder jedenfalls überwiegende deutsche Sprachvermittlung. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen so sprechen, wie sie selbst diese beherrschen.
War die Vermittlung deutscher Sprache wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar, gelten die Voraussetzungen nach Nummer 2 als erfüllt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG). Hat die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nicht die ganze Zeit bis zur Selbständigkeit, aber doch für längere Zeit angedauert, so ist bei Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung zu Gunsten des Kindes zu berücksichtigen, dass sich die Sprachvermittlung nicht über die ganze Länge der Prägephase erstrecken konnte.
Auch wenn im Herkunftsgebiet die Vermittlung deutscher Sprache weder unmöglich noch unzumutbar war, ist doch zu berücksichtigen, dass eine Sprachvermittlung dort insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aber auch danach oft nur im Familienkreis und nur mit begrenzten Mitteln möglich war. So standen als Folge der Verschleppung und Vertreibung häufig keine Hilfsmittel wie Bücher zur Verfügung, so dass weitgehend keine visuelle, sondern nur eine auditive Sprachvermittlung möglich gewesen sein wird. Das erschwert die Sprachvermittlung. Auch Restriktionen in der Religionsausübung können sich erschwerend auf die deutsche Sprachvermittlung ausgewirkt haben.
Setzt demnach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht voraus, dass bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur beim Verlassen des Aussiedlungsgebietes vorliegen, ist vielmehr entscheidend, ob deutsche Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, so ist die Kenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu. Bei einem Rückschluss vom bei Aus- bzw. Einreise aktuellen Sprachvermögen bzw. –unvermögen auf zurückliegende Sprachvermittlung sind beispielsweise zu berücksichtigen die Dauer des Aufenthalts im Elternhaus, die Umstände der Sprachvermittlung im Elternhaus, die Sprachbegabung und der Bildungsstand des Betreffenden, die Dauer seit der Trennung vom Elternhaus, die Möglichkeit, Deutsch weiter zu sprechen.
Die Revision ist, nachdem das Berufungsgericht entscheidungstragend darauf abgestellt hat, dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausreise kein Deutsch sprach und sich nicht zur deutschen Nationalität bekannt hat, wegen dieser Rechtsverletzungen begründet (§ 144 Abs. 3 VwGO). Eine Entscheidung in der Sache selbst ist nicht möglich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Zwar liegen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 BVFG vor. Auch hat das Berufungsgericht als wahr unterstellt, dass der Kläger in seiner Kindheit Deutsch als Muttersprache gesprochen hat. Diese Wahrunterstellung beruhte aber darauf, dass es auf die vom Kläger unter Beweis gestellten Tatsachen nach der abweichenden Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht ankam. Nachdem sich im Revisionsverfahren herausgestellt hat, dass im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Berufungsgerichts der als wahr unterstellte Sachverhalt sehr wohl entscheidungserheblich ist, kann eine revisionsgerichtliche Entscheidung auf die Wahrunterstellung nicht gestützt werden (BVerwG, Urteile vom 17. Januar 1990 – BVerwG 9 C 39.89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 122 S. 208 = NVwZ-RR 1990, 510 und vom 23. März 2000 – BVerwG 5 C 25.99 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 92 = DVBl 2000, 1533). Das nötigt zur Zurückverweisung.
Denn der Klage kann nicht aus den Gründen des Verwaltungsgerichtsurteils stattgegeben werden. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass von einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum i.S.d. Nr. 3 des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG indiziell auf eine volksdeutsche Erziehung und Kulturvermittlung i.S.d. Nr. 2 der Norm geschlossen werden kann und muss, kann nicht gefolgt werden. Denn wenn die Schlussfolgerung vom Bekenntnis nach Nummer 3 auf volksdeutsche Erziehung und Kulturvermittlung zwingend wäre, käme den Voraussetzungen nach Nummer 2 in all den Fällen eines Bekenntnisses nach Nummer 3 keine eigenständige Bedeutung zu. Auch trifft die Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht zu, es bleibe unerfindlich, „wie diese bestätigenden Merkmale (Erziehung, Kultur) anders als indiziell festgemacht werden sollen”. Denn die Vermittlung deutscher Erziehung, Kultur kann z.B. durch Zeugen aus der Zeit der Vermittlung nachgewiesen werden. Allerdings kommt auch dem Beweis durch Indizien Bedeutung zu, insbesondere dem Indiz der auch noch im Zeitpunkt der Aus- bzw. Einreise nachweisbaren deutschen Erziehung bzw. deutschen Kultur.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.10.2000 durch Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen