Leitsatz (amtlich)
Zur Abwägung der Persönlichkeitsrechte eines Angehörigen des deutschen und britischen Adels mit der Pressefreiheit bei einer Wort-/Fotoberichterstattung über einen Verkehrsverstoß in Frankreich
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 18.03.2004; Aktenzeichen 27 O 791/03, 27 O 789/03) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufungen der Beklagten werden die Urteile des LG Berlin (27 O 791/03 und 27 O 789/03) vom 18.3.2004 geändert und die Klagen abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung einer Berichterstattung in Anspruch. Die Beklagte ist Verlegerin der Zeitung "S.Z.", in deren Ausgabe vom August 2... die Meldung verbreitet worden ist, dass der Kläger auf einer französischen Autobahn statt der dort erlaubten 130 km/h mit 211 km/h von der Polizei ermittelt und deshalb von einem französischen Gericht u.a. zu einem Monat Fahrverbot verurteilt worden ist. Der mit einem Foto des Klägers bebilderte und in der Sache zutreffende Bericht hat folgenden Wortlaut:
Der auch in Gemütsdingen gelegentlich zur Raserei neigende E. hat seinen Autoführerschein verloren. Ein französisches Gericht verurteilte den ... nach Justizangaben vom Mittwoch bereits am wegen Fahrens mit 211 Stundenkilometer zudem zu 728 Euro Bußgeld.
Der Ehemann von P. war Anfang Juni mit atemberaubender Geschwindigkeit über die Autobahn A 6 in Richtung Lyon gebraust. Bei dem Orts - stoppte ihn die Polizei.
Höchstgeschwindigkeit auf französischen Autobahnen sind 130 Stundenkilometer. Einen Monat muss der blaublütige Deutsche sich nun durch die Lande fahren lassen.
Das LG hat die Beklagte durch Urteil vom 18.3.2004 zur Unterlassung sowohl der Wort- als auch und Bildberichterstattung verurteilt (27 O 789/03 und 27 O 791/03). Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der gestellten Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Urteile Bezug genommen. Gegen die der Beklagten am 26.3. und 7.4.2004 zugestellten Urteile richten sich die am 16. und 24.4.2004 eingelegten Berufungen, die die Beklagte nach mit Schriftsatz vom 28.5.2004 beantragten und bis zum 7.7.2004 gewährten Fristverlängerungen mit den am 7.7.2004 eingegangenen Schriftsätzen begründet hat. Der Senat hat beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zum führenden Geschäftszeichen 9 U 84/04 verbunden.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe aufgrund seiner Angehörigkeit zum Welfengeschlecht und durch die Heirat mit P. sowie seines mehrfachen indiskutablen früheren öffentlichen Verhaltens eine Position und Bedeutung erlangt, die ihn zur absolute Person der Zeitgeschichte mache. Jedenfalls sei seine Stellung so herausgehoben, dass die anlassbezogene Berichterstattung wegen überwiegender Interessen der Presse zulässig sei. Die Nachricht einer erneuten und die Allgemeinheit gefährdenden Gesetzesübertretung des in Deutschland bekannten Klägers sei gerade vor dem Hintergrund der strafrechtlich relevanten früheren Handlungen von berichtenswerter Bedeutung. Die Geringfügigkeitsgrenze sei bei dem eklatanten Verkehrsverstoß überschritten. Einschränkungen der Berichterstattungsfreiheit seien nicht geboten, da die vom Kläger nicht abgestrittene Verfehlung nur die Sozial- und nicht seine Privatsphäre betreffe. Bei dem gegebenen Verkehrsverstoß seien nicht die gleichen einschränkenden Maßstäbe wie bei einer Berichterstattung über ein Strafverfahren anzuwenden. Dort sei eine Zurückhaltung auch wegen des Resozialisierungsgedankens geboten, die bei einer Geschwindigkeitsübertretung keine Rolle spiele. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 24.6.2004 habe keine Auswirkungen auf die vorliegende Berichterstattung, da hier keine sog. Paparazzifotos betreffend die Privatsphäre zu beurteilen seien.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des LG Berlin vom 18.3.2004 zu ändern und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufungen zurückzuweisen.
Er sei bekanntermaßen keine absolute Person der Zeitgeschichte. Eine Berichterstattung über ihn könne deshalb nur dann zulässig sein, wenn die Tat schwerwiegend sei. Daran fehle es. Es liege ein bloßer Verkehrsverstoß vor, durch den niemand zu Schaden gekommen sei. Der Beklagten gehe es nicht um Information. Die Nachricht über die Geschwindigkeitsüberschreitung als solches sei nicht berichtenswert, die Beklagte verbreite sie nur deshalb, um ihn an den Pranger zu stellen. Zu beachten sei ferner, dass er für seine früheren Handlungen noch nicht verurteilt sei, im Übrigen handele es sich bei der Geschwindigkeitsübertretung um eine völlig andere Verfehlung. Es müsse ihm möglich sein, aus den Schlagzeilen herauszukommen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenr...