Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhaltung der wild lebenden Vogelarten. Richtlinie 79/409/EWG. Abweichungen von der Schutzregelung
Beteiligte
Tenor
1. Nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten müssen die Mitgliedstaaten unabhängig von der internen Verteilung der Zuständigkeiten in der nationalen Rechtsordnung bei Erlass der Maßnahmen zur Umsetzung dieser Bestimmung sicherstellen, dass in allen Fällen der Inanspruchnahme der dort vorgesehenen Abweichung und für alle geschützten Arten die zugelassenen jagdlichen Entnahmen eine Obergrenze nicht überschreiten, die der in dieser Vorschrift verfügten Begrenzung dieser Entnahmen auf geringe Mengen entspricht und die auf der Grundlage streng wissenschaftlicher Erkenntnisse festzusetzen ist.
2. Die nationale Regelung zur Umsetzung des in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 79/409 verwendeten Begriffes „in geringen Mengen” muss es den Stellen, die mit der Genehmigung abweichender Entnahmen einer bestimmten Art betraut sind, ermöglichen, sich in Bezug auf die einzuhaltenden mengenmäßigen Obergrenzen auf hinreichend genaue Richtgrößen zu stützen.
3. Die Mitgliedstaaten haben bei der Umsetzung von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 79/409 sicherzustellen, dass unabhängig davon, wie viele und welche Stellen innerstaatlich mit der Umsetzung dieser Bestimmung betraut sind, die Entnahmen, die für jede geschützte Art von jeder dieser Stellen genehmigt werden, in der Summe nicht die Obergrenze überschreiten, die im Einklang mit der Begrenzung dieser Entnahmen auf „geringe Mengen” für die entsprechende Art landesweit festgesetzt worden ist.
4. Aufgrund der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 79/409 Vögel nur „in geringen Mengen” entnommen werden, müssen die vorgesehenen Verwaltungsverfahren so gestaltet sein, dass sowohl die Entscheidungen der zuständigen Stellen, mit denen abweichende Entnahmen genehmigt werden, als auch die Art und Weise, in der diese Entscheidungen angewandt werden, einer effektiven und rechtzeitigen Kontrolle unterliegen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar 2005, in dem Verfahren
WWF Italia u. a.
gegen
Regione Lombardia,
Beteiligte:
Associazione migratoristi italiani (ANUU),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters J. Makarczyk, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter P. Kūris und J. Klučka,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des WWF Italia und der Lega per l'abolizione della caccia (LAC), vertreten durch C. Linzola, avvocato,
- der Regione Lombardia, vertreten durch P. D. Vivone und S. Gallonetto, avvocati,
- der Associazione migratoristi italiani (ANUU), vertreten durch I. Gorlani und S. A. Pappas, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von A. Cingolo, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Februar 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 9 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (ABl. L 103, S. 1, im Folgenden: Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vereinigung WWF Italia und drei anderen Vereinigungen einerseits und der Regione Lombardia (im Folgenden: Region Lombardei) andererseits über die jagdliche Entnahme der Arten Buchfink (Fringilla coelebs) und Bergfink (Fringilla montifringilla) in der Jagdsaison 2003/04.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Nach ihrem Artikel 1 hat die Richtlinie den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung sämtlicher wild lebenden Vogelarten zum Ziel und soll die Nutzung dieser Arten regeln.
4 Zu diesem Zweck schreibt sie den Mitgliedstaaten die Schaffung einer allgemeinen Schutzregelung vor, die insbesondere das Verbot enthält, die unter Artikel 1 fallenden Vögel zu töten, zu fangen oder zu stören oder ihre Nester zu zerstören.
5 Artikel 9 der Richtlinie erlaubt jedoch einige Abweichungen. So heißt es dort:
„(1) Die Mitgliedstaaten können, sofern es keine andere zufrieden stellende Lösung gibt, aus den nachstehenden Gründen von den Artikeln 5, 6, 7 und 8 abweichen:
- im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherhei...