Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwasserabgabe. Verrechnung, nachträgliche ‐. Verwaltungsakt, Wirksamkeit eines ‐, Auslegung eines ‐. Rechtsschutzbedürfnis. Abwasserbehandlungsanlage, Erweiterung einer ‐, Inbetriebnahme einer ‐. Schadstofffrachtreduzierung. Analyseverfahren, Vergleichbarkeit von ‐. Heraberklärung. Überwachungswert. Messergebnis. Zeitraum, maßgeblicher ‐
Leitsatz (amtlich)
- Die Entscheidung über eine Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG erfolgt durch Verwaltungsakt.
- Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, im Rahmen von § 10 Abs. 3 AbwAG bei der Prüfung, ob eine Schadstofffrachtreduzierung von 20 % stattgefunden hat, als Vergleichswert eine Erklärung nach § 4 Abs. 5 AbwAG heranzuziehen. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG entsprechender Überwachungswert fehlt.
- Kommt es im Rahmen von § 10 Abs. 3 AbwAG bei der Prüfung, ob eine Schadstofffrachtreduzierung von 20 % eingetreten ist, als “Vorher”-Wert gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG auf das höchste Messergebnis der behördlichen Überwachung an, ist hierfür grundsätzlich ein Zeitraum von fünf Jahren vor Inbetriebnahme der erweiterten Abwasserbehandlungsmaßnahme maßgeblich.
Normenkette
AbwAG § 4 Abs. 1, 5, § 6 Abs. 1, § 10 Abs. 3; BGB §§ 133, 157; LVwG-SH § 112; VwVfG § 43
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 21.01.2004; Aktenzeichen 2 LB 155/02) |
VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 20.06.2002; Aktenzeichen 6 A 137/98) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung einer Verrechnung und Rückzahlung der von ihm für die Jahre 1993 bis 1996 gezahlten Abwasserabgabe in Höhe seiner Aufwendungen für den Bau von Nachklärbecken.
Für die vom Kläger betriebene Kläranlage wurde durch Planfeststellungsbeschluss vom 3. Juli 1986 der Überwachungswert für den Schadstoffparameter Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) auf 140 mg/l (2-Stunden-Mischprobe) festgelegt. Durch Bescheid vom 29. März 1994 wurde der für CSB einzuhaltende Überwachungswert “ab Rechtskraft” dieses Bescheides auf 75 mg/l festgelegt. Hiergegen erhob der Kläger Anfechtungsklage.
Im Mai 1995 begann der Kläger mit dem Bau von zwei Nachklärbecken. Mit Schreiben vom 15. Dezember 1995 stellte er den Antrag, die voraussichtlichen Investitionskosten in Höhe von rund 11 Mio DM mit der in den drei Jahren vor der Inbetriebnahme der Nachklärbecken angefallenen Abwasserabgabe zu verrechnen. Mit Bescheid vom 17. Juli 1996 wurde der einzuhaltende Überwachungswert für CSB auf 120 mg/l sowie auf 75 mg/l ab dem 1. Januar 2000 festgelegt. Der Bescheid bestimmte unter “III. Rechtsmittelbelehrung”:
“Die Einlegung eines weiteren Rechtsmittels ist nicht notwendig. Dieser Bescheid gilt durch die Klage gegen den Bescheid vom 29. März 1994 als mit angefochten. Der Rechtsinhaber wird gebeten, binnen zweier Monate seit Bekanntgabe dieses Bescheides mitzuteilen, ob sich die Klage erledigt hat.”
Durch weiteren Bescheid vom 16. August 1996 wurde in Abänderung des Bescheides vom 17. Juli 1996 bestimmt, dass der zukünftige CSB-Überwachungswert von 75 mg/l “ab dem Beginn des Sechsten Jahres nach Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft des Bescheides” gelten solle. Dem Bescheid ist die gleiche Rechtsmittelbelehrung beigefügt wie dem Bescheid vom 17. Juli 1996.
Im Hinblick auf diese Bescheide erklärten die Beteiligten die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 29. März 1994 mit Schriftsätzen vom 26. September 1996 bzw. vom 15. Oktober 1996 für erledigt. Bereits im Laufe der Monate August und September 1996 nahm der Kläger die Nachklärbecken in Betrieb.
Mit Bescheiden vom 1. März 1994, 24. Februar 1995, 5. März 1996 und 13. Februar 1997 (letzterer geändert durch Bescheide vom 18. Juli 1997 und 13. Dezember 2000) zog der Beklagte den Kläger für die Jahre 1993 bis 1996 zu – mittlerweile gezahlten – Abwasserabgaben in Höhe von insgesamt 22 587 161 DM heran. Eine Verrechnung mit den Investitionsaufwendungen des Klägers erfolgte nicht. Mit Bescheid vom 11. Februar 1998 lehnte der Beklagte eine Verrechnung für die Veranlagungsjahre 1993 bis 1995 ab, weil ein Vergleich der im Rahmen der behördlichen Überwachung durch Messung gewonnenen Jahresmittelwerte 1995 und 1997 nicht die von § 10 Abs. 3 AbwAG geforderte Schadstofffrachtreduzierung von 20 % ergeben habe.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene, auf Verpflichtung des Beklagten zur Verrechnung und Anordnung der Rückzahlung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abgeändert und den Beklagten verpflichtet, Aufwendungen des Klägers in Höhe von 5 838 960,53 € mit der vor der Inbetriebnahme der Nachklärbecken gezahlten Abwasserabgabe zu verrechnen und diesen Betrag nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Für den vom Kläger geltend gemachten Rückzahlungsanspruch gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AbwAG, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden müsse, sei die Verpflichtungsklage eröffnet. Obwohl der Kläger die Verrechnung der entstandenen Aufwendungen im Rahmen einer Klage gegen die nach dem 18. Dezember 1995 ergangenen Abgabenbescheide hätte geltend machen können, sei er nicht gehindert, gegen den gesondert ergangenen Verrechnungsbescheid vorzugehen. Der Rückzahlungsanspruch sei begründet, weil der Betrieb der erweiterten Abwasserbehandlungsanlage eine Minderung der CSB-Fracht in dem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 % sowie eine Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer erwarten lasse. Die Schadstofffrachtminderung sei nicht durch den Vergleich der tatsächlichen Einleitungen vor und nach der Maßnahme, sondern nach Maßgabe der wasserrechtlichen Erlaubnisbescheide oder, falls – anders als hier – solche Werte fehlten, nach § 6 AbwAG zu beurteilen. Auf die vom Kläger gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 AbwAG für den Parameter CSB und die Jahre 1993 bis 1996 erklärten, im Vergleich zu den festgesetzten Bescheidwerten niedrigeren Werte komme es nicht an, weil diese Werte nur einen zeitlich befristeten Ausnahmezustand der Anlage beträfen. Maßgeblich sei daher ein Vergleich des im Planfeststellungsbeschluss von 1986 festgelegten Überwachungswerts mit dem im Änderungsbescheid vom 17. Juli 1996 enthaltenen Überwachungswert. Der mit Bescheid vom 17. Juli 1996 herabgesetzte Wert von 120 mg/l CSB sei erst nach Inbetriebnahme der erweiterten Anlage verbindlich geworden. Seine Festsetzung habe – im Gegensatz zum Bescheid vom 29. März 1994 – zwar nicht ausdrücklich unter dem Vorbehalt der “Rechtskraft” des Bescheides gestanden. Aus den mit “Rechtsmittelbelehrung” überschriebenen Ausführungen des Bescheides vom 17. Juli 1996 sei für den Empfänger jedoch deutlich geworden, dass der neue Wert jedenfalls nicht vor Eintritt der Bestandskraft auch dieses Bescheides verbindlich sei. Die Änderung des früheren CSB-Wertes von 140 mg/l in der abgesetzten 2-Stunden-Mischprobe auf nunmehr 120 mg/l in der homogenisierten Probe bewirke eine Minderung um wenigstens 20 %, weil der erstgenannte Wert zur Herstellung der Vergleichbarkeit der Analyseverfahren um mindestens 15 mg/l zu erhöhen sei.
Hiergegen hat der Beklagte die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er hält die Verpflichtungsklage für unzulässig, weil sich der Rückzahlungsanspruch unmittelbar aus § 10 Abs. 3 AbwAG ergebe, ohne dass es einer Entscheidung durch Verwaltungsakt bedürfe. Im Übrigen sei das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers zweifelhaft, weil er eine Verrechnung der entstandenen Aufwendungen einfacher und effektiver durch Klage gegen die Abgabenbescheide hätte geltend machen können. In der Sache verletze das Urteil § 112 LVwG-SH. Danach werde ein Verwaltungsakt gegenüber dem Empfänger mit Bekanntgabe an diesen wirksam. Dementsprechend sei auch der Bescheid vom 17. Juli 1996 mit seiner Bekanntgabe am 25. Juli 1996 und damit schon vor Inbetriebnahme der Nachklärbecken wirksam geworden. Zu Unrecht habe das Oberverwaltungsgericht den Bescheid für auslegungsbedürftig gehalten. Jedenfalls widerspreche die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung dem Willen der Parteien. Auch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der durch den Planfeststellungsbeschluss vom 3. Juli 1986 festgelegte Überwachungswert sei für die Berechnung der Schadstoffminderung allein maßgeblich, verletze Bundesrecht. Dieser Wert beziehe sich auf eine abgesetzte 2-Stunden-Mischprobe und entspreche deswegen nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG. Somit liege für den Parameter CSB kein wirksamer Bescheidwert vor, so dass es auf die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG erklärten, niedrigeren Werte (für 1993 und 1994 jeweils 75 mg/l, für die Jahre 1995 und 1996 jeweils 112 mg/l) ankomme. Danach werde keine mindestens 20-%ige Frachtminderung erreicht.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Januar 2004 insoweit aufzuheben, als der Beklagte verpflichtet worden ist, Aufwendungen des Klägers für die Erweiterung seiner Abwasserbehandlungsanlage Hetlingen in Höhe von 5 838 960,53 € mit der vor der Inbetriebnahme der Nachklärbecken 11 und 12 gezahlten Abwasserabgabe zu verrechnen und diesen Betrag nebst 4 % Zinsen seit dem 28. August 1998 an den Kläger zu zahlen, und die Berufung auch insoweit zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist unbegründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Verrechnung und Rückzahlung von Abwasserabgaben gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG mit bundesrechtlich zu beanstandender Begründung, aber im Ergebnis zutreffend als erfüllt angesehen (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO).
1. In bundesrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Oberverwaltungsgericht die Zulässigkeit der Klage bejaht.
a) Zutreffend ist das Oberverwaltungsgericht von der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) als statthafter Klageart ausgegangen. Denn das Begehren des Klägers ist auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet.
Eine Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG kann nicht lediglich im Wege einer bloßen rechtserheblichen Willenserklärung des Abgabenschuldners bewirkt werden. Denn die Investitionsaufwendungen begründen keine selbständige Forderung des Abgabenschuldners gegenüber der Abgabenbehörde, die der Abgabenforderung entgegengehalten werden könnte, um zu einer vereinfachten Erfüllung zu gelangen. Eine Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG betrifft deswegen nicht die Ebene der Erfüllung der Abgabenschuld, sondern vielmehr ihre Höhe und mithin die Rechtmäßigkeit der Abgabenerhebung. Hierüber ist im Abgabenbescheid selbst und damit durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Ist der Bescheid – wie hier – schon ergangen, muss der hierdurch gesetzte Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Abgabe im Umfang des Verrechnungsanspruchs wieder beseitigt werden. Eine solche Regelung kann nur wiederum in Form eines Verwaltungsakts bewirkt werden. Für diese Handlungsform bietet § 10 Abs. 3 AbwAG eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage (vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2001 – BVerwG 3 C 2.01 – BVerwGE 114, 226 ≪227 f.≫; Urteil vom 24. Oktober 2002 – BVerwG 7 C 9.02 – BVerwGE 117, 133 ≪134≫).
b) Ohne Erfolg bestreitet die Revision das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Die Möglichkeit des Klägers, eine Verrechnung seiner Aufwendungen nach § 10 Abs. 3 AbwAG bereits im Rahmen von Rechtsmitteln zumindest gegen den Abgabenbescheid für das Jahr 1995 geltend zu machen, erweist sich nicht als einfachere und effektivere Rechtsschutzform, auf die er zu verweisen wäre. Es besteht kein Anlass, die erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes (vom 2. November 1990, BGBl I S. 2425) in § 10 Abs. 3 AbwAG eröffnete Wahlfreiheit zwischen einer Verrechnung im Rahmen einer noch nicht abgeschlossenen Abgabenfestsetzung und einer nachträglichen Verrechnung in dieser Weise wieder zu beschränken. Ohnehin könnte die vom Beklagten geforderte Vorgehensweise nur zu einer vorläufigen Regelung der Verrechnung führen, weil erst nach Inbetriebnahme der geänderten Abwasseranlage endgültig entschieden werden kann, ob und in welchem Umfang die Verrechnungsvoraussetzungen erfüllt sind. Im Übrigen ist der Weg einer Anfechtung der mittlerweile bestandskräftig gewordenen Abgabenbescheide für den Kläger verschlossen. Von einer deswegen allein in Betracht kommenden Verwirkung seines Klagerechts könnte hier aber keine Rede sein, weil der Kläger seinen Verrechnungsantrag bereits vor Erlass des Abgabenbescheides für 1995 gestellt hat und es ausweislich des Schreibens des Beklagten vom 8. Mai 1996 gerade dem Interesse des Beklagten entsprach, hierüber in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden.
2. Den vom Kläger geltend gemachten Verrechnungsanspruch nach § 10 Abs. 3 AbwAG hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht bejaht.
a) Zutreffend ist das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung von § 10 Abs. 3 AbwAG davon ausgegangen, dass die Frage, ob die von dieser Vorschrift geforderte parameterbezogene Minderung der Schadstofffracht von mindestens 20 % erfolgt ist, auf der Grundlage der nach §§ 4 und 6 AbwAG festgelegten Überwachungswerte und nicht durch einen Vergleich der tatsächlichen Einleitungen vor und nach der Inbetriebnahme der neuen oder erweiterten Abwasserbehandlungsanlage zu beantworten ist. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, vermag nur diese Sichtweise dem spezifischen, auf die Abgabenrelevanz der Überwachungswerte ausgerichteten Anreizsystem des Abwasserabgabengesetzes Rechnung zu tragen (Urteil vom 8. September 2003 – BVerwG 9 C 1.03 – Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 5 S. 7; Beschluss vom 15. Januar 2004 – BVerwG 9 B 71.03 – Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 7 S. 16).
b) Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht den im wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid vom 17. Juli 1996 enthaltenen Überwachungswert von 120 mg/l CSB als den nach der Inbetriebnahme der erweiterten Abwasserbehandlungsanlage maßgeblichen Vergleichswert angesehen.
aa) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Oberverwaltungsgericht verletze § 112 LVwG-SH, wenn es den Bescheid vom 17. Juli 1996 dahingehend auslege, dass die darin festgelegten Überwachungswerte erst mit Bestandskraft des Bescheides und mithin erst nach Inbetriebnahme der erweiterten Abwasseranlage Verbindlichkeit erlangt hätten. Zwar handelt es sich bei der genannten Vorschrift des Landesrechts um revisibles Recht, weil sie in ihrem Wortlaut mit § 43 VwVfG des Bundes übereinstimmt (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Auch trifft es zu, dass § 112 Abs. 1 LVwG-SH neben der (“äußeren”) Wirksamkeit eines Verwaltungsakts auch die Verbindlichkeit seines Inhalts (“innere Wirksamkeit”) regelt. So mag man der Vorschrift entnehmen, dass die innere Wirksamkeit eines Verwaltungsakts grundsätzlich mit seiner äußeren Wirksamkeit und mithin durch seine Bekanntgabe eintritt. Ob dies auch im Einzelfall zutrifft, hängt aber vom konkreten Inhalt des Verwaltungsakts ab, der durch Auslegung zu ermitteln ist. § 112 Abs. 1 Satz 2 LVwG-SH lässt eine vom Zeitpunkt der Bekanntgabe abweichende Regelung der inneren Wirksamkeit jedenfalls zu. Die Auslegung des Inhalts des Verwaltungsakts, deren Fehlerhaftigkeit die Revision rügt, ist ausschließlich am Maßstab der aus §§ 133, 157 BGB entwickelten und entsprechend heranzuziehenden Auslegungsregeln zu überprüfen und kann einen Verstoß gegen § 112 LVwG-SH nicht begründen.
bb) Die Auslegung des Bescheides vom 17. Juli 1996 durch das Oberverwaltungsgericht verstößt nicht gegen die aus §§ 133, 157 BGB entwickelten Auslegungsregeln. Danach richtet sich die Auslegung eines Verwaltungsakts nach dem erklärten Willen der erlassenden Behörde, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 2000 – BVerwG 11 VR 4.99 – Buchholz 316 § 42 VwVfG Nr. 4 S. 1 f. m.w.N.). Von diesem Verständnis ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Es kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang der Senat als Revisionsgericht an die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Erklärungsinhalt des Bescheides gebunden ist (vgl. einschränkend BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 – BVerwG 4 C 2.00 – Buchholz 406.27 § 31 BBergG Nr. 2 S. 11 f.). Denn der Senat teilt jedenfalls das vorinstanzliche Auslegungsergebnis, wonach der im Bescheid vom 17. Juli 1996 festgesetzte Überwachungswert für CSB erst mit Bestandskraft dieses Bescheides und mithin erst nach Inbetriebnahme der erweiterten Abwasseranlage verbindlich geworden ist. Der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, dass der Bescheid “als mit angefochten” gelte, macht den Bezug zum wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid vom 29. März 1994 und dem hierzu anhängigen Verwaltungsstreitverfahren deutlich und spricht dafür, dass dieser Bescheid, der “ab Rechtskraft” wirksam werden sollte, durch den veränderte Überwachungswerte enthaltenden neuen Bescheid ersetzt werden sollte, ohne eine für den Kläger ungünstigere Wirksamkeitsregelung vorzusehen. Der unveränderte Ausgangspunkt der “Rechtskraft” als Beginn der inneren Wirksamkeit des Bescheides vom 17. Juli 1996 wird auch aus dem Änderungsbescheid vom 16. August 1996 deutlich. Durch ihn hat der Beklagte den Beginn der strengen zukünftigen Sanierungsanforderungen für CSB, die nach dem Bescheid vom 17. Juli 1996 ab 1. Januar 2000 gelten sollten, in “sechs Jahre nach Rechtskraft” abgeändert. Eine solche Regelung ist nur verständlich, wenn auch der CSB-Überwachungswert von 120 mg/l erst “ab Rechtskraft” des Bescheides verbindlich werden sollte. Dass es der Kläger in einem anderen Zusammenhang, nämlich gegenüber dem am 18. Juli 1997 ergangenen Abgabenbescheid für 1996 hingenommen hat, dass der Beklagte von einem abweichenden Beginn der Verbindlichkeit des CSB-Überwachungswertes von 120 mg/l ausgegangen ist, ist für die Auslegung des früheren Bescheides vom 17. Juli 1996 ohne Bedeutung.
c) Im Ergebnis zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, dass auf der Grundlage eines CSB-Überwachungswertes von 120 mg/l nach Inbetriebnahme der erweiterten Abwasserbehandlungsanlage des Klägers die von § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG geforderte Schadstofffrachtreduzierung von mindestens 20 % eingetreten ist.
aa) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts kann als maßgeblicher Vergleichswert für den Zeitraum vor Inbetriebnahme der erweiterten Abwasserbehandlungsanlage allerdings nicht der im Planfeststellungsbeschluss vom 3. Juli 1986 festgelegte Überwachungswert zugrunde gelegt werden. Dieser Wert bezieht sich – wie sich aus Ziffer 7.1 und 8 des Planfeststellungsbeschlusses ergibt – auf eine abgesetzte Probe. Demgegenüber verlangt § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG i.V.m. Teil B Satz 1 der Anlage zu § 3 AbwAG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung die Bestimmung der Schadstoffgehalte aus einer nicht abgesetzten, homogenisierten Probe. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 15. Januar 2002 (BVerwG 9 C 4.01 – BVerwGE 115, 339 ≪343≫) entschieden, dass in einem solchen Fall wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der Analyseverfahren kein hinreichender, nämlich den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG entsprechender Überwachungswert für den Parameter CSB besteht. Ein solcher Überwachungswert kann deswegen weder als Grundlage für die Berechnung der Abwasserabgabe noch als Vergleichswert im Rahmen der Entscheidung über die Voraussetzungen einer Verrechnung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG herangezogen werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat allerdings – gestützt auf ein vom Kläger in erster Instanz vorgelegtes Gutachten sowie auf Ziffer 2.2.2 der 1. AbwasserVwV vom 16. Dezember 1982 (GMBl 1982, 744) – gemeint, die Vergleichbarkeit der Analyseverfahren durch einen pauschalen Zuschlag von wenigstens 15 mg/l auf den im Planfeststellungsbeschluss vom 3. Juli 1986 festgelegten CSB-Überwachungswert von 140 mg/l herstellen zu können, und ist auf dieser Grundlage zu einem “Vorher”-Wert CSB von 155 mg/l gelangt, der im Vergleich zum “Nachher”-Wert des Bescheides vom 17. Juli 1996 von 120 mg/l eine Minderung von mindestens 20 % erfahren habe. Diese Vorgehensweise ist jedoch mit Bundesrecht nicht vereinbar. Abgesehen davon, dass die genannte Umrechnungsregel weder in der ab 1. Januar 1989 geltenden Fassung der 1. AbwasserVwV (GMBl 1988, 602) noch in der späteren Rahmen-AbwasserVwV vom 31. Juli 1996 (GMBl 1996, 729) enthalten ist und deswegen für die Entscheidung über den Verrechnungsantrag des Klägers vom 15. Dezember 1995 nicht maßgeblich sein kann, vermag ein nicht den genannten Vorgaben des Abwasserabgabengesetzes entsprechender Überwachungswert auch dann die Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG nicht zu erfüllen, wenn durch ein Umrechnungsverfahren eine Vergleichbarkeit der Analysetechniken hergestellt werden könnte. Denn die mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 19. Dezember 1986 (BGBl I, S. 2619) eingeführte Anknüpfung der Berechnung der Abwasserabgabe an die Überwachungswerte verfolgte die Ziele der Vereinfachung des Gesetzesvollzugs und der Senkung des Verwaltungsaufwandes. Ihnen kann nur Rechnung getragen werden, wenn die im wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid festgelegten Überwachungswerte ohne weiteres für die Berechnung der Abwasserabgabe übernommen werden können; das setzt aber voraus, dass die festgelegte Analysetechnik der nach dem Abwasserabgabengesetz maßgeblichen Methode entspricht (vgl. die bereits im Urteil des Senats vom 15. Januar 2002 ≪a.a.O.≫ in Bezug genommene Entscheidung des OVG Koblenz vom 17. Dezember 1992 – 12 A 11987/92 – NVwZ-RR 1993, 324 ≪325≫).
bb) Als maßgeblicher “Vorher”-Wert kann auch nicht auf die vom Kläger gemäß § 4 Abs. 5 AbwAG erklärten Überwachungswerte abgestellt werden. Das ergibt sich allerdings entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht schon daraus, dass solche Werte generell als Vergleichsgröße im Rahmen von § 10 Abs. 3 AbwAG ausgeschlossen wären. Denn sie geben nicht notwendigerweise einen – etwa durch Betriebsstörungen, Baumaßnahmen oder Produktionsschwankungen bedingten – zeitlich befristeten Ausnahmezustand einer Abwasserbehandlungsanlage wider, der als Beurteilungsgrundlage für die von § 10 Abs. 3 AbwAG vorausgesetzte dauerhafte Verminderung der Schadstofffracht ungeeignet ist. Vielmehr können Erklärungen nach § 4 Abs. 5 AbwAG jedenfalls in Einzelfällen auch den repräsentativen Zustand einer Abwasserbehandlungsanlage abbilden. Davon ist etwa auszugehen, wenn sie über mehrere Jahre abgegeben und jeweils mit der dauerhaften Leistungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage begründet werden. Als Grundlage für eine Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG kommen nach § 4 Abs. 5 AbwAG erklärte Überwachungswerte aber jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es – wie hier – an einem wirksamen Überwachungswert nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG fehlt. Denn die “Heraberklärungslösung” nach § 4 Abs. 5 AbwAG stellt anders als die in § 6 Abs. 1 AbwAG geregelten Fälle keine selbständige “Ersatzlösung” gegenüber der “Bescheidlösung” des § 4 Abs. 1 AbwAG dar, sondern steht mit dieser in untrennbarem Zusammenhang und setzt, wie sich insbesondere aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf den Überwachungswert des § 4 Abs. 1 AbwAG in Abs. 5 Satz 1 dieser Vorschrift sowie aus der nach § 4 Abs. 5 Satz 1 AbwAG in Fällen des Nichteinhaltens der erklärten Überwachungswerte eingreifenden Rechtsfolge ergibt, einen wirksamen Überwachungswert nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG voraus. Daran ändert hier auch der Umstand nichts, dass die Abgabenfestsetzung gegenüber dem Kläger in den Jahren 1991 bis 1995 auf der Grundlage seiner Erkärungen nach § 4 Abs. 5 AbwAG vorgenommen wurde. Denn von den entsprechenden, mittlerweile bestandskräftig gewordenen Bescheiden geht keine über ihren unmittelbaren Regelungsbereich hinausreichende Bindungs- oder Feststellungswirkung aus, die das Vorliegen eines den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG entsprechenden Überwachungswertes entbehrlich machen könnte.
cc) Die nach § 4 Abs. 5 AbwAG vom Kläger erklärten Überwachungswerte können auch nicht in Erklärungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG umgedeutet und auf dieser Grundlage als maßgeblicher “Vorher”-Wert für die nach § 10 Abs. 3 AbwAG gebotene Vergleichsberechnung herangezogen werden. Denn für eine Umdeutung ist kein Raum, wenn hierdurch für den Betroffenen ungünstigere Rechtsfolgen eintreten (vgl. auch § 47 Abs. 2 VwVfG). Solche Wirkungen würden sich aber bei einer Umdeutung einer Erklärung nach § 4 Abs. 5 AbwAG in eine solche nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG daraus ergeben, dass der Kläger damit dem Sanktionssystem des § 4 Abs. 4 AbwAG ausgesetzt wäre, das im Falle einer Erklärung nach § 4 Abs. 5 AbwAG gerade nicht eingreift (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 6 AbwAG).
dd) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, es sei eine die Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG rechtfertigende Minderung der Schadstofffracht um mindestens 20 % eingetreten, erweist sich jedoch im Ergebnis als zutreffend, weil als maßgeblicher Vergleichswert für den Zustand der Anlage des Klägers vor der Inbetriebnahme der Nachklärbecken auf den CSB-Wert von 206 mg/l als höchstes Messergebnis im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG abzustellen ist.
Die “Messlösung” nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG ist maßgeblich, da – wie dargelegt – keine der vorrangigen Regelungen der §§ 4 und 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG eingreift.
Der CSB-Messwert von 206 mg/l als höchster Messwert des Jahres 1994 ist zugrunde zu legen, weil es entgegen der Auffassung des Beklagten für die Vergleichsberechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG nicht lediglich auf die Messergebnisse des letzten Jahres vor der Inbetriebnahme der erweiterten Anlage ankommt. Vielmehr ist von einem deutlich größeren Zeitraum auszugehen, der nicht nur die Bauphase einschließlich der Entscheidung für die Erweiterung der Abwasserbehandlungsanlage umfasst, sondern auch das unmittelbare zeitliche Vorfeld dieser Entscheidung. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass zufällige oder gar willkürliche Ergebnisse vermieden werden und der vom Senat stets betonten Anreizfunktion der Abwasserabgabe hinreichend Rechnung getragen wird. Sieht sich ein Anlagenbetreiber aufgrund ungünstiger Messergebnisse zu einer Verbesserung der Abwasseranlage veranlasst und kann er nach Lage der Dinge erwarten, wegen der hierdurch zu erzielenden Schadstofffrachtminderung seine Aufwendungen für die Erweiterung der Anlage mit der Abwasserabgabe gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG verrechnen zu können, so darf ihm die Verrechnungsmöglichkeit nicht dadurch verloren gehen, dass bis zur Inbetriebnahme der Anlagenerweiterung bessere Messwerte erzielt werden. Denn sofern in der Zwischenzeit keine weiteren anlageverbessernden Maßnahmen stattgefunden haben, sind diese Messwerte nicht Ausdruck einer erhöhten Leistungsfähigkeit der Anlage, sondern lediglich darauf zurückzuführen, dass deren bereits zuvor erwiesene mangelnde Leistungsfähigkeit nicht in gleicher Weise Niederschlag in den Messergebnissen der behördlichen Überwachung gefunden hat. Der repräsentative Zustand der Anlage kann deswegen nur bei Einbeziehung früherer Zeiträume, die die Entscheidung für die Erweiterung der Anlage beeinflusst haben, zuverlässig erfasst werden. Andernfalls könnte sich der Anlagenbetreiber zur Sicherung der Verrechnungsmöglichkeit veranlasst sehen, nach einer Erweiterungsentscheidung die bestehende Leistungsfähigkeit der Anlage nicht in vollem Umfang auszunutzen, um besseren Messergebnissen zuverlässig entgegenzuwirken. Damit wäre das genaue Gegenteil der vom Abwasserabgabengesetz gewollten Zielrichtung bewirkt.
Den mithin für die Ermittlung des maßgeblichen “Vorher”-Wertes zugrundezulegenden Zeitraum wird die Behörde grundsätzlich dann zutreffend erfassen, wenn sie vom höchsten in den letzten fünf Jahren vor Inbetriebnahme ermittelten Messergebnis ausgeht. Dieser Zeitraum erfasst typischerweise die Bauzeit auch größerer Maßnahmen, die der Gesetzgeber – wie aus der Regelung des “Bauphasenprivilegs” in § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG hervorgeht – auf drei Jahre veranschlagt hat (BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 – BVerwG 9 C 4.03 – Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 6 S. 13 m.w.N.), und schließt die vorausgehende Phase der Entscheidung für die Anlagenerweiterung ebenso wie das zeitliche Vorfeld ein, in dem die die Erweiterungsentscheidung veranlassenden Messergebnisse aufgetreten sind. Auf weiter zurückliegende Messergebnisse wird es deswegen regelmäßig nicht ankommen können.
Von dem danach maßgeblichen Zeitraum ist der CSB-Messwert von 206 mg/l erfasst. Auf seiner Grundlage beträgt die Minderung der CSB-Schadstofffracht im Vergleich zum “Nachher”-Wert von 120 mg/l (vgl. oben 1.b) mindestens 20 %.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Storost, Prof. Dr. Rubel, Prof. Dr. Eichberger, Dr. Nolte, Domgörgen
Fundstellen
BVerwGE 2006, 292 |
AbfallR 2005, 187 |
DVBl. 2005, 1215 |
ZfW 2006, 172 |
EurUP 2005, 139 |