Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Unzulässigkeit einer "Klage aus dem Verborgenen"
Leitsatz (amtlich)
1. Die Angabe der vollständigen ladungsfähigen Anschrift des Klägers in der Klage stellt ein zwingendes Erfordernis dar. Die Verweisung des §§ 253 Abs. 4 ZPO auf die Soll-Vorschrift des § 130 Nr. 1 ZPO (Wohnort) ist nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Angabe entbehrlich wäre.
2. Bei der unzulässigen "Klage aus dem Verborgenen", also ohne (taugliche) Anschrift des Klägers, handelt es sich aber um einen eng begrenzten Ausnahmefall, der nur bei ernsthaften Anhaltspunkten von Amts wegen im Freibeweisverfahren zu prüfen ist.
3. Es führt nicht zur Unzulässigkeit der Klage, wenn die zunächst richtige Anschrift im Laufe des Rechtsstreites unrichtig wird.
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 04.10.2013; Aktenzeichen 14HK O 24709/07) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG München I vom 4.10.2013 - 14 HK O 24709/07, mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das LG zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin vermarktet und vermietet Lichtwellenleitertrassen. Die Beklagte betreibt bundesweit ein Telekommunikationsnetz, dessen Teilstrecken sie bei diversen Anbietern von derartigen Trassen, darunter die Klägerin, angemietet hat.
Die Klägerin macht geltend, ihr stünden aus der Anmietung von derartigen Strecken durch die Beklagte, die die Klägerin ihrerseits selbst teilweise angemietet hatte, vertragliche Vergütungsansprüche bzw. Bereicherungsansprüche zu. Dies bestreitet die Beklagte.
Die Klägerin trägt vor, sie habe ihre behaupteten Ansprüche abgetreten, und beantragt deshalb im vorliegenden Rechtsstreit, die Beklagte zur Zahlung von 259.222,28 EUR, von weiteren 18.337,76 EUR, von weiteren 5.861,94 EUR, von weiteren 6.690,18 EUR und von weiteren 38.568,32 EUR - jeweils nebst Zinsen - an die D. O. GmbH, B. Sch., zu Händen deren Prozessbevollmächtigte (Rechtsanwälte M. u.a. in Leipzig) zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im Lauf des Rechtsstreits die Unzulässigkeit der Klage gerügt, weil die Klägerin die Klage "aus dem Verborgenen erhoben habe". Die klägerseits angegebene Adresse S. 16 in H. sei nämlich zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht die tatsächliche Anschrift der Klägerin gewesen.
Das LG hat über die Frage des Geschäftssitzes bzw. der zutreffenden Anschrift der Klägerin Beweis erhoben und hat sodann mit der angefochtenen Entscheidung die Klage als unzulässig abgewiesen.
Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gem. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.
1. Der gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz ZPO erforderliche Zurückverweisungsantrag einer Partei liegt vor. Zwar hat die Klägerin ausweislich ihrer Berufungsbegründung vom 31.3.2014 (Bl. 772 ff. d.A.) primär beantragt, das landgerichtliche Urteil aufzuheben, und hat sodann ihre erstinstanzlich zuletzt gestellten Anträge auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung wiederholt (Bl. 1/3d. Berufungsbegründung = Bl. 772/774 d.A.). Bereits in der Berufungsbegründung (Bl. 10) hat die Klägerin indessen - im Zusammenhang mit einer nach ihrer Auffassung zu Unrecht unterbliebenen Zeugenvernehmung - auch beantragt, "den Zeugen ... zu vernehmen, sofern nicht das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen wird zur Wiederholung/Fortführung der Beweisaufnahme". Diese Wendung wertet der Senat als den gem. § 538 Abs. 2 ZPO erforderlichen Antrag der unterlegenen Partei auf Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Dies hat die berufungsführende Klägerin schließlich auch klargestellt durch ihren ergänzenden Schriftsatz vom 9.10.2014 (Bl. 836 ff. d.A.), in dem ausdrücklich aufgeführt wird (Bl. 2): "Es wurde und wird nochmals die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils sowie die Zurückverweisung an das LG München I beantragt, wie bereits erfolgt. Auf unsere Anträge der Berufungsbegründung vom 31.3.2014, u.a. dort auch auf Seite 10 der Berufungsbegründung, wird Bezug genommen".
2. Die Berufung ist zulässig, der Zurückverweisungsantrag ist begründet. Das LG hat zu Unrecht die Unzulässigkeit der Klage unter dem Gesichtspunkt angenommen, dass sie "aus dem Verborgenen erhoben" sei. Dies trifft nicht zu.
a) Unbehelflich ist zunächst der Einwand der Beklagten, die Berufung sei deshalb unzulässig, weil sie keinerlei Ausführungen zur Begründetheit der Klage enthalte. Hierauf kommt es nicht an. Das LG hat ausdrücklich ausschließlich über die Zulässigkeit der Klage entschieden und über die Begründ...