Leitsatz (amtlich)

1. Richtet sich die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde (§ 71 Abs. 2 Satz 2 GWB) gegen eine fusionskontrollrechtliche Entscheidung, ist das Feststellungsinteresse der beschwerdeführenden Partei zu bejahen, wenn ein bestimmtes zukünftiges Fusionsvorhaben möglich erscheint und die Entscheidung über die angefochtene Fusionskontrollentscheidung eine hinreichende präjudizielle Wirkung entfaltet.

2. Ein bestimmtes zukünftiges Fusionsvorhaben erscheint dann nicht möglich, wenn es entweder nach Lage der Dinge ausgeschlossen werden kann oder wenn alleine die theoretisch nicht auszuschließende Möglichkeit eines künftigen Vorhabens besteht (beispielsweise die bloß theoretische und ansonsten durch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gestützte Möglichkeit des Sinneswandels eines strategischen Investors zum Verkauf seines (künftigen Ziel)-Unternehmens).

a) Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, wobei nur solche künftigen Zusammenschlussvorhaben ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen können, die in dem - der angefochtenen fusionskontrollrechtlichen Entscheidung zugrunde liegenden - Prognosezeitraum in Frage kommen.

b) Die so verstandene Möglichkeit eines künftigen Vorhabens muss von der beschwerdeführenden Partei im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen dargelegt werden.

3. Eine hinreichende präjudizielle Wirkung der angefochtenen kartellbehördlichen Entscheidung in Bezug auf künftige Zusammenschlussfälle ist zu bejahen, wenn die beschwerdeführende Partei an ihrer durch die Amtsentscheidung vereitelten Erwerbsabsicht festhält und das Zielunternehmen jederzeit wieder zum Kauf angeboten werden kann (BGH, WuW/E DE-R 2221, 2222/2223 - Springer/ProSieben). "Jederzeit" meint dabei den in der angegriffenen kartellbehördlichen Verfügung zugrunde gelegten Prognosezeitraum, für den die Amtsentscheidung und ihre gerichtliche Überprüfung von vornherein nur Geltung beanspruchen können.

4. Die präjudizierende Wirkung ist ferner für ein künftiges "entsprechendes" Fusionsvorhaben anzunehmen. Zwischen dem zur gerichtlichen Entscheidung gestellten Streitfall und dem in Betracht kommenden künftigen Fusionsfall müssen so viele fusionskontrollrechtlich relevante Parallelen bestehen, dass die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde dem Beschwerdeführer hinreichende Klarheit über die kartellrechtliche Zulässigkeit eines möglichen künftigen Fusionsvorhaben verschaffen kann.

5. Maßstab für die festzustellende präjudizielle Wirkung ist die erledigte Amtsverfügung in derjenigen Gestalt und mit demjenigen (Begründungs-)Inhalt, wie sie tatsächlich ergangen ist.

a) Unerheblich ist, ob die angefochtene Amtsentscheidung auch mit anderen Gründen hätte ergehen können.

b) Ohne Belang ist, ob sämtliche Begründungselemente der streitgegenständlichen Amtsentscheidung zur Rechtfertigung der ausgesprochenen Entscheidung zwingend erforderlich gewesen wären.

c) Erforderlich ist, dass das künftige Fusionsvorhaben alle Begründungselemente aufweist, die das Amt in der angefochtenen Entscheidung als entscheidungsrelevant gekennzeichnet hat (quantitative Identität) und der künftige Fusionsfall zudem in Bezug auf seine wettbewerblichen Wirkungen auf diese Begründungselemente hinreichend vergleichbar ist (qualitative Vergleichbarkeit).

6. Ein rechtswidriges unternehmerisches Verhalten oder ein bloß theoretisch denkbarer, aber tatsächlich nicht in Betracht kommender Handlungsspielraum können eine materielle Beschwer nicht begründen.

 

Normenkette

GWB § 36 Abs. 1, § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 3, § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 3a, Abs. 3a S. 1 Alt. 1, Abs. 3a S. 1 Alt. 3, § 41 Abs. 3, § 71 Abs. 2 S. 2, § 78; GKG § 50 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 05.10.2010; Aktenzeichen KVR 33/09)

 

Tenor

I. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1. bis 3. gegen den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 30. Juni 2008 (B 2 - 333/07) werden verworfen.

II. Die Beteiligten zu 1. bis 3. haben die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen sowie dem Bundeskartellamt die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

IV. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 20 Mio. Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Beteiligten zu 1. (nachfolgend: E.) obliegt die geschäftspolitische und strategische Führung sowie die zentrale Warenbeschaffung der gesamten E.-Gruppe. Zu dieser - im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels tätigen - Unternehmensgruppe gehören sieben Regionalgesellschaften, die im Wesentlichen das operative Geschäft innerhalb der E.-Gruppe betreiben, sowie neun regionale E.-Genossenschaften mit rund 4.800 Einzelhändlern und mehr als 6.600 Märkten im Lebensmitteleinzelhandel.

Die Beteiligte zu 2. (nachfolgend: T.) betreibt im Lebensmitteleinzelhandel über die K. T. AG, Viersen, nach wie vor das Supermarktgeschäft, und betrieb über die Beteiligte zu 3. (nachfolgend: P.), bei der es sich ursprünglich um ein 100%-iges Tochterunternehmen der T. gehandelt hat, Discountmär...

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