Leitsatz (amtlich)

Versäumt es der Strafverteidiger - trotz entsprechender Absprache und Auftrags des angeklagten Mandanten - einen Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung zu stellen und den Mandanten kurz vor dessen Reiseantritt zur Hochzeit in seinem Heimatland über das Risiko einer Verhaftung bei Versäumung des Termins aufzuklären und gerät der Mandant daraufhin in Haft, so steht dem Mandanten gegen den Anwalt nach § 253 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld wegen der erlittenen Freiheitsentziehung zu; bei der Bemessung der Höhe ist ggf. das Mitverschulden des Mandanten nach § 254 Abs. 1 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 24.10.2003; Aktenzeichen 28 O 102/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 24.10.2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 28 des LG Berlin - 28 O 102/01 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.000 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17.1.2001 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Beklagte ist gem. §§ 823 Abs. 1, 847 BGB verpflichtet, dem Kläger für die erlittene Haft ein angemessenes Schmerzensgeld i.H.v. 7.000 Euro zu zahlen.

Entgegen der Ansicht des LG war das fahrlässige Verhalten der Beklagten ursächlich für die Verletzung der persönlichen Fortbewegungsfreiheit des Klägers, einem absoluten Rechtsgut i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB. Die erlittene Freiheitsentziehung in der Zeit v. 22.9. bis zum 8.12.2000 beruht zwar unmittelbar auf dem Haftbefehl des AG Berlin v. 28.8.2000 zum Aktenzeichen (284) 6 Op Js 1045/99 (128(99). Das Verhalten der Beklagten war aber mittelbare Ursache der Freiheitsentziehung.

Die Beklagte hat es entgegen ihren anwaltlichen Pflichten versäumt, trotz des dahingehenden Auftrages des Klägers v. 22.5.2000 einen Verlegungsantrag in Bezug auf den am 25.8.2000 terminierten Termin zur Hauptverhandlung zu stellen. Die Beklagte hat es entgegen ihren anwaltlichen Pflichten weiterhin unterlassen, den Kläger in dem Telefonat kurz vor Reiseantritt über das Risiko eines Haftbefehls bei Versäumung es Termins aufzuklären. Dass diese Aufklärung nicht stattgefunden hat, ergibt sich aus der eigenen Einlassung der Beklagten in ihrer Anhörung vor dem LG am 3.9.2003. Entgegen der Ansicht des LG war die Beklagte aber gerade zu einer solchen Aufklärung verpflichtet. Der in der Landung enthaltene Hinweis ("Wenn sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, ist ihre Vorführung anzuordnen oder ein Haft-befehl zu erlassen") ändert hieran nichts. Unabhängig von der Frage seiner Deutschkenntnisse konnte der Kläger diesem Hinweis nicht entnehmen, wie groß für in das Risiko der Anordnung einer länger andauernden Untersuchungshaft tatsächlich war. Auch konnte er diesem Hinweis nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen er lediglich mit einer Vorführung rechnen musste. Im Übrigen hat die Beklagte selbst den Hinweis in der Ladung durch ihre ausdrückliche Warnung vor den zu erwartenden erheblichen Kosten ggü. dem Kläger relativiert.

Das vorstehend dargelegte Unterlassen war auch mitursächlich für die Verhaftung des Klägers nach dessen Rückkehr aus seiner Heimat. Hätte die Beklagte entsprechend der Auftragserteilung noch im Mai 2000 eine Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung beantragt, so wäre der Termin entweder verlegt worden oder der Beklagte hätte im Falle einer Ablehnung des Verlegungsantrages ausreichend Zeit gehabt, seine Reise- und Hochzeitspläne den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Hätte die Beklagte den Kläger im dem Telefongespräch kurz vor Reiseantritt konkret über das Risiko einer Verhaftung und sich einer daran anschließenden längeren Haftzeit informiert, so hätte der Kläger eine kurzfristige Absage seiner Reise veranlassen können. Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, dass er die Reise trotz einer entsprechenden Aufklärung angetreten hätte, hat die Beklagte nicht dargelegt. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich dies insb. nicht aus dem Umstand, dass der Kläger seine Reise trotz der Hinweise der Beklagten auf die im Falle einer Versäumung der Hauptverhandlung zu tragenden erheblichen Kosten angetreten hat. Aufgrund der unvollständigen Aufklärung durch die Beklagte stellte sich dem Kläger nach dem Telefonat folgende Frage: Sollte er erhebliche Kosten dadurch verursachen, dass er die Reise und die Hochzeit in seinem Heimatland kurzfristig absagt oder sollte er Reise und Hochzeit wie geplant durchführen und die Kosten der geplatzten Hauptverhandlung in Kauf nehmen. Aus dem Umstand, dass er sich nach dem Telefonat für einen Reiseantritt und die Hinnahme von Verfahrensmehrkosten entschied, kann aber nicht g...

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