Leitsatz (amtlich)
Die Betätigung einer Schreckschusspistole in einer Theateraufführung, die im Zuschauerraum einen Schalldruck von 129 dB(A) erzeugte, begründete jedenfalls im Jahre 1999 auch dann keine Haftung des das Theater betreibenden Landes, wenn sie bei einem besonders empfindlichen Besucher zu einem Knalltrauma mit chronischen Tinnitus führte.
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 10.10.2003; Aktenzeichen 6O 25/01) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 10.10.2003 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Wiesbaden abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Ersatzverpflichtung des beklagten Landes (nachfolgend: des Beklagten) für einen Gehörschaden, den der Kläger nach seinen Angaben durch einen während einer Theateraufführung abgegebenen Schreckschuss erlitten hat.
Der Kläger erlitt am ... 3. 1997 infolge eines Pistolenschusses ein Knalltrauma. Er klagte danach über einen chronischen Tinnitus, den er bis zum 26.5.1997 ohrenärztlich behandeln ließ. Am ... 4. 1999 besuchte er im ... theater O1 eine Aufführung des "X", der dort zuvor 73 mal gegeben worden war. Kurz vor der Pause setzte ein Schauspieler einen Gehörschutz auf und gab einen Schuss aus einer 9 mm-Schreckschusspistole ab, der am Sitzplatz des Klägers zwischen 128 und 129 dB(A) laut war. Der Kläger erkundigte sich bei Bediensteten des Theaters, ob mit weiteren Schüssen zu rechnen sei, wartete den ihm angekündigten zweiten Schuss unmittelbar nach der Pause ab und nahm dann den Rest der Aufführung wahr.
Er hat behauptet, sein Tinnitus habe sich seit 1997 so weit verbessert gehabt, dass er sich beinahe beschwerdefrei gefühlt habe. Die Beschwerden hätten sich durch den Schuss in der "X"-Aufführung dramatisch verschlimmert.
Das LG hat durch Einholung zweier Sachverständigengutachten Beweis erhoben. Der Sachverständige A hat die Lautstärke des Schreckschusses am seinerzeitigen Sitzplatz des Klägers auf zwischen 128 und 129 dB(A) beziffert. Der Sachverständige Prof. Dr. B, ein Ohrenarzt, hat u. A. ausgeführt, das Knallereignis sei für den Innenohrschaden des Klägers ursächlich; die bei ihm vorhandene Überempfindlichkeit des Innenohrs sei bei etwa 5 % der Bevölkerung zu erwarten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das LG hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben.
Mit seiner Berufung rügt der Beklagte insb., das LG habe die "Übermäßigkeit" des durch den Schreckschuss hervor gerufenen Schalldrucks nicht begründet. Mit Gehörschäden im Publikum sei konkret nicht zu rechnen gewesen, wie die Tatsache zeige, dass das Stück zuvor von etwa 20.000 Besuchern ohne Beschwerden gesehen und gehört worden sei. Die Ursächlichkeit des Schusses für die Beschwerden des Klägers sei durch das Sachverständigengutachten B. nicht bewiesen. Dieses bestätige nur eine abstrakte Eignung des Knalles, einen Tinnitus zu verursachen, schließe die vom Beklagten aufgezeigten möglichen Alternativursachen aber nicht überzeugend aus. Ein Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit komme nicht in Betracht. Das LG habe es versäumt, sich mit Widersprüchen und fest stehenden Unrichtigkeiten im Klagevortrag auseinander zu setzen.
Der Beklagte beantragt, das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.
Der Senat hat durch Vernehmung des Zeugen C. und durch die Einholung eines mündlichen Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B Beweis erhoben. Zur Darstellung des Beweisergebnisses nimmt er auf die Sitzungsniederschrift v. 8.7.2004 (Bl. 342 ff. d.A.) Bezug.
II. Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat wegen des Pistolenschusses vom ... 4. 1999 keine Ansprüche gegen den Beklagten. Es kommt nicht darauf an, ob sich das bereits zuvor bestehende Tinnitusleiden des Klägers durch den Schuss wesentlich verschlimmert hat, was sowohl hinsichtlich der kaum durch objektive Daten belegten und abgrenzbaren Verschlimmerung als auch hinsichtlich der Ursächlichkeit des Schusses zweifelhaft erscheinen mag. Den Bediensteten des Beklagten fällt hinsichtlich der streitgegenständlichen Körperverletzung und Gesundheitsbeschädigung jedenfalls keine Fahrlässigkeit zur Last.
A. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. = § 276 Abs. 2 BGB n.F.). Welche Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, kann nicht abschließend abstrakt-generell definiert, son...