Entscheidungsstichwort (Thema)
Versandhandel mit verlängerten Rezepturen
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Formulierung "Herstellung im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs" i.S.d. § 21 II Nr. 1 AMG wird auch nach der Änderungen dieser Vorschrift durch die 14. AMG Novelle zum Ausdruck gebracht, dass die Ausnahme vom Grundsatz der Zulassungspflicht von Arzneimitteln nur für verlängerte Rezepturen gilt, die in einem regional begrenzten Gebiet, nämlich im üblichen Versorgungs- und Einzugsbereich der Apotheke, vertrieben werden.
2. Dieser Auslegung stehen die gesetzlichen Regelungen zur Zulässigkeit des Versandhandels durch Apotheken nicht entgegen.
3. Ein Bestellformular, mit dem Ärzte bei einer Apotheke verlängerte Rezepturen ordern können, erfüllt jedenfalls dann den grundsätzlich weit zu verstehenden Begriff der Werbung i.S.d. § 3a HWG, wenn dort konkrete Bestellanreize (hier: Lieferung von 8 Dosen ohne Berechnung) gegeben werden.
Normenkette
UWG §§ 3, 4 Nr. 11; AMG §§ 21, 21 Abs. 2 Nr. 1; HWG § 3a
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 02.02.2006; Aktenzeichen 315 O 347/05) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 15 vom 2.2.2006 (315 O 347/05), wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass dem Beklagten im Tenor zu I.a) verboten wird, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel "GT", mit der Zusammensetzung wie in der Gebrauchsinformation (Anl. K 2) beschrieben, ohne dass der Hauptbestandteil des Präparats Macrogol vom Beklagten in seiner Apotheke selbst synthetisiert wird, zur Verbreitung außerhalb des Versorgungsbereichs der Stadt Kiel ohne Zulassung gem. § 21 I AMG in den Verkehr zu bringen.
Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 112.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien vertreiben Präparate zur Darmreinigung vor diagnostischen Untersuchungen, z.B. zur Vorbereitung einer Koloskopie.
Die Klägerin bringt das arzneimittelrechtlich zugelassene Präparat "Klean-Prep" (Anlage K 1) in den Verkehr.
Der Beklagte, ein Fachapotheker für Krankenhauspharmazie und Apotheker für Offizin-Pharmazie, betreibt unter der Firma "Steffen's K-Apotheke" eine in Kiel ansässige Apotheke. Er bringt unter der als Marke geschützten Bezeichnung "GT" ohne arzneimittelrechtliche Zulassung gem. § 21 I AMG ein Präparat in den Verkehr, welches gemäß der "Gebrauchsinformation" (Anlage K 2) für folgendes "Anwendungsgebiet" vorgesehen ist:
"A. Zur Darmreinigung vor diagnostischer Untersuchung (Koloskopie) und vor operativem Eingriff im Darmbereich.
B. Zur Darmreinigung vor Beginn einer Fastenwoche."
"GT" ist eine Pulvermischung, die mittels Zugabe von Wasser eine trinkfertige Lösung ergibt. Die Pulvermischung enthält als wirksame Bestandteile (Anlage K 2):
- Macrogol 4000
- Natriumsulfat wasserfrei
- Natriumhydrogencarbonat
- Natriumchlorid reinst
- Kaliumchlorid reinst
Das Rezept zur Herstellung der Pulvermischung ist in das "Deutsche Arzneibuch DDR" als "Pulver für Darmspülung SR" aufgenommen worden (Anlage B 1). Der arzneilich wirksame Hauptbestandteil ist Macrogol. Macrogole haben die Eigenschaft, Wasser mittels Wasserstoffbrücken zu binden, womit sie in der Lage sind, eine definierte oral zugeführte Menge Wasser in den Darm zu transportieren. Dadurch wird der Stuhl hydratisiert und nimmt an Volumen zu. Die Volumenvergrößerung bewirkt einen Druck auf die Darmwand, welche wiederum mit dem Defäktionsreflex reagiert. Die in der Rezeptur enthaltenen Salze dienen dazu, eine plasmaisoosmolare Lösung herzustellen, also eine Lösung, die dieselbe Konzentration an Ionen aufweist wie das Blutplasma. Dadurch wird einer Mangelversorgung des Patienten an diesen Ionen vorgebeugt. Eine Mangelversorgung könnten ansonsten Symptome wie Herzrhythmusstörungen, Muskelkrämpfe und Blutdruckprobleme auslösen. Auch der Beklagte geht im vorliegenden Verfahren davon aus, dass die Art, die Menge und das Verhältnis der Salze zueinander in der Rezeptur dazu führen, dass es trotz der Abführwirkung nicht zu einer Belastung des Salzhaushalts des Körpers kommt. Auf dieser Basis ist zwischen den Parteien jedenfalls für dieses Verfahren unstreitig geworden, dass die Rezeptur kein Medizinprodukt ist, sondern den Arzneimittelbegriff erfüllt.
Zur Geschmacksverbesserung wird von dem Beklagten seit 1990 nach Versuchen mit anderen Geschmackszutaten je nach individueller Bestellung durch die Ärzte u.a. ein Karotten-Orangen-Aprikosen-Extrakt bzw. Kirsch-Aroma, Lemon-Zitrone oder Vanille Aroma zugesetzt. Die geschmackliche Komponente ist für die Akzeptanz des Getränks durch den Patienten, der eine große Menge der aus dem Pulver herzustellenden Flüssigkeit zu sich nehmen muss, wichtig. Diese Akzeptanz beim Patienten wiederum ist für den A...